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Interview mit NANNA BARSLEV (14.04.2022)

NANNA BARSLEV

Als Musikerin blickt NANNA BARSLEV bereits auf einen weiten Weg zurück, der sie mit verschiedenen Bands u.a. auf Mittelalter-Märkte und Metal-Festivals geführt hat, doch erst im Frühjahr 2022 hat die Dänin ihr Debüt-Album "Lysbærer" vorgelegt. Auf selbigem zelebriert die stimmgewaltige Sängerin ihre persönliche Interpretation nordischen Folks, der sich an die heimischen Landschaften anzuschmiegen scheint. Die gefälligen Arrangements gründen auf mythischen und magischen Schriften, und verbinden Einflüsse alter Musik mit zeitgenössischer Folktronica auf ungezwungene Weise. "Lysbærer" erweist sich damit als facettenreiches Wohlfühl-Album für Freunde dieser Musikstile, und angesichts aktueller Krisen und Katastrophen mag lichte Musik manchem willkommen sein. Auch damit möchte sie Menschen ermutigen, ihre eigene Stimme zu finden, erklärt die u.a. als Gesangslehrerin aktive NANNA BARSLEV im Interview.

Hi Nanna, schön mit Dir zu sprechen! Bevor wir in das Gespräch einsteigen, möchte ich anmerken, wie seltsam es sich anfühlt, den Blick auf Musik zu lenken, während rund 2000 Kilometer östlich die Hölle ausgebrochen ist. Dennoch mag gerade Musik heilende Kräfte haben, und wenn wir dieser Tage etwas lernen, dann vor allem, dass wir Frieden nicht als selbstverständlich voraussetzen können. Umso dankbarer bin ich, hoffentlich einige Menschen auf Deine bewegende Musik aufmerksam machen zu können. Danke also für Deine Zeit und wie geht es Dir?

Schön, Dich zu treffen, Thor, und danke dir für dein Interesse an meiner Musik. Ja, dieser Tage sehen wir die Hölle auf Erden. Und ja, Musik ist immer noch wichtig. Sie ist eine Sprache, die über Ländergrenzen hinweg verstanden wird, und die vielen helfen mag, die eine Linderung ihrer Schmerzen oder einen Ausdruck für mit Worten unbeschreibliche Gefühle suchen.

Es ist bereits eine Weile her, seitdem ich auf das starke Asynje-Debüt-Album "Genkaldt" aufmerksam wurde und kurz darauf von Deiner Folk-Metal-Band Huldre erfuhr. Ich weiß also, dass Du eine gestandene Musikerin bist, doch ich kann mir ausmalen, dass die Geburt eines Solo-Albums ein ganz eigene Herausforderung und die Veröffentlichung von "Lysbærer" für Dich etwas Besonderes ist, denn es handelt sich quasi um Dein "Baby". Wird damit ein lange gehegter Traum letztlich wahr?

Das freut mich wirklich zu hören, dass du meine anderen Projekte wie Asynje und Huldre kennst. Und du hast in der Tat Recht, dass es sich um einen Traum handelt, der mich seit vielen Jahren begleitete. Ich habe mit fähigen Musikern zusammengespielt, doch nie den Mut gefunden, alleine mein Ding durchzuziehen. Letztlich habe ich doch die Kraft dazu gefunden und begonnen, alle Instrumente selbst einzuspielen. Und ganz recht, so ein Album zu veröffentlichen, kommt der Geburt eines Kindes ziemlich nahe, haha. Zusammen in einer Band zu spielen, hat ja auch etwas von einer Beziehung. Doch dieses Mal hatte ich die volle Kontrolle über alles, bin mit offenem Herz an die Kompositionen herangegangen, sowie mit der Energie, die ich zum Ausdruck bringen wollte. An meiner Seite war Produzentin Fieke Van den Hurk, die mir mit ihrer Intuition geholfen hat, der Musik genau diese Energie und dieses Leben einzuhauchen, so wie ich es geträumt hatte.

Wenn ich Deinen Liedern lausche, höre ich eine reife Sängerin mit einer kräftigen Stimme und einer beeindruckenden Bandbreite. Mit kindlicher Neugier im Gepäck interessiert mich, wie Du eine so versierte Sängerin geworden bist, die professionell klingt, ohne an Persönlichkeit einzubüßen?

Danke für deine netten Worte. Ich schätze, das hat viel damit zu tun, dass ich eine autodidaktische Sängerin bin, die sich nicht von irgendwelchen speziellen Techniken oder irgendjemand anderem vorschreiben lässt, in welche Richtung ich gesanglich zu gehen habe. Ich habe immer schon gerne improvisiert und ausprobiert, wohin ich mit meiner Stimme kommen kann bzw. wo meine Grenzen liegen, wenn ich mich an sehr hohe Rufe aus dem Gebirge oder an unterirdische Growls heranwage.
Im Kinderchor der Kirche hatte ich einst begonnen, Sopran zu singen, und das bildete quasi die Grundlage für meine Stimme. Als ich älter wurde, reifte die Neugier, und ich probierte mich ziemlich wild in verschiedenen Stilen aus. Lustigerweise wurde aus meinen langen blonden Haaren mit den süßen Locken ein wilder Lockenkopf, und dasselbe gilt wohl auch für meinen Gesang, haha. Denn so wie ich meinen Gesang entwickelte, so entwickelte sich auch meine Persönlichkeit vom Schüchternen zum eher Extrovertierten. Bereits als Kind habe ich mich mit der Natur und alten Energien verbunden gefühlt, und das spiegelt sich in meinem Gesang wider.
Ich möchte eine Geschichte erzählen, welche die Menschen tief bewegt, und möchte ihnen Landschaften nahebringen, und zwar näher als eine professionell ausgebildete Stimme. All diese Dinge fließen in meinem Stil zusammen.

Kannst Du Dich noch erinnern, wer Dir damals Mut gemacht hat, eine Sängerin zu werden? Und wie oft kommt es vor, dass Du merkst, dass Du andere inspirierst, ihre Talente zu entdecken?

Ja, daran erinnere ich mich, und ich kann einigen meiner ersten Lehrer und meinen Eltern danken. Mit fünf Jahren begann ich im heimischen Wohnzimmer, auf einer Kirchenorgel zu spielen und dabei Psalme zu singen. Damals war ich ein wirklich schüchternes Kind, das stotterte und wenig sprach. In der Schule sollte ich dann bereits in einer der ersten Klassen ein Solo in einem dänischen Stück singen. Ich nahm meinen Mut zusammen und habe es gemacht, und jeder war überrascht, dass ich singen konnte, haha. Damals fand ich also heraus, dass ich mich mit Gesang ausdrücken konnte, und meine Eltern unterstützen mich dabei.
Vor allem von Frauen bekomme ich oft zu hören, dass mein Gesang sie bewegt, als ob eine alte Kraft in ihnen geweckt würde. Ich gebe privaten Gesangsunterricht und biete auch Kurse an. Ich habe eine Methode entwickelt, um nordische Gesangstechniken durch Schamanismus und das Spiel mit verschiedenen Archetypen zu erlernen. Dabei geht es darum, Menschen zu helfen, ihre eigene Stimme zu finden.

Bislang weiß ich im Detail nicht so viel über die Unterstützung durch andere Musiker, doch alles in allem klingt "Lysbærer" sehr schlüssig, und in einer warmen wie dynamischen Produktion hat alles Hand und Fuß, wobei die Naturgeräusche zum "wyrd" Charakter beitragen. Wer hat Dir dabei geholfen?

Danke dir für deine Worte. Die Lieder habe ich in meinem Wohnzimmer komponiert mit einem Loop Pedal an der Moraharpa, dem Isländischen Langspil, der Tagelharpa, der Bodhran in Kombination mit den Naturklängen und allen Gesangsspuren.
Von Anfang an hatte ich eine klare Vorstellung von der Energie, die ich kanalisieren wollte, und von den Gefühlen und Themen, die ich in meiner Musik behandele, die von der alten Zeit und den Naturgeistern inspiriert sind. Die endgültigen Aufnahmen habe ich im Dearworldstudio von Fieke van den Hurk gemacht. Sie half mir dabei, alles zusammenzufügen und brachte sich dabei mit zusätzlichen Beats und Sounds, u.a. vom Akkordion und Keyboard, ein. Damit schuf Fieke ein Klanggewand, das sowohl modern wie uralt klingt und die Stimmung perfekt ummantelt.
Zudem haben wir Lies Sommer eingeladen, die auch in den Niederlanden lebt, und die für einige Lieder die Drehleier und Harfe eingespielt hat. Ich kenne Lies bereits seit vielen Jahren und es war wundervoll, endlich mit ihr im Studio zusammen aufnehmen zu können, denn sie leistete Phantastisches, und überhaupt war es eine phantastische, spirituelle Zeit in Fiekes Studio.

Dank meinen Eltern verbrachte ich als Kind zahlreiche Sommerurlaube in Dänemark, und Ausflüge nach Roskilde, Lejre, Trelleborg und an andere Orte trugen zu meiner Faszination für die Nordische Geschichte der Wikingerzeit und früherer Epochen bei. Deine Musik reflektiert für mich die Stimmung dieser Orte sehr ansprechend, wobei vor meinem inneren Auge oft das im Wind wehende Gras unter einem weiten Himmel auftaucht. Heute besteht natürlich die Gefahr, ein zu romantisches Bild der Wikingerzeit zu malen, vor allem angesichts fragwürdiger Filme und Serien. Würdest Du Deine Musik als Nordisch oder sogar als spezifisch Dänisch beschreiben und Deine Hörer auf besondere Weise inspirieren wollen?

Das klingt nach schönen Erinnerungen an diese Orte. Ich bin tatsächlich in der Nähe von Lejre und Roskilde aufgewachsen, und meine Eltern haben mich oft an diese Orte mitgenommen und mein Interesse an Grabhügeln, Steinkreisen und ähnlichem geweckt. In Lejre habe ich viele Jahre als Managerin für kulturelles Erbe gearbeitet. Das Video für meine erste Single "Skelfr Yggdrasil" wurde übrigens in Trelleborg aufgenommen, und diese von dir genannten Orte beherbergen eine Menge unterschiedlicher Energien aus alter Zeit. Als Kind begriff ich nie, dass die historischen Fakten vor allem mit Kriegen und Macht zusammenhingen, während ich eine andere Energie an solchen Orten wahrnahm.
Ich weiß, worauf du im Zusammenhang mit den modernen Filmen anspielst. Mit meiner Ausbildung als Managerin für kulturelles Erbe und der darauf fußenden Interpretation alter Legenden sehe ich diese Filme oft mit einer gewissen Irritation.
Ob meine Musik nun spezifisch Dänisch ist, weiß ich nicht, und ich möchte das auch nicht beurteilen, haha. Allerdings ziehe ich durchaus Kraft aus meiner Umgebung. Ich lebe in nächster Nähe zum Wald, mit einer Quelle und einem Steinkreis in meinem Garten, und all das inspiriert mich jeden Tag aufs Neue. Mit meiner Musik möchte ich diese Natur und die seit Urzeiten in ihr wohnenden Kräfte vermitteln und die Menschen ermutigen, rauszugehen, ihre eigenen Umgebungen zu erkunden und nach Orten Ausschau zu halten, an denen sie sich mit der Natur und der Vergangenheit verbunden fühlen können.

Der Albumtitel heißt "Lichtbringer", und das ist u.a. eine Bezeichnung für Luzifer. Symbolisch gesehen, ermöglicht uns das Licht, (besser) zu sehen, und die Freiheit, die das Licht der Aufklärung mit sich bringt, geht mit Verantwortung einher, nicht die Schatten zu ignorieren, und zwar im Inneren wie im Äußeren. Doch das mögen bereits Gedankenspiele sein, die ein bisschen zu weit gehen und Deine Ideen vom "Lichtbringer" sind ganz andere?

Ich habe wirklich erst später herausgefunden, dass "Lysbærer" ein Synonym für Luzifer ist. Wie du sagst, bezieht sich der Titel eher auf das Licht einer Fackel oder einer Kerze, die das Dunkel erhellen und auch die Schatten unserer Seelen ans Licht bringen, und die es zu heilen gilt. Ferner geht es um Licht und Dunkelheit als Dualität, um den Kreislauf von Leben und Tod, Sonne und Mond, und darum, wie Phönix aus dem Dunkel zu steigen.

Die Promo-Email für Dein Album enthielt folgendes Zitat von Dir: "In unserer modernen Gesellschaft, und vor allem hier im Norden, werden wir dazu erzogen, stets mit Frieden und Harmonie zu reagieren. Oft fühlen wir uns schuldig, wenn wir dem Ärger anderer Menschen begegnen, oder Ärger in uns selbst fühlen und zum Ausdruck bringen. Doch Ärger ist ein menschlicher Instinkt, und es mag nicht gerade gesund sein, ihn stets zurückzuhalten." Nicht nur als Sozialarbeiter überrascht mich solch ein psychologischer Ratschlag in einer Werbe-Email, wobei ich zustimme, dass sich Authentizität auf lange Sicht bewährt. Doch welche Erfahrung, vielleicht auch im Zusammenhang mit Musik, lässt Dich solche Zeilen schreiben?

Haha, ja, das war mein Statement für den Song "Mod Vrede", also "Gegen den Ärger". Dabei handelt es sich um einen alten dänischen Zauberspruch, für den ich eine Melodie geschrieben habe, und natürlich gibt es dahinter auch eine Geschichte: Ich bin eine sensible Person, und die Angst vor Ärger ist ein Thema, das mich mein Leben lang als Mensch und folglich auch als Musikerin betrifft. Manchmal beeinflusst es meine Entscheidungen. Mich dem Ärger anderer Menschen zu stellen, hilft mir, diesen Ärger nicht in mich eindringen zu lassen und auch gewisse Hürden zu überwinden. Als ich selbst Ärger in mir fühlte, habe ich eine ganze Reihe alter Songs komponiert, um den Ärger nach außen zu bringen, und das hat mich selbst stärker gemacht.

Was sind Deine nächsten Ziele als Solo-Künstlerin?

Momentan bin ich dabei, eine Live-Band zusammenzustellen und Konzerte zu planen. Und außerdem habe ich bereits einige neue Kompositionen in meinem Kopf, haha. Wann immer ich in den Wald gehe, finde ich dort etwas Inspirierendes und summe eine neue Melodie vor mich hin, wobei ich nicht weiß, wohin mich diese führen wird. Wie ich bereits erwähnte, arbeite ich als Managerin für Natur und kulturelles Erbe, und ich plane verschiedene Events, Ausstellungen und Workshops. Alles, was ich mache, ist wie ein Baum mit verschiedenen Zweigen, welche die Themengebiete Geschichte, Folklore, Natur, Musik und Spiritualität berühren.

Was hast Du seit dem Beginn der Covid-Krise gelernt und inwiefern hat es Deine Musik berührt bzw. den Wert des Musik-Machens vielleicht verändert?

Ich schätze, es war eine harte Zeit für Musiker, die für viele andere wie für mich bedeutete, dass wir unsere Konzerte absagen mussten. Weil ich mein Album in den Niederlanden aufnahm und es immer wieder zu Reisebeschränkungen kam, hatte ich Probleme, die Arbeit an meinem Album abzuschließen. Doch ich nutzte die Zeit, um stattdessen neue Lieder zu komponieren, um runterzukommen und zu genießen, dass die Welt und die Natur nicht so gehetzt sind.

Danke, Nanna, dass Du uns mit Deiner Musik und den sie umgebenden Ideen erhellst. Ich wünsche Dir das Beste für hoffentlich viele Konzerte in nicht allzu ferner Zukunft und mögen Deine Schutzgeister immer nahebei sein!

Danke dir für dein Interesse an meiner Musik und die sehr interessanten Fragen, die mich tiefer über einige Dinge nachdenken ließen. Und danke auch, dass du die Intention dieses Albums verstanden hast. Ich hoffe, wir sehen uns auf einem Konzert. Viele Grüße aus Dänemark!

Thor Joakimsson (Info)
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