Der Experte wie Musikfreund für die besonderen Stunden und 60er/70er-Jahre-Erinnerungen weiß: Wo VIBRAVOID draufsteht, da steckt ganz besonderer (guter bis sehr guter) Krautrock drin, der sich immer wieder auf musikalischer wie auch optischer Ebene psychedelisch tiefgründig zu entfalten versteht. Und das alles schon seit 35 Jahren und 22 Studio-Alben, von denen definitiv Krautrock-Freunde irgendwann schon Notiz genommen haben müssen, wobei man ganz schnell dem 'ohralen' VIBRAVOID-Suchtfaktor verfallen kann, den man selbst bei einem kalten Entzug einfach nicht mehr ablegen kann...
Bestes aktuelles Beispiel dafür ist die „We Cannot Awake“-LP, die absolut konsequent nur auf Vinyl (in den unterschiedlichsten Farben und Gestaltungsmöglichkeiten) erhältlich ist, und die einen mal wieder wie so oft auf einen kunterbunten, krautrockigen Psyche-Tripp entführt, der all das zu bieten hat, was man bereits in den Spätsechzigern schon an dieser ungewöhnlichen, in Deutschland entstandenen Musik-Spielart liebte – und heute noch, in den schönsten Erinnerungen schwelgend, von ganzem Herzen und mit dicker Tüte liebt – und damit dem zweiten Songrundsatz der LP-A-Seite huldigt: „Nothing Is Wrong“.
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Am besten aber lässt man die Band selber für sich sprechen, die ganz klare Grenzen wie Parallelen setzt, wenn es um die Einordnung ihrer musikalischen Wechselspiele der kräutrigen Art geht, die mitunter zu ungeahnten Missverständnissen führten: „Bereits in den frühen 1990er Jahren entwickelte sich VIBRAVOID als einflussreichste neue Gruppe aus Düsseldorf. Zum Beispiel wurde die Band in der Frühphase des Stoner Metals und der damit einsetzenden falschen Benutzung des Begriffs 'Psychedelic' zu vielen Stoner-Festivals geladen. Zum Erstaunen des Publikums präsentierten VIBRAVOID dann Songs von Syd Barretts Pink Floyd, Silver Apples, CAN oder den Beatles, die den Stoner-Jüngern zu dieser Zeit gar nicht bekannt waren und als Songs von VIBRAVOID interpretiert wurden, weswegen die Düsseldorfer strikt ablehnen, als 'Stoner Band' vereinnahmt zu werden. Als Kinder der Flower-Power-Generation haben VIBRAVOID von der ersten Welle des Psychedelic und Krautrock gelernt, denn was heute als 'Psych- und Krautrock' vermarktet wird, gab es damals noch nicht und musste von Bands wie VIBRAVOID erst erfunden werden.“
Hieraus spricht eine ganze Menge Selbstbewusstsein, das aber im Falle von VIBRAVOID völlig gerechtfertigt ist.
Aber auch unser Kollege König fand hierfür im Rahmen <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2017/Vibravoid/Mushroom-Mantras/" target="_blank" rel="nofollow">seiner „Mushroom Mantras“-Review</a> genau die richtigen Worte, als er feststellte: „Krautrock ist kein Schimpfwort, und VIBRAVOID zeigen, wie er zwischen 1992 und heute bestens funktionieren kann.“
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Als Beweis dafür liegt nun mit „We Cannot Awake“ eine auf 500 Exemplare limitierte, wunderschön psychedelisch gestaltete LP im Gatefoldcover samt Poster und DL-Card vor, die – sowie das farbige Vinyl auf dem Plattenteller kreist – ihre ganze musikalische wie optische und auch klangtechnisch beeindruckende Schönheit entfaltet und auf der ersten Seite mit den fünf kürzeren Songs doch überrascht. Denn die sind ungewöhnlich eingängig – ohne dabei jemals die Psyche-Perspektive aus den Augen zu verlieren – und erinnern mehr an die 80er- als die 60er-Jahre sowie recht düsteren Acid- und Fuzz-Rock. Und tatsächlich entdecken wir hier doch so einige, von der Band selbst verteufelte Retro-Ansätze, die aber eine durchaus angenehme Aura entfalten und sich nicht irgendwo dort verlieren, wo sie nicht hingehören. Der Kräutergarten ist auch auf der LP-A-Seite immer in der Nähe, selbst wenn man ihn in diesem Falle mitunter nur vor dem Fenster sieht, aber niemals aus dem Blick verliert. VIBRAVOID wissen eben von der ersten bis zur letzten Minute, was sie wollen (Psyche-Kraut) und was nicht (Stoner-Rock) – aber ein kleiner Blick über den Psyche-Kraut-Tellerrand sollte schließlich immer erlaubt sein.
So lässt bereits der Album-Opener „Get To You“ unzweifelhaft die heiße Liebe der Düsseldorfer für die hymnischen Aspekte psychedelischer wie dunkler Musik aus dem JOY DIVISION-Umfeld erkennen, während „Nothing Is Wrong“ und „A Comment Of The Current Times“ unverhohlen den BYRDS huldigen und diese kräutrig noch ein wenig mehr aufpeppen.
Dazwischen setzt „The End Of The Game“ auf psychedelische Gitarren-Sounds, Echo- und Fuzz-Effekte, sodass hier die Psyche-Flagge der guten alten Zeiten besonders hoch gehisst wird, um am Ende mit „On Empty Streets“ ein finsteres Bild aus poppigen wie experimentellen Farbtupfern zu zeichnen, die regelrecht zu einem expressionistischen Musikstück ineinander verschwimmen, in dem Melodien durch überraschende Sound-Effekte malträtiert werden.
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Besonders aber auf der zweiten LP-Seite springen einen über den über 20 Minuten andauernden, komplex voller Klangspielereien gestalteten Longtrack regelrecht die 'Magic Mushrooms' entgegen und machen dem Album-Namen alle Ehre, denn wer zu viel von diesen magischen Pilzen genießt, dem fällt danach das Wachwerden doch ziemlich schwer. Hier jedenfalls gibt’s mit dem Titeltrack die volle Dröhnung bis hin zum akustischen Delirium. Ein Erlebnis aus Ekstase und Extraklasse, wenn einem der Krautrock heutzutage auch nur ein kleines Fitzelchen bedeutet. Hier erlebt die blumenkräftige 70er-Jugend ihre krautrockige Wiedergeburt, die sich in die kosmischen Höhen psychedelischer Klangräume erhebt und gleichermaßen in die Tiefe aller Urängste begibt, wobei stellenweise auf postrockige Steigerungen bei den langen Instrumental-Passagen gesetzt wird. Ein Auf und Ab zwischen Hochgefühl und Depression, woraus man bei all der Überflutung der Gefühle erwachen will – man kann es aber nicht. Zumindest wenn hierbei VIBRAVOID ihren psychedelischen Taktstock schwingen.
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FAZIT: Die Vorzeige-Psyche-Krautrocker aus Düsseldorf VIBRAVOID bereiten uns mit ihrem neuen psychedelischen Klangkraut-Werk nicht etwa schlaflose Nächte, sondern prophezeien, dass wir nach dem Genuss dieser herrlich gestalteten LP Schwierigkeiten mit dem Wiederaufwachen haben. Kein Wunder, denn „We Cannot Awake“ entführt uns auf seiner LP-A-Seite in fünf kürzere Songs, die fast ein wenig eingängig durch den psychedelischen Kräutergarten schweben, um dann auf der LP-B-Seite über 20 Minuten lang alles auszureizen, was VIBRAVOID schon seit über 35 Jahren und 22 Alben ausmacht. TANGERINE DREAM bezeichneten solchen Trip anno 1969 als die Reise durch ein brennendes Gehirn, wobei uns PINK FLOYD dazu eine Untertasse voller Geheimnisse kredenzten. VIBRAVOID aber wollen uns aus dieser Reise einfach nicht mehr aufwachen lassen und stellen die passende Tasse mit dazu.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.09.2024
Tonzonen Records
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23.08.2024