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Interview mit Anathema (03.07.2012)

Anathema

Öfter mal was neues - das gilt im Falle von ANATHEMA nicht nur für ihre Musik, sondern auch für die Art und Weise, wie Interviews mit der Band ablaufen. Vereinbart ist ein Mail-Interview doch statt einer Datei mit schriftlichen Antworten auf unsere Fragen kommen zwei Audio-Dateien zurück. Gitarrist und Songschreiber Daniel Cavanagh hat sich den Zettel mit den Fragen geschnappt und die Antworten mündlich gegeben und aufgenommen. Das verleiht der Sache natürlich eine etwas persönlichere Note, weil man anhand seines Tonfalls deutlicher merkt, wie er auf die Fragen reagiert. In der Hauptsache geht es natürlich um das starke neue Album "Weather Systems", aber auch darum, wie die Musik der Band sich in den letzten Jahren entwickelt hat.

Hallo Danny. Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurem neuen Album "Weather Systems", das nicht nur überall gute Kritiken bekommt, sondern sich auch gut zu verkaufen scheint. Hier in Deutschland hat es Platz 14 in den Albumcharts erreicht, was durchaus ein gutes Ergebnis ist. Macht dich das glücklich oder stolz? Bist du froh, wenn du mit eigenen Augen sehen kannst, dass eure Arbeit gewürdigt wird?

Die Antwort darauf ist ja! Es ist ein Hinweis darauf, dass wir nach Jahren des relativen Erfolgs eine vergrößerte Fanbasis haben und es ist eine schöne Sache, mehr Menschen zu erreichen und das freut mich, ja.

Legst du Wert auf Sachen wie Chartpositionen, Verkäufe in der ersten Woche, Soundchecksiege oder eine große Anzahl positiver Reviews?

Nicht so viel wert wie darauf, wie ich mich mit der Musik fühle. Wie ich mich mit der Musik fühle ist von wesentlicher und totaler Bedeutung. Sobald ich mir klar darüber bin, dass die Musik richtig und schön und fantastisch und brillant ist und sie so ist, wie ich sie brauche und wie die Band sie braucht, dann ist es auch wichtig, wie die Öffentlichkeit darauf reagiert, aber das ist nicht das Wichtigste. Wie wir fühlen ist in erster Linie und vor allem wichtig.

Ich mag die Tatsache, dass eure einzigartige Musik mehr und mehr Leute anspricht und ich denke, dass ihr den Erfolg, den ihr jetzt habt, auch redlich verdient. Denkst du, dass es mit der Art und Weise, wie sich eure Musik entwickelt hat, leichter ist, die Menschen anzusprechen?

Ich weiß nicht, was leichter oder schwieriger ist, um die Leute anzusprechen. Wir sind einfach wir selbst. Wir sind wir selbst und machen Musik, die eine gewisse Qualität und Anziehungskraft und ein Gefühl hat. Eine Intensität, die wir auch auf der Bühne ausstrahlen. Und das ist alles, was wir machen.

Es lagen knapp sieben Jahre zwischen "A Natural Disaster" und "We’re Here Because We’re Here". Danach dauerte es nur zwei Jahre bis das neue Studioalbum "Weather Systems" veröffentlicht wurde und in einem anderen Interview las man, dass ihr schon Songs für ein nächstes Album habt. Was hat sich geändert? Von außen könnte man denken, dass es eine Art Schreibblockade gab, die nun entfernt wurde und jetzt sprudelt die Kreativität nur so über. Steckt da ein bisschen Wahrheit drin?

Nein, nicht wirklich. In dieser Zeit gab es wirklich viele Songs, nur die Band war ein bisschen dysfunktional, wir hatten keinen Manager und keine Plattenfirma und so weiter. Mit einem vernünftigen Management wäre alles vielleicht ein bisschen schneller gegangen, aber es ist wie es ist und natürlich war die Pause zu lang. Das wird aber nicht noch einmal passieren, jetzt läuft alles. Es wurden in diesen Jahren viele Songs geschrieben, die noch gar nicht veröffentlicht wurden und die bestimmt noch in irgendeiner Form veröffentlicht werden.

Meiner Meinung nach gibt es so etwas wie einen emotionalen Bruch in eurer Musik, wenn man "A Natural Disaster" und "We’re Here Because We’re Here" miteinander vergleicht. Natürlich hat sich auch von "Alternative 4" bis "A Natural Disaster" eine Entwicklung in eurer Musik gezeigt, sie blieb aber sehr melancholisch und teilweise sogar depressiv. "We’re Here Because We’re Here" war dagegen positiver, weniger traurig und hoffnungsvoller. Denkst du, dass man die Leute mit weniger trauriger Musik besser erreicht? Zumindest scheint da ja ein Zusammenhang zu bestehen…

AnathemaDu sprichst wieder davon, zu versuchen, die Leute bewusst zu erreichen, das ist aber nicht die Idee dahinter. Wir versuchen nicht vorsätzlich, Platten zu verkaufen. Alles was wir machen und alles was ich mache, ist ein Gefühl im Sound zu erschaffen und ob dieses Gefühl erbauend oder hübsch oder voller Emotion oder emotionaler Intensität ist, liegt daran, dass es eben die Art und Weise ist, wie ich fühle und wie wir fühlen und das ist einfach die Musik, die wir machen wollen. Die Leute zu erreichen ist zweitrangig. Aber natürlich ist es auch großartig, wenn man die Leute mit einer positiven Botschaft, einer Botschaft über die Liebe, erreichen kann.

Ich mag "We’re Here Because We’re Here", aber es hat mich nicht so tief berührt, wie eure vorherigen Alben. Das könnte damit zu tun haben, dass ich persönlich eine schwierige Zeit von 2003 bis 2007 hatte, in der ich eure Musik viel gehört habe, weil die Traurigkeit in eurer Musik in gewisser Weise einen kathartischen Effekt hatte. Und obwohl die schwierige Zeit vorbei ist, vermisse ich trotzdem ein wenig die Traurigkeit in "We’re Here Because We’re Here" und ich weiß, dass es manchen Leuten ähnlich geht. Kannst du das nachvollziehen?

Ich kann es nachvollziehen aber so ist das Leben nun mal. Die Dinge ändern sich. Ich kann nicht viel dazu sagen. Die emotionale Intensität ist aber noch immer da und wenn man genau hinhört, bemerkt man auch die Träne im Auge der Musik. Aber manchmal muss es eben auch Tränen der Freude, der Dankbarkeit und des über die Vergangenheit  Hinwegkommens geben.

Hörst du oft davon, dass die Leute eure Musik in schlechten Zeiten "gebraucht" haben? Ist das etwas Besonderes für dich, etwas worüber du nachdenkst?

Ich denke nicht viel darüber nach, aber es ist etwas Besonderes für mich, ja. Es gibt so viele loyale Fans und das ist wirklich schön und wir sind ihnen sehr dankbar dafür.

Ich war dann ein bisschen überrascht, als ich "Weather Systems" zum ersten Mal gehört habe. Das Album fängt genau so an, wie ich es erwartet hatte, aber nach mehr oder weniger genau drei Minuten verändert sich der erste Teil von "Untouchable" und wird unerwartet traurig und genau so intensiv, wie ich eure Musik am meisten mag. Ich habe mich gefragt, woher das kommt. Dann habe ich gehört, dass euer Vater letztes Jahr verstorben ist. Besteht da ein Zusammenhang? Zumindest handelt der Song offensichtlich vom Verlust einer geliebten Person.

Richtig, dieser Song handelt vom Gehenlassen, vom Gehenlassen der Liebe, aber er ist nicht mit meinem Vater verbunden. Er handelt davon, die Liebe gehen zu lassen und jemandem zu gestatten, die Person zu sein, die er oder sie sein muss und nicht zu versuchen, weiterhin in ihrem Leben zu sein. Sondern sie gehen zu lassen und ihr durch die Musik zu sagen, dass man denkt, dass sie etwas sehr Besonderes sei.

Ich mag die Veränderung der Situation, die im zweiten Teil des Songs eintritt. Aufgrund der Tatsache, dass Lee Douglas in diesem Teil ebenfalls singt, bekommt man den Eindruck, dass der Text von einem Paar handelt, dessen Wege sich getrennt haben. Der Text an sich ist zu weiten Teilen der gleiche, wie im ersten Part aber der Gesamteindruck ist durch das veränderte Arrangement ein anderer. War das der Gedanke dahinter, "Untouchable" in "Part 1" und "Part 2" zu unterteilen?

Ich denke das trifft es ganz gut. Teil 1 ist wirklich ein Ausrufezeichen, während Teil zwei als Satzzeichen eher der Punkt ist. Es sind zwei Seiten der gleichen Geschichte. Die eine Seite auf sehr intensive Art und Weise, die andere etwas weicher, aber letztendlich immer noch sehr intensiv.

Anathema - The Beginning and the End (from Weather Systems) by Kscope

Die vier Songs "The Gathering Of The Clouds", "Lightning Song", "Sunlight" and "The Storm Before The Calm" sind miteinander verbunden. Kannst du da mal ins Detail gehen und das Konzept dahinter erklären?

Die Verbindung zwischen diesen Liedern ist die Metapher der Wetter-Systeme und wie man das in die emotionalen Systeme des Gemüts und des Herzens übersetzen kann. Das ist die einfache Erklärung dafür. Diese Songs wurden in den Jahren zwischen "A Natural Disaster" und "We’re Here Because We’re Here" geschrieben und sind durch das textliche Thema verflochten. Das Schöne daran ist außerdem, dass John Douglas "The Calm Before The Storm" völlig unabhängig von mir geschrieben hat, es aber trotzdem die Wetter-Metapher inne hat. Deshalb gehören sie zusammen und deshalb gehören sie auf dieses Album.

"Lightning Song" und "Sunlight" sind musikalisch nicht sehr überraschend, "The Storm Before The Calm" dagegen schon. Besonders der erste Teil des Songs ist angenehm düster…

Angenehm düster ist eine gute Beschreibung.

… und klingt ein wenig wie aus einem Soundtrack zu einem Actionfilm. Stimmst du mit diesem Eindruck überein?

Wie gesagt hat John Douglas diesen Song geschrieben und Vincent hat viel davon produziert und eingespielt. Was du sagst, steckt tatsächlich darin, denke ich. Es ist wirklich ein großartiger Song. Er kommt von woanders her, ist aber ein toller Teil des Albums. Johns bestes Material ist immer großartig und es wert, verwendet zu werden. Es lohnt sich immer, seine besten Songs zu hören und wenn es Songs wie "Universal", "Storm Before The Calm" oder "Voodoo", das in Zukunft zu hören sein wird, sind, dann sind sie ein wichtiger Teil von uns.

"The Beginning And The End" und "The Lost Child" sind ebenfalls recht düstere, eher traurige Songs. Brauchen ANATHEMA solche Lieder für die innere Balance?

Wir brauchen gar nichts, es geht nur darum, was durchbricht, nicht darum was gebraucht wird. Ob man diese Art von Musik braucht oder ob es einfacher ist, etwas bestimmtes zu kreieren, wie du vorhin meintest, sind lediglich Konzepte, die du dir in deinen Gedanken erbaust und haben keine Relevanz für die Musik, die wir machen. "The Beginning And The End" und "The Lost Child" sind sehr ehrliche musikalische Gemälde davon, wie ich mich manchmal fühlte und das ist alles.

Woher stammt das Sample von dem Mann, der von seiner Nahtoderfahrung in "Internal Landscapes" spricht? Interessierst du dich für solche Erfahrungen?

Das Sample stammt von einem Mann mit Namen Joe Grassi, der 1981 in Amerika von Doktor Kenneth Ring für eine Serie von Programmen über Nahtoderfahrungen interviewt wurde. Seine Darstellungen waren so tiefgründig und so schön, dass ich beschloss, sie im Song "Internal Landscapes" zu integrieren und einen Text zu schreiben, der ein wenig darauf basiert und ein wenig auf meinen eigenen Gedanken und Erfahrungen. Ich habe das also gemacht und wir haben das zusammen gemacht und das Ergebnis war wirklich schön. Über Kenneth Ring bin ich dann mit Joe in Kontakt gekommen und bekam die Erlaubnis, das so zu machen. Joe war darüber sehr aufgeregt und fühlte sich geehrt. Und so kam es dann auch, dass ich zu Joes eigener Lyrik Musik gemacht habe. Joe und ich werden also eine gemeinsame Lyrikplatte herausbringen.

Welche anderen Aspekte der menschlichen Seele, Gefühle, Erfahrungen und Gedanken sind für dich am interessantesten und warum? Oder sind diese Dinge nur einflussreich für deine Texte, wenn sie auf eigenen Erfahrungen beruhen?

AnathemaMacht diese Frage Sinn? Du musst bedenken, dass alle unsere Songs in persönlichen Erfahrungen verwurzelt sind. Jeder einzelne. Es geht um Gefühle, die Dinge, die wir durchgemacht haben, die Menschen, die wir geliebt haben, die Menschen, die wir verloren haben und all diese Dinge. Sinneszustände und psychologische Zustände, die Zustände des Herzens und der Freude, all diese verschiedenen Dinge. Trauer, Verwirrung, Liebe. Und alle von ihnen sind autobiografisch und echt und Teil unserer Lebensgeschichte. Diese Aspekte sind für uns die interessantesten und besonders die, die mit Liebe zu tun haben.

War es für "Weather Systems" eine Option, nochmal mit Steven Wilson, der "We’re Here Because We’re Here" gemischt hatte, zusammenzuarbeiten?

Nicht wirklich, denn kaum das Christer-André Cederberg für die Aufnahmen an Bord war, war klar, dass er auch den Mix übernehmen würde.

Ihr wart kürzlich mit AMPLIFIER auf Tour. Wie war’s? Welche Konzerte sind dir am stärksten in Erinnerung geblieben?

Ich mochte Amsterdam, Paris, Frankfurt, Mailand und Köln sehr. Aber eigentlich mochte ich alle. Es war toll, in Deutschland zu sein, ich liebe Deutschland wirklich sehr. Ich habe das Reisen genossen, mir gefiel die Atmosphäre im Bus, ich mochte die Crew, die AMPLIFIER-Jungs waren klasse, sie haben gute Songs. Ich hatte viele schöne Momente unterwegs, es war wirklich sehr angenehm und beglückend.

Kannst du sagen in welchen Ländern ihr das enthusiastischste Publikum habt?

Das wäre nicht wirklich fair, denn in allen Ländern gibt es ein begeistertes Publikum, die Menschen reagieren nur auf recht unterschiedliche Art und Weise. In Südamerika etwas heftiger, sie sind dort sehr leidenschaftlich, fast wie ein Fußballpublikum. In Osteuropa verhalten sie sich anders, dort sind sie sehr laut, in Italien singen die Fans sehr schön, in Deutschland sind sie auf andere Art und Weise fantastisch. Es ist überall anders, aber auch überall großartig und ich bin sehr dankbar dafür.

Nach den Sommerfestivals spielt ihr ein paar Shows in Skandinavien, dann in Polen. Das sieht ein bisschen so aus, als würdet ihr nie für längere Zeit am Stück auf Tour gehen wollen. Oder geht das nicht wegen anderer Verpflichtungen?

Nein, wir sind gerne auf Tour und wir touren so lange, wie wir touren müssen.

Habt ihr schon andere Projekte mit ANATHEMA im Kopf außer dem nächsten Album?

Wir haben ein paar andere Projekte in Arbeit und sehr interessante Tourdinge, aber es ist noch zu früh zu sagen, worum es dabei geht.

Danny spricht auf die Akustik-Konzerte mit OPETH an, die ANATHEMA im Herbst spielen werden und die zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht bekannt gegeben waren. Entgehen lassen sollte man sich dieses besondere Package jedenfalls nicht.

Andreas Schulz (Info)
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