Ach du Scheiße! Dieser wildwüchsige Musik-Sampler mit pädagogischem Hintergrund kann garantiert nicht auf dem deutschen Mist gewachsen sein, wenn er (mal frei übersetzt) den Titel „Schule fetzt!“ trägt. In einem desaströsen Bildungssystem wie dem unseren, in dem jeder Lehrer kann, wenn er sich als Quer- oder Seiteneinsteiger ganz ohne pädagogische Grundausbildung vor die immer voller werdenden Klassen stellen darf, wäre höchstens der Titel „School is out!“ aber auf keinen Fall der „School House ROCK – Vol. 1“-Sampler aus dem rührigen Retro-Hause 'Bear Family Records' unter dem Titel „School is in!“ angebracht.
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Also begeben wir uns doch besser in eine Zeit, als die Schule noch was Anderes war als heute und auch in ein Land, das weit weit weg ist.
Die insgesamt 34 Songs dieser Erstausgabe von „School House ROCK, Vol. 1 – School is in!“ beschreiben das amerikanische Schulleben der 1950er-Jahre mit all seinen Tücken wie Höhen und Tiefen, genauso wie die spannenden Seiten, handfeste Streiche, Schulfeste, Romanzen, Liebe und den Herzschmerz, nachdem die erste Liebe die Schultoilette runtergegangen ist. Und das alles im feinen Rockabilly-Style, der damals das (musikalische) Aufbegehren der Jungen gegen die Alten war. Nur dass genau die heute die Alten sind und die Jungen und ihre Musik sowie ihren Technik-Wahn genauso wenig verstehen. Ja, die Zeiten ändern sich eben – und hier gibt’s gleich den musikalischen Beweis dazu, der noch dazu – wie von dem großartigen Bärenfamilien-Label gewohnt – mit einem schönen Digipak und einem umfangreichen, darin eingeklebten 26 Seiten starken Booklet aufwartet, in dem jeder einzelne Song und Künstler detailliert in Text und Bild vorgestellt wird. Auch wurde in puncto Remaster mal wieder Großartiges geleistet und die Songs, die für Andere einst der Soundtrack von Rockabilly bis Garagen-Mucke plus R&B ihres Schuldaseins waren, sich durchaus auf der Höhe der Zeit befinden. Und klar doch müssen da ein CHUCK BERRY samt Schulglocke genauso wie DON WILLIS mit seinem „Boppin' High School Baby“ und selbstverständlich der ganz große BILL HALEY mit seinen Kometen auftauchen, der das ABC des Rocks definiert.
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Neben solchen bekannten Namen gibt’s natürlich auch so einige Raritäten zu entdecken, die von höchstem Sammlerwert sind – und dass Bear Family Records diesbezüglich ein ausgesprochen feines wie ausgeprägtes Gespür haben, sollte sich eigentlich längst herumgesprochen haben, wenn man selber zu den Liebhabern älterer Aufnahmen gehört, die einem das Lebensgefühl aus einer Zeit und einer Welt vermitteln, die sich irgendwie völlig anders drehte, als es noch nicht die digitale Schwungkurbel gab, die sie anscheinend nunmehr komplett im Griff zu haben scheint.
Doch seien wir ehrlich – die Schule spielt in jeder Zeit, egal wie sehr sie sich außerhalb der Schultüren entwickelt, eine ähnliche Rolle. Mit guten wie schlechten Erinnerungen verbunden, begleitete sie uns alle auf einem unserer wichtigsten Lebenswege überhaupt, in dem wir auch noch schwer pubertieren durften oder mussten und beispielsweise ein neu entdeckter Pickel mitten auf Stirn oder Nase den definitiven Weltuntergang für uns bedeutete...
Und viele wussten davon ein Lied zu singen – so wie beispielsweise ein CHUCK BERRY, der sich auf „School Days“ gleich auch an das Klingeln der Pausenglocke erinnert und natürlich auf diesem Sampler genauso wenig fehlen darf wie der eitrige Pickel auf der Teenager-Stirn, der verzweifelt mit dem Pony zu verdecken versucht wird...
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Übrigens ist die diesbezügliche Beschreibung des Bärenfamilie-Plattenlabels wirklich sehr einfallsreich und humorvoll, wenn sie über das, was so alles auf dem Sampler passiert, feststellen: „Und was für eine großartige Sammlung das ist – sie übertrifft das offensichtliche Absurde von geistig-sentimental durchgeknallten Harmoniegruppen, knurrlippigen Wunderknaben im Teenageralter und anderen Klischees der 50er Jahre. DON WILLIS' durchgeknalltes, vor Echo triefendes Garage-Rockabilly-Stück „Boppin‘ High School Baby“ rockt Seite an Seite mit dem Großstadt-R&B-Sprung von FRANKIE LYMONs „Waiting in School“ (Pass auf, Ricky!); JOHN D. LOUDERMILKs Reflexion über das wichtigste Schuldokument – das Jahrbuch – gleitet durch einen sphärischen Science-Fiction-Refrain und veranlasst JOHN WATERS, loszueilen, um ein neues Filmskript über Teenager aus dem Weltall zu schreiben, während THE WINSTONS der lebende Beweis dafür sind, dass Musikunterricht eine echte Alternative zum Football darstellt – lernen Sie im Handumdrehen, Saxophon zu spielen!“
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FAZIT: Ja, es ist eben viel los und eine herrliche Zeitreise in unserer Musik-Zeitkapsel zurück in die 1950er-Jahre und mitten hinein in die Schule, wenn Bear Family Records mal wieder ihre musikalische, sehr klug sondierende Hand anlegen und dabei die Schul-Songs der 50er-Jahre zum Vorschein bringen. Diese ganz spezielle Zeitspanne wird nunmehr vom Bärenfamilien-Label mit „School House ROCK, Vol. 1 – School is in!“ gewürdigt und enthält 34 fein remasterte Songs der Zeit als die Teenies der 50er-Jahre rockabillyten und sich ganz ähnlich benahmen und ähnliche Probleme hatten wie wir in unseren pubertären Phasen oder unsere Kinder und Kindeskinder – darum vertraut auf diesen Sampler (der noch dazu ein herrlich umfangreiches 26-seitiges Booklet zu allen Künstlern und Songs enthält), wenn Bear Family Records fein differenziert zu dem Ergebnis kommt: „Ach, die Schulzeit. Mühsam! Ambivalent! Schöne Erinnerungen und schmerzhafte! In den 1950er Jahren wurde eine neue Zielspezies entwickelt – oder Türen eingerissen und nach Jahrhunderten der Vernachlässigung Anerkennung gefordert: der Teenager. Sie sprachen anders, kleideten sich anders, verhielten sich seltsam, rochen komisch und waren schwer zu erreichen. Sie schienen ihr kleines Universum zu beherrschen. Ein zentraler Treffpunkt, um sie zu kontrollieren, zu studieren, zu schikanieren oder sie in eine brauchbare Richtung zu lenken, war die Schule. Und in der Schule passiert alles - Junge trifft Mädchen; Pickel verursachen Nervenzusammenbrüche; man kann vor lauter Juckreiz nicht mehr zucken; und man sucht seinen Platz im Leben, sein kleines Ich, seine großen Träume. Schule.“ Also: Wer die Schule noch aus seinen Erinnerungen hasst – bittesehr. Die Musik dieser Zeit aber – die muss man einfach lieben und hängt im Grunde auch immer mit den schönsten Erinnerungen zusammen.
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Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.07.2024
Bear Family Records
78:39
01.03.2024