Die gute Katie Crutchfield taucht als WAXAHATCHEE (ähnlich wie in längst vergangenen Nibelungen-Zeiten der gute Siegfried ins Drachenblut) tief ins musikalische Tigerblut ein und macht sich auf ihrem Album „Tigers Blood“ und bei dieser hohen Qualität im Grunde unverwundbar – auch wenn das eine oder andere Blatt auf sie herabfällt und dabei einige verletzliche Stellen hinterlässt. Doch was für Siegfried durch ein Lindenblatt und mit Verrat sein Todesurteil wurde, lässt „Tigers Blood“ für WAXAHATCHEE nur in zusätzlich verletzlicher und in fragiler Schönheit erscheinen.
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Crutchfield hat sich auf ihrem aktuellen Album, das noch nie zuvor dermaßen countrylastig und zugleich ruhig war, die Musik-Stiefel ihrer vorbildhaften Country-Ikone LUCINDIA WILLIAMS übergestreift und spaziert geschickt, treffsicher und festen Schrittes durchs Tigerblut.
Dabei kommt ihr natürlich auch bestens zugute, dass sie schon gut vier Jahre als ehemalige Alkoholikerin absolut trocken ist, denn so klar und zielstrebig sowie textlich anspruchsvoll klang sie noch nie.
Manchmal kommt einem bei dem ansprechenden Gesang und den spannenden Geschichten, welche die Songs (deren Texte auf dem doppelseitigen LP-Einleger nachzulesen sind) erzählen, tatsächlich eine SUZANNE VEGA in den Sinn, wenn die Singer/Songwriterin beispielsweise in „365“ über die besagte Anzahl der Tage singt und dabei sogar einen Soldaten-Vergleich zieht: „365 days / tell me you're a wounded soldier...“
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Unverkennbar aber sind die Südstaaten-Wurzeln der Musikerin, welche bereits in dem Bandnamen WAXAHATCHEE einen unmittelbaren Bezug zu ihrer Heimat herstellt, da es sich hierbei um einen Bach in der Nähe ihres Elternhauses in Alabama handelt. Ähnlich wie der Bach plätschert manchmal auch die Musik der LP im sehr guten Klang aus den Lautsprecher-Boxen – kann aber in selteneren Fällen durchaus zum reißenden Strom werden. Immer aber hört man der Musik die Country-Natürlichkeit sowie das Americana-Feeling an, wenn mal eine Steel-Gitarre langgezogene, traurige Töne von sich gibt, das Banjo und die Mandoline sich dazugesellen oder die Mundharmonika etwas Blues- und Folk-Atmosphäre verbreiten oder die herrlich traurige Ballade „Right Back To It“ im Duett mit MJ Lenderman einen beinahe zu Tränen rührt.
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Ein wenig befremdlich wirkt allerdings das Album-Cover, das die Südstaaten-Romantik mit etwas Sex-Appeal der Musikerin, die sich auf dem LP-Cover sowie dem Einleger und der bedruckten Innenhülle sehr gerne mit offenem Karo-Hemd und roten Bikini-Oberteil zu sehen scheint. Es möge ihr bei dieser Figur durchaus gegönnt sein, zu den insgesamt doch sehr nachdenklichen Songs passt ihre Eigendarstellung dagegen nicht unbedingt – im Gegensatz zu dem Umfeld, samt roten Buick, in dem die Bilder aufgenommen wurden.
Doch da die Songs im Grunde vom ewigen Unterwegssein handeln, auf der Suche nach etwas, das man nicht finden kann, da man nicht weiß, wonach man eigentlich wirklich sucht, erscheint einem „Tiger Blood“ samt diesem LP-Cover und dem klaren, ansprechenden Sound dann doch in sich geschlossen – so weit offen auch die Holzfäller-Hemden sein mögen. So offen wie die (oft traurige) musikalische Seele, die uns WAXAHATCHEE auf „Tigers Blood“ präsentiert.
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FAZIT: In „Tigers Blood“ überflutet einen Katie Crutchfields als WAXAHATCHEE mit extrem gefühlvollen und bewegenden Folk- wie Country-Südstaaten-Songs, in denen die vom Leben schon ziemlich gebeutelte Musikerin sich deutlich an ihrem großen Vorbild LUCINDIA WILLIAMS orientiert und dieser und sich selbst mit dem 'tigerbluttriefenden' Album alle Ehre macht. Wunderschöne (Steel-)Gitarrenausflüge und jede Menge traurige Harmonien, die den Hörer gemeinsam mit der schönen Stimme und den bewegenden Songs gefangennehmen, laden einerseits zum Träumen, aber andererseits auch durchaus zum melancholischen Trauern über beispielsweise die 'Verbrechen des Herzens' in „Crimes Of The Heart“ ein, während in der Ferne bereits die „Wolves“ heulen: „If I throw myself / to the wolves, I did it all for the glory / not the fruit rotting in my shade“. Das passt – und klingt richtig gut.
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Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.04.2024
Brad Cook
Katie Crutchfield
Katie Crutchfield, MJ Lenderman
Phil Cook, Spencer Tweedy
Spencer Tweedy
Anti-
43:46
22.03.2024