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Interview mit Long Distance Calling (28.09.2007)
SIEBEN (MUSIKALISCH-FOTOGRAFISCHE) REISEN UM DIE WELT
Vorab erst einmal einen herzlichen Glückwunsch!
Danke, danke! :-)
Gerade halte ich das mehr oder weniger bekannte ECLIPSED (aus einem Pink-Floyd-Fanzine hervorgegangene überregionale Musikzeitschrift mit deutlichem Hang zum Prog-Rock, die besonders Godspeed You! Black Emperor „gepusht“ haben) in meinen Händen und entdecke neben der beigelegten CD (Titel 8 darauf ist „Aurora“ von euch) und einer euphorischen Kritik zu eurem Album auch die Hitlisten der Redakteure. Bei zweien wird eure CD in ihren Top 5 aufgeführt, einmal sogar auf Platz 1. Wer hat eigentlich die Wahl für den Titel „Aurora“ auf der Eclipsed-CD getroffen – die Redaktion oder ihr? Und warum fiel die Wahl gerade auf diesen Titel?
Wir als Band haben zusammen überlegt, welchen Titel wir am ehesten für solche Aktionen nehmen würden. „Very last day“ und „Jungfernflug“ sind ja allein schon wegen der Länge ausgeschlossen. „Fire in the mountain“ ist schon länger auf unserer Myspaceseite zu hören, und so ging es dann weiter bis „Aurora“ fest stand. Wir finden den Song sehr stark und denken, dass er anders als „Fire in the mountain“ funktioniert. Daher zeigt er auch eine andere Seite von LDC, was uns sehr wichtig ist, wenn wir die Möglichkeit haben, für so eine CD einen Song beizusteuern.
Gerade „Aurora“ ist für mich ein Titel, der unglaublich stark beginnt, aber in ebenso rasanter Weise auch etwas abflacht – er hält also nicht das, was er am Anfang verspricht! O.K., jetzt könnt ihr mir verbal total einen verpassen – warum habe ich aus eurer Sicht Unrecht?
Du hast nicht Unrecht, du hörst den Song nur anders als wir. ;-) „Aurora“ beginnt sehr schleichend, die Entwicklung am Anfang ist nicht vordergründig präsent, es sind halt kleine Dinge, die sich verändern. Dadurch wird bei uns eine bestimmte Stimmung erzeugt, die auch nur in der Länge des Parts aufkommt. Danach sozusagen der Ausbruch, reißt für mich das Steuer herum, der Fluss wird unterbrochen, der Groove regiert, wir lassen uns gehen und treiben auf dem Groove, um nach einem Stonerriff wieder im elegischen anzukommen. Aurora baut sich hier neu auf, es sind wieder nur kleine Veränderungen, die den Song bis zum Schluss weiterentwickeln. Als ich den Song das erste Mal hörte, dachte „ja gut, kann man machen“. Mittlerweile ist der Song mein Lieblingssong des Albums. In Songs muss für mich nicht viel passieren, im Sinne des ständigen Rumgefrickels oder so. Die Monotonie, die in dem Song allgegenwärtig ist, ist gerade das, was den Song ausmacht. Sie baut eine eigene Stimmung auf, die sich nicht greifen lässt.
Übrigens habe ich eine ganze Weile über das aus der Vogelperspektive aufgenommene Motiv auf eurem Cover nachgegrübelt – bin aber zu keiner überzeugenden Lösung gekommen. Könnt ihr mich diesbezüglich aufklären und gleich eine Verbindung zu eurer Musik herstellen?
Keine Ahnung welche Lösung du für welches Problem suchst. ;-) Wir haben das Foto gesehen und wussten, dass es das Cover ist.
Vorher stand schon der Name „Satellite Bay“ fest, nur die visuelle Umsetzung war noch nicht durchdacht. Wir hatten mehrere Ansätze, den Titel umsetzen zu wollen. Als wir dann das Foto gesehen haben, hatten sich alle Fragen zum Cover erledigt. Der Fluss, die Perspektive, es passt zum Namen des Albums. Auch hörst du am Anfang und Schluss des Albums eine Propellermaschine, also quasi der Flug über die Stadt, vorbei an dem Turm in der Mitte des Booklets, auf der Rückseite dann das Flugzeug an sich...
Auf eurer Promo-CD kann man lesen, dass ihr, bevor ihr LDC im Jahre 2006 gründetet, zuvor in anderen, deutlich härter ausgerichteten Bands gespielt habt. Welche waren denn das so – und wodurch habt ihr euch plötzlich dieser „neuen“ Musik verschrieben, für die es so viele Namen gibt: New Art Rock, Post Rock oder (wie ihr es so toll nennt) „Free Flight“?
Jan, unser Bassist, hat früher in einer Schwedenmetal Kapelle gezockt. Dave spielt noch bei The Ghost Dance Movement, die einen Mix aus Botch und Noise fabrizieren. Flo und Janosch sind noch bei Misery Speaks am Start. Ich habe früher bei Muad´dib Schlagzeug gespielt.
Man kann nicht direkt sagen, dass wir uns plötzlich dieser Musikrichtung verschrieben hätten.
Es ist so, dass wir alle die Begeisterung für Instrumentalmusik teilen. Grundsätzlich sind unsere musikalischen Vorlieben aber komplett unterschiedlich. Bevor ich zur Band gestoßen bin, haben die Jungs einfach Musik gemacht. Völlig offen, ob es Instrumental bleibt, ein Sänger oder eine Sängerin oder ein Soundmensch dazu kommt. Es hat sich so entwickelt, dass Long Distance Calling auf dem Debutalbum genau diesen Sound spielen.
Wo wir schon bei so gelungenen Zitaten von euch sind, hier gleich ein weiteres: „´Satellite Bay´ beansprucht etwa eine Stunde deiner Zeit: dafür bekommst du sieben Reisen rund um die Welt.“ Dann lasst uns doch einmal gemeinsam diese Reisen antreten … Wo führt uns der „Jungfernflug“, wo „Fire In The Mountain“, wo „Aurora“, wo „Horizon“, wo „The Very Last Day“, wo „Built Without Hands“ & wo „Swallow The Water“ hin?
Hinter dem Zitat steckt keine Angabe etwaiger Reiseziele, wie z.B. Afrika oder Australien. Der Satz soll ausdrücken, dass auf dem Album sieben Songs sind, die einen roten Faden haben, aber trotzdem unterschiedlich sind. „Ja klar“, denkt jetzt der eine oder andere, „das hört sich doch alles gleich an“. Klar, weil wir eine Band sind, ähneln sich die Songs. Normal. Vergleicht man jetzt „Horizon“ beispielsweise mit „Jungfernflug“, so werden große Unterschiede hörbar. Wir versuchen, unser Feld möglichst weit abzustecken. Wir wollen uns bewusst keine Grenzen auferlegen. Soll heißen, wenn wir Bock auf etwas haben, machen wir das auch. Oder versuchen es zumindest. Wie mit Peter Dolving. Wir finden seine Stimme umwerfend und haben ihn gefragt, ob er bei uns einen Song veredeln will. Er hat zugesagt, und wir freuen uns ein Loch in den Bauch, dass er das tatsächlich gemacht hat. Und dann auch noch so unglaublich gut!
Noch eine Frage zu „Built Without Hands“, weil dieser Titel schon des Gesanges wegen ein wenig aus dem „Satellite Bay“-Rahmen fällt. Außerdem enthält er in einigen Momenten dieses klassische, etwas düstere Porcupine-Tree-Gefühl samt Weltuntergangsstimmung. Die wird dann aber gehörig weggerockt. Das klingt verdammt interessant! Peter Dolving hat dazu den Text geschrieben und singt auch. Leider konnte ich den Text nirgends entdecken. Worum geht es darin und sind zukünftig mehr Titel gemeinsam mit Peter Dolving geplant?
Der Song „Built without hands“ beschäftigt sich mit der Zurückweisung, die ein kleiner Junge durch eine ältere Frau, vermutlich die Mutter des Jungen, erfährt. Den Text habe ich selber auch nie gelesen. Ein Grund, warum wir unbedingt Peter als Sänger für den Song haben wollten, ist, dass er seine Stimme als Instrument benutzt. Er spielt, experimentiert mit ihr, er begibt sich praktisch immer in die Musik hinein, anstatt über ihr zu schweben. Was wir bewusst vermeiden wollten und wollen. Es gibt zwar viele Sänger, aber eben wenige, die ihre Stimme als Instrument verstehen. Direkt geplant sind keine neuen Aktionen mit Peter Dolving, aber wer weiß.. ;-)
Als ich vor einiger Zeit gemeinsam mit meiner Tochter bei einem Konzert von A Silver Mt. Zion (eine „abgespeckte“ Variante von Godspeed You! Black Emperor) war, hatte der Gitarrist und Kopf dieser Band einen Haufen Fotos vor sich liegen, die er bei jedem neuen Titel wechselte und die ihn bei seiner Musik deutlich zu inspirieren schienen. Als ich mich im Anschluss an das Konzert mit ihm unterhielt und er erfuhr, dass meine Tochter an diesem Tag Geburtstag hatte, ging er zu seinem Bilderstapel und schenkte ihr eins der Fotos, das er öfters obenauf liegen hatte. Darauf war ein weißes Steinkreuz samt Engel auf einem Friedhof zu sehen, das gegen das Sonnenlicht fotografiert und braun gefiltert worden war. Irgendwie passten das Foto und die Musik ausgezeichnet zusammen. Welche Bildmotive könntet ihr euch für eure sieben Titel von „Satellite Bay“ vorstellen?
Bei „Jungfernflug“ - klar, da muss ´n Flugzeug in riesigen Wolken her. Ähnlich dem Foto auf der Rückseite der CD.
„Fire in the mountain“, warme Farben, wenig Pflanzen, viel Gestein, ein riesiger bröckelnder Berg, der in Flammen steht.
„Aurora“, ein weites Motiv, vielleicht wieder eine Luftaufnahme. Allerdings mit Tuchfühlung zur Erde, Dämmerungsstimmung, gegen die Sonne fotografiert.
Bei „Horizon“ schießen mir immer Bilder von Vögeln, die gerade aufsteigen, durch den Kopf.
Vielleicht ein von unten fotografierter Schwarm von Zugvögeln, kurz vor der Gleitphase (dem Ende des Songs).
„Very Last Day“ ist für mich einfach nur blau; versinkende Städte, brechende Wellen, düstere Atmosphäre, vielleicht ist der Mond zu sehen.
„Built without Hands“ hat für mich auch warme Farben. Ich könnte mir eine Sandwüste gut vorstellen, am Morgen, mit hohen Dünen und klarem Himmel.
„Swallow the Water“. Der Song ist die Monotonie des Alltags, die Arbeit, die fast wie ein Muster wirkt gegen den freien Fall / Absturz, der daraufhin folgt. Wie man das in einem Bild umsetzen könnte...keine Ahnung.
Wo wir schon bei Weltuntergängen und Düsternis sind – eine (bitte ernst zu nehmende, aber nach Möglichkeit nicht zu schnell in die Tat umzusetzende) Frage. Welche Musik würdet ihr euch auf eurer Beerdigung wünschen und welche Platte würdet ihr eurem besten Freund als euer wertvollstes Stück vererben?
Kein Problem, da habe ich mir auch schon Gedanken drüber gemacht. Mmh, bei meinem Musikgeschmack und der Unmöglichkeit nur einen Song auszuwählen, muss ich aufpassen, dass aus dem Trauermarsch, keine Trauerwanderung wird. Heiß im Rennen wären aber auf jeden Fall:
Neurosis – „Strenght of fates“.
Isis – “Beginning and the end”.
Oder auch Bohren & der Club of Gore mit „Maximum Black“ oder passender weise „Graveyard wisdom“ oder ein anderer Hit.´Es könnten aber auch Stars of the Lid, Fennesz oder Taylor Deupree laufen. Vielleicht auch etwas Klassisches. Wer weiß, ich hoffe, dass das Thema nicht in naher Zukunft aktuell wird, dafür ist das Leben einfach zu toll!
Na dann – auf eine glückliche musikalische Zukunft ohne unangenehme Überraschungen! Vielen Dank für das Interview.
Ich danke dir für das Interview!
Thoralf Koß - Chefredakteur
(Info)
Alle Reviews dieser Band:
- Long Distance Calling - Satellite Bay (2007)
- Long Distance Calling - Avoid The Light (2009)
- Long Distance Calling - Long Distance Calling (2011)
- Long Distance Calling - The Flood Inside (2013)
- Long Distance Calling - Trips (2016)
- Long Distance Calling - Boundless (2018)
- Long Distance Calling - How Do We Want to Live? (2020)
- Long Distance Calling - Eraser (2022)
- Long Distance Calling - Avoid The Light (15th Anniversary Edition) (2024)