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Vampire Weekend: Only God Was Above Us

Stil: Artpop, Afrobeat, Electro, New Wave, Reggae, Piano-Pop, Singer-Songwriter, Jazz

Cover: Vampire Weekend: Only God Was Above Us

Ein Album, das in diesen Zeiten mit den Leck-mich-doch-Worten "Fuck the world" beginnt, kann schon mal kein schlechtes sein. Zumal dann, wenn sich das Eröffnungsstück "Ice Cream Piano" nichtsdestotrotz mit hibbeligen Gitarrenklängen und entfesselten Streichern alsbald in euphorische Höhen aufschwingt. Auch der Plattentitel ist genial schräg: "Only God Was Above Us" - wer denkt da nicht auch ein bisschen an die frechen "Populärer als Jesus"-Beatles? Natürlich alles pure Ironie, wie das Cover-Artwork sogleich offenbart: ein absurd wirkendes Katastrophen-Foto des New-York-Chronisten Steven Siegel mit der Zeitungsschlagzeile "Only God Was Above Us".

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Ein so schlau zusammengebasteltes Konzept kann doch nur von einer der cleversten Bands unserer Zeit stammen - von VAMPIRE WEEKEND. Und so ist es auch. Dass das Trio um Frontmann und Vordenker Ezra Koenig, wie der Titel des fünften Großwerks suggerieren könnte, "nur noch Gott über sich" hat, ist natürlich Wunschdenken aus Fan-Sicht. Denn VAMPIRE WEEKEND haben trotz großer Erfolge bei Kritikern und Tonträgerkäufern ja nie die Pop-Weltherrschaft erreicht, die man ihnen nach dem grandiosen selbstbetitelten Debüt tatsächlich mal zugetraut hatte.

Dafür kamen ihre Veröffentlichungen (2008, 2010, 2013, <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2019/Vampire-Weekend/Father-Of-The-Bride/" target="_blank" rel="nofollow">2019</a>, 2024) zu sporadisch, und ihre Schlaumeier-Musik war wohl auch - trotz etlicher toller Melodien und eines immer wieder innovativen Inputs aller Bandmitglieder - nicht massentauglich genug. 

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"Only God Was Above Us" dürfte daran leider nicht viel ändern. Die Pop-Experten werden über die mit smarten Ideen bis zum Rand gefüllten zehn Lieder jubeln, und bisherige Fans können sich bestätigt fühlen, dass Ezra Koenig, Chris Baio und Chris Tomson alias VAMPIRE WEEKEND eine überragende Artpop-Band sind. Es wird gute Charts-Platzierungen und viele Erwähnungen in Jahresbestenlisten für 2024 geben, aber das war's dann auch wohl.

Wie dem auch sei - erneut gelingt den drei mittlerweile um die 40 Jahre alten, weiterhin jugendlich wirkenden/klingenden Musikern grandios der Brückenschlag zwischen Electro-, Piano- und Chamber-Pop, Afrobeat, New-Wave-Energie ("Gen-X Cops"), Dub-Reggae mit HipHop-Beats ("The Surfer") sowie freejazzigem Saxofon-Gehupe ("Classical"). Und Koenig singt dazu mit seiner alterslosen Paul-Simon-Stimme, deren Gute-Laune-Ausstrahlung die oft düsteren, desillusionierten Texte von VAMPIRE WEEKEND konterkariert.

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"Inspiriert und verfolgt vom New York des 20. Jahrhunderts, wurde das Album auf der ganzen Welt aufgenommen, von Manhattan über Los Angeles bis London und Tokio", teilt uns die PR-Abteilung  von Columbia mit. Und na klar, die ganz besondere "Big Apple"-Atmosphäre ist auch auf "Only God Was Above Us" wieder jederzeit spürbar, die Songs sprühen nur so vor grenzenloser, faszinierender NYC-Weltläufigkeit. Es gibt aktuell wohl keine Band, die mehr New York ist als VAMPIRE WEEKEND.

"Connect", "Capricon", "Pravda" oder "Mary Boone" sind Wunderwerke der Inspiration, des Einfallsreichtums - hier passiert in vier, fünf Minuten mehr als bei anderen Musikern auf einem ganzen Album, ohne dass diese Tracks überladen sind. Und erst recht der zentral platzierte Album-Höhepunkt: "The Surfer" ist dermaßen raffiniert zusammengebastelt mit seinen prächtigen Piano- und Streicher-Harmonien, dem coolen Rhythmus und der markanten James-Bond-Soundtrack-Fanfare, dass sich die Frage schnell erübrigt, warum es bei VAMPIRE WEEKEND so (viel zu) lange gedauert hat. Eher wundert man sich mal wieder, wo Koenig, Baio, Tomson und ihr Stammproduzent Ariel Rechtshaid immer all diese herrlichen Ideen herholen.

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Nach dem softpoppigen, überlangen "Father Of The Bride" von 2019 (Charts-Platz 1 in den USA und Grammy-Gewinner) nahmen sich VAMPIRE WEEKEND viel Zeit für einen (kompakteren) Nachfolger - die Anfänge von "Only God Was Above Us" reichen also zurück bis zu der Zeit vor einer globalen Pandemie und einem von Russland angezettelten neuen Krieg mitten in Europa. Die Welt ist angesichts zunehmender totalitärer Tendenzen seither keine bessere geworden, und wer weiß, was noch kommt mit einem Möchtegern-Diktator Donald Trump. Man meint den neuen Liedern von VAMPIRE WEEKEND, bei all ihrer sprühenden Lebhaftigkeit und kreativen Detailfülle, eine gewisse Ratlosigkeit und Melancholie anzuhören. "Fuck the world"? Passendes Motto für realistische Zeitgenossen. Gut, wenn man dazu immerhin so tolle Musik hören kann.

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FAZIT: Man wird auch jetzt, beim erst fünften Album von VAMPIRE WEEKEND innerhalb von 16 Jahren, wieder von einem Opus magnum der Band um Ezra Koenig sprechen. Tatsächlich ist "Only God Was Above Us" erneut ein meisterliches Werk, das den makellosen Katalog der New Yorker dauerhaft zieren wird. Und was kann es Schöneres geben als eine Platte aus den tief gespaltenen, dem erneuten Trump-Irrsinn entgegentaumelnden USA, die mit dem Songtitel "Hope" endet? (Selbst wenn der Text dann doch eher pessimistisch klingt: "The enemy’s invincible/I hope you let it go".)

Punkte: 14/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.04.2024

Tracklist

  1. Ice Cream Piano
  2. Classical
  3. Capricorn
  4. Connect
  5. Prep-School Gangsters
  6. The Surfer
  7. Gen-X Cops
  8. Mary Boone
  9. Pravda
  10. Hope

Besetzung

  • Bass

    Chris Baio, Miles Mosley, Ariel Rechtshaid

  • Gesang

    Ezra Koenig

  • Gitarre

    Ezra Koenig, Matt DiMona

  • Keys

    Ezra Koenig, Ariel Rechtshaid

  • Schlagzeug

    Chris Tomson, Ariel Rechtshaid, Jay Mumford, Dev Hynes

  • Sonstiges

    Will Canzoneri, Ezra Koenig, Ariel Rechtshaid (Orchestral Arrangements), Eliza Bagg, Jodie Landau, Luc Kleiner, Kathryn Shuman (Chorgesang), Isabel Hagen (Background Vocals), Henry Solomon (Saxophon), Ariel Rechtshaid (Harmonica), Eric Gorfain, Daphne Chen (Geige), Hamilton Berry, Michelle Rearick (Cello)

Sonstiges

  • Label

    Columbia/Sony

  • Spieldauer

    47:00

  • Erscheinungsdatum

    05.04.2024

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