Rückblende ins Jahr 1983, als kühle Synthie-Sounds, alberne „New Romantics“ und der "Sunshine Reggae" von Laidback die reichlich öde Pop-Szene dominierten: Wie exotisch und seiner Zeit voraus klang damals doch dieser junge Bursche namens Matt Johnson alias THE THE. Der Beweis: "Soul Mining" - ein stilistischer Solitär, ein Album mit Langzeitwirkung.
Zurück in der Gegenwart: Wer heute die besten Eighties-Platten auflistet, kommt an "Soul Mining" von THE THE kaum vorbei.
Wie Johnson, der die Platte unter dem ironischen, schon vor Google-Zeiten sperrigen Projektnamen mit dem Doppel-The veröffentlichte, hier Postpunk, Underground-Noise, Blues, Afrobeat, New Wave, Electro und Gitarren-Rock mixte, war so unerhört mutig und modern, dass es noch heute fasziniert. Beim wunderbar eingängigen "This Is The Day", spätestens aber bei "Uncertain Smile" (mit dem berühmten perlenden Piano-Solo von Jools Holland am Schluss) war eigentlich klar, dass ein kommender Superstar der britischen Rockmusik die Bühne betreten hatte.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/lKfJ-bAVEgQ?si=KQi7ah5YEe0kZDTx" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Ganz so kam es dann nicht, auch wenn die 1979 gegründeten THE THE mit den teils stark politisch-polemisch aufgeladenen Nachfolge-Werken "Infected" (1986), "Mind Bomb" (1989) und "Dusk" (1993) durchaus Erfolge bei den Kritikern erzielten und auch recht weit oben in den Charts landeten. Mit dem Cover-Album "Hanky Panky" (1995) und "NakedSelf" (2000) sank der Stern des notorisch pessimistisch klingenden Johnson, der irgendwann als Sänger/Songschreiber fast völlig verstummte und nur noch instrumentale (Soundtrack-) Arbeiten vorlegte.
Mit "The Comeback Special (Live At The Royal Albert Hall)" von 2021 bewiesen THE THE immerhin ihre ungebrochenen Bühnenqualitäten, und ein Comeback war damit ja auch bereits quasi eingetütet. Jetzt ist es soweit, und es ist großartig - angefangen beim sinister groovenden, aufmüpfigen "Cognitive Dissident" bis zum fast schon gospeligen Closer "A Rainy Day In May". Dazwischen liegen weitere typische, tolle Tracks, teilweise wie gehabt mit abenteuerlichen Titeln wie "Some Days I Drink My Coffee By The Grave Of William Blake" oder "Linoleum Smooth To The Stocking Foot" (Matt Johnson war auch als Texter schon immer ein rätselhaftes Genie).
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/Gmwkzk2bPms?si=bNWN3UmEgZrsdFDX" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Nicht nur im Albumtitel knüpft "Ensoulment" bei "Soul Mining" an, sondern auch mit den Stimmungen und der musikalischen Qualität der insgesamt zwölf neuen THE THE-Songs. Johnson, mittlerweile 63, raunt und croont immer noch geheimnisvoll im sonoren Bariton, die Soundkulissen sind weiterhin schön düster, die derzeitigen Begleiter (Barrie Cadogan an der Gitarre, Earl Harvin am Schlagzeug, James Eller am Bass und DC Collard an den Keys) selbstverständlich exquisit.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/irmURXnkt54?si=Bmwali8h0YYcqk6d" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Wo früher prominente Gastmusiker wie der eingangs erwähnte Jools Holland, Neneh Cherry, Sinead O'Connor oder Johnny Marr (The Smiths) bei THE THE für Aufsehen sorgten, dominiert jetzt eine kompakte Band, die gelegentlich durch Backing-Vocals von Gillian Glover und jazzige Bläser-Arrangements von Terry Edwards ergänzt wird. Die Platte sei "unter sehr glücklichen Umständen entstanden", sagt Johnson zufrieden. "Mit einer großartigen Stimmung zwischen der Band und all den Leuten, die daran gearbeitet haben. Es wurde viel nachgedacht, viel gearbeitet, viel geliebt und viel gelacht!“
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/u9L-SMmf5pM?si=x9Dxtd8OSDLOQBM7" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
Einer der besten "Ensoulment"-Tracks ist "Where Do We Go When We Die?", eine verschattete, nach den letzten Dingen fragende Ballade - und man ahnt, dass Johnson weiterhin kein unbeschwerter Mensch ist. Dennoch, so der Sänger kürzlich im "Independent"-Interview, sei er inzwischen eigentlich eher optimistisch. Todesfälle in seiner Familie hätten ihn "erweicht", er habe mehr Vertrauen in die menschliche Natur und mehr Hoffnung für die Welt als seine Lieder es vermuten ließen.
<br><center><iframe width="560" height="315" src="https://www.youtube.com/embed/hhKcM-exR10?si=P8cpXNAiU5Y1tLsL" title="YouTube video player" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen></iframe></center></br>
FAZIT: Schön, dass es Matt Johnson, diesem großen Individualisten des britischen Wave-Pop der 80er- und 90er-Jahre, wieder einigermaßen gut geht. Hoffentlich bleibt er nun produktiv - denn wir können künftig noch weitere starke Alben wie "Ensoulment" von THE THE gebrauchen. Ein weiterer Pop-Klassiker wie "Soul Mining" wird ihm vermutlich nicht mehr gelingen, aber für eines der besten Comebacks dieses Jahres reicht es allemal.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.09.2024
James Eller, Matt Johnson
Matt Johnson, Gillian Glover, Barrie Cadogan
Barrie Cadogan, Matt Johnson
DC Collard, Matt Johnson
Earl Harvin, Danny Cummings
Terry Edwards (Blasinstrumente), Sanya Cullingford (Fiddle)
Cineola/earMUSIC/Edel
45:25
06.09.2024