Partner
Services
Statistiken
Wir
Jackson Browne - Stadthalle, Tuttlingen - 18.04.2009
„Oh, want you stay, just a little BIT longer….”
Wohl hundertmal schallt uns täglich diese, mittlerweile stark verfremdete Song-Zeile aus den werbefinanzierten Mainstream-Sendern entgegen. Jedem, der diesen Song von BRUCE SPRINGSTEEN und JACKSON BROWNE kennt und liebt, dreht sich jedes Mal der Magen um …. und: Nein, ich trinke KEIN Bitburger Pilsener – NIEMALS!
Um die Beweggründe zu schildern, die mich veranlassten, nun fast 400 km in die tiefste schwäbische Provinz, nahe der Donau-Quelle, zu einem der seltenen Deutschland-Konzerte JACKSON BROWNEs anzureisen, müsste ich tief in meine eigene Biografie einsteigen. Was ich allerdings mir und dem geneigten Leser ersparen möchte. Tatsache ist dagegen, dass JACKSON BROWNEs Songs einer ganzen Generation -nämlich der meinigen- den Soundtrack zum Umsturz(versuch) geliefert haben. Die friedensbewegten Atomkraftverweigerer hierzulande bekamen von dem zwar stillen, doch leicht erzürnbaren Barden aus Kalifornien moralische Rückendeckung und Unterstützung. Der beinahe Super-GAU von Harrisburg, die schmutzigen Kriege der CIA, der militärisch-industrielle Komplex der USA und die Diktatoren dieser Welt wurden von dem jungen Mann angeprangert, dessen Wurzeln und Triebfedern im „Summer of Love“ 1967 zu finden sind. So einen nennt man in den US ganz schnell einen „Kommunisten“ und Nestbeschmutzer. JACKSON BROWNE kam eigentlich nur um einen flächendeckenden Auftrittsverbot und Radiobann, weil er seine Aussagen geschickt in Metapher zu verpacken wusste. Als Agit-Rocker hätte er in den US keine Chance gehabt. An seinem Lieblingsfeind, dem viertklassigen Schauspieler und Präsidenten-Darsteller Ronald Reagan, rieb er sich massiv. Als dieser abdankte, der eiserne Vorhang fiel und fast gleichzeitig Nelson Mandela aus der Haft entlassen wurde, sah sich JACKSON BROWNE bestätigt und diagnostizierte mit seinem Album „World In Motion“, dass ebendiese in Bewegung gekommen sei. Ein Trugschluss…
... und dann kam die Depression. Nicht nur die Fanschelte an diesem Album sondern auch die verschenkten politischen Möglichkeiten und Beziehungsprobleme ließen den Mann in eine tiefe Identitätskrise stürzen. Seit 1993 ist Jackson, der übrigens als Sohn eines GIs in Deutschland geboren wurde, wieder da … wenn auch leiser, stiller als früher. Sein Gehirn hat er nicht abgegeben – seinen Mund lässt er sich immer noch nicht verbieten, aber die Pausen zwischen den Alben und Tourneen werden immer länger und die Songs immer persönlicher. Der alte Kämpfer wird verständlicherweise langsam müde… Warum schreibe ich hier all’ diesen politischen Quatsch und nicht über die Musik, wird sich der eine oder andere Leser fragen. Nun, weil man den politischen Menschen JACKSON BROWNE unmöglich von dem Künstler trennen kann! Die Musik und die politische Aussage bedingen einander und so kann man das Phänomen JACKSON BROWNE nur verstehen, wenn man beide Seiten der Medaille betrachtet.
Die Stadthalle in Tuttlingen war nicht ausverkauft, was überraschend war. Zuletzt sah ich Jackson 1982 vor etwa 12000 begeisterten Fans in der Frankfurter Festhalle. Damals hatte er mit „Hold Out“ sein erstes und einziges # 1-Album in den US-Billboards und für das legendäre Live-Album „Running On Empty“ einen Grammy in der Tasche. Da sind natürlich weniger als 1000 Fans in Tuttlingen, bei lediglich sechs Auftritten im Rahmen der „European Spring Tour 2009“, eine herbe Enttäuschung. Gut, vielleicht war Jackson einfach zu lange weg. Seit diesen Tagen 1982 war er nur noch sporadisch in ol’ Germany unterwegs -zuletzt 1996- und die Zeit ist bekanntlich nicht stehen geblieben. So waren denn auch 90% der Besucher in Tuttlingen Angehörige der Generation 45 plus X. Euphoriebremse gleich beim Eintritt: Die Stadthalle war bestuhlt. Offenbar hält sich hartnäckig das Gerücht, „meine“ Generation sei fußkrank ;-)) Im Sitzen wollte zunächst einfach keine großartige Stimmung aufkommen. Okay, muss man anders sagen: Es war definitiv KEIN klassisches Rockkonzert. Zeitweise hatte man den Eindruck, sich in einer heiligen Messe zu befinden. Eine andächtige, sehr konzentrierte Zuhörerschaft lauschte ergriffen der Darbietung, die mit einem phantastischen Sound und einer geschmackvollen Lightshow zu glänzen wusste.
Auf der Bühne stand eine altbekannte Truppe. Gitarrist Mark Goldenberg und Keyboader Jeff Young waren dabei die tragenden Säulen, die mit ihrer gefühlvollen Arbeit für die wichtigen Momente zuständig waren. Mauricio Lewak (Drums) und Kevin McCormack (Bass) begleiten JB bereits seit dem 93er “I’m Alive“-Album. Letzterer hat zudem die beiden letzten Alben co-produziert. In Tuttlingen waren zwei farbige Sängerinnen neu dabei, wobei Chavonne Morris den Mezzosopran und Alethea Mills den Alt abdeckten. Die Beiden überzeugten auf der ganzen Linie – man merkte, dass beide über Gospel-Chorerfahrung verfügen. Überhaupt war mit dieser Besetzung ein einfühlsames Arrangement der Songs garantiert.
Der Einstieg war mit dem straighten Rocker „Boulevard“ vom 80er „Hold Out“-Album gut gewählt. Mit „Everywhere I Go“ folgte ein lupenreiner Reggae und der Neo-Klassiker von 1997 „Barricades Of Heaven“. Bezeichnenderweise kam das erste Mal richtige Begeisterung auf, als JB den uralten Song „Fountaine Of Sorrow“ intonierte. Wegen solcher alten „Schmachtfetzen“ kamen offenbar die Leute nach Tuttlingen. „Rosie“ wurde in diesem Zusammenhang aus dem Publikum gefordert, aber JB vertröstete auf später – spielte den Song dann letztendlich doch nicht. Nun brachte man einen ganzen Block aus Songs vom aktuellen Album „Time The Conqueror“, einer Scheibe, die dem Fan wenig Neues bot. Entsprechend war auch die Live-Darbietung: Schöne, aber letztendlich doch eher langweilige Arrangements sowie altbackenes Songmaterial, dem die wirklich eingängigen, packenden Hooklines fehlten. Natürlich muss Jackson diese Songs bringen, da er ja nebenbei auch „Brötchen“ verdienen muss. Aber wenn der Gute es nur alle zwanzig Jahre nach Europa schafft, will man nun einmal den alten Kram hören! Deshalb kam auch erst wieder zu JBs Riesenhit „Doctor My Eyes“, der das erste Set beendete, richtig Stimmung auf. JB wechselte munter die Instrumente von der E- zur Akustik-Gitarre hin zu seinem Paradeinstrument, dem Piano. Stand früher noch ein stilvoller Flügel auf der Bühne, muss nun ein platz- und kräftesparendes Keyboard herhalten, das allerdings über einen sehr guten Sound verfügte.
Im zweiten Set wurden dann endlich die ganzen alten Schinken serviert und die gewünschte Stimmung kam endlich auf. „Something Fine“, „These Days“, „Lives In The Balance“ und „Late For The Sky“ – wie auf eine Perlenkette gezogen, brannte die Band ein wahres musikalisches Feuerwerk ab. Die Songs waren zudem teilweise sehr geschmackvoll umarrangiert worden. Mit „Going Down To Cuba“, das JB zu einem aktuellen politischen Statement zur Kubapolitik Barack Obamas nutzte, wurde nur noch ein Song vom neuen Album präsentiert … und genau der „schwächelte“ wieder etwas. „My Bright Baby Blues“ -die Show steuerte auf ihren Höhepunkt zu- wurde durch ein sensationelles Slide-Solo Mark Goldenbergs gekrönt. „The Pretender“, mein persönlicher Lieblingssong JBs, kurz nach dem Suizid seiner ersten Frau geschrieben, rührte ’mal wieder unwillkürlich zu Tränen. Kein anderer Song des Abends ging derart tief unter die Haut. Der Abrocker „Running On Empty“ trieb dann endlich die Leute auf die Beine und zum Tanz – na also, es funktioniert auch in Tuttlingen.
Mehr als zwei Zugaben ließ sich Jackson nicht abverlangen: Zunächst „Somebody’s Babe“, die Titelmelodie aus dem Soundtrack zum Kinofilm „Fast Times at Ridgemont High“, eröffnete knackig rockend, ja und dann …. dann musste es einfach kommen! [Es gibt Künstler, die dazu verdonnert sind, einen Song bis ans Ende ihrer Tage zu spielen!] Ohne „The Load Out / Stay“ wäre garantiert keiner nach Hause gegangen. „The Load Out“ beschreibt den Tour-Alltag eines Musikers wie wohl kein zweiter Song und geht dann in „Stay“ über … und da ist es dann wieder: „Oh, want you stay, just a little BIT longer….“. Auch ohne DAVID LINDLEYs Falsett-Stimme war diese Nummer erwartungsgemäß DIE Granate des Abends … und alle Tuttlinger zogen wohl zufrieden von dannen.
FAZIT: Dieser Abend mit JACKSON BROWNE im schwäbischen Tuttlingen war definitiv einer der Meilensteine in meiner Konzert-Historie. Daran kann der enttäuschende Besuch ebenso wenig ändern, wie die extrem uncoole Saal-Ordnerschaft. Obendrein gab’s noch einen Händedruck und ein Autogramm aufs Programmheft, als Jackson nach gut einer Stunde die Halle Richtung Stuttgart verließ. Selten war mein Benzingeld besser angelegt gewesen….
Setliste 1:
Boulevard
Everywhere I Go
Barricades Of Heaven
Fountain Of Sorrow
Time The Conqueror
Awful Wonderland
Live Nude Cabaret
Givin’ That Heaven Away
Doctor My Eyes / About My Imagination
Setlist 2:
Something Fine
Don’t You Wanna Be There
These Days
For Taking The Trouble
Lives In The Balance
Going Down To Cuba
Take This Rain
Late For The Sky
Your Bright Baby Blues
The Pretender
Running On Empty
Encores:
Somebody’s Babe
The Load Out / Stay
---
Ich danke Gudi Bodenstein für die freundliche Überlassung der Konzert-Pix herzlichst. Besucht sie unter: www.myspace.com/musicgudi