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Interview mit Helloween (10.01.2013)

Helloween

Bei 24 Grad und blauem Himmel lässt es sich ganz entspannt über ein neues Album reden. Wobei man Andi Deris, Frontmann von HELLOWEEN, durchaus abnimmt, dass er auch ohne die sonnige Umgebung seines Wohnsitzes auf Teneriffa blendend gelaunt wäre, denn mit „Straight Out Of Hell“ ist seiner Band ein glänzendes neues Album gelungen. Wir unterhielten uns über eine Stunde mit dem gebürtigen Badenser über das 14. Studioalbum, Michael Kiske, windige Geschäftspraktiken oder geklaute Songideen.

Andi, bevor wir zum eigentlichen Interview kommen, würde ich gerne zunächst einmal die 13 Tracks von „Straight Out Of Hell“ im Schnelldurchlauf beleuchten. Ich gebe Dir ein kurzes Statement zu den Songs, und Du sagst, was Du davon hältst, ok?
Na klar, cool.

Der erste Song: „Nabataea“ - eine ungewöhnliche Single- und Videoauskopplung – und vielleicht gerade deshalb typisch für HELLOWEEN.
Ja, endlich mal. Endlich hat mal eine Plattenfirma verstanden, warum man heute einen Song als Video veröffentlicht. Wir haben im Grunde genommen auf jedem Album einen oder mehrere ungewöhnliche Songs, und es hat lange gedauert, bis wir eine Plattenfirma (in diesem Fall die Sony, d. Verf.) davon überzeugen können. HELLOWEEN sind nun mal keine typische Single-Band, sondern ein Video bedeutet für uns vor allen Dingen weitere Promo für ein neues Album.

Andi Deris HelloweenHat ja auch nur knapp 30 Jahre und diverse Companies gedauert, bis das geklappt hat…
Ziemlich schnell, stimmt (lacht).

Ich staune ja, dass ausgerechnet eine Major Company das jetzt verstanden hat, worauf es bei euch ankommt.
Die Sony hat mittlerweile eine eigene Abteilung, die sich um Bands kümmert, die keine Megaseller sind, sondern die solide und konstant verkaufen. Da hat man dann doch mitbekommen, wofür man ein Video braucht.

Song 2: „World Of War“. Wenn die Pet Shop Boys einen Speed-Metal-Song schreiben würden, klänge er so.
Pet Shop Boys? (stutzt) Dazu müsste ich erst einmal wissen, wie die Songs von denen klingen...

Die Gitarrenmelodie am Anfang klingt doch 1:1 wie die Gesangsmelodie aus „Go West“.
(summt) Jetzt wo Du’s sagst. Ich glaube aber trotzdem nicht, dass die Pet Shop Boys da Pate gestanden haben (lacht).

„Live Now!” - die Fortsetzung von „I Can”?
Ja, das könnte man so sagen. Ursprünglich war der Song extrem poppig, dann hat sich Sascha (Gerstner, Gitarrist, d. Verf.) den Song vorgeknöpft. Er hat daraus einen etwas moderneren Song gemacht, der auch musikalisch durchaus anspruchsvoll und verschachtelt ist. Und der schwer nachzuspielen ist.

Song 4 – „Far From The Stars“. Der am meisten typische HELLOWEEN-Song der Scheibe.
Das ist auf jeden Fall ein ganz klassischer, traditioneller Gute-Laune-Klopfer. Für diese Art Songs ist Markus (Großkopf, Bassist, d. Verf.) zuständig, das kann er wirklich großartig.

Bei „Burning Sun“ treffen „The Dark Ride“ und gute Laune aufeinander.
(lacht) Nicht schlecht. Ich mag die Polarisierung zwischen Strophe und Refrain. Weiki (Michael Weikath, Gitarrist, d. Verf.) wollte, dass ich brülle wie Halford in seiner letzten Stunde (lacht). Ich war im Studio deswegen zunächst ganz schön genervt, aber am Ende ist das doch ganz überzeugend gelungen. Auch wenn ich wie ein abgestochenes Schwein kreischen musste (lacht wieder).

„Waiting For The Thunder“ ist „If I Could Fly“ in noch besser.
Toll, dass du das noch besser findest. Klar ist das stilistisch ziemlich nah an „If I Could Fly“. Eigentlich war der Song gar nicht für HELLOWEEN gedacht, sondern für mein neues Soloalbum. „If I Could Fly“ sollte damals übrigens auch ursprünglich auf einem Soloalbum erscheinen.

Vielleicht solltest Du die Songideen für Dich behalten.
(lacht). Nein, im Sinne der Band gibt jeder seine Ideen komplett preis. Ich will auch gar nicht, dass am Ende jemand sagt, „Mensch, wieso hast du uns diesen Song nicht gezeigt, der hätte doch gut auf ein HELLOWEEN-Album gepasst.“

„Hold Me In Your Arms“ ist für mich nur Durchschnitt, aber wichtig, um einmal den Fuß vom Gas zu nehmen.
Ich finde, das ist eine wunderschöne Ballade. Das findet auch jeder andere in der Band. Für den Gesang musste ich übrigens von unserem Produzenten überzeugt werden, da singe ich in tiefen Regionen, in denen ich normalerweise nicht Zuhause bin.
Helloween Straight Out Of Hell
Was machen die nur mit Dir, erst quieken wie ein abgestochenes Schwein und dann tief singen …
Schlimm, oder? (lacht) Das sind auch ganz typische Diskussionen vor Livekonzerten, wenn es um die Reihenfolge der Songs geht. Da kann man nicht zehn Stücke hintereinander durchschreien, das hält man nicht durch.

Konzerte ist ein gutes Strichwort, denn ich finde, dass „I Wanna Be God“ das ideale Intro für die kommenden Konzerte wäre.
Das ist gar nicht mal so weit hergeholt, das könnte passen. Dabei ist der Song eigentlich ein Unfall. Ursprünglich war der Song eine Volles-Brett-Nummer. Im Studio habe ich dann ein bisschen rumgespielt und habe bis auf die Drums und meine Stimme alles rausgeschmissen. Dann habe ich noch ein bisschen die Drums verändert – und es klang total geil. Der Song ist stimmungstechnisch dicht an „We Will Rock You“ und ist endlich mein „Hallo“ an Freddie Mercury. Ich vergöttere Freddie und seine Stimme, genauso wie ich Ronnie James Dio, Rob Halford oder KISS großartig finde. Einen Dio-Song hatte ich auf dem letzten Album, und auch JUDAS-PRIEST- und KISS-Verweise finden sich ja hier oder dort. Ein Tribut an Freddie Mercury fehlte mir aber noch.

Wahrscheinlich würde das gar nicht klappen, wenn du krampfhaft versuchen würdest, einen QUEEN-artigen Song für HELLOWEEN zu schreiben.
Ich hab das drei-, viermal probiert, aber die Songs habe ich allesamt in die Tonne gehauen. Nein, da musste der Zufall helfen. 

„Straight Out Of Hell“, der Titeltrack - melodischer kann man HELLOWEEN-Metal nicht spielen.
Doch, aber dann wird’s peinlich (lacht). Wir wandeln mit unserer Musik ja auf einem schmalen Grat mit Heavy/Power Metal und Kindermelodien, da muss man schon aufpassen, dass man nicht übertreibt. „Straight Out Of Hell“ ist aber ein weiterer toller Gute-Laune-Song von Markus.

„Asshole“ ist „Mr Ego (Take Me Down)“ in FSK-18-Version.
(lacht) Sehr schön. Die ganze Scheibe beschäftigt sich ja mehr oder weniger mit Arschlöchern, Bankiers und solchen Schmeißfliegen. Das Album hat zwar kein durchgehendes Konzept, aber doch einen roten Faden, da mussten auch mal deutliche Worte fallen. Wir leben in schlechten Zeiten, und angesichts der Verarschung durch Politiker und dem Finanzwesen hätte ich schon lange gedacht, dass ein Bürgerkrieg toben müsste, aber die Leute kriegen ihren Hintern einfach nicht hoch. Vielleicht geht’s den meisten doch noch gut genug, wer weiß?
Helloween
„Years“ ist eine Heavy-Metal-Symphonie.
Stimmt, das passt. Weiki ist letztes Jahr 50 geworden, da hat er sich mal hingesetzt und zurückgeblickt – was ist passiert, was ist wie gelaufen. Das ist ja auch nicht schlecht, sich mal gelegentlich solche Gedanken zu machen und zu überlegen, was man mit dem Erlebten anfängt, ob man gewisse Dinge ändern möchte und so weiter.

„Make Fire Catch The Fly” ist eine vertonte Explosion.
Oh (stutzt). Nee, eigentlich nicht. Der Song ist als Gag entstanden. Ich wollte mal gucken, wie das alte Feeling zu PINK-CREAM-69-Zeiten von „One Size Fits All“ im Speed-Metal-Outfit funktioniert.

Also ehrlich, PINK CREAM 69 erkenne ich da nicht…
Das Eingangsriff ist das Originalriff von „Living My Life For You“. Das erkennt aber niemand. Außer meinem Sohn, der hat das gleich gesagt.

Man klaut eben nur bei den Besten.
(lacht) Sowieso. Man kann das Rad ohnehin nicht neu erfinden, und oft genug passiert es, dass man eine Idee in die Tonne treten kann, weil man entweder einen eigenen Song oder den einer anderen Band – unbewusst natürlich! – mehr oder weniger kopiert hat. 

Wie oft kommt denn so etwas vor, dass man einen Song wegschmeißen kann?
Einer von zehn, würde ich mal schätzen.

Das ist aber ziemlich viel.
Es gibt eben schon so unendlich viel Musik. Ich bin mir sicher, dass, wenn man ganz viel Zeit hätte, beispielsweise in allen Top-Ten-Hits der letzten Jahre Songparts finden würde, die es bereits in früheren Liedern gegeben hat. Weiki ist das mal passiert, der kam vor der „Gambling With The Devil“ mit einem tollen Song an, der klang wirklich super. Weiki hat uns den Song vorgespielt und Markus meinte dann in seinem trockenen Hamburger Slang: „Joa, super, den kannst du ja dann mal schön direkt an STRATOVARIUS verkloppen, nech?“ Da hatte Weiki, obwohl er um STRATOVARIUS immer schon einen großen Bogen gemacht hat, einen Song geschrieben, der in Strophe und Refrain haargenau wie ein Strato-Song klang.

Das droht bei „Church Breaks Down“ aber nicht, denn was in dem 6-Minuten-Song passiert, würden andere Bands auf 20 Minuten auswalzen.
Ach, naja… gut, da passiert schon einiges. (lacht)

Ok, das waren die 13 Tracks im Schnelldurchlauf. Blicken wir mal kurz zurück. Du hast mal gesagt, „mit 50 will ich nicht mehr Speed Metal auf der Bühne singen“. Jetzt bist du zwar noch nicht ganz 50, aber man hat mittlerweile das Gefühl, dass du die treibende Kraft hinter der nicht nachlassenden Härte im HELLOWEEN-Sound bist…
Glücklicherweise sind wir alle mehr oder weniger fett in den 40ern. Das ist aber kein Grund, um den Fuß vom Pedal zu nehmen. Da zieht auch jeder in der Band mit, ohne jede Ausnahme.

Helloween Michael Weikath Andi Deris Markus GroßkopfMeiner Meinung singst du auf der neuen Scheibe so gut wie nie zuvor. Ich will nicht auf dem Alter rumreiten, aber – wie machst du das? Oder ist deine Stimme wie guter Rotwein, der einfach mit der Zeit reift? Musst du viel dafür tun, wenn du im Studio die Songs einsingst?
Keine Ahnung, eigentlich mache ich nicht viel dafür. Ich habe vor einigen Jahren meine Gesangstechnik umgestellt, vielleicht liegt es daran. Ich konnte live nicht mehr so durchgehend ballern, das hat meine Stimme nicht mitgemacht. Dann habe ich angefangen, etwas tiefer zu singen, das hat kaum einer gemerkt, hat mir und meiner Stimme aber unheimlich geholfen. Und vielleicht liegt’s daran, dass ich nicht mehr Zigaretten inhaliere, sondern Zigarillos paffe. Das sieht zwar dämlich aus, aber scheiß doch der Hund drauf (lacht).

Auch wenn mir „Straight Out Of Hell“ ausgesprochen gut gefällt – zwei Kritikpunkte habe ich dennoch. Kritik eins: Das Cover sieht mal wieder sehr merkwürdig aus. Ich würde viel lieber die handgezeichneten Bilder aus früheren Zeiten sehen.
Ich auch, da gebe ich dir völlig Recht. Die Mehrheit in der Band möchte das aber so, also habe ich mich zu fügen. Solange nicht so etwas dabei rauskommt wie bei der Hasen-Platte („Rabbit Don’t Come Easy“, d. Verf.), was überhaupt nicht passt, füge ich mich da einigermaßen kritiklos. Ich hätte aber lieber auch etwas Handgemaltes. Unser letztes Cover, das ich richtig geil fand, war das von der „Better Than Raw“. Das ist eben der Haken an Demokratie (lacht).

Ok. Kritikpunkt zwei: Der Sound ist insgesamt extrem massiv, es knallt und zischt und kracht an allen Ecken, man hat das Gefühl, dass manchmal jedes kleine Loch noch mit Effekten, Keyboards oder Gitarren zugekleistert wird. Wäre da weniger nicht ein bisschen mehr? Vielleicht käme dann die Virtuosität insbesondere der beiden Gitarristen vielleicht noch ein bisschen besser zur Geltung.
Das empfinde ich nicht so, ich finde den Sound nicht zu überladen. Ich bin ja unter anderem auch großer Fan von QUEENSRYCHE, und ich finde solche Alben immer am spannendsten, bei denen man nach dem 10. oder 15. Durchgang noch neue Nuancen entdeckt.

Jedes eurer Alben hat – innerhalb des relativ begrenzten Klangkosmos einer Band wie HELLOWEEN – eine gewisse Ausrichtung, man könnte auch sagen Helligkeit. „The Dark Ride“ als düsteres Extrem, und vielleicht ist „Straight Out Of Hell“ das helle Gegenstück. Wird eine solche Entscheidung, wie das Album zu klingen hat, im Vorfeld getroffen oder entstehen die Stücke unabhängig voneinander, wird es erst im Studio zu einem einheitlichen Klangbild?
In diesem Fall war es nach der ersten Listening Session klar, dass wir in eine stark traditionelle HELLOWEEN-Richtung gehen wollen. Das erste Treffen fand vier bis fünf Monate vor dem Studiotermin statt, da haben wir uns unsere Songideen vorgespielt. Da zeigte sich, dass wir überwiegend positive Songs im typischen HELLOWEEN-Sound geschrieben hatten.

Zumindest, was die Musik angeht…
Ja, die Texte sind da ein wenig anders gelagert und kritischer. Aber das war ja schon zu ganz frühen Zeiten so, denk da nur mal an „I Want Out“ beispielsweise. Aber trotz der kritischen Lyrics beinhaltet das Album keine Schwarzmalerei. So schlimm es dann doch noch nicht. (lacht)
Helloween
HELLOWEEN bringen im Schnitt alle 2 bis 3 Jahre eine neue Scheibe raus, das heißt, anders als andere Bands legt ihr keine sonderlich langen Pausen ein. Wieso kommt ihr mit dem Tour-Album-Tour-Album-Rhythmus so gut klar, während andere von „Tretmühle“ sprechen?
Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Unser größter Vorteil ist wahrscheinlich, dass wir vier vollwertige Songwriter in der Band haben. Da haben wir grundsätzlich keine Probleme, ein gutes Album hinzubekommen. Versteh mich nicht falsch, es ist nicht einfach, ein gutes Album aufzunehmen. Man kann sich ja schnell verrennen in eine Idee. Man kann in eine bestimmte musikalische Richtung tendieren, und wenn das Album fertig ist, merkt man, dass die Fans gar nicht mehr das Interesse an dieser stilistischen Ausrichtung haben. Man lebt letztlich in schnelllebigen Zeiten, da kann so etwas leicht passieren. Wir haben uns bei den letzten drei Alben dazu entschlossen, auf unsere Trademarks zu setzen, trotzdem aber frisch zu klingen und auch neue Ideen zuzulassen. Wir trauen uns mittlerweile Sachen, die man sich früher nicht getraut hätte. Auch wenn man manchmal übers Ziel hinausschießt. Dann kriegt man eben die Quittung von den Fans, wie beispielsweise die alte Besetzung mit der „Chameleon“-Scheibe.

Ist die permanente Aktivität der Band der einzige Grund, warum es seit über 10 Jahren kein Soloalbum mehr von dir gegeben hat?
Wenn wir nicht im Studio oder auf Tour sind, heißt das ja nicht automatisch, dass man auf der faulen Haut liegt. Man nimmt Promo-Termine in der ganzen Welt wahr, man schreibt Songs und so weiter. Wenn man da noch ein Solo-Album dazwischen quetscht, kann das schnell in Stress ausarten. Ich arbeite aber dennoch jetzt gerade an meinem dritten Solo-Album, das ich mit einigen befreundeten Musikern von der Insel vorbereite.

Prima! Kannst du schon was über die musikalische Richtung verraten? Geht’s eher in die traditionelle Richtung von „Come In From The Rain“ oder wird’s moderner wie das zweite Album?
Die Melodien gehen in Richtung Solo-Debüt, aber der Gesamtsound ist deutlich härter und moderner. Auch wenn ich ein Metalhead bin, höre ich viel aus der modernen und harten Richtung.

Um noch mal auf deine treibende Kraft bezüglich der musikalischen Ausrichtung zu kommen – wie konnte Weiki eigentlich vor 20 Jahren so sicher sein, dass du nicht nur der passende Frontmann, sondern auch ein passender Songschreiber für die musikalische Ausrichtung sein konntest?
Ich weiß gar nicht, ob er sich da so sicher war. Wir waren – und sind – gute Kumpels, das war und ist die Hauptsache. Das ist doch das Tollste an einer Band, wenn man sagen kann, ich bin mit guten Freunden im Studio oder auf der Bühne, ich kann mit meinen Kumpels die Welt sehen. Und dieses Gefühl haben wir. Das ist auch wichtig, denn wir sind ja streckenweise länger mit der Band auf engstem Raum zusammen als mit unseren Familien. Ob letztlich jemand besser an der Gitarre ist oder besser singt, ist doch erst einmal zweitrangig.

Die derzeitige Besetzung ist ja diejenige, die am längsten hält, ohne dass Besetzungswechsel dazwischenkommen…
Stimmt, das sagt ja schon viel über die Bandchemie aus. Zurück zu deiner Frage, im Vordergrund stand damals, dass ich die Kiske-Songs singen kann, die die Band groß und erfolgreich gemacht haben, so etwas wie „Dr. Stein“ beispielsweise. Das Songwriting hätte ja notfalls noch von den anderen Bandmitgliedern abgefangen werden können. Es ist ja im Metalbereich so, dass du relativ einfach aus einer Balladen-Idee einen Speed-Metal-Song kreieren kannst oder umgekehrt, da hätte man mit bestehenden Songfragmenten schon was anfangen können.

Du hast ja jetzt Michael Kiske schon selbst erwähnt. Wie viele Interviews kannst du führen, ohne dass die Sprache auf deinen Vorgänger kommt?
Ach, so fifty-fifty vielleicht. In Deutschland gibt’s fast kein Interview, in dem man nicht über Michael Kiske spricht. Auf Europa bezogen vielleicht jedes dritte Interview, weltweit jedes vierte – geschätzt. In manchen Regionen wie Japan oder in Asien ganz allgemein ist das aber so gut wie nie ein Thema. 

Als du gesagt hast, du könntest dir vorstellen, für einige Konzerte Michael Kiske auf die Bühne zu holen und ihn die alten Keeper-Songs singen zu lassen, hast du ja den Stein selbst in Rollen gebracht. Entweder hast du ein schier gigantisches Selbstvertrauen, dass du dir das zutraust, neben Michael Kiske zu bestehen, oder du hast ein mehr als einhundertprozentiges Vertrauen in deine Bandkollegen, dass sie dir die Treue halten, denn aus wirtschaftlicher Sicht wäre doch eine Reunion mit Kiske ein sicherer Hauptgewinn.
In 2, 3 Ländern wäre das vermutlich so. Der Rest der Welt wartet aber nicht händeringend darauf. Mich persönlich interessiert vor allem eines: Was wollen die Leute vor der Bühne sehen und hören? Die sollen vor allem eine geile Party haben. Das Gefühl der Keeper-Phase kann ich natürlich nicht komplett rüberbringen, weil die Alben damals von Michael Kiske eingesungen wurden. Aber vielleicht klappt es ja bei einer der nächsten Tourneen, dass wir UNISONIC mitnehmen. Dann wäre ja nicht nur Michael Kiske dabei, sondern auch Kai Hansen. Besser ginge es doch nicht. Dann hätte ich auch kein Problem damit, mich in der Zeit, in der Michael singt, mit einer Gitarre im Hintergrund aufzuhalten.

Du hast es erwähnt, HELLOWEEN sind weltweit eine erfolgreiche Band, trotzdem hat man das Gefühl, dass euch in eurem Heimatland nicht so die Wertschätzung entgegengebracht wird, die ihr verdient hättet. Wie beurteilst du denn selber euren Status hierzulande?
Wir landen mit jeder Studioscheibe in den Top 20 oder Top 30. Das ist in Ordnung. In vielen anderen Ländern schaffen wir es in die Top 10, aber warum das so ist, kann ich nicht beurteilen. Ändern kann ich das jetzt auch nicht bewusst.

Wo läuft es denn derzeit besonders gut für euch?
Am konstant besten läuft’s für uns in Südamerika oder im asiatischen Bereich. Dort gibt es nicht solch ein Schubladendenken wie hierzulande. Wenn die Musik unter „Metal“ läuft, schaue ich es mir an.
Helloween Nabataea
Durch das Internet und viele andere Faktoren hat der Verkauf von CDs in den letzten Jahren ja permanent nachgelassen, rechnet sich das – rein wirtschaftlich betrachtet – überhaupt noch, neue CDs aufzunehmen?
Mit CD-Verkäufen kannst du wirklich kaum noch Geld verdienen. Wenn da am Ende mehr rauskommt als man an Vorschüssen bekommen hat, kann man schon eine Flasche köpfen. Was du wirtschaftlich kalkulieren kannst, ist die Welttournee, da hat man eine ungefähre Vorstellung, was reinkommt. Früher hast du Konzerte gespielt, um deine Plattenverkäufe anzukurbeln, heute nimmst du ein Album auf, um die Ticketverkäufe zu pushen.

Wo wir gerade beim Thema Geld sind, die letzte Frage: Andere Bands ziehen ihren Fans das Geld durch hochpreisige „VIP-Tickets“ oder besonders umfangreiche CD-Packages aus der Tasche – einfach verdiente Kohle. Ihr macht das nicht, und statt eine einfache Best-of-Scheibe zusammenzustellen, nehmt ihr die Songs gleich komplett neu auf und stellt bei den Arrangements alles auf den Kopf, so wie bei „Unarmed“. Ist das aus wirtschaftlicher Sicht nicht…
…blöd, ja (lacht). Das klingt jetzt doof, aber in der Hinsicht sind wir einfach Rocker und bleiben auch Rocker. Und wir sind schlechte Geschäftsleute, man kann uns ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Wir wollen letztlich nur Musik und Party machen und den Fans eine gute Zeit bescheren. Zum Glück haben wir ein Management, das uns manchmal in die Realität zurückholt. (lacht)

Dann entlasse ich dich jetzt mal in die Realität von Teneriffa und bedanke mich für das Interview und dass du dir so viel Zeit genommen hast.

Lothar Hausfeld (Info)
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