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Villagers: That Golden Time

Stil: Folk, Indie-Pop, Singer-Songwriter, Folkrock, Art-Pop, Sophisticated Pop

Cover: Villagers: That Golden Time

Laut Conor O'Brien ist es "immer ein Sargnagel für Kreativität, wenn man zufrieden ist. Ich mag es nicht, zufrieden zu sein - ich ziehe es vor, in Bewegung zu bleiben und mich zu verändern." Sagt der inzwischen 41-jährige Mastermind der Indie-Folkpop-Band VILLAGERS im Interview - und handelt konsequent danach. Unter dem Dorfbewohner-Moniker hat O'Brien tatsächlich in eineinhalb Jahrzehnten noch keine Platte vorgelegt, die sich so anhörte wie das jeweilige Vorgängeralbum. Aber das Kontrastprogramm, das er seinen Fans jetzt bietet, ist dann doch besonders krass. Auf sein experimentelles, psychedelisch schillerndes und fast schon überladen opulentes "Fever Dreams" von 2021 folgt ein zartes "That Golden Time" - das "vermutlich verletzlichste Album, das ich bisher gemacht habe", wie der Ire sagt. 
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Mehr als die sechs vorherigen Studioalben dieses stets spannenden Projekts ist das aktuelle de facto ein Solowerk. Die aus alten Dubliner Freunden bestehende VILLAGERS-Band der Anfangsjahre ist Geschichte - Conor O'Brien macht jetzt alles Wesentliche selbst. "Nun, ich habe alles eingespielt, bis kurz vor Schluss. Dann habe ich Geige, Bratsche, Cello, eine Sopranistin, einen Bouzouki-Spieler und einen Pedal-Steel-Gitarristen dazugeholt. Alle Instrumente, die ich nicht selbst spielen konnte, kamen erst ganz am Ende des Prozesses hinzu", sagt der Multiinstrumentalist im Face-to-Face-Gespräch mit "Musikreviews" in Berlin. 
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Gleichwohl ist der VILLAGERS-Sound nicht wirklich spartanisch - aber doch wesentlich luftiger als auf früheren Alben. O'Brien nähert sich damit dem tollen Debüt "Becoming A Jackal" (2010) und - mit den dezenten elektronischen Texturen - seiner vielleicht besten Platte "Awayland" (2013) an. "Ich empfinde eine Verbindung zu den Anfängen der VILLAGERS, zum Album 'Becoming A Jackal'", bestätigt er. "Es hat etwas mit dem Versuch zu tun, unter die Oberfläche der Dinge zu gelangen. Bei "Fever Dreams" habe ich das überhaupt nicht getan. Ich habe da nur versucht, eine seltsam psychedelische, feierliche und bläserlastige Platte zu machen. Das hat einfach Spaß gemacht, aber es war ein ganz anderes Projekt. Das neue Album ist nun wieder eine Art Psychodrama, fast wie ein Psychothriller." Dass dieser Sänger einer von der leisen Sorte ist, seine Texte eher haucht oder wispert als kraftstrotzend dramatisch äußert, verstärkt die Wirkung noch.

Neben den wunderhübschen, aber vergleichsweise unauffälligen Vorab-Songs "That Golden Time" und "You Lucky One" strahlen der Opener "Truly Alone" (nur die sanfte Stimme, pochende Piano-Akkorde und elektronische Effekte), die an Nick Drake erinnernde Folk-Ballade "First Responder" und der unfassbar intensive Doppelpack "No Drama"/"Behind That Curtain" besonders hell. "Wenn man sich mal so Dating-Apps anschaut - die Leute schreiben da immer: 'No drama'. Ich dachte, das ist so ein schräger Satz. Denn das Leben ist doch Drama. (...) Und ich überlegte mir, es könnte lustig sein, meinen melodramatischsten Song zu schreiben und ihn dann 'No Drama' zu nennen", sagt der VILLAGERS-Frontmann lachend. Den darauf folgenden, traumhaft schönen Track "Behind That Curtain", der nach fünf Minuten Richtung Electro und Jazz abbiegt, hält auch O'Brien für einen Schlüsselsong des Albums.
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Insgesamt ist "That Golden Time" - wenn man es unbedingt kritisch sehen will - ein weniger wagemutiges, ein gefälligeres VILLAGERS-Album als "Fever Dreams" geworden. Diese Lieder sind wirklich ausnahmslos bezaubernd und auf unaufdringliche Art melodieselig. Zeitweise hört man sogar Conor O'Briens Verehrung für die Soundtracks von Ennio Morricone heraus, etwa im zutiefst melancholischen, streicherverzierten "No Drama" oder im Closer "Money On The Mind" mit dem Auftritt der Sopranistin Katy Kelly. "Ich weine oft, wenn ich seine Musik höre, sogar einige weniger bekannte Filme haben einige seiner besten Soundtracks. Als Kind war meine erste musikalische Liebe die Filmmusik. Die hat mich wirklich zur Musik gebracht."

Und wie geht es mit den VILLAGERS nach dieser Fast-Solo-Platte ihres Masterminds nun weitergeht? Erst einmal tritt Conor O'Brien mit einigen vertrauten Musikern live auf (in Deutschland am 30.05. in Hamburg, am 01.06. in Berlin und am 02.06. in Köln). Danach kehrt er zu einem bereits angefangenen neuen Album zurück, dessen Songs wieder "really different" klingen sollen. Die "Dorfbewohner" bleiben also, dem biederen Bandnamen zum Trotz, eines der interessantesten, weil unberechenbarsten Projekte im Indiepop.
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FAZIT: Die VILLAGERS-Bilanz bleibt auch mit dem siebten Studioalbum dieses vom Singer-Songwriter und Multiinstrumentalisten Conor O'Brien verantworteten Indiepop-Projekts makellos. "That Golden Time" ist eine Platte, die "nur so vor Nostalgie trieft", wie der Ire im Interview sagt. Dabei sind die zehn neuen Lieder aber nie "retro", was ja für manche Pop-Experten ja heute schon fast ein Schimpfwort ist. Mit "No Drama"  und "Behind That Curtain" enthält das Album zudem zwei der allerbesten VILLAGERS-Songs seit dem Start vor rund 15 Jahren. So qualitätvoll und mutig-ambitioniert darf O'Brien gern weitermachen. Immer gemäß seinem Künstler-Motto, wonach Selbstzufriedenheit "ein Sargnagel für Kreativität" ist.

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.05.2024

Tracklist

  1. Truly Alone
  2. First Responder
  3. I Want What I Don't Need
  4. You Lucky One
  5. That Golden Time
  6. Keepsake
  7. Brother Hen
  8. No Drama
  9. Behind That Curtain
  10. Money On The Mind

Besetzung

  • Bass

    Conor O'Brien

  • Gesang

    Conor O'Brien, Mali Llywelyn, Katy Kelly

  • Gitarre

    Conor O'Brien, David Tapley

  • Keys

    Conor O'Brien

  • Schlagzeug

    Conor O'Brien

  • Sonstiges

    Peter Broderick (Violine), Annemarie McGahon (Bratsche), Davide Forti (Cello), Brendan Jenkinson (Klarinette), Dónal Lunny (Bouzouki)

Sonstiges

  • Label

    Domino

  • Spieldauer

    44:21

  • Erscheinungsdatum

    10.05.2024

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