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Interview mit Das Scheit (07.09.2008)

Das Scheit
Die Frankfurter „Das Scheit“ haben soeben mit „So Far From God… So Close To You“ ihre vierte Veröffentlichung eingetütet. Multi-Instrumentalist Sascha gibt uns bereitwillig Auskunft über musikalische Einflüsse, den Kunstbegriff und Kalten Krieg.

Hallo Sascha! Ihr veröffentlicht mittlerweile seit ungefähr 10 Jahren Alben. Wie viel Routine hat sich eingeschlichen und was tut ihr, um dieser Routine entgegen zu wirken?

Hi Nils! Routine kommt eigentlich nie auf. Jedes Album, das wir bisher aufgenommen haben, klingt definitiv anders als sein Vorgänger. Das mag einerseits an unserem eigenen Geschmack liegen oder aber eben am Zeitraum, in dem Du Songs schreibst, in welcher Stimmung und Verfassung man selbst ist. Im Studio wird es sowieso nicht zur Routine, da dort ebenfalls immer andere Voraussetzungen gegeben sind. Vielleicht ist das so wie Kinder kriegen - man weiß nicht genau was raus kommt. ;)

Ist bei „So Far From God“ alles so gelaufen, wie ihr es euch gewünscht habt? Wenn nicht: Was werdet ihr beim nächsten Mal besser machen?

Sascha - Das ScheitZum jetzigen Zeitpunkt bin ich hochzufrieden, was das Album anbelangt. Als wir anfingen, die Songs zu schreiben, habe ich mir das Endresultat so vorgestellt. Leider ist uns die Zeit im Studio etwas davongelaufen. Ich hätte gerne noch mehr experimentiert was die elektronischen Aspekte angeht. Aber wir hatten eine Deadline, wann alles fertig sein musste. Das ist aber auch gut so, sonst würde man als Musiker nie mit einer Scheibe fertig werden. Insgesamt waren die Aufnahmen aber sehr relaxt und wir hatten auch ein paar richtig lockere Tage, als zum Beispiel Jape und Michelle zu Besuch waren, um ihre Takes einzuträllern. Besser kann man aber immer etwas machen, wir werden es beim nächsten Album angehen.

Ein paar Worte zum Albumtitel: Wer genau ist „So Far From God“? Und was schwingt in diesem Titel mit? Die Enttäuschung, von Gott entfernt zu sein? Die Freude darüber? Oder ist der Titel bloß eine nüchterne Feststellung?

Der Titel besagt eigentlich, dass man auf eine Sache oder Person, von der man sehr enttäuscht ist, total fixiert ist und dabei alles, an was man eigentlich glaubt - oder was einen selbst als Person ausmacht - in den Hintergrund stellt. Es fehlt einem der Blick für’s Wesentliche und man handelt nicht rational. Eine Situation. der vermutlich jeder mal ausgesetzt war. Und ja, es spielt eine Menge Wut und Enttäuschung mit.

Wer ist denn der Hip-Hop-Fan bei euch, dass ihr mit „No One“ ein „Rödelheim Hartreim Project“-Cover aufgenommen habt? Erzähl mal etwas, mit welcher Musik ihr so aufgewachsen seid.

Die Idee zu „No One“ kam Clint. Er war früher ein großer Fan von den „Rödelheimern“. Ich war erst skeptisch, als wir den Song aber ausarbeiteten, konnte ich mich sehr gut mit ihm identifizieren und auch live funktioniert er wunderbar. Im Allgemeinen können wir weniger mit Hip-Hop anfangen, was nicht heißt, dass wir auf Gothic- und Metalsounds festgelegt sind. Sänger Clint und ich wohnen in einem Haus und des Öfteren wabern auch viele Popbands durch die Hütte. Clints Einflüsse und musikalischer Werdegang reicht von Madonna, The Cure bis Metallica, Manson und heutigen Gothrock- oder Electrobands. Ich sauge diese Dinge dann im Vorbeigehen auch auf. Durch meine Eltern bin ich eigentlich mit Bands wie Saga und Styx aufgewachsen, also mehr melodischem AOR-Rock.

Wo fängt für dich in der Musik Kunst an? Wie unterscheidet sich Kunst von prätentiösem Gehabe? Ist Kunst ausschließlich subjektiv?

Ich bin der Meinung, dass jede Art von Musik Kunst ist, denn für jede Art von Musik gibt es Liebhaber. Ich vermute, dass jeder Songwriter irgendetwas mitteilen will und selbst, wenn die Motivation pure Unterhaltung ist. Ich wehre mich etwas gegen Kritik, die unangemessen ist.
Alles ist und bleibt Geschmackssache. Nimm z. B. St. Anger von Metallica. Ich nehme an, die Band wollte und musste dieses Album für sich selbst machen und ist stolz drauf. Für mich ist es schlicht eines der schlechtesten Alben der Rockgeschichte, deshalb würde ich mich aber niemals abwertend darüber äußern, denn offensichtlich gibt es sehr viele Liebhaber dieser Scheibe. Es kann keine Instanz geben, die etwas zur Kunst erklärt, anderes aber nicht. Würde es dies geben, wäre die Zensur nicht weit und diese Zeiten haben wir ja wohl glücklicherweise weit hinter uns gelassen. Das Gehabe, das Du ansprichst, gehört doch irgendwie dazu. Mein Ding ist das nicht, aber die erfolgreichsten Bands der Rockgeschichte von Kiss über Alice Cooper zu Manson haben diese Stilmittel genutzt. Und die Leute fanden’s cool. Und dass diese Leute Kunst kreiert haben, kann man ihnen nicht absprechen.

Im groben Themenkreis des Gothic geht es fast immer um Gefühle. Ein wichtiges Thema ist die Liebe. Die Gefahr ist groß bei diesem Thema, Kitsch zu produzieren. Was ist für dich Kitsch und wie verhinderst du, dass eure Kompositionen kitschig geraten? Möchtest du das überhaupt verhindern?

Das Scheit: So Far From GodDas liegt natürlich auch wieder im Auge des Betrachters oder Hörers. Vermutlich werden uns einige Kitsch vorwerfen, da wir uns dieses Themas auf dem Album angenommen haben. Das Wort Liebe kommt allerdings kein einziges Mal in den Lyrics vor, soweit ich mich jetzt entsinne. Natürlich erfindet man das Rad nicht neu, wenn man sich solch einer Thematik annimmt, aber tun das die Bands der Neuen Deutschen Härte oder im Electrobereich? Sicherlich nicht! Lyrisch gleicht sich dort vieles, aber das finde ich überhaupt nicht schlimm. In Verbindung mit der Musik muss ein Feeling, das den Hörer im Optimalfall erreicht, entstehen, und wenn Fans schreiben, dass sie wunderbar abschalten und in eine andere Welt abtauchen können beim Hören, dann hat man Großartiges erreicht.

Um den Fokus auf unsere Songs zu lenken glaube ich, dass Clint nie mit einem Text etwas direkt ausspricht. Er umschreibt es so, dass genügend Spielraum für eigene Interpretationen bleibt. Soundmässig sagt man uns nach sehr eigenständig zu klingen, also sollte das mit kitschig ebenfalls nix zu tun haben.

Kitsch und Scham empfinde ich allenfalls bei Castingshows im Fernsehen – haha…

Euer Bandname scheint an „Das Scheit“ aus David Lynchs „Twin Peaks“ angelehnt zu sein. Habt ihr diesen Namen bloß gewählt, weil er gut klingt oder seht ihr euch und eure Musik in irgendeiner Weise in der Tradition dieses Urvaters aller Mystery-Serien?

Eigentlich beides. Wir waren damals große Fans von Twin Peaks und der Name klang griffig, man erinnert sich an ihn, selbst wenn man ihn merkwürdig findet und vor allem kann man den Namen nicht einer bestimmten Musikschublade zuordnen. Eine gewisse mystische Atmosphäre wurde allen unseren Alben zugesprochen, scheint also kein Zufall zu sein.

Fühlst du dich fest in die Gothic-Szene integriert oder gibt es in dieser Gemeinschaft zu vieles, das dir persönlich nicht zusagt?

Ich fühle mich nicht an eine bestimmte Szene gebunden, jedoch muss ich sagen, dass wir aufgrund unseres neuen Albums am besten in der Gothic Szene aufgenommen werden. Das musikalische Spektrum empfinde ich als größer und die Fans stehen den verschiedenen Sounds offener und toleranter gegenüber.  Jedenfalls bekamen wir dort immer die besten Reaktionen – auch von Leuten von denen man es gar nicht erwartet hätte. Persönlich fühle ich mich in einem Gothicschuppen wohler als in ´nem Metal-Laden.

Was hat dich in der letzten Zeit tief bewegt?

Die politische Situation zwischen der EU und Russland. Ich habe viele politische Diskussionsrunden auf Nachrichtensendern verfolgt und bin über den Ton, der zwischen den politischen Lagern herrscht, erschrocken. Ich habe das Gefühl, dass direkt auf einen neuen kalten Krieg zugesteuert wird. Und wenn man sich die Situation bezüglich der Raketenabwehrpläne, die in Polen und Tschechien stationiert werden sollen, anschaut und die damit verbundenen Verpflichtungen der Nato bei einem russischen, militärischen Eingreifen, dann wird mir nicht besser. Ich jedenfalls habe keinen Bock auf Krieg, denn auch meine Tochter sollte mit ihren Kindern noch vernünftig leben können. Jedenfalls bewundere ich Menschen, die ihr Leben meistern, nachdem sie aus Kriegsgebieten in unser Land kamen. Ich möchte nicht eines Tages in die gleiche Situation geraten.

Gib uns doch einen kleinen Ausblick, was sich innerhalb des nächsten halben Jahres bei euch als Band so tun wird.


Wir sind gerade dabei, einen Videoclip für den Song „Hollow“ zu drehen. Danach wird es mit den Live-Shows losgehen, auf die wir uns sehr freuen. Eine längere, ausgedehntere Tour haben wir ebenfalls ins Auge gefasst und parallel arbeiten wir an neuem Material. Langweilig wird uns nicht werden und es gibt noch musikalisch viel zu sagen !!!

Ich danke dir für deine Zeit!

Ich danke Dir, Nils!
Nils Herzog (Info)
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