Vor zwei Jahren brachte die 54-jährige südkoreanische Jazz-Sängerin YOUN SUN NAH erstmals den Mut auf, mit <a href="http://www.musikreviews.de/reviews/2022/Youn-Sun-Nah/Waking-World/" target="_blank" rel="nofollow">„Waking World“</a> ein Album zu veröffentlichen, das ausschließlich aus Eigenkompositionen und keine, für sie bis dahin gewohnte, Cover-Versionen aus dem Umfeld von MARVIN GAYE, GEORGE HARRISON oder LEONARD COHEN und RANDY NEWMAN, aber auch NIRVANA bestand.
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Mit „Elles“ begibt sich die Sängerin gemeinsam mit dem Pianisten JON COWHERD trotz neuer Haarfarbe erneut auf altbewährte Pfade und schwelgt in den wunderschönsten Songs solch großartiger Musikerinnen wie NINA SIMONE, aber auch BJÖRK und vielen anderen. Sie selber nennt das fast ein wenig untertrieben eine Sammlung von Cover-Songs, die uns auf „Elles“ erwartet. Allerdings geht so eine Aussage als glatte Untertreibung durch, denn jedes einzelne der 10 Stücke kommt einer kleinen Hommage an den jeweils durch YOUN SUN NAH gewählten Künstlers gleich, der aus dem Munde dieser außergewöhnlichen Sängerin und dem Cowherd-Tastenspiel ein völlig neues Eigenleben entwickelt.
Da passt es doch bestens, dass dieses Album mit dem für die Südkoreanerin rundum richtungsweisenden Song „Feeling Good“ eröffnet wird.
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Doch dieses Album ist zugleich – zumindest bei der Wahl der Songvorlagen – trotzdem ein neuer Weg. Der Musikerin war folgendes aufgefallen: „Ich habe festgestellt, dass die meisten Lieder, die ich im Laufe der Jahre aufgenommen habe, von männlichen Sängern stammen. Diesmal wollte ich also die Sängerinnen ehren, die ich seit langem bewundere, die Lieder, die mich bewegen und die Stimmen, die mich berühren.“
So tauchen nun neben ihrem allergrößten Vorbild NINA SIMONE („Ich hörte Simones 'Feeling Good' zum ersten Mal, als ich in der Highschool war. Von dem Moment an beschloss ich, Jazz zu studieren und hörte ständig ihre Musik!“) auch BJÖRK oder GRACE JONES genauso wie GRACE SLICK und ROBERTA FLACK – Hauptsache, es sind weibliche Musikerinnen – auf. Und alle Songs klingen nach bar-jazz-verliebter Gegenwart, egal welches Ursprungsdatum sie auch aufweisen.
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Wiederum setzt die Sängerin dabei auf Balladen und melancholische Momente, aber es gibt auch flotte Nummern und mit „Coisas Da Terra“ einen seltsamen, echt gewöhnungsbedürftigen (recht unpassend erscheinenden) experimentellen Jazz-Vokalisen-Ausbrecher, auf dem die Musikerin improvisatorisch eine Vogel-Parabel intoniert. Dagegen wird das schwer psychedelische „White Rabbit“ von GRACE SLICK, das die LP-A-Seite abschließt, zu einem ernsthaft bewegenden Wunderwerk, welches die JEFFERSON AIRPLANE-Attitüde regelrecht auf Händen trägt. Dass diesem Song-Meisterwerk auf der LP-B-Seite dann gleich das todtraurige Negro Spiritual „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ folgt, passt bestens – so bleibt genau die Stimmung erhalten, mit der wir von der LP-A-Seite verabschiedet wurden.
Und so gehen sie dahin, die knapp 40 Minuten, in der uns YOUN SUN NAH mit ihrer Stimme gemeinsam mit JON COWHERD an den Tasten eine schöne, bewegende Cover-Jazz-Zeit voller Gefühl und abwechselnden Stilen sowie musikalischen Zeitreisen bescheren und die mit einer Spieluhr und dem Gesang zu „Killing Me Softly With His Song“ von ROBERTA FLACK enden.
Gibt es ein besseres Ende?
Wer bei dieser Frage mit dem Kopf nickt, der hat nur noch nicht „Elles“ gehört.
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FAZIT: Was erwartet uns wohl als nächstes bei der begnadeten Jazz-Sängerin voller Pop- und Folk-Appeal aus Seoul? Erst waren es Alben voller Cover-Versionen von größtenteils männlichen Musikern, dann ein überraschendes Album ausschließlich mit eigenen Songs und nun ein Album voller Cover-Versionen von Musikerinnen aus Vergangenheit (Nina Simone, Edith Piaf…) und Gegenwart (Björk, Grace Jones…). Auf „Elles“ zieht YOUN SUN NAH alle Register weiblichen Charmes – ihres eigenen wie den ihrer Vorbilder, die mitunter zu recht ungewöhnlichen Cover-Interpretationen herhalten mussten. Und war das letzte Album noch ein Hochgenuss voller Eigenkompositionen, so ist dieses der nächste Hochgenuss, aber voller Coverversionen – recht minimal instrumentiert, aber trotzdem gigantisch klingend durch die Begleitung des Keyboarders JON COWHERD – voller weiblicher Vokal-Schönheit.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.01.2024
Youn Sun Nah
Tomek Miernowski
Jon Cowherd, Tomek Miernowski
Youn Sun Nah (Kalimba, Music Box)
Warner Music Arts
38:46
26.01.2024