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Interview mit Act (01.09.2013)

Act

An der Schnittstelle zwischen islamischer und westlicher Welt wird gegenwärtig brisante Musik gespielt. Sänger Kaan möchte klarstellen, dass ein Umdenken stattfindet und eine neue Generation herangewachsen ist, die für Veränderungen zum Positiven steht.

Wieso der Name ACT?

Wir wollten von vornherein einen Namen, der von seiner Bedeutung her ambivalent ist und sich gut merken lässt, also passte ACT dahingehend ziemlich gut. Schließlich haben unsere Songs beziehungsweise Texte eine deutliche soziale und politische Botschaft: Es geht darum, in einem weltweit kapitalistisch ausgerichteten System Mensch zu bleiben. Der Name ist kurz und bedeutsam, bleibt im Gedächtnis und deutet auf unseren Willen zum Handeln hin.

Welchen musikalischen Hintergrund habt ihr, und was macht euch in dieser Konstellation zu etwas Besonderem?

Wir alle haben lange Zeit in verschiedenen Metal-Bands in Izmir gespielt, teilweise auch gemeinsam in derselben oder unterschiedlichen Projekten, die nur für kurze Zeit bestanden. Kemal, Umut und Harun haben mich rundheraus gefragt, ob ich mich ihnen für etwas Neues anschließen würde, wozu sie mich mit einem Demo breitschlagen wollten. Als ich es hörte, war klar, dass ich mitmachen würde, denn diese ziemlich aggressiven Songs standen genau im Zeichen dessen, was ich mir als beseelte Musik vorstellen. Sie kam tief aus dem Herzen, was man hörte ... Des weiteren beschlossen wir, mit Emin zusammenzuarbeiten, der ebenfalls recht schnell Feuer und Flamme war.

Dann mal zu den Texten: "The Solution" scheint mir zu betonen, dass man seine eigenen Unzulänglichkeiten überwinden soll, um sein Leben zu verbessern.

Das stimmt soweit, nur beziehen wir die Behandlung des Einzelnen durch das System mit ein, das unser Privatleben beeinflusst und die Art, wie wir jeweils ticken. Vergleicht man Individuen mit Zellen eines Organismus, schlagen sich diese Einwirkungen langfristig auf die Gesundheit des großen Ganzen nieder, also kann man wohl sagen, dass jeder vor seiner Tür kehren sollte, damit es überhaupt erst möglich wird, etwas am System als solches zu ändern.

Was hat es mit dem "glorious march" auf sich, der in "Walking On The Path" angesprochen wird?

Es ist der Weg, den man geht, wenn man ein echter Mensch sein will. Unsere Spezies muss sich ihre Würde bewahren, aber wie wir die Welt gerade für uns konstruiert haben, läuft sie der Anlage des Menschen zuwider, weshalb man umso entschiedener für seine Ehre und sein persönliches Umfeld einstehen muss. Am Ende sind wir doch alle gleich, egal welcher vermeintlichen Rasse oder Religion wir angehören. Auf diesem Marsch, wie wir es nennen, sperren wir uns gegen alle Verbrechen an der Menschlichkeit in ihrer reinen Form.

Aber "Trapped Nation" bezieht sich spezifisch auf eure Heimat, oder?

Nein, auf alle Menschen, die für ein besseres Leben kämpfen, das man bestimmt nicht erreicht, indem man sich beispielsweise ein iPhone leisten kann. Das alles sind Trugbilder, die man meinetwegen den Amerikanischen Traum oder Illusion des Perfekten nennen kann, aber der Punkt ist, dass wir uns kaum davor verschließen können, weil es jeden Tag auf uns einwirkt. Unsere Gier wird geschürt, und das ist eine Falle für jedermann. Die Nation steht stellvertretend für den Einzelnen, denn ich glaube nicht an Nationalitäten oder Ländergrenzen. Wenn die Menschheit ausstirbt, werden Religionen, die Bedeutung von Flaggen und Zölle unerheblich.

Was wollt ihr mit den Instrumentalstücken "The Shattered" und "Sanguine" ausdrücken?

Sie sind eher spontan entstanden und haben keinen konzeptionellen Unterboden. Vom Feeling her würde ich sie als finster, trippig und monoton beschreiben.

Um welche Ungerechtigkeit geht es in "But I Stare"?

In keinem Fall eine allumfassende, denn geschieht irgendwo ein Verbrechen, während man in eine andere Richtung schaut, macht man sich im Kleinen wie Großen selbst schuldig. Ungerechtigkeit ist ein soziales Faktum, und wir erwarten, dass gerade die weltweit größten Terrororganisationen - unsere Staaten nämlich - etwas dagegen unternehmen.

Was haltet ihr generell von Religion, gerade weil ihr aus einem muslimisch geprägten Land stammt?

Respekt und Toleranz liegen jeder Religion zugrunde, aber kein Mensch scheint sich direkt an Gott wenden zu wollen, also haben wir Vermittler eingesetzt. Ich finde, Religion muss im Persönlichen nur zwischen dem Menschen und Gott stattfinden. Als Atheist halte ich organisierte Religion aber für das größte separatistische Element der Welt. Wir müssen uns alle versöhnen, daran führt kein Weg vorbei. Jihads oder Kreuzzüge sind Waffen von Terroristen, hinter denen zumeist ganze Länder stecken, aber dessen ungeachtet glaube ich nicht, dass ein historischer Jesus oder Mohammed den jeweils Andersdenkenden etwas Böses gewünscht hätte.

Da ihr in Videos hervorkehrt, wie euer Debüt entstanden ist, frage ich mich, ob ihr als gute Musiker wahrgenommen werden wollt.

Ich halte uns nicht für eine Prog-Band. Die Videos sollen vielmehr die Werbetrommel rühren, aber trotzdem tun wir natürlich unser Bestes als Instrumentalisten. Davon abgesehen haben CDs als Medien ihren Wert verloren, also sind Gigs und soziale Netzwerke der wichtigste Weg geworden, um sich weltweilt eine Stimme zu verleihen, was wir natürlich wahrnehmen wollen.

Wie ist es momentan um die türkische Szene bestellt?

Sie spaltet sich wie überall in Subgenres auf, nachdem es einmal eine einzige Szene gab, die sich untereinander einig war. Trotzdem oder gerade deswegen befindet sie sich weiter im Aufschwung. Türken stehen alternativen Kulturbewegungen eher skeptisch gegenüber, aber diese Phase geht allmählich vorüber, also werden wir sehen, was in Zukunft noch möglich sein wird ...

Wie geht es weiter mit ACT?

Wir fahren fort, bis wir unser Interesse an gesellschaftlichen Problemen verlieren - was ich nicht glaube, außer die Welt wird ein besserer Ort - oder körperlich nicht mehr dazu in der Lage sind, Musik zu machen.

Andreas Schiffmann (Info)
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