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Kreator - Phantom Antichrist - Massen-Review

05.06.2012

Kreator "Phantom Antichrist" CoverEin neues KREATOR-Album ist natürlich ein guter Anlass, mal wieder ein Massen-Review unterzubringen. Gerne wären wir damit auch früher am Start gewesen, doch aus Angst vor dem Leaken des Albums im Internet hat das Label erst kurz vor dem Release die Promo an die Onlinepresse ausgegeben. Muss man mit leben. Die wichtigste deutsche Thrash-Metal-Band hat in den letzten Jahren ausschließlich Qualitätsware abgeliefert und so geht man natürlich davon aus, dass sich daran auf dem 13. Longplayer, eher ungewöhnlich mit "Phantom Antichrist" betitelt und mit einem martialischen Coverartwork versehen, nichts ändert. Und doch hat sich bei der Band aus dem Ruhrpott so einiges geändert.

Review von: Andreas Schiffmann (Profil)

Durch die Hofberichterstattung der Presse und ein finanzstarkes Label hinter KREATOR führt dieses Jahr kein Weg an der Gruppe vorbei, aber selbst ewige Skeptiker müssen gestehen, dass man besser diese alte Pott-Sau durchs Mainstream-Dorf treibt, statt substanzlose Flegel zum Genre-Konsens zu erheben. "Phantom Antichrist" ist wichtig, aber nicht makellos, und das geht völlig in Ordnung, denn ist man ehrlich, gilt dies für nahezu alle nunmehrigen Klassiker, die ebenfalls schon zu Zeiten ihrer Veröffentlichung hochgejubelt wurden, wobei die Umstände den heutigen ähnelten: Flächendeckende Präsenz und Meinungsmache sowie der Hang der Metal-Szene, sich in ihrer Sehnsucht nach dem Ultimativen zu gern selbst reden zu hören.

Unsere nüchternen Nachfahren unter den Chronisten werden das Titelstück vielleicht als Verschränkung von Strophen à la METALLICAs "Damage Inc." mit einem Refrain der Marke ARCH ENEMYs "The Immortal" beschreiben. Die Riffs von "Death To The World" klingen auch in zehn Jahren noch nach Fingerübungen, da Sami und Mille ausschließlich Sekund-Intervalle bemühen, was ebenso wenig einfallsreich tönt wie die erneut vor Platitüden strotzenden Texte und eine oft allzu statische Phrasierung des Frontmanns.

"From Flood Into Fire" wird auch in Zukunft pathetisch klingen, fast wie man es von selbst demontierten Felltanga-Trägern aus Amerika kennt, und "Victory Will Come" ist sowohl im Augenblick als auch übermorgen einfallslos in allen Belangen – Text, Aufbau und Motivik. Hoffentlich hört man auch irgendwann einmal auf, die experimentierfreudigen Neunziger zu verdammen, denn wenn Petrozza gelegentlich Mut zum Klargesang beweist, etwa in der ersten Hälfte des ansonsten eher durchschnittlichen "Your Heaven My Hell", verweist dies auf Ideen, mit denen "Endorama" auf taube Ohren stieß, weil die Scheuklappen-Bagage nur das Feindbild Tilo Wolf vor Augen hatte.

Somit setzen KREATOR dank einer endlich konstanten Besetzung erst jetzt konsequent um, was bereits zuvor angedacht war, wobei man inmitten schillernder Solos und Doppel-Leads gern überhört, dass viele Riffs auf "Phantom Antichrist" hausbackener Standard sind, während das True-Metal-Heldentum manchmal wie ein Fremdkörper wirkt, zum Beispiel in "Civilization Collapse": Die unkonventionellen Geschwindigkeitswechsel nutzen sich durch Wiederholung schneller ab, als sie überraschen können, und die martialischen Momente (Kriegsgeräusche) vertragen sich nicht mit der einstweiligen Harmonieseligkeit. Luft nach oben besteht also nach wie vor; warum also in Superlative verfallen?

Weil man sich als Fan harter Musik wie angedeutet immer das Beste, Meiste, Größte und Höchste wünscht beziehungsweise gelungene Ansätze beschönigt. In "United In Hate" etwa darf man das Streben des Frontmanns nach neuen Phrasierungsmöglichkeiten loben, auch wenn er auf sein seit je beschränktes Vokabular von Aggression oder Hass, vom Töten und Außenseitertum, von Doktrinen, Terror und dergleichen zurückgreift. "The Few, The Proud, The Broken" ist das stärkste Stück der Scheibe und von KREATOR überhaupt seit Jahren: dynamisch inszeniertes Schlagzeug zu Beginn und strukturell wie spielerisch in jeder Hinsicht originell beziehungsweise verflucht ausgefuchst, was den Spannungsbogen betrifft – ein zeitloses Beispiel für virtuosen Metal mit welchem Präfix auch immer.

Zu Anfang von "Until Our Paths Cross Again" mag man unfreiwillig schunkeln und einen halb melodiös grölenden Mille bemitleiden, doch die eingeflochtene unverzerrte Gitarre gefällt als Farbtupfer ebenso wie das mäandernde Arrangement. Das Finale der Scheibe mutet deswegen auf originelle Weise erzählerisch an, da die Band von üblichen Wiederholung absieht. Insgesamt ist bezüglich KREATOR im Guten wie Schlechten alles nur halb so wild.

"Phantom Antichrist" stellt weder einen Geniestreich noch ein Egal-Album dar, sondern die beste Scheibe der Band seit dem herben Gesichtsschlag "Cause For Conflict". Falls Heerscharen mit diesem Album sozialisiert würden, wäre dies nicht das Schlechteste, denn ist man ein zweites Mal in dieser Rezension ehrlich, hat man auch zuerst die IRON MAIDENs und JUDAS PRIESTs dieser Subkultur angehimmelt und später herausgefunden, dass es zum Teil bessere Alternativen gibt.

FAZIT: Die Thrash-Institution KREATOR hat das vermutlich einzig Richtige getan und ihrem typischen, aber über die Jahre schal gewordenen Stil verhaltene Neuerungen angedeihen lassen, aber man muss angesichts der unspannenden kompositorischen Grundideen auch klar sagen: Ohne seinen finnischen Nebenmann wäre Mille Petrozza längst am Ende. Vielleicht sollte Sami auch mal bei Jon Schaffer vorbeischauen …

10 von 15 Punkten


Review von: Chris P. (Profil)

Es steht außer Frage, dass KREATOR eine der einflussreichsten Bands des Thrash Metal ist und erdballübergreifend viele nachfolgende, dem Extremmetal frönende Generationen geprägt hat. Auch die Unberechenbarkeit war beeindruckend, denn wer hätte seinerzeit einen solch krassen Stilbruch wie "Renewal", einen wieder überraschend fiesen Kracher à la "Cause For Conflict" oder ein Gothic Metal-angehauchtes Album wie "Endorama" erwartet?

Doch danach wurde es in puncto Kreativität mau, die Rifffabrik Petrozza stagnierte hinsichtlich Ideenproduktion, und mit der zwölften Langrille "Phantom Antichrist" erleben wir nun das vierte Nummer-Sicher-Album seit "Violent Revolution" in Folge. Umso unfreiwillig komischer ist der markige Spruch, den Mille in die Werbetrommel wirft: "It will blow everything away the ‚Big Four‘ have released in the past few years! Prepare to get your face ripped off!"

Selbstüberschätzung oder Selbstironie?

Tatsächlich erleben wir eine recht profane, angepasste, moderne Thrash-Scheibe, die ein paar alte KREATOR-Trademarks, als die Band noch sie selbst war, mit göteborgschen Harmonien und Melodien, ein paar metalcorigen Grooves für den Zeitgeist und bierseligen Alibi-Heavy-Metal-Chören ("From Flood Into Fire") vereint. Neu ist die extreme Melodiosität der Stücke, doch so schön diese harmoniegeschwängerten Tonfolgen auch sein mögen, so trivial sind sie auch – und nehmen der Scheibe einiges an Biss. Und sei Sami Yli-Sirniö noch so ein genialer Gitarrist, so wirken seine Soli mittlerweile leider arg dem Selbstzweck dienend. Das unterstreicht letztendlich den Stock-im-Arsch-Faktor dieses arg nach Reißbrett und "Was im Metal 2012 wichtig ist"-Lehrbuch wirkenden Albums, auf dem ein Standard den nächsten jagt.

Und ja, Mille Petrozzas Vocals sowie sein teutonischer Akzent ist mit ganz klar eine Love-it-or-hate-it-Sache, aber selbst bei ihm erscheint die Performance enorm verbissen, sodass das Album eine musikkalkulatorische Kälte ausstrahlt, die der Musik die eigentlich gewünschte Vitalität aushaucht. Diesbezüglich enttäuscht auch Producer Jens Bogren, der für OPETH, KATATONIA, SYMPHONY X, DEVIN TOWNSEND sowie die Experimentalisten NE OBLIVISCARIS hervorragende Arbeit geleistet hat, hier jedoch für einen klinisch-sterilen Sound verantwortlich zeichnet, der "Phantom Antichrist" eine ganze Menge Energie raubt.

FAZIT: Eines der größten Zugpferde des Metal ist in die Jahre gekommen, und selbst das klangliche Botox täuscht nicht darüber hinweg, dass bei KREATOR seit rund einer Dekade die Luft endgültig raus ist. Und mal ehrlich: Die "Big Four" zu toppen, ist nun wirklich schon lange kein Kunststück mehr. Sicher, KREATOR sind qualitativ noch vielen, vielen Bands in praktisch jeder Hinsicht überlegen, und die hier herrschende Langeweile ist Langeweile auf hohem Niveau, aber von "wegblasen" ist dieses Album in etwa so weit entfernt wie SIMON & GARFUNKEL von Powerviolence. "Phantom Antichrist" hat das Flair eines Vertragsalbums, das mehr Produkt denn Kunstwerk ist.

7 von 15 Punkten


Review von: Daniel Fischer (Profil)

Leider erlebt man es ja nach vielen Jahren als Metal-Fan selten genug, dass neue Alben alteingesessener Bands nochmal richtig begeistern, geschweige denn die früheren Werke schlagen können. KREATOR haben jedoch in meinem Fall genau das mit "Phantom Antichrist" geschafft. Sicher, die drei Vorgänger waren auch stark, und "Extreme Aggressions" und "Coma Of Souls" waren damals meine ersten Berührungspunkte mit wirklich extremeren Formen des Metal, die noch über den herkömmlichen US-Thrash hinausgingen. Aber erst jetzt, quasi "im hohen Alter", liefert die deutsche Thrash-Institution ein Album ab, das speziell für mich komponiert zu sein scheint. Wer ursprünglich Zugang zu KREATOR über den Umweg der ganz tief im aggressiven Geriffe versteckten Melodien, Epik und düsteren Atmosphäre und Songs wie "Some Pain Will Last" oder "People Of The Lie" fand, darf jetzt jubelnd in den Plattenladen rennen oder "Kaufen" klicken. Denn "Phantom Antichrist" bietet von all dem mehr als jede andere KREATOR-Platte: mehr Gitarrenharmonien, mehr ruhige Zwischenpassagen und Atmosphäre, mehr Hooks und haufenweise eingängige Refrains.

KREATOR lassen so viele Melodien und klassische Metal-Einflüsse wie noch nie zu. So verbindet beispielsweise "From Flood Into Fire" einen "Blood Of My Enemies"-Groove mit einem hymnischen und dennoch rauen Chor im Refrain. Doch auch die anderen, weniger stark vom alten Pfad abweichenden Tracks sind durchweg Hits, die man bereits beim zweiten Mal mitsingen kann. Trotzdem klingt "Phantom Antichrist" keinesfalls nach einer weichgespülten Variante der Band, noch geht diese so weit wie auf "Endorama" (auch wenn ganz vereinzelt Parts daran erinnern). Der typische KREATOR-Biss und diese mitreißende, kontrollierte Hysterie sind immer noch jederzeit spürbar. Die einzelnen Songs bieten zudem sehr viel Abwechslung, das Tempo wird ständig variiert, langsamere Songs werden durch Raserei aufgelockert und umgekehrt.

Genau die richtige Mischung also, irgendwo zwischen sehr melodischem Thrash und heftigem Power Metal. Bei diesem Begriff werden vermutlich einige Fans gequält zucken, aber ja, letztendlich ist das rein musikalisch in dieser Mischung gar nicht so weit weg von den Frühwerken einer Band wie ICED EARTH (abgesehen von Milles Stimme natürlich). Und um noch ein paar Stachel zu setzen: Nicht weiter verwunderlich erinnern manche Passagen an die Göteborger Melodic-Death-Szene, denn diese wurde unter anderem maßgeblich von KREATOR beeinflusst. Der erhöhte Anteil an Gitarrenharmonien sorgt somit automatisch für ein ähnliches Feeling, ohne dass sich die Essener in irgendeiner Form verbiegen müssten. Doch nicht nur das, die Mischung aus alt und neu, klassischen Leads und Melodien mit moderner Härte und Aggression dürfte sogar Anhängern von Nachwuchs-Acts wie AVENGED SEVENFOLD zusagen. Trotzdem kann kein alter Fan enttäuscht sein, sofern er nicht allergisch gegen starke Melodien und tolle Gitarrenarbeit ist, denn das Material klingt jederzeit unverkennbar nach KREATOR. Zudem wurde das Album mit einem nahezu perfekten Sound versehen, der gleichzeitig drückt und ballert und dennoch den Instrumenten viel Raum und Luft lässt, so dass die hervorragende Performance aller Beteiligten richtig zur Geltung kommt.

FAZIT: Für mich ganz persönlich tatsächlich und ziemlich überraschend das beste KREATOR-Album aller Zeiten. Die Essener versehen ihren Sound mit noch mehr Melodien und Gitarrenharmonien als schon auf den letzten Werken, legen Wert auf Atmosphäre und ein gewisses Pathos und begeistern mit eingängigen Hooks und großen Refrains. "Phantom Antichrist" könnte mindestens die halbe Metal-Szene begeistern: Heavy Metal, Power Metal, True Metal, Thrash, Melodic Death, was man auch bevorzugt, wenn man mit Milles Gesang klarkommt, sollte man hier auf jeden Fall reinhören.

13 von 15 Punkten



Review von: Lothar Hausfeld (Profil)

KREATOR sind zwar eine Band, die für einen bestimmten Sound steht, aber sie haben sich nie – oder immerhin fast nie – auf diesen "einen" Sound beschränkt. Die naive Knüppelei der Anfangstage, die erstmals in echte Songstrukturen verpackte rohe Gewalt auf "Extreme Aggressions", das vorsichtige Herantasten an Melodien ("Comas Of Souls"), das Verarbeiten von Industial- ("Renewal") oder Gothic-Elementen ("Endorama"), das Wiederentdecken der eigenen Wurzeln ("Enemy of God", "Hordes Of Chaos") – jede Phase hat ihre eigenen Reize.

Nach drei starken, aber stilistisch doch relativ ähnlichen Alben war die Spannung vor "Phantom Antichrist" hoch: Würde die beständigste europäische Thrash-Metal-Band ein weiteres Mal unbarmherzig zu Werke gehen? Oder würde man sich doch darauf besinnen, dass KREATOR eigentlich eine Band des steten Wandels ist?

Letzteres ist der Fall. Mit "Phantom Antichrist" ist Mille Petrozza der Spagat gelungen, ein Album zu kreieren, das auf der einen Seite sämtliche typischen Merkmale einer KREATOR-Scheibe aufweist, auf der anderen Seite aber so abwechslungsreich und vor allem so melodisch klingt wie noch nie in der fast 30-jährigen Bandhistorie. Trotz aller melodischer Spielereien, die vor allen Dingen auf das Konto von Gitarrist Sami Yli-Sirniö gehen, trotz aller Tempowechsel, Breaks, Akustikparts: "Phantom Antichrist" klingt in sich schlüssig und wie aus einem Guss.

Angefangen beim rasanten Opener und Titeltrack über die bombastischen "Froom Flood Into Fire" und "United In Hate", dem majestätischen "The Few, The Proud, The Broken" bis hin zum abschließenden "Until Our Paths Cross Again", das zwischen sanften Akustikpart und rasenden Geifern alles beinhaltet, legen KREATOR ein beeindruckendes Zeugnis ihrer musikalischen Fähigkeiten ab.

Eine gute Dreiviertelstunde schaffen es die Essener, den Hörer in ihren Bann zu ziehen. An der einen oder anderen Stelle übertreibt man es vielleicht ein bisschen mit den Melodien und den Breaks – "Civilization Collapse" wirkt ein wenig überfrachtet, der Refrain von "Victory Will Come" ist so einfallslos wie die meisten IRON-MAIDEN-Refrains der Dickinson-Comeback-Phase –, doch alles in allem bietet "Phantom Antichrist" mit seinen zahl- und gnadenlosen Prügelparts, den brutalen Thrashriffs und den nach wie vor extrem angepisst klingenden Keifvocals von Mille Petrozza auch genau das, was die Fans erwartet haben dürften.

FAZIT: Selten klang Thrash Metal so vielfältig. Auf jeden Fall klangen KREATOR nie so vielfältig. Und auch das steht Mille und Co. – wie fast alles, was sie vorher schon ausprobiert haben – ausgesprochen gut zu Gesicht.

13 von 15 Punkten


Review von: Andreas Schulz (Profil)

Was erwartet von man von einer Band, die seit Jahren zu den absoluten Faves zählt, wenn ein neues Album ansteht? Was erwartet man von jemandem wie Mille Petrozza, der KREATOR in den 80ern zunächst zu einer der führenden Thrash-Metal-Kapellen aus Deutschland machte, in den 90ern neue musikalische Wege erkundete und sich 2001 mit "Violent Revolution" auf alte Stärken besann und damit den zweiten Frühling seiner Band einläutete? Was erwartet man nach einem brutalen Meisterwerk wie dem Vorgänger "Hordes Of Chaos" vom neuen Album "Phantom Antichrist"? Fragen, die man nicht wirklich beantworten kann. Die faustdicke Überraschung, die das  13. Album der legendären Essener Band geworden ist, zumindest nicht.

Es wäre vermutlich ein leichtes gewesen, den mit "Violent Revolution" eingeschlagenen und mit "Enemy Of God" und "Hordes Of Chaos" konsequent weitergeführten Weg nicht zu verlassen und damit alle Fans zumindest zufrieden zu stellen. Stattdessen weichen KREATOR von diesem Pfad ab, ohne aber Gefahr zu laufen, die Anhängerschaft zu verprellen, ganz im Gegenteil. "Phantom Antichrist" ist trotz seiner Andersartigkeit von der ersten Sekunde an unverkennbar ein KREATOR-Album, doch trotzdem überrascht es Fans wie Kritiker – und hat dazu auch noch das Potenzial, neue Hörer zu erschließen. Zu diesem Zwecke hat man ein Album geschrieben, dass zwar immer noch den typischen KREATOR-Thrash mit all seinen Trademarks enthält, aber mit mehr Melodien als je zuvor aufwartet und besonders im Hinblick auf die Arrangements viel mehr zu bieten hat, als wüstes Geprügel.

Als Paradebeispiel dafür ist der Übersong "The Few, The Proud, The Broken" zu werten, eine Nummer, die unbestritten zu den besten Songs zu zählen ist, die die Band je aufgenommen hat. Ein fantastisches, ungewöhnliches Arrangement mit spektakulärem Spannungsaufbau, gepaart mit berauschender Gitarrenarbeit und der nötigen Eingängigkeit ergibt einen Song, dessen Genialität schon beinahe schmerzhaft ist. Nicht minder ungewöhnlich ist der Rausschmeißer "Until Our Paths Cross Again" geworden, der mit einem klassischen IRON-MAIDEN-Gitarrenintro startet und als wohl hymnischster und pathetischster Song in der Geschichte der Band erst Melancholie, dann Aggression ausstrahlt. Oder der zukünftige Livekracher "From Flood Into Fire": melodisches Midtempo, ein ebenfalls hymnischer, mehrstimmiger Refrain und überragende Soloparts kennzeichnen diesen alles andere als gewöhnlichen KREATOR-Song. Der vierte im Bunde der Songs, die man so nicht erwartet hätte, heißt "Your Heaven My Hell", der sehr ruhig und melancholisch startet und dann förmlich explodiert.

Midtempo? Ruhige Songs? Hymnische Refrains? Was ist denn mit den typischen Abrissbirnen? Die gibt es natürlich auch. Der im Albumkontext besser funktionierende Titeltrack ist so eine, genauso wie das von einem scharfen Riff und ungewöhnlichen Gitarrenlicks dominierte "Death To The World" (hier stört nur Milles leicht "th"-Schwäche). Die rasend schnellen Strophen von "Civilization Collapse" münden in einem melodischen Refrain, das im weiteren Verlauf eingesetzte Tribaldrumming lässt aufhorchen und wäre ohne das darunter gelegte "normale" Drumming vielleicht sogar noch wirkungsvoller. Und auf die Livedarbietung von "United In Hate" darf man sich angesichts des superben Mitgrölrefrains ("…we are legion united in hate…") jetzt schon freuen. Lediglich das simple "Victory Will Come" fällt ein wenig ab, ist immer noch ein guter Song, aber eben nicht auf dem Level der anderen acht Songs und verhindert letztlich die Höchstnote.

Mit der leichten Kurskorrektur in Richtung traditionellen Metals geht einher, dass die Summe an melodischen Leads und Soli nochmals in die Höhe geschnellt ist. Und dabei hat man besonderen Wert darauf gelegt, dass nicht einfach nur ein Solo gespielt wird, sondern dass jedes einzelne Solo wirklich gut ist und den Song nochmal aufwertet. Dafür bedarf es natürlich auch eines Könners, den die Band in Sami Yli-Sirniö hat und der mehr Anteil am Gelingen eines KREATOR-Albums hat, als je zuvor. Ebenfalls einen guten Teil dazu beigetragen hat Produzent Jens Bogren, der "Phantom Antichrist" einen perfekten, warmen Sound verpasst hat, in dem der Drumsound nochmals positiv herausragt.

FAZIT: "Hordes Of Chaos" noch im Ohr habend, muss man sich anfangs umstellen, um "Phantom Antichrist" erfassen zu können. Sobald das aber erfolgt ist, entwickelt das Album einen Suchtfaktor, dem man sich als melodieliebender Anhänger großer Metalkunst nicht entziehen kann. Dass es in diesem Jahr noch ein besseres Thrash-Album geben wird, ist nicht zu erwarten, viel mehr ist "Phantom Antichrist" neuerlich ein Aspirant dafür, dass KREATOR das Metal-Album des Jahres abgeliefert haben.

14 von 15 Punkten

Durchschnittspunktzahl: 11,4 von 15 Punkten

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Andreas Schulz (Info)