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Kanonenfieber: Die Urkatastrophe (Review)
Artist: | Kanonenfieber |
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Album: | Die Urkatastrophe |
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Medium: | CD/LP/Download | |
Stil: | Death/Black Metal |
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Label: | Century Media / Sony | |
Spieldauer: | 50:43 | |
Erschienen: | 20.09.2024 | |
Website: | [Link] |
Man glaubt KANONENFIEBER-Macher Noise, wenn er behauptet, den Hype um sein Projekt nicht bewusst provoziert zu haben, doch er nutzt ihn zweifellos klug aus und kompromittiert dabei trotzdem nicht seine künstlerische Integrität. Mit Century Media steht ihm nun ein starkes Label zur Seite, ohne dass sich etwas an seinem Sound oder der optischen Inszenierung geändert hätte.
Der punkig rohe Charme des 2021er Debütalbums "Menschenmühle" (außerdem sind seitdem drei EPs und eine Single erschienen) geht auf "Die Urkatastrophe" ein bisschen unter, aber die im Kohlekeller Studio (Powerwolf, etc.) durchgeführte Produktion unterstreicht den Eindruck, Noise wolle in Sachen Erfolg und Breitenwirkung nichts dem Zufall überlassen.
Das geht aus mehreren Gründen völlig okay. Zuallererst ist der Bamberger ein talentierter Songwriter, und dann zeichnet KANONENFIEBER eine sehr nerdige Detailverliebtheit aus, wenn es darum geht, den Ersten Weltkrieg "ohne Gore-Aspekt, historisch so exakt wie möglich und weitestgehend mit Fakten belegbar" über das Medium Musik zu verarbeiten. Die Anmerkung "ohne Glorifizierung des Krieges" scheint unterdessen sein zu müssen in einer Zeit im geradezu pathologischen Maße politisch und ideologisch korrekter Kunst.
Während die ganz fantasielosen und auf ihre moralische Erhabenheit bedachten Gemüter dort draußen das Projekt wahlweise als nationalistisch, faschistisch und Krieg verharmlosend oder verherrlichend abkanzeln mögen, kann man durchaus ein flaues Gefühl im Bauch bekommen, wenn man einige der durchschlagskräftigen und eben auch inhaltsschweren Refrains mitgrölt, doch solche Widersprüche gilt es auszuhalten, wenn man sich mit Musik auseinandersetzt, die nicht absolut widerspruchsfrei (also sterbenslangweilig) ist - und ein Widerspruch besteht bei "Die Urkatastrophe" unter anderem darin, dass die wie gesagt gewieft komponierten Songs gerade wegen der druckvollen, fast klinisch reinen Produktion relativ harmlos wirken.
Nein, die Platte ist kein "Panzerdivision Marduk", doch dafür meidet Noise die meisten Klischee-Fallen, in die Metal-Bands bei der Auseinandersetzung mit den Weltkriegen tappen. Hier gibt's keine visuelle Ästhetik aus dem Propaganda-Baukasten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, keinen Überfluss an Sütterlin-/Frakturschrift und weder plakativ provokante Songtexte noch plump stumpfes Geknüppel.
Brutal ist das Album trotzdem, und falls es abgesehen von dem Zweck, "die Opfer des Ersten Weltkrieges dem Vergessen" zu "entreißen", berechtigte Beklemmung auslösen soll, gelingt dies vollauf, wobei es der Mainstream-Sound und die Tatsache, dass die Lieder nicht allzu anspruchsvoll gestrickt sind, Hörern jeglicher Couleur leicht macht, die Schlachtfelder von einst im Kopfkino anzusteuern.
Noise arbeitet zwar mit Library-Stock-Sounds von Pferden und Gefechtsfeuer beziehungsweise Fliegermotoren ('Gott mit der Kavallerie', 'Ritter der Lüfte'), doch seine bemühte geschichtliche Korrektheit geht weit über solche Geräuschkulissen hinaus. Dass die Lyrics "Tatsachenberichten, persönlichen Briefen und Originaldokumenten der überlebenden und verstorbenen Soldaten des Ersten Weltkriegs" entlehnt sind, kann man vielleicht übersehen, doch die historischen Sprachaufnahmen in mehreren Stücken erzeugen fraglos eine intensive Atmosphäre.
Der Schrecken bewaffneter Konflikte wird dann besonders gut greifbar, sei es in dem Gedichtsvortrag im Zwischenspiel 'Verdun', anhand einer resignierenden Reichtagsrede des Sozialdemokraten Philipp Scheidemann gegen Ende des Krieges im ausladenden 'Ausblutungsschlacht' oder wenn in 'Lviv zu Lemberg' (wo übrigens am 1. November 1918 die Westukrainische Volksrepublik gegründet wurde, was der Nummer einen gewissen Aktualitätsbezug gibt) die auf Schallplatte konservierte Ansprache eines Feldmarschalls für den kaiserlich-königlichen österreichischen Witwen- und -Waisenfonds eingebaut wird. Und in Hinblick aufs Thema heben auch der Schunkel-Refrain von 'Der Maulwurf' beziehungsweise generell die vordergründig verwendeten Moll-Harmonien/Melodien die Tragik und das Grauen des Krieges hervor.
Dabei macht Noise gar nichts völlig Neues: Einen ähnlich effektvollen Einsatz von Sprachsamples hat man zuletzt bei den Koblenzern Porta Nigra erlebt, und das sich im Übrigen früher oder später totlaufende Konzept Erster Weltkrieg findet sich unter vergleichbaren stilistischen Vorzeichen bei den Ukrainern 1914. Unabhängig davon macht der Multi-Instrumentalist und Sänger (Pickelhaube ab für seine Versiertheit auf allen Ebenen!) auch nicht alles richtig…
Ein paar fiese Schüttelreime und das merkwürdig deplatzierte Nu-Metal-Riff von 'Panzerhenker' sind kleine Schönheitsfehler, die unverzerrte "Ballade" 'Als die Waffen kamen' wirkt als Finale mit Violine und melodischem Gesang unpassend moralisierend und naiv-rührselig ("und wenn kein Mensch die Waffe hält, gäb's keine Feinde auf der Welt"). Hatte der Schöpfer am Ende doch zu starke Bedenken, er könne missverstanden werden?
Wie dem auch sei - die Art und Weise, wie KANONENFIEBER aufgezogen sind, ist im Sinne eines Gesamtkunstwerk stimmig, ein Wust aus Faszination für Kriegsgerät (die den wissenschaftlichen Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster derart beeindruckt, dass er künftig mit Noise zusammenarbeiten will) und Fanatismus sowie nicht zuletzt relativ generischen Extrem-Metal.
Letztlich klingt's ungefähr wie bessere Amon Amarth mit ganz dicken Eiern oder Heaven Shall Burn (deren Gitarrist Maik Weichert spielt in 'Waffenbrüder' ein Gastsolo - Noises eher linke Gesinnung sollte damit endgültig klar sein) mitsamt einem unterhaltsamen wie erkundenswerten inhaltlichen Überbau. Zum erwähnten 'Waffenbrüder' können sich die "brothers of metal" dann in Wacken oder andernorts bierselig in den Armen liegen, doch wer damit ein Problem hat, sollte weniger KANONENFIEBER selbst anzweifeln als eine allgemeine Rezeption von Kunst/Musik, die aufs Durchdringen von Oberflächen verzichtet. Das andere Extrem wäre wie gesagt eine ideologische Aufladung des Ganzen beziehungsgweise der Versuch, es einem Gesinnungstest zu unterziehen.
Sowohl zum Spaß zu die Rübe schütteln als auch den mahnenden Pazifisten-Zeigefinger erheben zu können, während man "Die Urkatastrophe" hört, macht das Album auf alle Fälle zu einem auf kunstvolle Art ambivalenten Werk.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Grossmachtfantasie
- Menschenmühle
- Sturmtrupp
- Der Maulwurf
- Lviv zu Lemberg
- Waffenbrüder
- Gott mit der Kavallerie
- Panzerhenker
- Ritter der Lüfte
- Verdun
- Ausblutungsschlacht
- Als die Waffen kamen
- Die Urkatastrophe (2024)
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