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Blind Guardian: At The Edge Of Time - Massen-Review

15.07.2010
Blind Guardian: At The Edge Of Time (Reviews)

Nein, einfach haben es BLIND GUARDIAN ihren Fans mit den letzten Alben "A Night At The Opera" und "A Twist In The Myth" nicht gemacht und so mancher wendete sich enttäuscht von der Band ab. Und so herrschten im Vorfeld der Veröffentlichung des neunten Albums "At The Edge Of Time" sowohl Skepsis, als auch Vorfreude, in jeder Hinsicht aber eine gewisse Gespanntheit. Und angesichts der Tatsache, dass dieses Album wohl für viel Gesprächsstoff sorgen wird, haben wir uns ebenfalls ausführlicher mit den zehn neuen Tracks beschäftigt.

 


Review von: Andreas Schiffmann (Profil)

Dem Reviewer liegen BLIND GUARDIAN als eine der ersten Bands, die ihn zum wirklich harten Metal geführt haben, besonders am Herzen. Lasse ich kein gutes Haar an "At the Edge of Time", so rechtfertige ich dies aus subjektiven Gesichtspunkten, deren Argumente jedoch auch der nüchterne Betrachter nicht von der Hand weisen kann - zumindest teilweise.

Die Krefelder treten für ihre Verhältnisse seit "A Night at the Opera" auf der Stelle, indem sie die Siebenmeilenstiefel wie schon während des Übergangs vom Debüt zu "Follow the Blind" und beim Verfeinern der "Twilight World"-Rezeptur auf "Somewhere" im Schrank stehen lassen. Rechtfertigen mögen sie das heute gewiss aus anderen Gründen als früher; BLIND GUARDIAN "verwalten" bloß noch, rücken die Teile ihres Vermächtnisses ein wenig hin und her, ehe sie die Fans nach vier Jahren wieder zur Besichtigung ihres Schreins einladen. Das Abstauben vergisst man dabei weitgehend; frisch wirkte die Band zuletzt allein mit dem Stück "Fly", das textlich, instrumental und kompositorisch mit Konventionen brach und dennoch zeitlos wie jedermannkompatibel ausfiel. Sicherlich beweisen BLIND GUARDIAN ihre Klasse weiterhin und auch nicht nur dann, wenn sie in den die neue Scheibe klammernden Stücken ein Orchester aufspielen lassen. Die Gitarren degradieren sich vor den klassischen Instrumenten, welche die Melodieführung übernehmen, logischerweise häufiger zu bloßen Rhythmusknechten, doch Olbrich und Siepen können die bislang nicht kopierte Mischung aus Thrash-Stakkato und Brian-May-Schmelz in den restlichen Stücken weiterhin kultivieren. Vieles auf "At the Edge of Time" soll ein Bekenntnis ans Einst sein und im relativ kompakten Metal-Songformat funktionieren; man ist dessen ungeachtet geneigt, es als - wiederum im Verhältnis zum Format dieser Band - abgeschmackt zu bezeichnen. Hansi Kürsch klang nach seinen Gesangsstunden zu "Nightfall"-Zeiten nie wieder wirklich kraftvoll und unverkrampft, wie ohnehin die gesamte Band seit der erwähnten Zäsur mehr denn je Kopf statt Bauch anstrengt, wenn sie schreibt.

Die einzelnen Songs werden anderswo genau erschöpfend beschrieben; für mich stellt "At the Edge of Time" ohne Zynismus das Werk einer gesetzten Band dar, die sich längst sattgegessen hat: etabliert, aber der Konkurrenz nach wie vor meilenweit voraus - nur Revolutionäres vollbringen BLIND GUARDIAN nicht mehr … Steigerungen sind vielleicht noch im Quantitiven möglich, doch selbst wenn die Inszenierung der jeweils aktuellen Songs mal mehr, mal weniger aufgeblasen erscheint, weitet sich die Brust dieses Schreibers dabei nicht mehr.  Wie kürzlich bei NEVERMORE verschiebt man Schwerpunkte, ohne in die Schieflage geraten zu wollen. Der Bass ist wieder lauter, Bläser, Streicher und orientalisches Soundtrack-Flair sind netter Zierrat, unter welchem immer noch die gleiche Gruppe musiziert - nur eben am Herzen vorbei. Es gibt die obligatorischen rhythmischen wie harmonischen Mittelalter-Klischees in "Curse My Name" und die offensichtliche Single in Gestalt des Speedsters "A Voice in the Dark", welcher dem Hörer den Chorus quasi mit der Schaufel eintrichtert; man darf viele Schichten entdecken oder einfach nur nach "Valhalla" reiten. Der Bruch in BLIND GUARDIANs Karriere erfolgte zeitgleich mit gravierenden Veränderungen im Leben des Schreibers, worin wohl auch der Grund für unser Zerwürfnis liegt: du, liebe Band, bist erwachsen geworden wie einer deiner treusten Hörer, und den Verlust der Unschuld merkt man dir wie mir an. Meine Wertung ergibt sich durch den Umstand, dass man dein neues Album "gut anhören" kann, doch das ist für eine Institution wie dich viel zu wenig. "Where's the Wonderland which young Alice had seen … or was it just a dream?"

9 von 15 Punkten


Review von: Andreas Schulz (Profil)

Zugegeben - selbst für langjährige Fans von Blind Guardian war besonders das letzte Album "A Twist In The Myth" recht gewöhnungsbedürftig. Teilweise hatten sich die Krefelder hierauf zu weit von ihren Wurzeln entfernt und ihr Credo, sich niemals zu wiederholen, dahingehend erfüllt, dass man in vielerlei Hinsicht mit zu ungewöhnlichen Sound- und Songideen herum experimentierte. Ein gewisses Maß an Skepsis war im Hinblick auf das neunte Studioalbum also vorhanden - und wird im Handumdrehen weg gewischt, denn Hansi Kürsch und seine Jungs haben endlich wieder zu Bestform zurückgefunden.

Das heißt im Klartext, dass man endlich wieder "echte" Blind Guardian-Songs zu hören bekommt und wer dachte, die Zeiten von rassigem Speed Metal wären bei den Jungs endgültig vorbei, wird gleich dreimal eines besseren belehrt. Alles, wirklich alles, was die Band auszeichnet, findet sich auf "At The Edge Of Time" wieder und trotzdem gelingt es der Band wiederum, ihren Sound um neue Elemente anzureichern, dieses Mal passen die Puzzleteile allerdings wieder viel besser zusammen, als in der jüngeren Vergangenheit. Auf der einen Seite zeigt man sich besonders im Hinblick auf die Gitarrenarbeit wieder basischer, härter und geradliniger, andererseits wird es mitunter bombastischer als je zuvor. Verbessert hat sich auch der allgemeine Sound, das Album klingt in jeder Hinsicht nach einer Metal-Platte, die Gitarren braten richtig fett, Hansis Gesang erklingt kraftvoller und letztlich ist auch das Songwriting an sich kerniger. Nichts geändert hat sich indes an der Tatsache, dass in jedem einzelnen der Songs auf instrumentaler Ebene und im Blick auf die Arrangements mehr passiert, als bei anderen Bands in zehn Liedern. Das wird so mancher sicher als Kritikpunkt sehen, es macht die Songs aber einfach spannender, selbst nach etlichen Durchläufen kann man noch in jedem Song neue Details finden.

Damit wären wir bei den zehn Tracks angekommen, die wie gesagt jede Facette von Blind Guardian umfassen und eine spektakuläre Neuerung zu bieten haben. Denn den Rahmen für das Album bieten mit "Sacred Worlds" und "Wheel Of Time" zwei überlange Songs, die wohl die besten Klassikarrangements zu bieten haben, die es je im Metal gab. Es ist wirklich unglaublich, welch fantastische Symbiose die Instrumente hier eingehen, besser kann man das wirklich nicht machen. Während "Sacred Worlds" die erweiterte Fassung des bereits bekannten "Sacred" ist und mit einem tollen Refrain glänzt, fasziniert "Wheel Of Time" mit ägyptisch anmutenden Melodien und grandiosen Chören. Definitiv einer der besten Songs, die Blind Guardian je geschrieben haben. Wer zuletzt die schnellen Songs vermisst hat, bekommt gleich dreimal Wiedergutmachung und zwar in Form von "Tanelorn (Into The Void)", dem manischen "Ride Into Obsession" und dem Single-Track "A Voice In The Dark", bei dem es die härtesten Riffs des Albums zu hören gibt. Den besten Refrain hat das melancholische "Valkyries" zu bieten, diese Zeilen gehen einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Wer "Bright Eyes" liebte, wird "Valkyries" genauso anbeten. Die vetrackte Verspieltheit von "A Night At The Opera" findet sich in Ansätzen in "Road Of No Release" wieder, während "Control The Divine" ganz im Sinne der langsameren Ansätze auf "Imaginations From The Other Side" erklingt. Und zuguterletzt haben auch die ruhigen Klänge ihren Platz, zum einen in der Ballade "War Of The Thrones", die mit einem ungeahnt positiven Refrain glänzt, sowie der Folk-Nummer "Curse My Name", die unter Garantie zum Live-Hit werden wird und - ungelogen - die beste der ruhigen Nummern seit dem Barden-Song ist.

Es fällt ausgesprochen schwer, negative Aspekte an diesem Album zu finden. Selbst die anfängliche Ansicht, dass die Refrains nicht so gut zünden wie früher, ist irgendwann verschwunden, denn sobald man die Songs gut kennt, entfalten sie die gleiche magische Wirkung wie die Songs, die heutzutage als Klassiker der Band gelten. Man muss dem Album ein wenig Zeit geben und sich mit ihm beschäftigen - und wird reich belohnt.

FAZIT: Ich hatte es erhofft, aber nicht damit gerechnet: Blind Guardian haben mit einem grandiosen neuen Album den Thron der besten deutschen Metal-Band triumphal zurückerobert.

14 von 15 Punkten


Review von: Chris P.
(Profil)

Sie geben sich ja immer wieder unglaubliche Mühe, die Jungs um Herrn Kürsch. Doch wenngleich der Aufnahmespuren- und Bombast-Overkill schon mal schlimmer als auf dieser neunten Scheibe war, erschlagen sich BLIND GUARDIAN auch dieses mal mit ihrer eigenen Pompkeule. Kennt ihr das, wenn ihr in ein Glas, in dem ein Papierkügelchen liegt, hinein pustet und euch das Kügelchen direkt entgegenschießt? Oder wenn ihr einen Tennisball mit voller Wucht gegen eine Wand schmettert und dieser mit fast der gleichen Geschwindigkeit empfindliche Weichteile trifft? Oder wenn ihr den Ventilator zu hoch aufgedreht habt und euch nun einen Zug geholt habt?

Sicher, jedes einzelne Stück ist bis ins Detail ausgeklügelt und die Band ist um Nichtwiederholung bemüht. Der orchestrale Opener "Sacred Worlds" ist wie das ähnlich instrumentierte Abschlussstück "Wheels Of Time" Perfektion in Perfektion, "Tanelorn (Into The Void)" ist bombastischer Eierkneifer-Metal mit Anspruch und Virtuosität, "Road Of No Release" würde jedem Historien-Epos bestens zu Gesicht stehen, "Ride Into Obsession" ordnet das Haupthaar neu, und zu "Curse My Name" darf das mit Rooibos-Tee gefüllte Trinkhorn geschwenkt werden. Das ist alles herrlich sympathisch und auf gewisse Art und Weise auch liebenswert schrullig.
 
Doch noch immer hat unser Hansi Nachholbedarf in Englischphonetik, noch immer sind die Songs derart kitschig und "over the top", dass es beinahe schmerzt. Es sieht also ganz danach aus, dass mein Verhältnis zu BLIND GUARDIAN trotz stetiger Besserungsabsicht meinerseits nie ein gutes sein wird. Sorry, ich hab's versucht. Ich geh jetzt DRAGONFORCE hören. Und danach BAL-SAGOTH. Oh, halt! Ich hab's: Vielleicht fehlt den blinden Wächtern einfach nur etwas Selbstironie.

7 von 15 Punkten


Review von: Christian Schmitz (Profil)

1992 war schön für mich. J.R.R.Tolkien in Papierform kennen gelernt und eine Band aus Krefeld entdeckt: BLIND GUARDIAN. "Irgendwo weit entfernt" konnte ich als geborener Eskapist in andere Welten abtauchen und wurde gleichzeitig zum Metalhörer sozialisiert. Besonders taten es mir die Chor-Arrangements in mehreren Spuren an, die als Glücks-Empfindungen in meiner Denkstube als Endorphin-Schub, förmlich explodierten. Das waren Zeiten...

Dass ich dieses in ähnlicher Form noch mal erleben würde, hätte ich nicht geglaubt. Erhofft vielleicht, aber eben nicht mehr mit gerechnet. Zu überladen und voll gepackt war "A Night At The Opera", zu klinisch und zu energiearm darauf folgend "A Twist In The Myth." Dabei braucht "At The Edge Of Time" einige Durchläufe, um es vollständig zu erfassen, zu ausgewogen und auf Album-Distanz und Kontext ausgelegt ist es. Jeder Song hat hier seinen perfekten Platz und man geht förmlich auf eine Achterbahn-Fahrt durch die hohe Kunst der Fantasy-Literatur der letzten Jahrzehnte, denn das lyrische Element der Band, hat sich wie immer der Atmosphäre angepasst. Wir treffen Rand Al Thor, der Protagonist aus dem Rad der Zeit-Zyklus. Robert Jordan (R.I.P.) würde sich erfreuen wenn er die musikalische Hommage im gleichnamigen Song noch vernehmen könnte. Wir spielen das Spiel der Throne von George R.R. Martin und wir erleben Michael Moorcocks Universum. Es hat sich also kaum was verändert in den Texten der blinden Wächter und das ist gut so.

Musikalisch erleben wir hier eine moderne Auferstehung, die aber die Wurzeln nicht verleugnet, sondern diese geschickt in die Songs mit einbaut und das beste aus beiden Welten, alt und neu, integriert. Die Einflüsse von QUEEN sind wieder stärker, wie auch schon auf "Nigthfall In Middle-Earth", besonders in den Refrains kommt dies zum Tragen und natürlich im Gitarrenspiel gibt es immer mal wieder Anwandlungen, Brian May zu huldigen. Das kann man der Band aber nicht übel nehmen und hart gesottene Fans wissen das schon lange.

Um auf das zurück zu kommen, was angekündigt wurde, gehe ich nun auf die besonderen Merkmale von "At The Edge Of Time" ein:

Wir haben hier das erste Mal einen Song der homogen in Orchester und Band aufgeht: Der Opener "Sacred Worlds" verursacht Gänsehaut-Feeling und gar nicht auszudenken wenn z.B. der Über-Song von "A Night At The Opera", "And Then There Was Silence" in dieser Form aufgenommen worden wäre. Da steckt sehr viel Potenzial und einige werden den Opener auch als Highlight des Albums definieren, da bin ich mir sicher.

Das folkloristisch und mittelalterich beinflusste "Curse My Name" geht zwar ca. 6 Minuten, kommt aber sehr kurzweilig und dynamisch daher und ist für mich DER Song auf der Silber-Scheibe. Alleine der Mittelteil ist es wert, das Album NUR für diesen, einen, jenen zu kaufen.

Imaginations-Härte in abgewandelter Form versprühen "Tanelorn" und "A Voice In The Dark." Große Refrains? Bieten das süchtig machende "Valkyries" und "Wheel of Time".

Vom Sound wirkt das ganze nicht zu überladen, nur hätte man die Gitarrenspuren etwas mehr in den Vordergrund mischen können, das ist aber Jammern auf hohem Niveau. Dafür entschädigt man mit einem wunderbar "modernen Anstrich" auf der 6-Saitigen ohne das schöne Melodien ausgelassen werden.

FAZIT: Ob alter oder neuer Blind Guardian-Fan, für alle Zielgruppen sollte etwas dabei sein, ich persönlich habe das Album sehr schnell in mein Herz geschlossen und bin sehr positiv überrascht. Vielleicht sogar DAS Album des Jahres? Wir werden sehen.

14 von 15 Punkten


Review von: Daniel Fischer (Profil)

Offensichtlich haben sich BLIND GUARDIAN einige Kritikpunkte der letzten Alben zu Herzen genommen, bzw. das eigene Schaffen gründlich durchleuchtet, ohne sich jedoch für ihr aktuelles Werk verbiegen zu müssen. "At The Edge Of Time" bietet viele sinnvolle Verbesserungen, vor allem in den Bereichen Arrangements und Produktion, wogegen man kompositorisch weiter nach vorne schaut und sich logisch und konsequent weiterentwickelt. Man klingt einerseits noch bombastischer und orchestraler, andererseits aber nicht so überladen wie zuletzt. So werden z.B. nicht alle Leadgitarren gleich zigfach über- und durcheinander gespielt, es reichen auch mal zweistimmige Harmonien. Dafür sind die Rhythmusgitarren wieder deutlich präsenter, so dass man tatsächlich das Gefühl hat, ein kraftvolles Metal-Album mit richtigen Riffs zu hören und keine Armee dudelnder Solisten. Gleiches gilt für den Gesang: Während es einerseits einige der bombastischsten Chöre der Bandgeschichte zu hören gibt, steht Hansi oft mit einer Leadstimme im Vordergrund, anstatt unzählige Harmonien aufeinander zu schichten. Durch all diese Maßnahmen wirkt die gesamte Melodieführung des Materials klarer. Zudem ist der Gesang häufig ein wenig tiefer angelegt als zuletzt und klingt emotionaler und weniger technisch. Auch diese gewisse Melancholie, die vor allem in den Neunzigern ein Merkmal von BLIND GUARDIAN darstellte (etwa "Mordred's Song"), ist dadurch wieder deutlicher spürbar.

Das Ergebnis wirkt oft wie eine Mischung aus dem "Imaginations From The Other Side"-Album und dem "And Then There Was Silence"-Opus, bzw. hätte auch als Nachfolger dieser Single erscheinen können. Dieser Eindruck wird natürlich vor allem durch die beiden überlangen Tracks geprägt, die am Anfang und Ende des Albums platziert wurden. "Sacred Worlds" und "Wheel Of Time" entstammen ursprünglich, wie auch damals "And Then There Was Silence", dem bisher unveröffentlichten Orchesterprojekt der Band und wurden zu BLIND-GUARDIAN-Nummern "umfunktioniert". Hier wird auch wieder die stetige Entwicklung deutlich: Die diesmal echten Orchesterpassagen stehen eine ganze Stufe über allem, was man bisher von dieser Band (und eigentlich auch jeder anderen) gehört hat. Das wirkt schon fast wie "echte" Klassik, und trotzdem passt dieser düstere, dramatische Fantasy-Soundtrack natürlich perfekt zu BLIND GUARDIAN und wird zudem mit der Durchschlagskraft einer Metal-Band vorgetragen.

Die Krefelder gehen also trotz der genannten Reminiszenzen keinesfalls einen Schritt zurück, sondern folgen ihrem eigenen Anspruch, sich möglichst gar nicht zu wiederholen. Das hat natürlich auch zur Folge, dass man sich immer mehr von geliebten Trademarks entfernt. Waren früher Gassenhauer wie "Welcome To Dying", "Journey Through The Dark" oder "Mirror Mirror" und Killer-Refrains wie "And The Story Ends" oder "Time Stands Still (At The Iron Hill)" die Regel, wurde der Sing-Along-Faktor bereits auf den letzten beiden Alben reduziert. Sicher, die Refrains auf “At The Edge Of Time” sind groß, sehr groß sogar, und heben sich aufgrund der besseren Strukturierung auch wieder stärker hervor. Aber manchmal wirken sie zu flach ("Tanelorn (Into The Void)" oder die Single “A Voice In The Dark”) und an anderen Stellen eher sperrig und auch lyrisch schwerer nachvollziehbar als früher. Die unglaublich bombastischen Höhepunkte von "Sacred Worlds“ und “Wheel Of Time” verursachen sicher reichlich Gänsehaut, und auch die anderen Songs bohren sich nach und nach ins Gedächtnis. Doch auch wenn man berücksichtigt, dass die komplexen Nummern mehr Zeit benötigen als frühere Kompositionen, darf bezweifelt werden, ob diese bei Konzerten ähnlich lautstark mitgesungen werden.

Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Mitsingen sollte bei "Road Of No Release" kein Problem darstellen. Zwar setzt sich der Song aus sehr vielen verschiedenen Parts zusammen, wird jedoch nach dem bekannten Erfolgsprinzip von einem alles überstrahlenden Refrain zusammengehalten. Klavierpassagen, progressive Versatzstücke, ein wenig QUEEN-Flair und wuchtige Metal-Rhythmen werden zu einem großartigen, unglaublich abwechslungsreichen Track verknüpft. Im Gegensatz dazu kommt das schnelle "Ride Into Obsession" ungewohnt direkt auf den Punkt. Ohne Umschweife oder Intro fetzt der Song direkt los und reißt den Hörer bis zum Ende mit. Und mit "Curse My Name" könnte man sogar einen zukünftigen Live-Klassiker geschaffen haben. Der Track schwankt zwischen Mittelalter und Irish Folk, bevor er sich am Ende fast in Art Musical-Nummer verwandelt, mit verschiedenen Chorpassagen a la SAVATAGE. Überhaupt ist an mehreren Stellen des Albums ein leichter Musical-Touch auszumachen.

Der Sound wurde gegenüber den beiden Vorgängern deutlich verbessert, "At The Edge Of Time" klingt kraftvoll und doch transparent und nicht zu stark komprimiert. Trotzdem muss man immer noch einige Abstriche machen, was aber wohl einfach der Komplexität und Detailfülle geschuldet ist.

FAZIT: Mit "At The Edge Of Time" gelingt es BLIND GUARDIAN, einiges von dem Geist und Gefühl ihrer mittleren Phase wieder zu beleben und gleichzeitig die zuletzt etwas abhanden gekommene Wärme und Emotionalität zurückzubringen, ohne sich jedoch in ihrer natürlichen Entwicklung bremsen zu lassen. Trotzdem können mich persönlich nicht alle Songs richtig packen, auch wenn man es durchgehend mit exzellenter Wertarbeit und fast ausschließlich starken Kompositionen zu tun hat. Zu einem wirklich überragenden BLIND-GUARDIAN-Album hätte es allerdings noch ein paar mehr großer Gänsehautmomente und erhabener Refrains bedurft.

11 von 15 Punkten


Review von:  Lutz Koroleski
(Oger) (Profil)

Die beiden letzten BLIND GUARDIAN-Werke "A Night At The Opera" (2002) und "A Twist In The Myth" (2006) fand ich bei Weitem nicht so schlimm wie manch enttäuschter Fan der Band-Frühphase. Aber an die Glanzzeiten zwischen "Tales From The Twilight World" bis "Nightfall In Middle Earth" reichten beide Kandidaten auch in meinen Ohren nicht heran. Viel zu überladen im ersten und kompositorisch eher durchwachsen im zweiten Fall präsentierten die Krefelder ihre Variante des melodischen Schwer-Metals.

Für das aktuelle Album "At The Edge Of Time" kündigte die Band eine teilweise Rückbesinnung auf alte Zeiten und die Konzentration auf wesentliche Elemente ihre Sounds an. Und tatsächlich gelingt es BLIND GUARDIAN bei einem Großteil der 10 Songs auf den letzten Alben in den Hintergrund getretene Trademarks auch qualitativ wieder aufleben zu lassen. So braten die Gitarren wieder erfreulich oft und hart und erinnern dabei an seelige "Tales From The Twilight World/Somewhere Far Beyond"-Speed-Metal-Tage (z.B. bei "Tanelorn", ""Ride Into Obsession" oder der Vorab-Single "A Voice In The Dark). Gleichzeitig überzeugen die Songs wieder durch geradlinige und eingängige Refrains, die diesmal nicht zwischen hunderten von Gesangs- und Gitarrenspuren untergehen. Wobei auf Bombast als Stilmittel nicht völlig verzichtet wird. Dieser wird auf "At The Edge Of Time" allerdings verstärkt durch ausgefeilte Orchester-Einsätze erzeugt. Beim Opener "Sacred Worlds" und dem abschließenden "Wheel Of Time" kommen klassische Instrumente besonders intensiv zum Einsatz und beide Longtracks (über 9, bzw. 8 Minuten) gehören für mich zu den absoluten Highlights des Albums, denn die Melodien und Arrangements sind äußerst überzeugend und mitreißend ausgefallen. Da darf man auf das bereits seit Jahren angekündigte Klassik-Album mehr als gespannt sein.

Den einziger Kritikpunkt an "At The Edge Of Time" stellen die beiden Mittelaler-Rollenspieler-Balladen "Curse My Name" und "War Of The Thrones" dar. Klar gehören solche Songs auf ein BLIND GUARDIAN-Album, aber leider erreichen sie mittlerweile nicht mehr die Qualität eines "Lord Of The Ring" oder "Bard´s Song" und ein Song dieser Art hätte es auch getan. Was allerdings nicht heißen soll, dass es sich hier um echte Ausfälle handelt. Den Sound des Albums empfinde ich als druckvoll und passend zur Musik, das insbesondere in Hinblick auf die Farbgebung kitschige Cover-Artwork löst hngegen keine Begeisterungsstürme aus.

FAZIT: BLIND GUARDIAN besinnen sich mit "At The Edge Of Time” auf ihre Stärken und überzeugen mit einem entrümpelten Sound und starken Songs. Mit diesem Album wird die Bands verlorenen Boden gut machen und enttäuschte Fans zurück gewinnen. Für mich das stärkste Werk seit "Nightfall In Middle Earth".

11 von 15 Punkten


Review von:  Max-Leonhard von Schaper (Profil)

BLIND GUARDIAN waren der Grund, dass ich anfing Power Metal zu hören! BLIND GUARDIAN waren der Grund, dass ich dem Genre den Rücken kehrte! Und nun ist BLIND GUARDIAN der Grund, dass ich seit Jahren wieder mit Freuden eine Power Metal-Platte mit einem Lächeln im Gesicht höre!

Waren die letzten Platten und für mich im Besonderen "A Night At The Opera" unzugänglich und erst nach mehrmaligen Durchhören einsichtig, so schafft es BLIND GUARDIAN mit "At The Edge Of Time" mich mit dem Opener "Sacred Worlds" gleich einzufangen und in ihren Bann zu ziehen. Sanfte Streichereinlagen, Bläser, ein Orchester, klassische Musik, nicht nur das übliche einfache melancholische Hoch und Runter wie bei diversen Black Metal-Alben der Fall, sondern ein anspruchsvolles 2-Minuten-Intro welches geschmeidig in ein schnelles Metalstück übergeht. Kommen die ersten Riffs muss ich mich fragen "Ist das BLIND GUARDIAN"? Schnelle, harte, präzise Schläge, der Kopf wippt mit und ich bin mitten drin! So muss Musik sein!

Mit "Tanelorn (Into The Void)" geht es dramatisch weiter, ein schnelles Riffing, harte Gitarren, drückende Drums: Wo sind wir hier? Sind das die BLIND GUARDIAN, die seit "Nightfall in Middle-Earth" keinen Speed Metal mehr gemacht haben? Das ist "Battalions of Fear"-verdächtiges Songmaterial! Einen Gang ruhiger wird es danach mit "Road Of No Release", bevor die Blinden Gardinen mit "Ride Into Obsession" den für mich zweit-schnellsten Song der Platte hinlegen. Ein energiegeladenes Stück Metal, das nach vorne prescht. Druckvolle Riffs und ein treibender Gesang von Hansi erzeugen Atmosphäre; erzeugen endlich wieder ein Lied zu dem man ungehemmt moshen und bangen kann!

Mit "Curse My Name" stimmen BLIND GUARDIAN mittelalterliche Töne an, es kommen Erinnerungen an "The Maiden and the Minstrel Knight" (ANATO) und "A Past and Future Secret" (IFTOS) hoch. Nachdem den Streich- und Blasinstrumenten ihr Soli eingeräumt wurde, steigert sich der Chorus in ein Cresendo und wird zum letzten Drittel des Songs wieder ruhiger. Die typische GUARDIAN-Ballade jeder Platte! Mit "Valkyries" kommt ein weiteres eher ruhigeres Stück, welches thematisch, wie auch Chorus-technisch live definitiv vor oder nach "Valhalla" kommen wird. Ich sehe schon Hansi's Ansagen: "Kennt ihr die nordischen Sagen? Was passiert nach der Schlacht? Genau, da kommen die .... Valkyren und wohin bringen die uns...?" Vom reinen Songwriting der für mich unspektakulärste Song der Platte, da er melodisch sehr nahe an ANATO steht.

Auch "Control The Divine" ist ein typisches Lied der neuen, sprich Post-"NIME"-Era von Blind Guardian, mit den traditionellen Brüchen in Tempo und Melodie. Aber Achtung: Was hier "typisch" heißt bedeutet für viele andere Bands immer noch ein unerreichtes Maß an Qualität und Technik! Mit "War Of Thrones" ist die zweite Ballade des Albums als gekonnte "Pause" eingebaut . Der Song wird sich sicher nicht gegen die eingebürgerten Mit-Sing-Lieder "Bard's Song" und "A Past And Future Secret" durchsetzen können, bietet aber genug Stimmung um sich in die lange Liste guter BG Lieder einzureihen.

"A Voice in The Dark" startet durch mit "Valhalla"- und "Majesty"-gleichen Riffs, Hansi singt stakkato-artig und ich fühle mich an alte Klassiker wie "Another Holy War" erinnert! Endlich wieder Stücke, die nicht nur zum Mitsingen sind, sondern bei denen man getrost auch einfach nur moshen und poggen kann! Vorbei ist die Durststrecke! BLIND GUARDIAN sind wieder da mit erstarkter Energie und Power! Beim ersten Anhören dieses Stückes ist bei mir im Hirn ein Schalter umgelegt worden! Genial! Weiter so!

Und auch der letzte Song der Platte, "Wheel Of Time", präsentiert sich kreativ und innovativ. Mit orientalischen Melodien angehaucht und neun Minuten Spieldauer fällt einem sofort "And Then There Was Silence" ein. Die Strophen wechseln sich sowohl rhythmisch, wie auch inhaltlich stark ab und an einer Stelle schreit sich Hansi die Seele aus dem Leib! Danke, danke, danke! Ein Genuß!

FAZIT: Der Befreiungsschlag! Die Götter des Power Metal sind zurück! Diese Platte hat alles was man erwarten konnte und nicht erwartet hat: Langsame Stück, Midtempo, Uptempo und endlich wieder Lieder im alten Stile! Danke!

15 von 15 Punkten

Durchschnittspunktzahl: 11,57 von 15 Punkten.

Andreas Schulz (Info)