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Interview mit WHITE MANTIS (24.11.2019)
Auf dem "Post Apocalyptic Highway" knüppeln sich die Münchener Thrash-Metal-Heads WHITE MANTIS souverän durch eine düstere Zukunft. Dabei reichern sie das ungestüm nach vorn Preschende der Bay Area in den Achtzigern mit dem Herablassenden des Black Thrash der 2000er, sowie mit der Spielfreude einiger progessiver Wegbereiter an. Sieben Jahre nach Bandgründung und fünf Jahre nach dem ersten "Fukkin‘ Demo" legte das Quartett kürzlich sein Debüt-Langspielalbum "Sacrifice Your Future" vor, das Kollege Andreas in seiner Rezension als "überdurchschnittliche Thrash-Newcomer-Platte mit herrlich hibbeligem Vorwärtsdrang (und) halsbrecherischen Riffs und Solos" anpries, und das auch Felix Patzig im Deaf Forever zu der Feststellung hinriss, dass diese "Jungs beständig kurz vor der Explosion" stünden, und sich "hoffentlich nicht weiterentwickeln". Ob sich Schlagzeuger Thomas Taube über diese ungewöhnliche Bitte so sehr den Kopf zerbrach, dass er dieses Interview nach allen Regeln der Kunst verdrängte, können wir nur erahnen. Doch Ende gut, Apokalypse gut. Bassist Jan Strobl stand uns ebenfalls Rede und Antwort.
Erstmal fetten Glückwunsch zu einem Langspiel-Debüt, das mit zehn Songs aufwartet, die sicher nicht nur mich an die eigene Jugend erinnern und arg durchschütteln. „Sacrifice Your Future“ hätte rein musikalisch auch vor einem Vierteljahrhundert erscheinen können, klingt jedoch auch dieser Tage sehr frisch, also keineswegs nostalgisch-melancholisch. Seid Ihr glücklich mit dem Endergebnis, dessen Veröffentlichung als Shape-Picture-Disc in Form eines Kreissäge-Blatts keinesfalls sinnfrei wäre?
Jan: Vielen Dank für das positive Feedback. Es freut uns zu hören, wenn sich all die Arbeit, die hinter diesem Album steckt, gelohnt hat. Wir sind mehr als zufrieden mit dem Endergebnis. Da der Prozess des Songwritings, die Aufnahme der einzelnen Instrumente und die Gestaltung des Booklets uns eine ganze Weile begleitet hat, sind wir in gewisser Weise in das Album hinein gewachsen. Wir betrachten es ganz anders als der Zuhörer oder Musikjournalist, der nur das finale Produkt zu hören und sehen bekommt, ohne den dahinter stehenden audiovisuellen Prozess der Veränderung zu kennen. Zwischen den ersten Ideen und dem fertigen Album ist jede Menge passiert, sei es durch Line-Up Wechsel, Arrangements im Songwriting, verschiedene Ideen der Booklet-Gestaltung etc. Da jedoch am Ende der gesamte kreative Schaffensprozess des Albums eine demokratische Angelegenheit war und jeder in der Band seine Einwände und Verbesserungsvorschläge vorgebracht hat, können wir zu Recht behaupten, dass wir sehr stolz auf das Resultat sind!
Metallische Eingängigkeit steht bei Euch nicht im Widerspruch zu Songstrukturen, denen anzuhören ist, dass Ihr ein bisschen Zeit in sie investiert habt - und sie mit viel Spaß in den Backen zockt. Wie funktioniert bei Euch die Qualitätskontrolle? Die Aufnahmen klingen so, als ob Ihr sie recht konsequent durchziehen konntet. Wie gut vorbereitet seid Ihr daran gegangen und was ergab sich noch spontan?
Jan: Da es sich um unser Debütalbum handelt, hatten wir keinen Zeitdruck und konnten unseren Ideen fürs Songwriting freien Lauf lassen und am Arrangement der Songs so lange arbeiten, bis die letzten Zweifel beseitigt waren. Einige Ideen, die auf der finalen Scheibe zu hören sind, haben sich erst während der Vorproduktion, aber auch noch Laufe der finalen Aufnahmen entwickelt. Ich denke, das ist ein natürlicher Prozess, der sich bei vielen Bands ganz automatisch ergibt. Eine echte Qualitätskontrolle gibt es nicht, wir feilen einfach solange an den Songs, bis sich das Resultat in unseren Ohren perfekt anhört und uns absolut zufrieden stellt. So kann es schon mal passieren, dass ein Song, der quasi schon fertig war, nach ein paar Tagen Abstand und Testaufnahmen nochmal kritisch auseinander genommen wird und Teile komplett gestrichen oder umarrangiert werden.
Auch ist durch den Line-Up-Wechsel nochmal frischer Wind in den Aufnahmeprozess geflossen. Die neuen Musiker haben durch ihren Stil das finale Resultat definitiv beeinflusst. Die Songs des Albums hätten mit unserem alten Drummer sicherlich ganz anders geklungen und weniger Assoziationen zu diversen Thrash-Heroes der Achtziger zugelassen. Somit ist auch der "Punch" ein Resultat des neuen Line-Ups. Grundsätzlich sind wir aber sehr gut vorbereitet an die Aufnahmen gegangen und haben bereits im Vorfeld viel Schweiß und Bemühungen investiert, um unsere spielerischen Fähigkeiten und die Tightness zu verbessern.
Ich finde das Klangbild ziemlich gelungen, weil differenziert und kraftvoll, vor allem das Schlagzeug trumpft hier und da mit unwiderstehlichem Punch auf, und überhaupt klingt "Sacrifice Your Future" mitreißend frisch. Ist das einer der Vorteile unserer Zeit, sich so etwas Gediegenes auch als relativ kleine Band "leisten" zu können?
Thomas: Danke für das Kompliment! Wir habe das Album in meinem eigenen Studio, dem Five Lakes Studio in der Nähe von München, aufgenommen, gemischt und gemastert. Daher waren die Aufnahmen sehr entspannt und wir hatten den oben schon erwähnten zeitlichen Luxus.
Unser Leser Hendrik kommentierte unter Andreas Schiffmanns Rezension: "Warum nur ist bei modernen Thrashern immer der Gesang so beschissen? Weil die früher auch so dünn gekräht haben? Merkt keiner, dass die alten Bands das heute aus gutem Grund nicht mehr machen?" Bekommt Ihr solcherlei Einwände immer mal wieder zu hören bzw. zu lesen? Oder macht es auch ein bisschen stolz, eben nicht jedem zu gefallen...?
Jan: Das ist absolute Geschmackssache und ehrlich gesagt völlig irrelevant für uns. Letztendlich zählt nur die Musik bzw. die Freiheit der Kunst und nicht der Ruf eines Genres oder das Wohlgefallen der Massen. Natürlich ist uns bewusst, dass es Leute gibt, die vielleicht nichts mit unserem Gesang anfangen können. Kritiker wird es immer geben, aber solange wir selbst unsere größten Kritiker sind, kann uns die Meinung anderer nicht aus der Fassung bringen. Das hat auch nichts mit Stolz oder Arroganz zu tun. Im Gegenteil, es ist ein langer und steiniger Weg, an den Punkt zu kommen, wo das eigene Ego oder der Ruf innerhalb einer gewissen Szene keine große Rolle mehr spielt.
Thomas, wie ist es für Dich, die Musik der eigenen Band im heimischen Studio nachzubearbeiten? Wie gelingt es Dir, so etwas wie halbwegs professionellen Abstand herzustellen, oder ist das ohnehin nicht vorgesehen?
Thomas: Ich glaube jeder Tonstudio-Betreiber, der seine eigene Band produziert, kennt das Problem. Es ist sehr schwierig, objektiv zu sein und zu einem Ende zu kommen. Ich bin da meinen Bandkollegen sehr dankbar, die ab einem Gewissen Punkt den Prozess für beendet erklärt haben, haha...
Beim Blick auf Eure Bandcamp-Seite fiel mir auf, dass Ihr aktuell tatsächlich nur Musik anbietet - und (noch) kein Merch. Eine Band, der es um Musik geht - ja, wo gibt es denn sowas?
Jan: Demut und Bescheidenheit sind wichtige Tugenden im Leben, auch für den gemeinen Thrasher, haha! Wir sehen keinen Sinn darin, Merch im großen Stil zu vertreiben. Wenn eine Band für sich entscheidet, hunderte von Fanartikeln anzubieten, dann ist es deren gutes Recht, das auch zu tun. Durch ein übersteigertes Produktangebot gerät, unserer Ansicht nach, die Musik ein wenig aus dem Fokus und die Band wird eher als Marke wahrgenommen. Wie schon weiter oben angedeutet, ist es nicht unser Ziel, durch einen gewissen Ruf oder unnötige Aktionen auf uns aufmerksam zu machen, sondern einzig und allein die Musik als künstlerisches Opus für sich sprechen zu lassen.
Aber um Dir ein wenig die Verwunderung zu nehmen: Eine geringe Menge Merch gibt es schon von uns, allerdings bisher nur in kleineren Auflagen. Wir haben dies in der Vergangenheit nur live angeboten und es einfach noch nicht geschafft, das auch in den sozialen Medien zu bewerben. Das sollte aber in Kürze behoben sein. Wir arbeiten ausserdem gerade am Design für ein neues Shirt.
Mich haben unlängst Pripjat und Accu§er mit ihren aktuellen Aufnahmen überrascht und begeistert. Welche deutschen Thrash-Produktionen haben Dich (Euch) zuletzt beeindruckt?
Jan: Diese Frage kann ich leider nicht im Namen von WHITE MANTIS beantworten. Die Musikgeschmäcker von uns Bandmitgliedern sind sehr unterschiedlich und nicht unbedingt nur im Thrash-Metal anzusiedeln.
Als ich mir kürzlich die Neuauflage von "Coma Of Souls" zulegte und mich erinnerte, wie ich mir als Teenie den Nacken beim Headbangen ausrenkte, tauchte die Frage auf, wo die Zeit geblieben ist und ob wir Metal-Heads halbwegs würdevoll altern, oder ob wir nicht doch auch ziemlich plumpe Gestalten sind, die sich um wichtige Themen zu wenig kümmern, weil wir eben doch vor allem Metal hören und uns damit beschäftigen. Oder gibt es hinter dem post apocalyptic thrash doch einen tieferen Sinn?
Jan: Diese Frage ist wiederum eine sehr individuelle Frage und kann nicht unmittelbar im Namen von WHITE MANTIS beantwortet werden. Ob der ein oder andere Metal-Head würdevoll altert oder doch eher den Großteil seines Lebens plump bleibt, ist mit Sicherheit nicht abhängig von seinem Musikgeschmack! Das hängt vielmehr von unterschiedlichen Faktoren ab. Die Frage ist doch, was jeder einzelne bereit ist zu tun, um sich weiter zu entwickeln? Wer sich wohl fühlt im Teenie-Headbang-Modus und seinem Leben dem Alkohol und Easy-Going-Lifestyle widmet, der wird diese Frage recht schnell und vor allem anders beantworten als ein gealterter Metal-Head, der eventuell zwischenzeitlich zu einem Familienvater geworden ist oder einen verantwortungsvollen Job übernommen hat. Letzteres steht nicht unbedingt im Widerspruch zum rebellischen Metal-Lifestyle, denn nicht jeder verantwortungsvolle Job bedeutet gleichsam Spießigkeit im Sinne eines Sakkoträgers (Bänker, Manager, Politiker etc.). Auch ein Musiker oder Audio-Ingenieur in einem professionellen Tonstudio hat einen sehr verantwortungsvollen Job und muss am Ende jeden Tages eine bestimmte Leistung erfüllen. Nur die allerwenigsten Metal-Heads werden von ihrem Musikgeschmack leben können, also muss sich hier jeder selbst fragen, wo er persönlich die Grenze aus Wunschdenken und Realität setzt. Hinzu kommt auch der Faktor, ob man sich lieber durch Musik und Fernsehen berieseln lässt und unzählige Abende in einem eher passiven Modus verbringt, oder ob man eher ein Macher ist und seine Zeit lieber mit Aneignung von neuem Wissen verbringt. Nur wenige schaffen es, sich kritisch mit sich selbst auseinander zu setzen und ihr eigenes Wesen zu verstehen, kontrollieren und einsetzen zu können.
Aber ganz allgemein kann man sagen: Nur weil sich der ein oder andere Metal-Head vielleicht nicht so intensiv mit den gängigen politischen Themen auseinandersetzt (Politik, Krieg, Wirtschaft etc.), bedeutet das noch lange nicht, dass man eine plumpe Gestalt ist! Die Welt hat schließlich ein bisschen mehr zu bieten als das, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen und was uns andere für die ultimative Wahrheit verkaufen wollen.
Es mag vielleicht nicht offensichtlich erscheinen, doch Eure Musik hat mich tatsächlich an Depressive Age erinnert, die neben den frühen Skyclad bis heute meine liebsten Thrasher sind bzw. waren. Bei welchen Alben könnt Ihr die eine oder andere Träne nicht verdrücken?
Jan: Echt? Das ist ja interessant, da ich tatsächlich selbst die "Lying in Wait" von Depressive Age besitze, aber leider nicht wirklich einen musikalischen Zusammenhang erkennen kann. Depressive Age hatten ja immer diesen Clean-Gesang und experimentierten viel mit Alternative-Elementen. Auch sphärische Parts spielten bei denen immer eine große Rolle. Das sind jetzt nicht unbedingt viele Gemeinsamkeiten zwischen Depressive Age und WHITE MANTIS. Aber falls Du auf eine mögliche Parallele hinsichtlich Experimentierfreudigkeit anspielen willst, dann muss ich Dich ebenfalls enttäuschen. WHITE MANTIS werden sicherlich niemals in die Alternative-Ecke gehen, ganz im Gegenteil: durch das neue Line-Up wird der Sound sicherlich noch ein bisschen an Härte hinzugewinnen.
Mir kam vor allem das schmissige Debüt "First Depression" in den Sinn. Ihr habt vor einer Weile im Hexenhaus (toller Name!) in Ulm gezockt und sucht aktuell Gigs, oder? Was braucht es, damit Ihr Euch auf den Weg macht, um in der Ferne den Knüppel aus dem Sack zu lassen?
Jan: Wir freuen uns selbstverständlich immer über seriöse Auftrittsangebote aus Nah und Fern, allerdings achten wir schon darauf, an einem bestimmten Ort nicht über-präsent zu sein. Da unsere Anzahl an jährlichen Gigs grundsätzlich beschränkt ist und sich dies aufgrund unserer Privatleben auch nicht anders regeln lässt, suchen wir eher nach ausgewählten Gigs und nicht nach einem schnellen Lückenfüller. Konzerte sind zwar einerseits eine feine Sache, um den Zuhörern den eigenen Sound brachial um die Ohren zu ballern, denn Thrash-Metal ist nunmal ein Sound, der unbedingt auch live gespielt werden muss. Andererseits erfordern Konzerte aber auch immer einen massiven Zeitanspruch, denn neben der Fahrerei kommen ja auch zusätzliche Proben im Vorfeld hinzu. Bei zu vielen Konzerten geht das leider auch immer auf Kosten vom Songwriting. Somit versuchen wir, ein gesundes Gleichgewicht zu halten und uns nicht als andauernde Live-Band zu etablieren.
Live-Photos gestohlen von WHITE MANTIS' Fratzenbuch-Seite.
- White Mantis - Sacrifice Your Future (2019)
- White Mantis - Iron Curse (2022)