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Interview mit Seeking Raven (10.10.2016)

Seeking Raven

Die suchenden Raben auf ihrem progressiven Höhenflug

Die progressive Rockband SEEKING RAVEN aus Duisburg überraschte uns mit ihrem 2016er-Album, das wie aus dem Nichts erschien und aus unserer Sicht gleich zu einem ganz großen Prog-Highlight des Jahres wurde, so dass wir zu folgendem Schluss kamen:

SEEKING RAVEN ist auf jeden Fall mit „The Ending Collage“ ein echtes, völlig unerwartetes Prog-Highlight des Jahres 2016 gelungen, an dem sich ab sofort alle anderen Prog-Alben, auch die der ganz großen Vorzeige-Bands, messen lassen müssen: „Now the ending theme plays and the music is touchingly sad. Then the credits roll down and there we sit – shaken in tears.“ Ja, so ein Gefühl wie in „The Movie‘s End“ kann einen wirklich nach dem Hören von „The Ending Collage“ überkommen.

Grund genug also, nicht nur das Album, sondern auch die Band etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und ein Interview mit ihnen zu führen!

Doch vorab kann der eine oder andere ja mal einen Blick auf das komplette Record-Release-Konzert werfen, welches die SEEKING RAVEN kürzlich ins Netz gestellt haben!


Grüß euch, ihr suchenden Raben.

Hat die Idee für euren Bandnamen etwa etwas mit E.A.POE zu tun, dessen gruseliges Gedicht „The Raven“ ja schlichtweg Kult ist – ein Kult, den auch Alan Parsons Project ja bereits auf ihrer ersten LP verewigt haben?

Ich denke, ich kann im Grunde für alle von uns sprechen, dass wir Alan Parsons Project lieben, vor allem die besagte LP. Und von Poe bin ich persönlich großer Fan, ich habe mehrere Werke im Regal zu Hause stehen. Die Inspiration zum Bandnamen liegt allerdings eher in der mythologischen Bedeutung des Rabens, ihm geht der Ruf von Magie und Intelligenz voraus, letztlich auch von Individualismus – und die genauere Interpretation überlasse ich immer gerne anderen, da kann sich jeder seine persönliche Bedeutung suchen.


In deiner Biografie, János, habe ich gelesen, dass du bereits mit 14 Jahren komplette Alben in Eigenregie aufnahmst. Was war denn da so für Musik drauf?

Es waren eigentlich immer Konzeptalben in der einen oder anderen Art. Das ist für mich einfach eine extrem spannende Art, Musik zu schreiben: wiederkehrende Themen, Musical-artige Strukturen und tiefgehende, zusammenhängende Texte. Was das Genre angeht, waren die Songs wohl schon damals grob im Progressive Rock einzuordnen, auch wenn ich es immer geliebt habe, mich in den unterschiedlichsten Genres auszutoben. Ich finde es langweilig, immer die gleiche Linie zu fahren.


Wenn man euer aktuelles Album mit dem Vorgänger „Lonely Art“ vergleicht, dann ist „The Ending Collage“ ein echter Quantensprung. Siehst du das ähnlich und woran liegt das aus deiner Sicht? Sollte das nicht so sein, dann widersprich mir ruhig ordentlich!

Naja, „Lonely Art“ ist entstanden, bevor es Seeking Raven als Band überhaupt gegeben hat. Ich war damals noch viel unerfahrener und habe seitdem unglaublich viel gelernt und an Erfahrung gewonnen. „The Ending Collage“ ist in vielerlei Hinsicht ein reiferes Album als der Vorgänger. Es ist aber sowieso alles eine stetige Weiterentwicklung und es ist meiner Meinung nach extrem wichtig, sowohl für musikalische Qualität als auch für den eigenen Charakter, sich immer wieder zu hinterfragen um nicht zu stagnieren. Ich würde also sicher hier und da etwas ändern wollen an „Lonely Art“, aber ich liebe die Songs trotzdem und wir spielen sie regelmäßig weiter gerne live. Sind halt meine Babies!


Auf „The Ending Collage“ erzählst du die Geschichte einer sterbenden Welt, die von einer neuen ersetzt werden soll. Natürlich kommen da sofort Gedanken an Huxleys „Brave New World“ auf. Was war der Auslöser für dieses Konzept?

Das Konzept kam mir auf, weil ich viel über Wandel nachdenke. Ich sehe, wie so viele Menschen um mich herum unglaublich erwachsen und fest im Leben stehend wirken, während ich selbst im Kopf irgendwie immer noch ein Kind bin, mir häufig melancholisch meine Kindheit zurückwünsche und hoffnungslos nostalgisch in Erinnerungen schwelge. Gleichzeitig sehe ich parallel dazu in der Gesellschaft sehr deutlich ein Phänomen: Sehr vielen Menschen wird schwindelig anhand des rasenden Fortschritts und der immer schneller werdenden Veränderung der Welt. Ich verstehe aber auch, dass es zu einfach ist, schlicht alles „Moderne“ abzulehnen und sich ängstlich an die Vergangenheit festzuklammern. Es ist gibt verschiedene Perspektiven und Gefühle, die es angesichts des unaufhaltsamen Wandels gibt und ich wollte ein Album schreiben, was einige davon anhand verschiedener Geschichten und Charaktere beschreibt.

Oftmals wird gerade in der Progressiven Rockmusik immer wieder behauptet, dass es in erster Linie auf die Musik ankommt und die Texte kaum eine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen würden. Wie siehst du das und welches Verhältnis besteht auf eurem aktuellen Album zwischen Musik und Text?

Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht, dass man das so behauptet. Vielleicht ist das auch durchaus anwendbar auf eher technisch orientierte Progressive-Bands wie Dream Theater oder vielleicht neuere Geschichten wie Periphery, die man ja auch manchmal schon unter Progressive Metal einordnet. Aber ich sehe uns eher in der Tradition von Musik wie eben das am Anfang erwähnte Album „Tales Of Mystery And Imagination“ von Alan Parsons Project. Für mich ist es sehr wichtig, mit meinen Texten etwas zu erzählen und das dann durch die passende Musik auszudrücken.


Die BBS (Babyblauen Seiten) haben euer Album zum „Tipp des Monats Oktober“ auserkoren. Selten, dass dies eine deutsche Band schafft. Hast du da nicht schon langsam Bammel vor dem schweren dritten Album? Und gibt‘s dazu überhaupt schon ein paar Vorstellungen?

Die Veröffentlichung von „The Ending Collage“ war ein unglaublich schwerer, langer Prozess, gezeichnet von Verschiebungen, Schweiß, einer Menge Tränen und einem Lineup-Wechsel. Ich fühlte mich manchmal echt wie kurz vor dem Burnout und in dieses Album wurde einfach alles an Kraft, Energie und Zeit gesteckt, nicht nur von mir. Dass es jetzt endlich veröffentlicht werden konnte und sogar noch unglaublich positiv von Presse und Publikum aufgenommen wird, macht mich wirklich stolz und dankbar. Bammel vor dem dritten Album habe ich aber gar nicht. Ich kann mich vor Songideen ehrlich gesagt kaum retten und habe das dritte Album schon vor ca. 2 Monaten komplett fertig geschrieben. Im Dezember mache ich die Vorproduktion und arbeite dann zusammen mit den Jungs an der Realisierung der Scheibe. Es wird die perfekte Brücke werden zwischen „Lonely Art“ und „The Ending Collage“ und ist wirklich das Beste, an dem ich jemals gearbeitet habe. Natürlich kann ich noch nicht mehr verraten, aber wenn alles klappt, starten wir dann zum Ende von 2017 zusammen mit dem neuen Album durch.

Wenn du dir heutzutage die Musikkultur bei uns anschaust, was siehst du positiv und was kannst du nicht ausstehen. Und wie weit würdest du Kompromisse eingehen, wenn ein Label dir ein gutes, lohnenswertes Angebot für das dritte Album machen würde?

Oh oh, das ist für mich immer ein wunder Punkt, da habe ich mich jetzt schon in mehreren Interviews zu ausgelassen. Ich versuche dich mal von allzu langen Monologen zu verschonen. Ich finde, dass Kunst allgemein in unserer Gesellschaft extremst an Wert verliert. Die Hürde, Musik oder Bücher etc. zu produzieren und zu veröffentlichen, ist extrem gesunken, was ja erst mal etwas Gutes ist. Man hat aber jetzt einen extrem großen Pool von Künstlern, die zu einem nicht geringen Prozentsatz billig produzierte, uninspirierte Massenware den Leuten hinterher schmeißen. Dazu kommt dann das Konsumverhalten der Menschen, die sich aus diesem Pool einfach, schnell und ohne Kostenaufwand bedienen wollen und das durch das Internet, Streaming-Dienste etc. auch können. Es gibt also nur noch einen kleinen Prozentsatz von Liebhabern, die sich wirklich hochwertige Produkte kaufen, egal ob Musikalben, Bilder etc., sie mit nach Hause nehmen und sich intensiv damit auseinandersetzen und sich daran erfreuen ohne nach fünf Minuten schon wieder zum nächsten Impuls übergehen zu wollen. Wir haben ein riesiges Problem mit Fastfood-Kultur, das zieht sich durch Politik über Konsum bis zum Umgang miteinander. Ich hoffe, das war jetzt kurz genug, ich hab mein Bestes gegeben. Da kann man mit mir Stunden drüber diskutieren! Ach ja, Kompromisse gehe ich mit meiner Musik schlicht nicht ein. Ich glaube, dass der Markt für die Musik von Seeking Raven trotz allem existiert und auch nicht so klein ist, wie man vielleicht meinen könnte. Ich sehe uns nicht als Nischenprodukt, gerade weil bei uns sehr die Melodien im Mittelpunkt stehen und die Songs meist trotz komplexeren Arrangements relativ kompakt sind. Wenn ich mir aber doch irgendwann eingestehen müsste, dass ich die Musik nicht ohne signifikante Anpassungen an den Massenmarkt verbreiten kann, dann ist das halt so, ich werde die Ideen niemals für irgendjemanden verwässern.


Da ich mich vor kurzem intensiv mit der Band APOPTYGMA BERZERK beschäftigt habe, fand ich deren Blickwinkel auf die aktuelle Situation rund um uns sehr interessant. Sie verglichen unsere moderne Zeit mit dem totalen Überwachungsstaat aus Orwells „1984“, dessen Schlüsselsatz ja, „Big Brother is watching you!“, ist. Bei ihnen klang das dann so: „Wir leben unter der totalen Kontrolle, überall sind Kameras, wir werden online beobachtet, alles, was wir bei Google eingeben, wird registriert.“ Wie ist dein Blickwinkel auf unsere Zeit, János?

Im Prinzip habe ich das ja gerade schon ansatzweise beschrieben. Ich will aber auch nicht als kompletter Pessimist verstanden werden. Ich sehe auch viel Gutes in unserer Zeit und es ist wichtig, sich auch nicht nur auf die negativen Entwicklungen zu konzentrieren. Es ist nur so, dass es trotz unserer ach so fortschrittlichen Gesellschaft eben doch extrem viele Probleme und Baustellen gibt, die man angehen muss.


Wir alle haben so unsere Insel-Platten. Welches sind denn eure? (Nach Möglichkeit bitte von allen am letzten Album beteiligten Musikern die aus ihrer Sicht besten drei LPs/CDs nennen, aber auf keinen Fall mehr oder weniger!)

Für mich ist das praktisch unmöglich zu sagen, aber ich will es versuchen (auch wenn ich die Auswahl danach sicher direkt wieder ändern will:

Pain Of Salvation – B

Ritual – The Hemulic Voluntary Band

Feloche – El Silbo

Und hier die Insel-Platten der anderen beiden:

Von Jan:

Baroness – Yellow And Green

Tracy Chapman – Selftitled

Pink Floyd – Wish You Were Here

Und von Martin:

The Beatles – Abbey Road 

Mike Kennealey & Beer For Dolphins – Dancing

Björk – Vespertine


Manchmal vergisst man ganz wichtige Fragen während eines Interviews und die Befragten sind dann traurig oder im schlimmsten Fall richtig sauer, weil gerade die eine oder andere aus ihrer Sicht entscheidende Frage nicht gestellt wurde. Habe ich eine Frage vergessen, deren Beantwortung euch richtig am Herzen liegt?

Wie wärs denn mal mit einer ganz harmlosen Casual-Frage? Das Geheimnis einer guten Pizza zum Beispiel! Sagt dem Italiener eures Vertrauens, er soll die Tomaten erst nach Fertigstellen der Pizza frisch drauflegen. Das hat meine Freundin mir empfohlen, die mehrere Jahre in Italien gelebt hat. Sehr lecker so!


Jetzt bin ich echt sprachlos! Das werde ich umgehend selber erproben. Sollte es sich bewahrheiten, dann werde ich neidvoll das nächste Interview mit deiner Freundin führen – verlass dich drauf, János!

Vielen Dank für das Interview – und lasst den progressiven Raben ordentlich weiterfliegen und ja nicht nach dem ersten Höhenflug mit „The Ending Collage“ abstürzen!

Wir werden unser Bestes geben. Vielen Dank für das Interview und eure tolle Review zum neuen Album!


Thoralf Koß - Chefredakteur (Info)
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