Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit The Crawling Chaos Records (17.11.2019)

The Crawling Chaos Records

Wenn Holger im Fratzenbuch über sein Label schreibt, dann schwingt neben allem Ernst und der Begeisterung, die es für die intensive Arbeit braucht, vor allem Spaß an der Freude mit. Und so bezeichnet der umtriebige Metal-Head, der in und um Köln mit seinem Merch-Stand auf zahlreichen Konzerten anzutreffen ist, seinen Verlag auch mal als "mein kleines Chaos" - und haut mittlerweile die eine oder andere Veröffentlichung nicht nur rheinländischer Bands raus, die Aufmerksamkeit im weiten Rund verdient hat. Wie so einige, jedoch längst nicht alle Label im Metal-Underground, präsentiert sich THE CRAWLING CHAOS RECORDS vergleichsweise professionell und hoch engagiert, und trotzdem - falls das überhaupt ein Widerspruch ist - bleibt nicht selten Raum für Freudiges in Ergänzung zur Musik, z.B. wenn Holger auf der Label-Seite im Fratzenbuch belgische Biere empfiehlt.

Holger, wenn ich mich recht entsinne, wurde ich auf Dein Label aufmerksam, weil Du seltsamerweise - soll heißen: anstelle von Zeitgeister Music - ein Tape der Ildjarn-Verehrer von EKPYROSIS veröffentlicht hast, das mich sehr in seinen eiskalten Bann zog. Mein erster Eindruck von TCCR war also, dass das Label offenbar Vertrauen von Musikern genießt, die es nicht jedem recht machen wollen, und dass es sich traut, mit Veröffentlichungen anzuecken. Inwiefern stimmt diese Wahrnehmung mit Deiner ursprünglichen Zielsetzung überein, und wie kam es überhaupt dazu, dass Du vor über vier Jahren eine Kassette der deutsch-dänischen Formation PLAGE veröffentlicht hast?

Erstmal danke für dieses Interview, es ist mein erstes Interview, das ich im Rahmen des Labels gebe. Normalerweise überlasse ich das ja eher meinen Bands, aber es macht auch Spaß, sowas mal selbst durchzuziehen.
Das "Kriechende Chaos" war schon immer so gedacht, dass ich nur das veröffentliche, was mir persönlich auch gefällt, quasi eine persönliche Qualitätskontrolle. Da mein Geschmack auch recht weitgefächert ist, kommt es eben vor, dass manche Veröffentlichung sicherlich nicht jedem gefällt, aber ein bisschen Risiko ist ja immer dabei, nicht wahr?
Bei PLAGE war es, wie so vieles im Leben, reiner Zufall: Ein guter Freund von mir, mit dem ich über viele Jahre die Kölner Szene als Metal-DJ in lokalen Clubs unsicher gemacht habe, hat mit Mitgliedern von PLAGE ein weiteres Projekt namens FYRNASK, die aktuell fleißig an ihrer Tour arbeiten und mittlerweile drei Alben veröffentlicht haben. Seinerzeit wollten sie das erste und nach wie vor einzige Album von PLAGE lieber in Eigenregie produzieren, und haben dies dann auch als CD-Version gemacht. Im "lustigen" Zustand kam uns beim Auflegen dann die Idee, ich könnte doch mit THE CRAWLING CHAOS RECORDS, das es zu diesem Zeitpunkt zumindest als Idee eines eigenständigen Labels gab, eine limitierte Tape-Auflage machen. Tapes kamen zu dem Zeitpunkt wieder sehr "in Mode" und die Produktionskosten waren überschaubar. Gesagt, getan, wenige Wochen später kam mit PLAGE das erste TCCR-Release raus.

Wie ging es danach weiter und was ließ Dich Mut fassen, das Hobby nach und nach professioneller aufzuziehen?

Nachdem sich das PLAGE-Tape gut verkauft hatte, kam ich in Kontakt mit mehr und mehr Bands, welche die Verwertung auf Tape sehr attraktiv fanden. Sie wollten sich zum einen mehr an die wirklichen Musiksammler wenden und zum anderen konnten wir Tapes recht günstig auf den Konzerten anbieten. Kombiniert mit Download-Codes war das die perfekte Variante für den aufkeimenden Fan: Band überzeugt live, Tape passt in jede Tasche, mehr Geld für Bier!

An welchen Punkten hast Du in den letzten Jahren innegehalten und überlegt, ob TCCR weiter wachsen soll und die Entwicklung des Labels im Großen und Ganzen in eine vertretbare bis optimale Richtung läuft?

Es gibt immer wieder Momente, vor allem in den Hochphasen, wenn sich mehrere Produktionen überschneiden, in denen ich mich frage, ob ich das weiterhin auch im Alleingang schaffe. Aber im Prinzip war ich immer der Meinung, dass das Wachstum noch überschaubar ist und ich versuche eigentlich immer das Label soweit zu unterhalten, dass dennoch ein wenig freie Zeit bleibt, um zu entspannen und Kraft für die nächsten Schandtaten zu tanken. Dass das Label wächst und gedeiht, ist erfreulich, und ich bin sehr dankbar für die hohe und positive Resonanz, die ich dafür erhalte.

Von einigen Alben, die bei anderen Labels erschienen sind, hast Du mit TCCR Neuauflagen in anderem Format veröffentlicht, oft auf Kassette, manchmal auch auf Vinyl wie z.B. beim BELTEZ-Album „Exiled...“ oder bald beim AYAHUASCA-Debüt. Kommen in solchen Fällen die Bands auf Dich zu, oder bist Du es als Fan, der sich ausmalt, wie fein dieses oder jenes Album im klassischen Format wäre?

In der Regel sind es die Bands selbst. Aber gerade bei Vinyl achte ich auch auf die allgemeine Haltung der Fans. Was nützt es, wenn die Band gerne eine Vinylfassung hätte, wenn sie dann von zwei Fans gekauft wird und der Rest im Lager verstaubt? Da muss man manchmal auch knallhart realistisch sein. Vinyl ist und bleibt teuer, zwar ist sie meiner Meinung nach jeden Cent wert, aber die Produktionskosten musst du dann auch erstmal am Start haben, sonst sieht es finanziell schnell finster aus.

Apropos Tapes: Ich vermute, ich habe in diesem Jahr mehr Kassetten als LPs gekauft, und zwar auch aus Kostengründen. Zudem ist es unheimlich praktisch, sich die Alben per Download-Code runterladen zu können. Zuhause höre ich dann Tape, unterwegs ggf. die digitale Version. Wie gut kommen Tapes heutzutage an und welche Gründe sprechen aus Kunden- wie aus Deiner Sicht für dieses aus Ruinen auferstandene Format?

Wie schon weiter oben erwähnt, das Tape ist sowohl für den Sammler, als auch für den Konzertgänger ein mehr als dankbares Format. Es ist klein, es ist im Verhältnis recht preisgünstig und dank der Möglichkeit, über Bandcamp Download-Codes zu generieren und den Tapes beizufügen, ist es noch nicht mal notwendig, ein Tapedeck zu haben.

Du wirst sicher auch damit umgehen müssen, dass gute Presswerke immer längere Vorlaufzeiten haben, oder die Herstellung von Kassetten aufgrund der erstaunlich hohen Nachfrage mittlerweile deutlich teurer ist als noch vor wenigen Jahren. Bei Bands oder Underground-Labels bleibt bei kleinen Auflagen ja kaum zählbare Kohle hängen. Wie kalkulierst Du, damit sich TCCR für Dich "lohnt" - und was heißt das eigentlich für Dich?

Ja, das ist korrekt, viele der größeren Labels sind mittlerweile ebenfalls auf den Trichter gekommen, sodass auch namhafte Bands (wieder) auf Tape erscheinen. Ich vermute, dass diese Produktionsschwemme dafür gesorgt hat, dass die Produktionskosten ordentlich angestiegen sind. Vom Stückpreis her hat das Tape dadurch die CD bei Weitem überholt. Rechnen tut sich das leider nur noch in seltenen Fällen. Aber dennoch versuche ich auch weiterhin, mindestens ein bis zwei mal im Jahr Produktionen auf Tape zu veröffentlichen, gewissermaßen aus nostalgischen Gründen.
Tja, was heißt "lohnt sich" - eine gute Frage, die ich mir auch ab und an stelle. Man steckt ja schon viel Lebenszeit in eine solche Sache und wie du schon sagtest, viel bleibt in der Tat nicht hängen. Man muss eigentlich permanent kalkulieren, wann was erscheinen kann und ob genug Budget für eine weitere Band bzw. für eine Vinylauflage etc. da ist. Im Prinzip mache ich von jedem Release eine Projektkostenauswertung und schaue mir an, ab wann die Produktionskosten soweit wieder drin sind, dass ich weiter arbeiten kann. Glücklicherweise ist mittlerweile genug erschienen, dass ich genug verkaufen kann, um immer aktiv bleiben zu können.
Mir ist aktuell wichtig, dass das Label sich selbst tragen kann, ich also nicht permanent Kohle reinstecken muss (ich sage immer im Spaß, dass ich mir von der Kohle, die ich die ersten 3 Jahre reinstecken musste, einen guten Neuwagen hätte kaufen können – aber wer braucht das schon...) und so albern das klingen mag, aber der Lohn ist, dass ich zum einen jedes mal begeistert bin, wenn Fans und/oder Kritiker Gefallen an unserer Arbeit finden. Zum anderen ist es einfach genial, wenn du im Publikum stehst und die Leute feiern eine deiner Bands ab, die gerade die Musik zum Besten gibt, die du selbst mit veröffentlichen konntest. Das macht schon ordentlich Freude!

Je mehr Du via TCCR veröffentlichst, desto mehr Anfragen von Bands erhältst Du wahrscheinlich. Als ich selbst vor bald drei Jahren ein Mini-Album von King of Asgard veröffentlicht hatte, meldeten sich in der Folge einige Bands, die im Grunde einen ähnlichen Stil spielten, allerdings deutlich weniger eigenständig und mitreißend klangen, und das hat mich ziemlich genervt. Wie ergeht es Dir in dieser Hinsicht, und welche Tipps würdest Du Bands für eine Bewerbung geben, damit sie auch gut ankommt?

Japp, Bewerbungen kommen mitunter täglich reingeflattert und mittlerweile kann ich leider auch einfach nicht mehr jede beantworten. Was ich ganz schlimm finde, sind solche schlechten 0815–Bewerbungen, bei denen du schon weißt, dass die Leute gar nicht versuchen, dich gezielt anzuschreiben, sondern dass sie einfach einen Sammelverteiler an 35.000 Labels schicken. Ehrlich Leute, das bringt nix! Ansonsten hilft es - außerhalb der Musik, die mich natürlich überzeugen muss - ehrlich, offen und klar zu sagen, was man sich vorstellt, da ist dann schonmal das Grundinteresse geweckt und man kann auf Antwort hoffen. Realistisch bleiben ist auch nicht verkehrt, irgendwie muss es sich ja rechnen und völlig überzogene Vorstellungen nützen nichts.

Mich hat unlängst das wahnsinnig starke Debüt von RAPTVRE aus den Socken gehauen, obwohl ich durch das Demo im Grunde ja vorgewarnt war. Doch was die Jungs da in 40 Minuten abreißen, ist zweifelsohne erhaben und ziemlich eigen, so dass ich Dich insbesondere zu dieser Veröffentlichung nur beglückwünschen kann! Hast Du Dir beim ersten Hören auch verdutzt die Ohren gerieben, oder kam es eher einem inneren Triumphzug gleich, so nach dem Motto "genau solch eine Killer-Scheibe habe ich den Jungs zugetraut"?!

Danke danke, das höre ich gern, hast uns ja auch schon ein echt feines Review geschrieben, danke auch dafür! Kirill  von RAPTVRE und ich kennen uns ja nun auch schon zig Jahre aus den lokalen Stammläden und seit wir letztes Jahr angefangen haben, im Rahmen der ersten AYAHUASCA zusammenzuarbeiten, hat diese Kooperation in Form von aktuell vier Veröffentlichungen (plus die nun bald erscheinende BENEATH THE MIND Doppelvinyl) ordentlich Früchte getragen. Eigentlich habe ich in seine künstlerischen "Ergüsse" immer hohe Erwartungen, die bislang auch immer erfüllt wurden. Speziell bei der RAPTVRE hatte ich erst vor zwei Wochen das Vergnügen, das fertige Master zu hören. Und ja, ich habe den Jungs zugetraut, dass da so ein Hammer-Ergebnis bei rum kommt. Aber was sie da final draus gemacht haben, ist einfach nur KRANK, aber GENIAL KRANK, anders kann man das nicht nennen!

Nun steht bald die Veröffentlichung des ÄERA-Debüts an, und gerade hast Du das Signing von HORRESQUE verkündet. Langweilig dürfte Dir also kaum werden... Wohin darf Dich die Reise ins Chaos noch führen? Gibt es Bands, deren Musik Du unheimlich gerne veröffentlichen würdest, die Du jedoch (noch) nicht fragst?

Die eine oder andere gibt es tatsächlich, aber das bleibt dann doch mein kleines Geheimnis. ;-) Ich bin jetzt aktuell da, wo ich sein wollte: Ich habe ein Roster an Bands, von denen ich jede sehr schätze und bei denen ich sehen kann, wie viel Herzblut und Arbeit sie in ihre Werke stecken. Und dieser Bestand an Bands wird mit Sicherheit noch wachsen, ich kann ja nicht riskieren, dass mir langweilig wird.

Wie oft wirst Du eigentlich gefragt, wie chaotisch Du bist - und falls dem so ist: Treibst Du damit Dein Umfeld oder auch mal Musiker Deines Labels an den Rand des Wahnsinns?

Ja, ich bin privat der totale Chaot, aber dennoch denke ich mir manchmal, dass Bands – Künstler, wie sie nun mal sind – ebenfalls in der Regel mindestens mal kleine Chaoten sind (manche mehr, manche weniger). Wenn ich jemanden in den Wahnsinn getrieben habe, dann höchstens dadurch, dass ich sehr penetrant sein kann und kurz vor einem Release, wenn nicht alles nach Plan geht, können auch schon mal die Nerven flattern, das gebe ich zu. Und es gibt mit Sicherheit genug Leute aus meinem privaten Umfeld, denen ich mit Storys vom Label "'nen Knopf an die Backe gelabert" habe!

Ich hatte ja bereits erwähnt, dass Du im Fratzenbuch neben der Musik auch mal das eine oder andere dunkle Gesöff aus Belgien empfiehlst, was ich so sympathisch wie geschmackvoll finde. Wie wichtig ist es Dir, dass es bei TCCR nicht ausschließlich darum geht, Musik zu verkaufen, sondern eben sonst auch eine gute Zeit zu haben und den metal way of life zu genießen?

Na, einfach aus dem Grund, dass ich wie meine Bands ebenso aus der Szene komme, ich gehe auf Konzerte, ich gehe feiern, ich freu' mich, wenn ich irgendwo in einem Club beim kühlen Blonden (oder Dunklen) sitze und es läuft ein Song, den ich geil finde. Belgien ist für mich neben Norwegen ein dauerhaftes Urlaubsziel. Ich habe in meiner Kindheit viel Zeit an der Küste verbracht, habe meine Freundin in Brügge gefragt, ob sie meine Frau werden will (zum Glück hat sie ja gesagt) und das zum Teil doch sehr spezielle Bier zusammen mit der lokalen Küche macht einfach Laune und schmeckt zu geil. Außerdem habe ich keinen privaten Instagram Account und ab und an muss ich dann auch mal auf dem Labelkanal unter dem Hashtag labelonvacation ein wenig ausrasten.

Danke dir, Holger, für Deine Zeit, und weiter frohes Schaffen mit Deinem "kleinen Chaos" - ich bin gespannt, was Du uns in Zukunft kredenzen wirst!

Danke Thor, ich werde dich selbstverständlich weiterhin auf dem Laufenden halten!

 

Thor Joakimsson (Info)