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Eveline: [Alpha Omega] (Review)

Artist:

Eveline

Eveline: [Alpha Omega]
Album:

[Alpha Omega]

Medium: CD
Stil:

Fusion / Indie

Label: Cargo Records
Spieldauer: 45:45
Erschienen: 11.03.2011
Website: [Link]

Eveline hat wieder Geburtstag. Ihr Geschenk ist diesmal eine Reise ins All. Gleich die erste Station führt sie zu einem weißen Zwergstern, der Alternative zum altbekannten Schwarzen Loch. Ein simples Riff aus drei Anschlägen begleitet sie dorthin. Es wiederholt sich permanent. EVELINE kommt bereits das Wort "langweilig" in den Sinn. Was sie aber zunächst als Monotonie einstuft, wird mit der Zeit immer spannender, immer essenzieller. Als EVELINE kurz ihren Blick vom weißen Zwerg abwendet, um durch das Rückfenster zu schauen, nimmt sie die erschreckende Winzigkeit der Erdkugel wahr. Sie umgreift das dumme blaue Rund mit ihren Händchen. In diesem Moment wird ihr blitzartig das Leitthema ihres dritten Geburtstages klar: αὦ ist letztendlich nichts Geringeres als die vollkommene Zusammenfassung sämtlicher Materie auf höchster Ebene. Alles von α bis ὦ steckt in einer Hülle, ganz egal, wie unverträglich die Elemente untereinander sind.

Metaphysischer als EVELINE hat in diesem Jahr vielleicht noch niemand musiziert. Der Griff zu den Sternen folgt einem klassischen Stilmittel diverser Horror- und Trashfilmreihen: wenn es auf der Erde nichts mehr zu tun gibt, kann immer noch das All erkundet werden. Die Critters taten es, Jason Voorhees tat es, EVELINE nun auch. Humor bringen sie also mit, die Italiener. Die Subversion indes liegt darin, dass man ihren Humor auf Anhieb nicht erkennt; ebenso wenig, welchem Genre sie sich verschrieben haben. Findige Rezensenten müssen zu ihrem letzten Strohhalm, der diffusen "Fusion"-Schublade greifen, um zumindest eine halbwegs gültige Kategorisierung vorzunehmen, doch nicht einmal hier fühlen sich EVELINE wirklich wohl. Sie kehren ihre Mixtur nicht als "progressiv" heraus, selbst die Geheimniskrämerei möchte man nicht so recht als Marketinggag abwinken. Von ihren Weirdo-Schubladennachbarn unterscheidet sie, dass Stilbrüche nicht herausgebürstet und als gewollter Kontrast präsentiert werden, sondern dass ihre Natürlichkeit betont wird – sofern überhaupt irgendwas betont wird.

Da überrascht es kaum, dass αὦ im Grunde seines Herzens ein Spacerock-Album ist, ohne jedoch sonderlich viele relevante Charakteristika zu erfüllen, die man dem Spacerock zuschreiben würde. Eher schon entdeckt man, wenn man möchte, Stoner-Elemente, Psychedelic-Rock-Orgeln, Jazzkonstruktionen, Indie- und Artpop-Gesten, Industrial-Konturen und Elektronika, und doch findet sich im Ganzen etwas derart Formloses wieder, dass man es weder Rock noch Pop noch Jazz nennen möchte. Dazu fehlt schlichtweg die Dominanz spezieller Herausstellungsmerkmale. Nicht einmal die männliche Gesangsstimme erhebt für sich den Anspruch, führend zu sein.

Die Bescheidenheit seiner Teile könnte αὦ als Ganzem zum Verhängnis werden, denn "großartig" oder "überwältigend" wirkt oberflächlich gesehen nichts an der Alpha-Omega-Sternenreise. Zwar werden per Kopfstimmgesang der Zeile "She's From Mars" Emotionen angeregt, während ein Piano den Himmel "noir" streicht, bevor "Last Time At Alpha Centauri" die Rhythmik für sich entdeckt und der Sänger sich sogar zu einem ekstatischen Aufschrei hinreißen lässt. Durch die Übersicht eines Panoramablicks betrachtet, präsentiert sich dem lauschenden Ohr allerdings eher ein Äquivalent zum Mars: eine staubige, gleichmäßige, rote Ebene.

Dafür aber wird mit jedem Umlauf deutlicher, dass αὦ dichter ist als ein weißer Zwerg. Was man zunächst als höhepunktloses Vor-sich-hin-musizieren entlarvt haben will, erweist sich im Nachhinein als undurchdringliche Fläche, deren Kern bei weitem nicht so schnell freigelegt ist wie anfangs vermutet. Die blecherne Produktion mag zu der Täuschung auch ihren Teil beitragen. Dabei sind die Hinweise auf das wahre Gewicht greifbar. Dass der deutsche Physiker Theodor Kaluza die Tracklist mit seiner Anwesenheit beehrt, ist jedenfalls kein Zufall: Sein Beitrag zur einheitlichen Feldtheorie lädt das Album mit omnipotenter Bedeutung auf. Das All ist in seiner unermesslichen Größe für EVELINE kaum mehr als eine ironisch gebrochene Metapher, ein Spiel mit dem "Universum in der Nussschale", respektive im CD-Case – Alpha und Omega und alles dazwischen, komprimiert auf knapp 50 Minuten und enthalten auf diesem Datenträger. Wer angesichts dessen noch nach einer Bezeichnung für die Musikrichtung sucht, der muss dastehen wie ein Harlekin mit heruntergelassenen Hosen.

FAZIT: Wenn Progression immer da stattfindet, wo sie nicht forciert wird, dann haben EVELINE eines der progressivsten Alben der letzten Jahre aufgenommen. Wie kaum einer zweiten Band gelingt es ihnen, dem Prog-Paradox vom Fortschritt um des Fortschritts willen ein Schnippchen zu schlagen, denn in der Lesart als Genrebezeichnung sind EVELINE weder als progressiv noch anderweitig zu verbuchen. Sie prägen keinen Stil, sondern fusionieren mit gemächlicher und fast geisterhafter Gelassenheit Elemente. Dabei kopieren sie jedoch nicht bekannte Stile, sondern brechen Dutzende musikalischer Basics auf die Wurzel herunter. Dies alles betten sie ausgerechnet in das Bild vom Weltall, der Metaebene schlechthin, dem Buckel für alles Postmoderne und Selbstreflexive. Das mag ja alles dazu führen, dass die Musik etwas unscheinbar klingt, aber wer EVELINE irgendwo zwischen α und ὦ nicht beim Lachen hört, der hat einfach nicht lange und deutlich genug zugehört.

Sascha Ganser (Info) (Review 6507x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 14 von 15 Punkten [?]
14 Punkte
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Tracklist:
  • To Kaluza's White Quasar
  • Interstellar
  • Omega
  • She's From Mars
  • Last Time At Alpha Centauri
  • Terrible N.1
  • Little Comet
  • Lunar 8

Besetzung:

Alle Reviews dieser Band:

Interviews:
  • keine Interviews
Kommentare
Rhisdur
gepostet am: 06.03.2011

Klingt sehr interessant. Das werde ich auf jeden Fall mal antesten. Und übrigens: Toll geschriebenes Review.
Sascha [Musikreviews.de]
gepostet am: 07.03.2011

Danke, hört man gern! Ich möchte aber nochmals betonen, dass Eveline sehr viel Geduld erfordern und den Zugang nicht ganz einfach machen. Als ich die CD im Auto habe laufen lassen, sagte man mir, ich solle in der Kritik unbedingt erwähnen, dass alles gleich klingt. Als ich sie später tippen ließ, welche Note ich denn jetzt gegeben hätte, kam die prompte Antwort: "so ungefähr 4 oder 5?"
(-1 bedeutet, ich gebe keine Wertung ab)
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