Der Weg zur Selbsterkenntnis, der zu jenen „Enthüllungen“ führte, die SARAH SHOOK & THE DISARMERS auf ihrem vierten Studioalbum besingen, war ziemlich holprig und schwierig. Die letzten 20 Jahre war die Band praktisch unentwegt auf Tour und lebte den Rock'n'Roll in vollen Zügen, während die Frontfrau SARAH SHOOK mit ihren Dämonen rang. Am Ende stand eine Abwärtsspirale aus Shows, psychischen Problemen, Identitätskrisen und Alkohol, der dazu führte, dass die Musikerin im Sommer 2019 die Notbremse für sich zog und beschloss, „nüchtern zu werden oder bei dem Versuch das zu erreichen zu sterben“, wie sie in einem Interview der 'New York Times' erzählte. Eine Art Reset schien also dringend angeraten.
Nachdem sie 2020 auch noch eine ADHS-Diagnose erhalten hatte, die ihre psychischen Probleme in einem neuen Licht erscheinen ließen – aber auch beherrschbar machten, begab sie sich auf den langen Weg zur Heilung, die ihr nach mehreren Versuchen mit dem Ergebnis gelang, vom Alkohol loszukommen. Daraufhin nahm sie sich ihre musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten vor. Bislang gingen ihre Alben stets als Cow- bzw. Countrypunk durch, während sich die Band auf der Bühne immer mehr in Richtung eines eigenständig agierenden Rock-Outfits entwickelte.
2022 war es an der Zeit, den Neuanfang auch als Künstlerin zu wagen. So veröffentlichten SARAH SHOOK & THE DISARMERS das dritte Album „Nightroamer“, das erstmals im Patchwork-Verfahren mit einem Produzenten realisiert wurde und unter dem Pseudonym MIGHTMARE spielte sie ein Solo-Album namens „Cruel Liars“ ein, auf dem sie verschiedene musikalische Stile wie Indie-Rock, New Wave oder Power-Pop antestete und zusätzlich mit elektronischen Hilfsmitteln agierte. Diese Erfahrungen führten dazu, dass sich die Musikerin dazu entschloss, das nun vorliegende Album „Revelations“ wieder eigenständig zu produzieren und auf diese Weise die charakteristische Live-Energie des Band-Sounds einzufangen. Des Weiteren suchte sie als inzwischen nicht-binär identifizierte Person und alleinerziehende Mutter einen neuen Namen – und agiert seither als RIVER SHOOK.
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Das alles führte dazu, dass die neuen Songs geradliniger und wieder deutlich rockiger angelegt sind, als etwa die poppig produzierten Multitrack-Elaborate des „Nightroamer“-Albums. Unter anderem liegt der Grund dafür darin, dass der Drumsound JACK FOSTERS geradlinig in Richtung 70's-Hardrock getunt wurde. Auch der Country-Aspekt wurde auf dem neuen Album dezent zurückgefahren, indem beispielsweise die Beiträge des bandeigenen Pedal-Steel-Gitarristen NICK LARIMORE eher psychedelisch als rührselig angelegt sind und oft mit den rockigen Gitarrensounds verzahnt wurden. Wenn es allerdings in einem Song wie der Abrechnungs-Hymne „Motherfucker“ gilt, dem klassischen Country-Hoedown-Gedanken vortrieb zu leisten (der am Samstag Abend in jeder Rodeo-Kneipe der Südstaaten gepflegt wird, wo so manche ihrer Songs spielen), dann geschieht das mit einer augenzwinkernden, selbstironischen Note.
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RIVER SHOOKs Songs entstehen dabei nie im luftleeren Raum, sondern sind an die autobiographisch geprägten Geschichten gebunden, die sie aus persönlichem Erleben als Erfahrungen oder Beobachtungen einsammelt. In dem geradlinig rockenden Titeltrack etwa schildert sie die Probleme mit ihrer psychischen Erkrankung im Alltag. Das im Wüstenrock-Setting angelegte „Backsliders“ beschreibt ihre Zeit als Bartenderin und die typischen Beziehungsgeflechte in einer solchen Umgebung. Das pulsierende „Dogbane“ ist eine selbstironische Reflexion über das anstehende Ende der Welt im Spiegel der Natur und das, was man als Individuum angesichts dessen tun sollte. In dem mit 60's-Flair angereicherten „Criminal“ bezeichnet sich die Musikerin als 'Verbrecherin der Liebe'. Das besonders authentische Porträt einer in die Obdachlosigkeit abgedrifteten „Jane Doe“ hätte Bruce Springsteen wahrscheinlich auch nicht sehr viel effektiver angelegt und der dezidiert nicht als Ballade konzipierte, munter rockende Lovesong „Give You All My Love“ überzeugt musikalisch durch seine mitreißende Unerbittlichkeit und Mitklatsch-Rhythmen – und wird so musikalisch zum Highlight des Albums (und tatsächlich zu einem der besten DISARMERS-Songs überhaupt).
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Eine besondere Stellung nimmt der Song „Stone Door“ ein, den SHOOK – damals noch als SARAH – bereits vor drei Jahren schrieb. Hier nimmt sie Bezug auf die verklärte Erinnerung an ihr jugendliches Ich als Quelle der Heilung. Musikalisch findet der damals nur als Akustik-Skizze veröffentlichte Song seine endgültige Form in einer Country-Ballade, die dank rockiger Gitarrenriffs und eines psychedelischen Steel-Solos bodenständig geerdet wird.
Eine erneute Umbesetzung der Band, bei der nun RIVER SHOOKs Lebenspartner BLAKE TALLENT als Gitarrist mit an Bord ist, führte dazu, dass „Revelations“ vor allen Dingen von den dicht gewebten und miteinander verzahnten Gitarrensounds lebt, mit denen sich Shook, Tallent und auch Larimore eher ergänzen als sich etwa mit Soli zu duellieren. Insgesamt gelingt es SARAH SHOOK & THE DISARMERS auf diesem Album sehr gut, die eigentlich düsteren Themen musikalisch durch eine durchweg positive Grundstimmung und eine druckvolle Präsentation aufzufangen. Tatsächlich klingt das Album dann so, als sei bei SARAH SHOOK & THE DISARMERS 2024 das Glas deutlich öfter halb voll als leer.
FAZIT: Wem die ersten beiden DISARMERS-Alben vielleicht noch zu Country-lastig waren und das letzte zu poppig, der wird auf dem neuen Album „Revelations“ jene SARAH SHOOK & THE DISARMERS entdecken, als die sie sich auch auf der Bühne präsentieren. Dass sich RIVER SHOOK – wie sie sich heutzutage nennt – als geläuterte Person darstellt, die mit sich nun im Reinen ist, wirkt sich dabei durch eine insgesamt positive Grundstimmung förderlich aus.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.03.2024
Andrew Lambie
River Shook
Blake Tallent, River Shook
Jack Foster
Nick Larimore (Pedal Steel)
Thirty Tigers
37:29
29.03.2024