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Interview mit Draugurinn (02.10.2015)

Draugurinn

Nordic Ambient – das ist doch Keyboard statt Black Metal, so wie ihn einst der "Casio-Kaiser" namens Mortiis geprägt hat?! - Nein, auch wenn es heuer eine – gar nicht so uninteressante – "New Wave Of Dark Dungeon Music" gibt, so spielt DRAUGURINN nicht nur in einer anderen (Unter-)Welt, sondern auch in einer anderen Liga. Hinter DRAUGURINN verbirgt sich mit Dísa eine schwedische Künstlerin, die ihre Ideen in allerhand hinterwäldlerischen Projekten verwirklicht. Gefälligkeit ist ihr Ding nicht, dafür eine beeindruckende Konsequenz bei der Umsetzung, die auf "Ísavetur", dem zweiten Album, eiskalt gelingt. Welche persönlichen Streifzüge durch Felder von Asche und Eis sie zu diesem Soundtrack inspirierten, erklärte Dísa uns per Email.

Zunächst mal danke, Dísa, dass Du Dir die Zeit nimmst, einige Fragen zu beantworten! Vor einer Weile habe ich gelesen, dass Du nicht unbedingt Interviews führen möchtest – hat sich das derweil geändert oder ist es einfach eine unumgängliche Notwendigkeit angesichts der Flut an Alben, um wenigstens ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhalten?

Nun, danke auch dir, dass du Interesse an meiner Musik zeigst! Haha, es stimmt schon: Ich bin nicht gerade erbaut von Interviews, doch wenn sich welche ergeben, dann stehe ich für gewöhnlich auch Rede und Antwort.

Ich kann ehrlich sagen, dass DRAUGURINN für mich nicht nur einfach ein weiteres Projekt unter vielen ist. Seit ich "Herbarium" von TURDUS MERULA gehört habe, bin ich von dem starken Fokus und der konsequenten Herangehensweise wirklich beeindruckt – für mich klingt das wie Musik aus einer eigenen Welt, die als Echo zu mir dringt. Dann fiel mir auf, dass Du es warst, die Skogens schönes "Svitjod" Album mit dem Klavierstück "Dauðaferð" bereichert hat, und auch die Herangehensweise ist bemerkenswert: Du scheinst wirklich das zu machen, was Dir in den Sinn kommt, anstatt Dich an anderen zu orientieren. Liegt das daran, dass Du Dir alles selbst beigebracht und darüber Selbstbewusstsein erarbeitet hast?

Ich freue mich, das zu hören! Natürlich hat es damit zu tun, dass ich mir Dinge selbst angeeignet habe, und mir ging es nie darum, wie irgendjemand oder irgendetwas anderes zu klingen. Musik war für mich in meinem ganzen Leben ein spirituelles wie künstlerisches Werkzeug, daher klingt sie so, wie sie klingt. Meine Alben nehme ich häufig in kurzen, dafür intensiven Zeitabschnitten auf, so dass sie diese besonderen Phasen in meinem Leben reflektieren. Das könnte auch erklären, warum jedes Album mit einer anderen Atmosphäre und einem anderen Klangbild aufwartet.

Wie würdest Du Deine bisherige Reise als Musikerin beschreiben – bist Du (immer noch) im Metal-Underground verwurzelt, und wächst nun in verschiedene Richtungen?

Ich wuchs in einem Zuhause auf, in welchem Musik eine wichtige Rolle spielte. Mein Vater hört bis heute fast alles und hat mich an gänzlich verschiedene Richtungen von Musik herangeführt. Er spielt immer noch Klavier und Gitarre und somit wurden mir diese Instrumente nahegebracht, seitdem ich geboren war. Dennoch hasste ich den Musikschulunterricht, und als meine Eltern das verstanden, nahmen sie mich von der Schule. Zum ersten Mal fühlte ich mich damals, da muss ich so neun oder zehn Jahre alt gewesen sein, frei, meinen Wünschen zu folgen. Ich begann, meine ersten eigenen Stücke zu komponieren. Mit zwölf, 13 Jahren fing ich an, mit Freunden in einer Punk-Band zu spielen, und hier lernte ich, mit einer Gitarre umzugehen. Wir liehen uns im Jugendheim Instrumente aus und spielten ein- oder zweimal die Woche. Da es sich um Punk handelte, war es egal, wie es klang, wenn es nur laut, aggressiv und schnell genug war, hehe. Zuhause hörte ich kaum Punk, doch keiner meiner Freunde konnte etwas mit Black Metal oder Metal im Allgemeinen anfangen, also hatte ich keine Wahl...
Das Klavier ist mir all diese Jahre hindurch nahe geblieben, und ich habe weiter klassische Stücke geschrieben oder ganz zwanglos Musik komponiert, die sich an der schwedischen Folklore orientierte. Vielleicht sind das meine echten musikalischen Wurzeln? Als wir so 16, 17 Jahre alt waren, lösten wir die Punk-Band auf, und meine erste elektrische Gitarre habe ich erst sieben Jahre später gekauft. Ich begann, sie zu spielen, und TURDUS MERULA war geboren, denn ich wollte den Black Metal erkunden. Ich fing an, mich in diversen Richtungen auszuprobieren und rasch war klar, dass ich verschiedene Projekte benötigte, um meine unterschiedlichen Ziele zu verwirklichen. Somit waren NIÐURDREPANDI, KORPOBLOD sowie MURMURS und DRAUGURINN geboren.
Wie ich bereits sagte: Meine Musik ist für gewöhnlich eine Reflektion meines aktuellen Lebens, und da sich in meinem Leben viel ereignet und es sich von Jahr zu Jahr ändert, wird die Musik wahrscheinlich in verschiedene Richtungen wachsen. Die Wurzeln werden jedoch weiter gewässert und sie werden auch in Zukunft die Narben der Vergangenheit tragen, soviel ist sicher.

Bei Musik wie der Deinen besteht kein Anlass, sie zu kategorisieren, daher sage ich, dass "Ísavetur" das einzige Album ist, das mich ähnlich faszinierend in seinen Bann zieht wie "Nordland" von Apoptose; seit über zehn Jahren eines meiner Lieblings-Alben. Was ist Dein Ziel mit der Musik und hast Du auch bestimmte Ziele im Hinblick auf die Hörer?

Wie bereits geschrieben, ist die Musik ein Ergebnis meiner rituellen Praxis, bei welcher sie als spirituelles Werkzeug dient, weswegen ich meine spirituelle und ungekünstelte Inspiration einfließen lasse. Ich versuche auch, meine Erfahrungen in die Atmosphäre einfließen zu lassen, doch ich denke, dass es wichtig ist, dass die Hörer ihre eigenen Erfahrungen machen, während sie der Musik lauschen. Ich habe meinen Weg und meine Wahrheiten, und es ist an den Hörern, ihre eigenen Wege und Wahrheiten zu finden...

Profan formuliert, unterstützt Deine Musik meine Imagination und Tagträumerei. Etwas spiritueller würde ich sagen, dass mir Deine Musik hilft, mich verbunden zu fühlen, als Teil eines größeren – "wyrd"en – Netzes jenseits rationaler Konzepte. Insofern stellt es für mich sicher eine Pause im modernen Hamsterrad-Betrieb dar. Erhältst Du ähnliche Rückmeldungen, und gibt es Reaktionen, die Dich auf die eine oder andere Weise erstaunt haben?

Ich bin sehr froh, das zu hören! Ich bin von der modernen Zombie-Gesellschaft ziemlich angewidert, und wenn meine Musik Menschen helfen kann, sich tiefer in sich selbst zu versenken oder auch nur für eine Sekunde ihre Augen zu öffnen, dann ist das großartig! Ich bekomme nicht viele Rückmeldungen, doch soweit ich weiß, wird DRAUGURINN zur Meditation und zum Yoga genutzt. Doch wo du mich gerade fragst, ich meine mich zu erinnern, dass mir jemand davon erzählte, dass er DRAUGURINN bei Rollenspielen hört, also bei DoD oder AD&D. Das gefällt mir, denn ich habe als Teenager selbst solche Rollenspiele gespielt.

Du hast vor einer Weile Deine Affinität zu Island erwähnt, und ich kann mir vorstellen, dass einige Hörer mit Deiner Musik als Soundtrack dorthin reisen, um die Landschaften – im Geiste oder real – zu durchwandern. Ich gehe mal davon aus, dass Dir Island geholfen hat, Dich selbst besser zu erkennen, und dass sich das auf "Ísavetur" widerspiegelt?

Das ist wahr. Island ist mein zweites Zuhause und dort finde ich Frieden und Inspiration. Ich liebe und verehre die Natur, und auf Island ist sie in so vielfältiger Weise präsent. Auch in den schwedischen Wäldern und Bergen finde ich Inspiration, doch auf andere Weise. Island gehört ein besonderer Teil meines Herzens, und zwar aus mehr als einem Grund.

Nicht nur Deine Musik, auch Deine Illustrationen reflektieren eine Nordische Identität, und mir gefällt die für das "Thirst For Light" Festival gestaltete ganz besonders. Es hat den Anschein, als ob handgefertigte Kunst Dir besonders wichtig ist... ist das ein bewusst eingeschlagener Weg, Deine Spuren in unserer Welt zu hinterlassen, anstatt Dich in den eher zeitgenössischen Formen von industriell fabrizierter Langeweile und Konsumismus zu verlieren?

Haha, das ist es, ich hätte es nicht besser sagen können und ich bin ein wenig gerührt, das zu lesen! Ich habe es alles andere als leicht, irgendwo reinzupassen, egal wohin ich auch gehe. Doch in Musik und Malerei habe ich die Freiheit, zu sein, wer ich möchte. Und jeder von Euch hat die Freiheit, meine Kunst auf sich wirken zu lassen.

Du hast auf dem "Thirst For Light" unter reichlich chaotischen Umständen gespielt. Ich kann mir gut vorstellen, dass Deine Musik auch auf das Speckjaga Sunnwend Fest in Österreich passt. Hast Du davon gehört und könntest Du Dir auch vorstellen, in den Alpen im Angesicht riesiger Berge aufzutreten?

Im achten Schwangerschaftsmonat noch live zu spielen, und zwar auf der anderen Seite der Welt, ist in der Tat etwas speziell, haha.
Ich trete nicht oft live auf, und wenn es dazu kommt, dann handelt es sich um sorgfältig ausgewählte Anlässe. In den Alpen zu spielen, wäre allerdings ein solcher Anlass und ich werde mich mal über das Speckjaga Fest informieren. Ob ich da eines Tages spiele oder nicht: Ich liebe die Alpen und würde bereits deshalb das Festival gerne mal besuchen!

Ich habe gelesen, dass Du Dich als Läuferin mit Musik für lange Strecken motivierst. Einige meiner Freunde und ich können das nachvollziehen und wir alle machen unsere Erfahrungen, wie das Laufen unsere Wahrnehmungen von Landschaften bereichert. Inwiefern hängen Sport und Musik bei Dir zusammen und würdest Du zustimmen, dass Laufen durch die Natur beinahe meditativ wirken kann und gerade deshalb mit bestimmter Musik gut harmoniert?

Das stimmt. Laufen kann für mich ebenso ein spiritueller Weg sein wie Musik, Meditation und Rituale. Ich laufe immer draußen durch die Natur und werde eins mit meiner Umgebung, während ich an meine Grenzen gehe und an die Grenzen der Natur. Sowohl "Móðuharðindin" als auch "Ísavetur" resultieren aus meinen Erfahrungen beim Laugavegurinn Ultramarathon, einem 55 Kilometer langen Gebirgslauf zwischen Landmannalaugar und þórsmörk auf Island. Die Landschaft, durch die man dort läuft, wurde durch Lakis Zorn anno 1783 geformt. Da ich den Ultramarathon 2011 gelaufen bin, also ein Jahr nach dem Ausbruch von Eyjafjallajökull, waren der Weg und die Umgebung von Asche bedeckt, die von den Naturgewalten kündete, also von Feuer und Eis. "Móðuharðindin" behandelt das Feuer und "Ísavetur" den folgenden kalten Tod.
Solche Entfernungen laufend zu überbrücken ist wahrlich ein spiritueller Akt, und es spielt keine Rolle, ob das in den öden Landschaften Islands oder in den blühenden Wäldern Schwedens geschieht.

"Ísavetur" war zunächst via Crepuscule Du Soir angekündigt, erschien jetzt aber auf Nordvis, zweifelsohne einem der besten Label für "Außenseiter-Musik" - für Dich ein logischer Schritt?

Ich bin sehr froh, bei Nordvis gelandet zu sein. Seit den Anfangstagen haben sie einen guten Job gemacht und das Label genießt mein volles Vertrauen. Es fühlt sich so an, als ob DRAUGURINN endlich eine Heimat gefunden hätte...

Findest Du dieser Tage noch Zeit zum Lesen – und falls dem so ist: Welche Lektüre kannst Du gerade empfehlen? (Bei mir liegt Tom Hodgkinsons "How To Be Free" neben dem Bett.)

Ich liebe es, zu lesen, und zu mancher Zeit habe ich viel gelesen. Nun habe ich eine kleine Tochter und komme nicht mehr so viel dazu. Zuletzt habe ich ein schwedisches Buch mit dem Titel "Löparens Hjärta" ("Das Herz des Läufers") von Markus Torgeby gelesen, der in vielerlei Hinsicht eine große Inspiration für mich ist. Das Buch behandelt das Leben an sich und wie man mit sich selbst und der Natur wieder in Kontakt treten kann, und weniger vom Laufen, es ist also nicht nur für die Trail- / Ultra-Läufer-Nerds!
Und danke für den Tipp, ich werde das mal nachschlagen!

Dísa, danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, und danke auch für ein Album, das sicher nicht nur mein Leben bereichert, sondern auch das von anderen versponnenen Hörern! Mögen Dir die Götter wohlgesonnen sein!

Danke dir für dein Interesse und das nette Interview! Ich hoffe, dass dir auch weiterhin gefallen wird, was immer aus dem Lager von DRAUGURINN noch kommen mag!

Thor Joakimsson (Info)
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