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Fabian Simon - Ost-Pol / Dresden - 12.02.2009
FABIAN SIMONs VOLKSFÜRSORGE – oder wenn die gute alte Vergangenheit auf die böse alte Vergangenheit trifft!
Es sind die Zufälle im Leben, die dieses zu etwas so Besonderem werden lassen. Archimedes steigt in seine Wanne und leitet aus der Tatsache, ob er das mit oder ohne Badehose, in erregtem oder weniger erregtem Zustand tut, die abenteuerlichsten mathematischen Formeln her – Van Gogh schneidet sich erst sein Ohr ab und malt kurz danach sein bekanntestes Selbstbildnis mit Binde – und ich gehe eines kalten Februartages 2009 in Dresden in einen Schuppen, der mich normalerweise schon wegen seiner (n)ostalgischen Ausrichtung abgeschreckt hätte, nur weil ich gehört habe, dass da ein recht interessanter Typ mit ’ner recht interessanten Band spielen soll, die so einige Schubladen sprengt und sehr nach Kraut, aber überhaupt nicht nach Rüben klingt. Das macht einen schon neugierig und bei läppischen 5 Euro Eintritt muss ich auch nicht gleich die nächsten zwei Wochen im Rollkragenpullover in meiner Bude sitzen, weil ich an den Heizkosten sparen und für die armen Banken unseres Ländles, die sich mit ein paar Milliarden so jämmerlich verzockt haben, aufkommen soll.
Ideale Voraussetzungen für den „Ost-Pol“ in Dresden. Eine Kneipe, die mir in ihrem ganzen östlichen „Charme“ voller ehemaliger DDR-Produkte eindrucksvoll vor Augen führt, dass die friedliche Revolution tatsächlich unbedingt erforderlich war, denn ohne die wäre der ganze Scheiß, den ich dort in Erinnerungen schwelgend so „bewundern“ durfte, nicht Nostalgie, sondern bittere Realität gewesen. Dann hätte mich dort an diesem Abend vielleicht eine Puhdys-Coverband „beglückt“, aber nicht ein Konzert, das in mir Gefühle weckte, denen ich mich zu DDR-Zeiten voller Verzweiflung hingab, wenn ich in den frühen 70er Jahren den Beat-Club sah und wusste, dass dies live für mich wohl niemals möglich sein würde. Eine Mauer und ein riesiger Haufen von Betonköpfen ließen das einfach nicht zu – und wie sagte unser damaliger Staatsratsvorsitzender es so schön: „Den Sozialismus, in seinem Lauf, halten weder Ochs’ noch Esel auf!“ Er schien dabei nur nicht bedacht zu haben, dass dieser Sozialismus genau von diesen Ochsen und Eseln in Eigeninitiative gemacht worden war und sie selber Bestandteil dieser Gattung waren. Komisch, aber solche Erinnerungen gingen mir tatsächlich durch den Kopf, als ich statt 5 Ostmark 5 Euro bezahlt und meinen Fuß auf den (… nein, nein, nicht verminten Todesstreifen, sondern den) Ost-Pol-Kneipenboden gesetzt hatte.
Östliches Flair: keine Bühne, dafür aber eine freigeräumte Kneipenecke, in der ein buntes Sammelsurium aus „mittelalterlichen“ Tasteninstrumenten, seltsamen Soundeffekt-Geräten, einem Schlagzeug, Bass und akustischer sowie E-Gitarre friedlich nebeneinander lagen und standen, statt, mit östlichen Feindbildern gefüttert, sich einander den verkabelten Saft abzudrehen. Ein glatter Fall für die Stasi („Liebevoll-ironische“ Abkürzung für die bestialische DDR-„SS“: Staats-Sicherheit). Doch die kam zum Glück nicht, dafür betrat aber FABIAN SIMON, der schon seines jugendlichen Alters wegen über jeden Verdacht erhaben war, die „Bühne“. Ein junger, irgendwie von seiner Kleidung her in den 70ern sozialisierter Mann. Er schnappte sich seine Gitarre, machte eine trocken-humorige Begrüßungsansage und legte mit einem musikalisches „Durcheinander“ los, das unumwunden krautig war und einen Abend eröffnete, den GURU GURU und CAN gemeinsam mit AMON DÜÜL auch nicht besser hinbekommen hätten.
Wohnkommunenmusik, wird jetzt der eine oder andere denken und verächtlich die Nase rümpfen, wenn ihm das Wort „Krautrock“ in den Sinn kommt – sowas ist doch, seitdem unsere Alt-68er in die Politik gegangen und sich mit denen vereinigt haben, die sie bis dahin bekämpften, längst vorbei.
Ihr irrt euch – liebe Freunde! Da gibt’s anno 2009 noch immer einen seltsamen Typen, mit einer seltsamen Stimme, mit seltsamen Texten und noch seltsameren musikalischen Ideen, der mit seinen 24 Jahren so klingt, als wäre die Zeit in den Spätsechzigern, als in der Musik noch die Ideale zählten und Kreativität nicht nur nach vermarkt- oder unvermarktbar eingeschätzt wurde, plötzlich stehen geblieben. Genauso eben wie die Goodbye-Lenin-Zeit im Ost-Pol stehen geblieben war, allerdings mit deutlich unangenehmerem Hintergrund.
Ein Sonntagskind aus dem Tübinger Westen, der sein nunmehr zweites Album natürlich „Sunday’s Child“ nennt, betritt also die provisorische Bühne des Dresdner Ostens, schnappt sich seine akustische Gitarre vom Teppichboden, schlendert ans Mikro und legt los – und mir fällt erst einmal die Kinnlade herunter und die Überraschung steht mir, dem 20 Jahre Älteren, wohl auf dem Gesicht geschrieben, denn aus dem Ost-Pol wurde mit einem Schlag der Beat-Club für mich. Allein und irgendwie abgefahren erscheint da ein „Bübchen“, das, verschmolzen mit seiner Gitarre, die ersten drei Titel (Every Ending / Slippery When Wet / The Fire Brigade) solo darbietet – selbstvergessen singt es mit einer Stimme, die zu „meiner Kinnladenreaktion“ führte. Diese Stimme klingt nicht etwa nach frühem Dylan oder Stevens oder Young – nein, sie klingt wie die Inkarnation aus grummelndem BRAD ROBERTS (CRASH TEST DUMMIES) und ekstatischem JIMI HENDRIX. Wer’s nicht glaubt (Hätte ich ehrlich gesagt auch nicht!), der höre sich einfach mal unter www.myspace.com/fabiansimon „Sunday’s Child“ an - und er wird danach seinen Glauben an die gute alte Musikvergangenheit in dieser kalt-gecasteten Pop-Gegenwart wiedergewinnen. Mir jedenfalls ging es bereits nach den ersten drei Solo-Titeln so. Doch es sollte noch besser kommen!
Denn mit der musikalischen Feststellung, dass melancholische Mädchen verdammt sexy wirken (Melancholic Girls Are Sexy), kündigte Fabian seine Band an, die je nach Abend und Stimmung mal DAS VOLK, mal VOLKSFÜRSORGE oder auch VOLKSEMPFÄNGER hieß. In Dresden hatten sie sich für DAS VOLK entschieden. Welch Wunder, denn auch hier erklangen 1989 die Rufe „Wir sind DAS Volk“, die dann viel zu schnell von „Wir sind EIN Volk“ abgelöst wurden! Doch egal, welcher Name gewählt worden war, immer verbargen sich hinter diesem Begriff die drei gleichen, an ihren Instrumenten begnadeten, leidenschaftlichen Musiker: MARCUS THOMAS (Fender Rhodes, Telecaster, Synthie, Bluesharp, verschiedene Gitarren, Soundtüfteleien und Gesang), JAKOB DINKELACKER (Schlagzeug) und SEBASTIAN KUNAS (Bass).
Nun begann eine wilde Achterbahnfahrt vom Postrock kanadischer Prägung (GODSPEED YOU! BLACK EMPEROR) über Songwriter-Pop a’la SIMON & GARFUNKEL mit Umwegen zum Krautrock bester CAN- oder GURU GURU-Tradition bis hin zu gefühlvollem Indi-Intelligence-Rock solcher Bands wie LAMBCHOP oder BEN FOLDS FIVE. Jeder Titel eine Überraschung, jeder Text eine Provokation mit schwarzhumorigem MONTY-PYTHON-Sarkasmus. Kleines Beispiel gefällig? Bittesehr: „ I am a true Sunday’s child / And on a Sunday I am gonna die / Of all the days I like the most / The seventh one that is my host” (Sunday’s Child), oder “I’m a lover, not a fighter / I’m a sufferer, not a survivor / And I am like a snowman, y’see / With the sun always shining down on me” (Snowman). Das hätte auch ein SYD BARRETT, der erste, aber leider viel zu oft drogengeschwängerte Kreativ-Kopf von PINK FLOYD, kaum besser hinbekommen.
Die pure Frechheit, das pure Vergnügen und spätestens wenn SIMON der Zauberer (Nicht nur in Computerspielen, sondern auch in der Musik werden heutzutage noch Wunder vollbracht!) fast unverschämt verkündet: „Meinen nächsten Titel habe ich bei LED ZEPPELIN geklaut!“, und die ersten Takte wiederum „pur“ sind, nämlich purer „Stairway To Heaven“-Sound, reicht’s einem endgültig. Dann will man auf die Bühne, die eigentlich gar keine Bühne ist, stürmen und rufen: „Mach weiter so, DU und DEINE BAND sind DAS VOLK – es ist wieder an der Zeit mit all dem Scheiß hier aufzuräumen, darum lass uns mit der beschissenen Musik der Gegenwart beginnen und deine musikalische Zukunft im Vergangenheitsgewand dagegensetzen! Seid nicht EIN – seid DAS Volk!!! Auch wenn das die Ossis nicht kapieren und die Wessis nicht begreifen wollen!“ Doch relativ unbeachtet und ein wenig traurig verklingen dann die letzten Töne von „Between The Times“ und es tritt das ein, was ich erwartet, aber garantiert nicht gewünscht oder erhofft hätte.
Das Konzert vorbei, die Reaktionen des Publikums recht verhalten, der Applaus verebbt viel zu schnell – so schnell, dass ich leidvoll erkennen muss, dass eine Zugabe wohl ausfällt und der Ost-Pol wohl seiner ziemlich emotionalen Kälte wegen sich besser Nord-Pol hätte nennen sollen. Ein wenig enttäuscht vom Publikum, aber begeistert vom Konzert, halte ich FABIAN auf, der gerade die Musikinstrumente gemeinsam mit seinen Musikern abräumt. Die CD muss ich natürlich haben – für 10 Euro ist auch die fast geschenkt. Ihn scheint zu freuen, dass ich „alter Ost-Sack“ begeistert von dem Konzert war und heiß auf seine CD bin. Also erzählt er mir noch schnell, dass die Musik darauf auch viel mit dem Geschmack seines Vaters zu tun hat, der ihn sozusagen auf den musikalischen Weg gebracht hat, ohne irgendwelche Gene zu manipulieren oder Klon-Wunder vollbringen zu müssen. Hier trifft also Vergangenheit auf Gegenwart und klingt nach neuer, glücklicher Musikzukunft.
Ich nehme die CD zur Hand und betrachte verblüfft das Cover, auf dem ein Kopf zu sehen ist, der eigentlich nicht Fabian, aber wiederum irgendwie doch Fabian ist. Die Erklärung liegt schnell auf der Hand und kommt von Fabian selbst: das Cover ist die Bearbeitung zweier übereinander gelegter Fotos: das von Fabian und das seines Vaters – zwei Köpfe, Vater und Sohn, verschmolzen zu einem. Ja, genau, wunderbar – wozu noch viele Worte verlieren: Genauso klingt diese Musik, sie hat nicht ein, nein, sondern zwei Gesichter!
Setlist:
1. Every Ending
2. Slippery When Wet
3. The Fire Brigade
4. Melancholic Girls Are Sexy
5. Kite
6. Ants In Suits
7. Demons
8. Silversurfer
9. Sweet Misery
10. The Sleeper Awakes
11. Sunday’s Child
12. Incantation
13. Snowman
14. The Love Of The Nihilist
15. Between The Times