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Lakiko: What To Do, How To Live? (Review)
Artist: | Lakiko |
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Album: | What To Do, How To Live? |
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Medium: | CD | |
Stil: | Progressive Cello-Weltmusik |
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Label: | TOURBOmusic | |
Spieldauer: | 42:31 | |
Erschienen: | 14.04.2023 | |
Website: | [Link] |
„LAKIKOs Musik gleicht einer musikalischen Gehirnwäsche, die Augen und Ohren neu programmiert, die einen experimentellen Film vor dem inneren Auge abspielt und die Zuhörer in einem Zustand der bittersüßen Melancholie nach Hause schickt.“ (Als der Kritiker diese Zeilen des Promo-Schreibens vorm Hören des Albums las, dachte er: „Au weia, was für eine Übertreibung!“ Nachdem er das Album gehört hatte, musste er unumwunden zugeben, dass jedes dieser Worte zutreffend ist!)
Musik in Zeiten des Krieges – sie kann so hilfreich sein, so traurig, so emotional, so beruhigend, aber auch beängstigend. Wenn eine Musikerin zudem aus einem Nachkriegsgebiet (Bosnien Herzegowina) kommt und ihre Eindrücke wie im Falle von LAKIKO aka Lana Kostic unmittelbar in ihre Songs einfließen lässt, dann kann man sich dieser intensiven Aura einfach nicht entziehen. Noch dazu, wenn neben der Stimme auch noch ein Cello – eins der wohl 'traurigsten' Instrumente, das es gibt – maßgeblich die Stimmung mit angibt, dann geht jede Emotion noch etwas tiefer.
Eigentlich verraten zudem die ersten Worte unter der Homepage dieser begnadeten Musikerin, die der Bremer Stadtanzeiger als 'die Cello-Prinzessin' bezeichneten, alles was man zu LAKIKO und der Musik hinter „What To Do, How To Live?“ wissen muss: „LAKIKO ist ein Cello. Ein Cello, das streicht, kratzt, sich wiederholt und verschwindet. LAKIKO ist aber auch eine Stimme, die von ihrer nomadischen Existenz, die sie von Bosnien über Umwege in die Schweiz gebracht hat, singt. Sie singt von Alpträumen, vergangenen Zeiten und dystopischen Zukunftsvisionen.“
Kaum vorstellbar ist zudem der Hintergrund dafür, wie das Projekt LAKIKO entstand, denn hier gehen Kultur und Wissenschaft ganz eng Hand in Hand. Lana Kostic ließ sich in Kooperation mit der Neurologie Biel an ein EEG (eine Maschine, welche die Hirnströme messen und grafisch darstellen kann) anschließen, nachdem sie spezielle Techniken erprobt hatte, ihr Cello zu spielen und ihre Stimme einzusetzen, um aus ihren aufgezeichneten Hirnströmen zeitgleich eine Partitur zu entwickeln. Dieses Ergebnis darf nun auf „What To Do, How To Live?“ bewundert werden, wobei man anfangs unbedingt das 24-seitige Booklet zur Hand nehmen sollte, da LAKIKO zu jedem Stück mit wenigen Worten den wichtigsten Hintergrund erläutert.
Hört man in Ruhe „What To Do, How To Live?“, dann klingt anfangs vieles verstörend. Dieses wirklich mit Hilfe spannender Loops die unterschiedlichsten Klangfarben verbreitende Cello und die vielen elektronischen Effekte sowie die unglaublich mannigfaltige Kostic-Stimme, die mal fragil und ganz hoch erklingt, um dann zu choralem Bombast gedoppelt zu werden, während sich bedrohliche Bässe immer wieder durch die kompositorische Hintertür einschleichen. Diese Musik fesselt schon durch die vielen Effekte in Kombination mit Harmonien, die unbeschreiblich sind und kaum dass man sich in ihnen fallen lassen möchte, von Disharmonien zerstört werden, die aber auf ihre Art genauso spannend sind.
Nun werden viele sicher an die 'Cello-Rocker' APOCALYPTICA denken. Damit liegt man einerseits gar nicht so falsch, andererseits völlig daneben – je nachdem an welcher Stelle man sich gerade beim Hören der knapp 43 Musikminuten befindet.
Denn manchmal singt LAKIKO so, als würde sie LOREENA McKENNITT an ihrer Harfe Konkurrenz machen wollen, nur dass sie eben ein Cello dazu spielt (oder sogar zupft).
Dann wiederum wummern einem tieftönend-vibrierende Bässe entgegen, denen kristallklare, offensichtliche Klassik-Cello-Momente entgegengesetzt werden, als gäbe es einen Kampf zwischen Himmel und Hölle, bei dem (zum Glück) mal der Himmel, dann aber (leider) auch die Hölle triumphiert. Endgültiger Ausgang noch unklar!
Oder nehmen wir uns einfach mal „Many Windows“ vor, zu dem Lana Kostic im Booklet feststellt: „Die Absicht hinter diesem Stück bleibt mein Geheimnis. Wenn dir der Song etwas lang und ein wenig langweilig erscheint, ist das in Ordnung und durchaus beabsichtigt.“
Dieses Instrumentalstück ist ein purer Cello-Post-Rock-Gigant, der sich zu einem riesigen Wall Of Sounds erhebt, um dann zärtlich in einer klassischen Streicher-Passage zu ertrinken.
Wenn wir schon beim Ertrinken sind. Von all der Dramatik geprägt am unerträglichsten erscheint „I Lost My Baby In The Sea“. Eine der wohl musikalisch berührendsten Anklagen gegen unseren Umgang mit den Flüchtlingen, welche mit klapprigen Booten versuchen, ihre Flucht übers weite Meer anzutreten und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen. Dieser Song entstand , nachdem LAKIKO einen Post der Seawatch auf Instagram gesehen hatte, bei dem man sah, wie eine Mutter vom Boot herunter ihr Baby aus den Armen verlor und dieses in den Fluten ertrank, während die verzweifelte Mutter es zu retten versuchte. Das ließ der Musikerin keine Ruhe, denn „das Meer war genauso real wie das tote Baby“. Um all diese Schrecken zu verarbeiten, entstand dieser Song, der noch dazu eine wahre Sprachpassage enthält, bei der diese Mutter verzweifelt nach ihrem ertrinkenden Baby ruft.
LAKIKO lotet alle emotionalen Grenzen aus, die Musik auch nur erreichen kann. Dass dazu eine Stimme, ein Cello, Loops und Samples plus Electronics ausreichen, ausschließlich von einer einzigen Musikerin gespielt, ist eigentlich unfassbar.
„What To Do, How To Live?“ ist der Beweis dafür, dass solch eine unglaubliche Leistung tatsächlich möglich ist.
FAZIT: Was für ein Meisterwerk! Hinter LAKIKO verbirgt sich die 1988 in Sarajevo geborene Cellistin Lana Kostic, die unter Einsatz ihrer Stimme, eines Cellos, Glissandi-Loops, Beats und Samples plus Electronics nach einer Partitur, die aus der neurologischen Messung ihrer Hirnströme während des Musizierens entstand, ein Album hervorbringt, das unvergleichlich ist und zugleich sehr viele finstere Momente besitzt, die sich aber auch in den schönsten, sogar klassisch anmutenden Harmonien auflösen können. Der ständige Wechsel zwischen Schönheit und Zerstörung nimmt jeden aufgeschlossenen Hörer sofort gefangen und lässt ihn am Ende tief bewegt zurück. Mehr als das, was auf „What To Do, How To Live?“ musikalisch alles geschieht, ist kaum noch zu übertreffen. Diese Frau ist ein Wunder, ähnlich wie Mozart eins war!
PS: Kurz nach dem Erscheinen dieser Review veröffentlichte LAKIKO einen schwer beeindruckenden Kurzfilm über ihren Werdegang, den wir niemandem vorenthalten wollen. Sie selber schreibt dazu:
"'LAKIKO - A HYBRID IDEA' ist unter der Regie von Manfred Borsch entstanden. Er versucht, die Brüche in meiner Biografie aufzuzeigen, die mich als Mensch, aber auch als Künstler geprägt haben. Wir haben an verschiedenen Orten in und um Sarajevo gedreht. Der Film wurde bereits auf verschiedenen Filmfestivals in Europa und Amerika gezeigt und hat drei Preise gewonnen: Beste Regie - Stockholm City Film 2022, WINNER - European Cinematography AWARDS ECA 2022, Winner Best Direction - Experimental Dance & Music Festival 2022 und wird demnächst in New York beim Blackbird Film Fest zu sehen sein."
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Tobogan
- Junaci
- Testosterone
- Inat u kamenu
- The Woman Is Stronger Than The Man In Me
- Many Windows
- Ovce
- Nije buducnost za svakoga
- I Lost My Baby In The Sea
- Ovo je samo glad
- Gesang - Lana Kostic
- Keys - Lana Kostic
- Sonstige - Lana Kostic (Cello, Electronics)
- What To Do, How To Live? (2023) - 15/15 Punkten
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keine Interviews
Kommentare | |
Christoph
gepostet am: 14.04.2023 |
Hätte ich ohne euch nie entdeckt. Bisher erst einmal gehört, aber "I Lost My Baby In The Sea" hat mein Herz zerrissen. |
Thoralf Koß
gepostet am: 15.04.2023 |
Ganz ehrlich, Christoph, meins auch! |