Ob mit der verlassenen Kapsel die Flucht aus der vermeintlichen Realität gemeint ist?
Gut möglich! Vielleicht besingen SNOW TRAIL aber auch die Einsamkeit in einer Großstadt, die, obwohl mit Menschen vollgepackt, kaum wirklichen sozialen Kontakt hervorbringt. Und so wiederholt sich im Spiegelbild polierter Fenster („Mirrors“) das immer gleiche Bild identitätsloser Gesichter („Fragments Repeated“). Wirkliche Interaktion findet kaum statt. Vielmehr brodelt der Alltag als Gefühlsgulasch im eigenen Bauch, ohne ein wirkliches Ventil zur Verfügung zu haben.
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Dieses Szenario vertonen die Post-Punks aus Jena in Form distanziert wirkender Klänge. Weniger kalt, als in dem Genre gewohnt, tönen die Songs futuristisch, lassen Raum für Tanzschritte auf dem nassen Asphalt (u.a. „Global Village“), werden aber allesamt von einer Stimmung der Einsamkeit, der schmerzhaften Anonymität getragen.
Da kann „Gravity“ noch so sanft und ätherisch klingen, eine Stadt voller Schatten („Town Of Shadows“) hat mit Lebensfreude, Weiterentwicklung oder gar einem pulsierenden Herzschlag wenig gemein. Natürlich wird auch in ihr stets gebaut, konstruiert und verbessert, aber wenn die Anleitung dazu als stoischer Dunkelklang daherkommt („Constructions“), dann ist von Lebensfreude, oder gar sowas wie einem belebenden Geist wenig zu finden.
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Immerhin gibt’s am Ende ein Tasse Tee zur Entspannung.
Oder ist der Trank doch nur sowas wie die blaue Pille in den Matrix-Filmen?
Eine einfache Lösung, eine schnelle Flucht aus der Realität?
Gemessen an der repetitiv-monotonen Musik wirkt dieser Gedanke gar nicht so weit hergeholt. Daran ändert auch das aufgekratzte Finale wenig. Wirkt es doch eher wie die ekstatische Freude an der Selbstaufgabe. Ganz nach dem Motto: 'Wir tanzen lachend in den Untergang‘.
Bleibt nur zu hoffen, dass SNOW TRAIL ihre Musik eher als Spiegelfunktion denn als Lebensphilosophie meinen.
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FAZIT: Das Gefühl der Anonymität des Einzelnen in der Masse vertonen SNOW TRAIL auf „Abandoned Capsule“ nahezu perfekt. Denn der kalt und distanziert wirkende Post-Punk der Jenaer wirkt wie eine Schlinge, die sich immer mehr zusammenzieht. Dass die Musik trotzdem ungemein tanzbar, fast stur rhythmisch daherkommt, birgt aber auch Raum für rebellische Gedanken. Vielleicht ist es doch einfach an der Zeit auszubrechen, zu tanzen, den Alltag nach seinen eigenen Ideen zu gestalten? Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht ich, wer sonst? Post-Punk als Initialzündung zur Eigenermächtigung? Warum denn nicht…?
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.07.2024
Ace
Padraig Silenos, Pascal
Pascal
Padrag Silenos
Hannes Höfer (Saxofon)
It’s Eleven Records
32:41
26.04.2024