Auf den Bindestrich im Titel kommt es an – denn auf ihrem vierten Album „Young-Girl Forever“ will die in Wien ansässige Allround-Künstlerin SOFIE ROYER gar nicht für sich reklamieren, für immer jung bleiben zu wollen (und wenn doch, dann mit einem ironischen Augenzwinkern). Stattdessen bezieht sie sich auf eine Schrift namens „Preliminary Materials for the Theory of a Young-Girl“ aus dem Jahre 1999 – eine Art Kapitalismus-Kritik, in der die Figur des 'Young-Girl' als Projektionsfläche für das Verhalten junger Frauen im Konformismus der Moderne steht. Auf <a href="https://sofieroyer.bandcamp.com/album/young-girl-forever" target="_blank" rel="nofollow">SOFIE ROYERS bandcamp Seite</a> heißt es, dass sich das in den Themen, die sie auf dem Album aufgreift, widerspiegelt: Sich entweder nach ewiger Jugend zu sehnen („I forget (I'm So Young)“) oder aber sich wie eine emotionslose Puppe zu fühlen („Babydoll“). Und wenn man dann noch weiß, dass SOFIE ROYER es sowieso liebt, in schillernde Rollen zu schlüpfen, dann lässt sich schon erahnen, dass ihr neues Album nicht nur in musikalischer Hinsicht vielschichtig und mehrdeutig angelegt ist. Systemkritik an den strukturellen Gegebenheiten, die ein 'Young-Girl' zu dem machen, was sie ist und entsprechende Empowerment-Aspekte fließen zwischen den Zeilen ebenso mit ein wie eine Prise Soul-Searching. In dem Titeltrack kommt SOFIE ROYER dann gar zu dem Schluss, dass die Idee des „Young-Girl“ wohl nur eine Illusion ist.
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In diesem Sinne spiegelt dieses Album dann auch die Komplexität ihrer Persona wider. Geboren als Tochter iranisch-österreichischer Eltern mit bürgerlichem Namen Fatouretchi im kalifornischen Palo Alto, aufgewachsen in Wien, später in New York und London ansässig und heute wieder in Österreich lebend, hat sie es sich noch nie einfach gemacht, wenn es darum ging, ihre unbändigen Ideen musikalisch umzusetzen. Auf ihrem Debüt-Album „Cult Survivor“ orientierte sich die klassisch ausgebildete Violinistin am Format des französischen Chansons, wandte sich dann für ihr zweites Album „Harlequin“ Oper, Operette und Vaudeville zu, um sich nun für ihr vorliegendes Album auf Club- und Disco-Stilistiken zu konzentrieren. Und das stets multilingual, denn regelmäßig trägt sie ihre Songs – je nach Rolle – auf Englisch, Deutsch und/oder Französisch vor. Die gewählte Zielrichtung hat sicher auch damit zu tun, dass sich SOFIE ROYER durch ihr Engagement für den Boiler-Room-TV L.A. sehr gut in Sachen Club- und Dance-Ästhetik auskennt.
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Die Konzentration auf eine stilistische Richtung ist insofern überraschend, als dass der unberechenbare musikalische Eklektizismus für SOFIE ROYER bislang zwingend zum Programm gehört zu haben schien. Doch kampflos will SOFIE ROYER ihre Vielseitigkeit dann doch nicht aufgeben. Während sich also Songs wie „Baby Doll“, „Young-Girl (Illusion)“ oder der einzigen Coverversion „Sage Comme Une Image“ von Lio (die die „Harlequin“-Thematik des letzten Albums noch einmal aufgreift) in einer 80er Jahre Disco sicherlich nicht fehl am Platze gewesen wären, fallen „Nichts Neues Im Westen“ als Liedermacher-Pop, „Lights Out Baby, Entropy!“ mit Prog- und Schweinerock-Einlagen oder „Ghost Town“ mit schwülstiger Dream-Pop-Ästhetik aus dem Rahmen. Die abschließende Moritat mit dem Titel „Fassbinder“ kommt im Format eines klassischen, zeitlosen, organischen Pop-Songs daher, der fast ohne New Wave und Disco-Referenzen auskommt.
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Ein Grund dafür, dass das Album einen so kohärenten Sound aufweist, könnte der sein, dass SOFIE ROYER die wesentlichen Bestandteile wie Keyboards, aber auch Bass, Gitarre und Drums oft selbst einspielte und sich nur gelegentlich von Gästen unterstützen ließ. Lediglich ihre Viola – bei den Live-Shows integraler Bestandteil der Performance, welche sie oft für folkloristische Akzente nutzt – kommt einzig in untergeordneter Rolle in dem Song „I Keep On Running“ zum Tragen. Die musikalische Konkretisierung brachte außerdem mit sich, dass die früher gelegentlich zu beobachtenden Ausbrüche in regelrecht kitschige Gefilde auf diesem Album nicht mehr zu finden sind.
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FAZIT: SOFIE ROYER kennt als Musikerin keine Zurückhaltung. Wo andere oft Wert darauf legen, sich in der stilistischen Ausrichtung bloß nicht zu verzetteln oder die eigene Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen, lässt sie schlicht alles zu, was ihr in den Sinn kommt, wozu auch Dinge gehören, die oft verpönt sind: So gehört ja schon eine ganze Menge Chuzpe dazu, im Indie-Pop-Kontext etwa Schlager-, Euro-Trash-, Folklore-, Klassik-, Vaudeville- und Comedy-Elemente zuzulassen. Ein geschätzter Musik-Kenner brachte es nach einem entsprechend facettenreichen Konzert SOFIE ROYERS einmal mit dem ratlosen Ausspruch: „Ich weiß noch nicht, ob ich das gut gefunden habe!“, auf den Punkt. In diesem Zusammenhang ist „Young-Girl Forever“ mit seiner vergleichsweise geradlinigen musikalischen Konzentration auf Retro-Disco- und New-Wave-Pop-Elemente durchaus eine Überraschung.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.11.2024
Markus Windisch, Alexander Dexter Jones
Sofie Royer
Giuliano Sannicandro, Christian Hummer, Sofie Royer
Sofie Royer, Maximilian Walch
Xavier Plus, Maximilian Walch, Sofie Royer, Eli Keszler
Stones Throw Records
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15.11.2024