Partner
Services
Statistiken
Wir
Gavin Harrison: Cheating The Polygraph (Review)
Artist: | Gavin Harrison |
|
Album: | Cheating The Polygraph |
|
Medium: | CD | |
Stil: | Big Band / Progressive |
|
Label: | Kscope | |
Spieldauer: | 48:15 | |
Erschienen: | 13.04.2015 | |
Website: | [Link] |
Man könnte diese Kritik damit beginnen, dass ganz Progrockland von Steven Wilsons Soloalben besetzt sei, um dann zu monieren: Ganz Progrockland? Nein! Denn ein von unbeugsamen Gavins bevölkertes Dorf höre nicht auf, an die guten alten Zeiten zu erinnern, indem es nun alte Porcupine-Tree-Songs aufwärme und gezielt Sehnsüchte bei jenen wecke, die der Besatzung skeptisch gegenüberstehen. Ausgerechnet gerade dann, als Wilsons „Hand. Cannot. Erase“ gerade erschienen ist.
Alleine träfe eine solche Einleitung nicht des Pudels Kern, denn einmal in das Eigencover-Album des ehemaligen PT-Drummers hineingelauscht, wird nach Sekunden klar: PORCUPINE TREE sind meilenweit entfernt. Harrison lässt wenig mehr als die Songtitel übrig und wendet sich einer umwälzenden Renovierung zu, die als solche noch viel zu weich umschrieben ist.
Vorab: Die Songauswahl ist interessant und teilweise ungewöhnlich, entspricht aber wohl keiner besonderen Logik, abgesehen davon, dass sie zu den persönlichen Favoriten des Bandchefs gehören. Und „Bandchef“ muss es hier fürwahr heißen, denn „Cheating The Polygraph“ ist nicht einfach nur ein Coveralbum, es ist eine Big-Band-Platte und somit ein echtes Experiment für Harrison als auch die Erfüllung eigener Vorlieben. Zwar hat er unter anderem im KING-CRIMSON-Umfeld und an der Seite von Ø5Ric schon einige Erfahrung im weiteren Fusion- und Jazz-Bereich gewonnen, dies ist aber nach vorliegendem Kenntnisstand die erste reinrassige Big-Band-Platte des Briten.
Es geht also um die Überführung vorwiegend modern orientierter Originale – es wird nur die Phase „Lightbulb Sun“ bis „Fear Of A Blank Planet“ abgedeckt – in ein traditionelles Gewand, es findet demnach sozusagen eine doppelte Verneinung der Progressivität statt. Darüber hinaus steht eine weitere Herausforderung in Form von vier Medleys im Raum, in denen Songs fusioniert werden, die in Sachen Tempo und Aufbau auf den ersten Blick unvereinbar erscheinen.
Schon die wuselige Eröffnung von „What Happens Now“ macht deutlich, dass die Brass-Sektion eine hohe Relevanz genießt. Der ursprünglich von der „Nil Recurring“-EP stammende Titel lebt von seinem ruhelosen elektronischen Hintergrund und den verzerrten Rhythmusgitarren. Wenn Harrison diese synthetischen Hintergründe nun praktisch „handgemacht“ mit Bläsern nachbilden lässt, die sozusagen miteinander Bockspringen praktizieren, klingt das einerseits ziemlich umständlich, andererseits aber auch gerade deswegen sehr charmant – und eben so eigenständig, dass der Cover-Hintergrund nicht unbedingt ersichtlich ist. Im späteren Verlauf des Stücks tritt Harrison selbst mit seinem typisch organischen Schlagzeugspiel auch deutlicher in Aktion und erweist sich im Kontext des hier gewählten Stils als Freund großer Dramatik.
Spätestens auf „Sound Of Muzak / So Called Friend“ drängt sich dann der Vergleich mit PANZERBALLETT auf. Metal ist hier zwar nicht zu erwarten, der Umgang mit den Originalen folgt aber einer ähnlichen Logik (vermutlich ist es in beiden Fällen die ZAPPA-Logik) wie die des Jan-Zehrfeld-Ensembles, das sich allerdings vorwiegend Popkulturelles zur Brust nimmt, wohingegen Harrison in der beengenden Situation steckt, Sounds und Stimmungen finden zu müssen, die nicht bereits von PORCUPINE TREE selbst angerissen wurden. Was ihm aber erstaunlich gut gelingt - vermutlich zahlt sich jetzt aus, dass man als Musiker unter Steven Wilson nicht allzu tief im Songwriting involviert ist und somit eine gewisse Distanz zum Songmaterial bewahrt.
„Start Of Something Beautiful“ ist alleine wegen Colin Edwins Basslinie unverwechselbar; Laurence Cottle (BILL BRUFORD’S EARTHWORKS) tut einen Teufel, am Leitmotiv etwas zu verändern. Die Bastelei findet eher dazwischen statt, beispielsweise in den Flöten-Intermezzi, die vollkommen dazugedichtet sind. Den insgesamt getragenen Flow löst Harrison wiederum mit schnell aufeinander folgenden Wirbeln und ansteigender Intensität der Bläser auf.
Beim folgenden „In Absentia“-Medley aus „Heartattack In A Layby“ und „The Creator Has A Mastertape“ gestaltet es sich schwierig, letzteren Bestandteil auszumachen. Sein Motiv dient zwar als Einleitung, muss aber offenbar ansonsten mühsam in einer Detailanalyse der Rhythmussektion herausgearbeitet werden. Auch der in der Ursprungsfassung so depressiv-aggressiv klingende Mittelteil von „Anesthetize“ wird völlig dekonstruiert und klingt nach einer legoartigen Neuzusammensetzung wie ein pompöses Disney-Musical mit einem Schlag ins Bizarre. Als Höhepunkt kann man hingegen wohl die Symbiose aus „Hatesong“ und „Halo“ bezeichnen. Hier greift sich Harrison den schwelenden Aufbau des einen, um irgendwie ins Tanzbar-Rockige des anderen überzuleiten und wieder zurück. Ganz große Nummer.
Umstände wie diese sorgen für einen beachtlichen Langhaltswert, denn das Album ist durchweg extrem verspielt und voller kleiner Raffinessen. Praktisch jedes Stück, das schließt auch die beiden noch unerwähnten mit ein, wirft neue Elemente in den Topf. Harrisons Variabilität nimmt nie gekannte Ausmaße an, wahrscheinlich hat man noch nie so viele seiner Facetten auf einem Album vereint gefunden. Das gilt auch für seine Mitstreiter.
FAZIT: Extrem ambitionierte Experimentalkiste, die von Harrison selbst sowie seinen Mitstreitern herausragend umgesetzt wird, ohne in die Wiederkäuerfalle zu treten, ja sie auch nur am Horizont zu sichten. Ein großes Aber: Der Genuss von „Cheating The Polygraph“ ist hochgradig abhängig von der eigenen aktuellen Stimmung, denn wenn man nicht gerade hundertprozentig Bock drauf hat, besteht hohe Nervgefahr, was im vorliegenden Fall zum Teil zu Wertungsdiskrepanzen zwischen 5/15 und 14/15 führte. Dennoch Chapeau, ein PORCUPINE-TREE-Cover kann man auch sehr einfach verhunzen, wohl gerade dann, wenn man selbst mal zu PORCUPINE TREE gehört hat. Eier hat der Mann jedenfalls mal wieder bewiesen.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- What Happens Now?
- Sound Of Muzak / So Called Friend
- The Start Of Something Beautiful
- Heartattack In A Layby / The Creator Had A Mastertape
- The Pills I'm Taking (from Anesthetize)
- Hatesong / Halo
- Cheating The Polygraph / Mother & Child Divided
- Futile
- Bass - Laurence Cottle
- Keys - Dave Stewart, Gary Sanctuary
- Schlagzeug - Gavin Harrison
- Sonstige - Nigel Hitchcock (Saxophon)
- Cheating The Polygraph (2015) - 10/15 Punkten
-
keine Interviews
Kommentare | |
Hugo
gepostet am: 06.04.2015 |
Nur mal so nebenbei: Wer ist Garrison?
Wer solche Artikel verfasst, sollte wenigstens den Namen des Musikers richtig schreiben! |
Sascha G. [Musikreviews.de]
gepostet am: 07.04.2015 |
Wohl nie South Park geguckt, was?
Im Ernst, danke für den Hinweis, nur manchmal würde ich mir wünschen, sowas geschähe in einem weniger ätzenden Tonfall. Ist ja nun nicht so, dass ich den Namen in der kompletten Kritik chronisch falsch geschrieben hätte... |