Krokodile sollen ja bekanntlich eine sehr hohe Lebenserwartung haben und man sollte ihnen unter, im und über Wasser genauso wie an Land nie zu nahe kommen, da sie extrem bissig, angriffslustig und hochgefährlich sind.
Wenn sie aber in der Musik-Szene auftauchen, um dort ihr Unwesen zu treiben, sieht die Sache doch völlig anders aus. Zumindest wenn es sich um die Schweizer Rockband KROKODIL dreht.
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Die steht nämlich mehr auf bunte Kräutermischungen sowie Rhythm & Blues und ein paar progressiv-psychedelische Untiefen. Flöten, Geigen und Mundharmonika spielen immer wieder eine bedeutende Rolle, aber auch eine Sitar sorgt mitunter für indisches Flair.
Das alles ist schon lange, lange her, geht bis auf das Jahr 1969 zurück und endete bereits nach sechs Jahren und fünf Alben mit der damaligen Erkenntnis, dass der Wandel der musikalischen Zeiten den KROKODILen ihre Lebensgrundlage entzog, vorausgesetzt man wollte KROKODIL bleiben und nicht zum Chamäleon werden.
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Da waren also die lebendigen Namensgeber deutlich beständiger, die musikalischen aber hat(te) man für lange Zeit vergessen, obwohl sie doch so herrlich bissig und wählerisch klangen. Höchste Zeit darum, sie endlich wieder auftauchen zu lassen. Und damit kommen, wie längst gewohnt, die musikalischen Tiefseetaucher MIG music ins Spiel, die aus den größten Musik-Tiefen hochinteressante Schatzkisten heben, um die darin enthaltenen Schätze nach dem Öffnen erst einmal ordentlich zu entstauben und nachzubearbeiten, damit sie endlich wieder im schönsten Glanze strahlen können – so wie die beiden letzten Alben „Getting Up For The Morning“ (1972) und „Sweat And Swim“ (1973) von KROKODIL.
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Der Grundsatz hinter KROKODIL lautete immer, wie sich Schlagzeuger Düde Dürst im 12-seitigen Booklet des dreiflügeligen Digipaks der Doppel-CD „Getting Up For The Morning (1972) & Sweat And Swim (1973)“ erinnert: „Wir wollten nicht unseren anglo-amerikanischen Idolen nacheifern, sondern von Anfang an unsere eigene Musik spielen. Alles war für uns möglich, es gab keine Grenzen.“
Ein Grundsatz, den KROKODIL tatsächlich konsequent verfolgt, aber dabei trotzdem immer wieder an das eine oder andere ihrer Vorbilder unzweifelhaft erinnert. Nur die mitunter wirr erscheinende Auswahl ist unvergleichbar, sodass einem beispielsweise neben der KROKODIL-Population bei einem Song wie „And I Know“ sogar der flatternde „Albatross“ aus dem greenschen FLEETWOOD MAC-Horizont erscheint.
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Unter diesen Bedingungen werden die beiden Alben zu einer tatsächlich ungewöhnlichen Mixtur, die manchmal in ein wildes Misch-Masch abdriftet, sich Psychedelischem, Bluesigem, Weltmusikalischem, Krautrockigem und progressivem Sonstwas zuwendet.
Erinnerungen an MAN werden hierbei genauso wach, wie mitunter an ZAPPA oder Indisches, wenn immer mal wieder eine Sitar (zuerst in „Was There A Time“) auftaucht.
Ganz besonders fein auf der ersten CD klingt dann „Song No. 2 (Thought Under Bad Conditions)“, weil er stellenweise an die frühen BARRETTschen PINK FLOYD-Zeiten eines „Arnold Lane“ erinnert. Dieser Atmosphäre schließt sich „Daybreak“ auf der zweiten CD nahtlos an und findet seine Vollendung in dem faszinierenden 17 Minuten langen, verspielt experimentierendem Psyche-Epos „Linger“ mit sich steigerndem Jam-Charakter. GRATEFUL DEAD lassen ganz besonders grüßen...
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Aber auch „Skylab“ weicht auf besondere Weise ab, da es (das einzige) Instrumental ist und sich mit offensichtlicher GURU GURU-Verspieltheit, aber auch etwas absurd klingenden Keyboard-Passagen präsentiert!
Hier sollte einem wirklich klar werden, wie weit sich das musikalische Gewässer, in dem sich das Schweizer KROKODIL tummelt, erstreckt. Wobei das größtenteils einenden Element der Rhythm'n'Blues ist, unter dem aber immer wieder die kunterbunt kräutrige Algen-Kultur lauert.
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Konsequent bleiben KROKODIL so auf beiden Alben besonders ihrer Blues- und Rock-Affinität treu, wobei sie diese durch ihre kräutrig-spinnerten Einfälle anpfeffern – und diese unverhohlen, manchmal etwas verstörend, darbieten.
Da passt dann zur Beschreibung dieses Stils tatsächlich einer ihrer Songs von „Getting Up For The Morning“ bestens, der den geheimnisvollen Titel „Krock'n'Roll“ trägt.
Eine mehr als offensichtliche Kraut-(Rock)- wie Bandnamen-Anspielung.
Vielleicht sollte man hier noch ein Krhythm'n'Blues hinzufügen...
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„Talking World War III Blues“ wiederum klingt verdächtig nach LOU REED, auch wenn das Original von BOB DYLAN stammt. Doch gerade durch die stimmliche Reed-Ähnlichkeit eines ihrer Sänger wildert das KROKODIL nicht nur einmal im VELVET UNDERGROUND herum.
Eine zweite Coverversion ist dann mit „Billy Dee“ vorhanden – in diesem Falle stammt das Original von KRIS KRISTOFFERSON.
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Nach „Sweat And Swim“ wurde leider schon das Ende der Musik-Reptilien eingeläutet und die KROKODILE tauchten für eine halbe Ewigkeit unter, zu der ihr Schlagzeuger aus heutiger Sicht im Booklet der Doppel-CD resümierend feststellt: „Ich denke, wir waren zu dieser Zeit in musikalischer wie kompositorischer Höchstform. Zudem hatten wir uns wieder verstärkt dem Rhythm'n'Blues zugewandt. Unglücklicherweise aber erschien 'Sweat And Swim' in einer Zeit, als das Disco-Fieber die Szene erfasst hatte und unsere Musik kaum noch jemanden ansprach. So war damit das Ende von KROKODIL für lange Zeit besiegelt.“
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FAZIT: Die 1969 geborenen KROKODILE aus der Schweiz schwimmen dank MIG music wieder in ihrer Ur-Suppe aus Blues, Psychedelic, Krautrock, Prog, 'Krock'n'Roll' und ein paar indischen Sitar-Ausflügen. Zwar dauerte ihre erste Lebensphase nur sechs Jahre, wobei sie allerdings einige beachtliche Alben hervorbrachten, von denen nun auf „Getting Up For The Morning (1972) & Sweat And Swim (1973)“ zwei in einem dreiflügeligen Digipak samt 12-seitigem Booklet vereint wurden. So bissig wie das Reptil, dem die Schweizer ihren Bandnamen entlehnten.
<b>PS:</b> Übrigens ist KROKODIL doch tatsächlich nach über 45 Jahren wieder aufgetaucht und machen seit 2019 als Musik-Reptil auf der Basis weiter, die sie nach „Sweat & Swim“ anscheinend endgültig verlassen hatten. Ach ja, diese KROKODILe sind einfach nicht totzukriegen. In diesem Sinne auch weiterhin viel Biss!
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Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.08.2025
Terry Stevens, Walty Anselmo
Walty Anselmo, Mojo Weideli, Terry Stevens, Düde Dürst, Hardy Hepp
Walty Anselmo, Terry Stevens, Rainer Marz
Veit Vaiden
Düde Dürst
Walty Anselmo (Sitar), Mojo Weideli (Mundharmonika, Flöte, Percussion), Terry Stevens (Klavino), Hardy Hepp (Geige)
MIG music
116:46
27.06.2025