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Lutz Rahn: Solo-Trip (Review)

Artist:

Lutz Rahn

Lutz Rahn: Solo-Trip
Album:

Solo-Trip

Medium: CD
Stil:

Fidele Unterhaltungsmusik

Label: MIG Music
Spieldauer: 29:06
Erschienen: 27.07.2012
Website: [Link]

Mancher Fan wünschte sich bereits angesichts der frühen, verquasten Pennälerlyrik*, vermeintlich abgeschaut beim Vorzeigedichter der Deutschen Hochromantik Friedrich Freiherr von Hardenberg, Künstlername Novalis, ein Instrumentalalbum der gleichnamigen Band. Umso mehr als NOVALIS Ende der Siebziger, im Wandel der Zeiten, von der epischen auf die kurze Form umsattelten und, nach kritischen Liedern zum Walfang und dem Leben als Clown, texteten als wäre das Leben eine Mischung aus Poesiealbum und Lore-Roman.

In dieser Umbruchphase veröffentlichte Keyboarder LUTZ RAHN seinen ersten und einzigen Alleingang „Solo Trip“. Ohne Gesang!!! Wurden also Gebete erhört und ein Mann, der maßgeblich für den schwer gefühligen Sound der deutschen Romantik-Krautrocker verantwortlich war, hatte ein Einsehen und beendete mit einem großen Epos ein progressives Jahrzehnt? Quasi als stillen Abgesang. Denkste.

Ein Blick auf die Trackliste sorgte für Ernüchterung. Acht Stücke bei einer Laufzeit von jeweils zwei bis fünf Minuten, ergab eine Langspielplatte von gerade 29 Minuten. Das Reissue auf CD wurde um keine Minute aufgestockt. Na gut Schwamm drüber, angeblich liegt ja in der Kürze die Würze. Doch dann erschienen die ersten Rezensionen. Und obwohl Michael Fuchs-Gamböck im Pressetext behauptet: „Speziell in der Keyboarder-Szene [Vorhang auf: Die Keyboarder-Szene! Welche soll das sein? Hätte ich zu gerne gesehen, damals] wurde „Solo-Trip“ in den höchsten Tönen gelobt“, fielen die Kritiken vernichtend aus. Gut, seinerzeit orientierten sich die wenigen ernstzunehmenden und doch populären Zeitschriften an gänzlich anderer Musik als an den Erzeugnissen ersterbender progressiver Klangkünstler. Und doch: Ungefähr zur gleichen Zeit als RAHNs Album verrissen wurde, bekamen das SAGA-Debüt, VANGELIS‘ eigenwillige „China“-Eloge und CITY BOYs „The Day the Earth Caught Fire“ hochwohllöbliche Besprechungen. Bei LUTZ RAHN hingegen wurde mit Häme nicht gespart. Biedere Unterhaltungsmusik, die auch KLAUS WUNDERLICH und JAMES LAST (in kleiner Besetzung) spielen könnten – so in etwa lautete das Resümee. Die Höchststrafe.

Denn Ende der Siebziger gab es noch keinen Quentin Tarantino, der JAMES LAST soundtrackmäßig adelte. In jenen Tagen stand LAST für die Generation, von der man sich tunlichst abzunabeln suchte. Er war gern gesehener Gast auf elterlichen Geburtstags-, Neujahrs- und Nachbarschaftsfeten. Da ging es gesittet zu, wenn man von Frisuren, Klamotten und Tapeten absieht. Bier, Kellergeister, Erdbeer-Pfirsich-oder-was-auch-immer-für-eine-Frucht-Bowle wurden gereicht, gern bereitgestellt wurde auch der berüchtigte Käse-Igel, Kanapees, ausgehöhlte und mit Fleischsalat gefüllte Tomaten, Nudel-, Kartoffelsalate und ähnliche Leckereien. Dazu Braten, kalt, warm, heiß, en masse; das Wirtschaftswunderland feierte sich selbst. Tiefgreifende Gespräche mit erhöhtem Lallfaktor, besonders zu später Stunde. Schlüpfrige Witze machten die Runde, verschachtelte Themen wie die „Gastarbeiter-Problematik“, die „Zone“; der allgemeine Verfall der Sitten, die RAF und die Folgen und was sonst die Tagespolitik beherrschte. Im Hintergrund lief mit Verlässlichkeit und individuell kaum zu identifizieren ein JAMES-LAST-Album. Bei den Bildungsbürgern mit kompletter Bertelsmann-Quartalsband-Ausstattung gerne LASTs Klassik-Adaptionen, ansonsten etwas vom unerschöpflichen Rest. Besonders gruselig, wenn derartige Festivitäten um die Weihnachtszeit stattfanden. JAMES LASTs „Christmas Dancing“ ist der lichterloh brennende Abschluss einer weihnachtlichen Vorhölle. Und dort sollte sich LUTZ RAHN einreihen?

Flugs den nächsten Plattenladen aufgesucht, eine der gläsernen Hörkabinen belegt, die Kopfhörer aufgesetzt und den RAHN spielen lassen. Dauerte ja nicht lang. Am Ende der Session hinter Glas, die Plattenhülle der Verkäuferin zurückgegeben, die Achseln gezuckt und die LP im Laden stehen gelassen. JAMES LAST wäre mir zwar nicht als erste Vergleichsmöglichkeit eingefallen, aber dieser andere, der in Fußballstadien die Massen mit abgestandenen Hammond-Sounds betäubte, schon eher: KLAUS WUNDERLICH. Der wahre Keyboard-Hexer. In schlechten Gruselfilmen…

Stattdessen fünf Mark mehr geopfert und „Unknown Pleasures“ von JOY DIVISION gekauft. Oder war es „Boy“ von dieser irischen Band, die im Umfeld von JOY DIVISION verortet wurde. Keine Ahnung, ob die je Karriere gemacht haben. NOVALIS waren toter als tot und LUTZ RAHN … tja, der konnte vermutlich jeden Käufer der Platte mit Handschlag begrüßen.

33 Jahre später. Mit dem „Kill Bill“-Soundtrack hat JAMES LAST Einzug ins eigene Wohnzimmer gehalten. Sein Durchhaltevermögen auch jenseits von Massenveranstaltungen und im Hintergrund von zeitgeistigen TV-Shows nötigt Respekt ab, und mit den Eltern hat man längst wieder Frieden geschlossen.

Spielt das eine Rolle für LUTZ RAHNs „Solo-Trip“? Natürlich. Denn es ist MIG-Music hoch anzurechnen, dass sie etwas derartiges, an jedem Geschmacksempfinden vorbei produziertes, ans Licht der Öffentlichkeit bringen. „Solo-Trip“ ist ein kleines Wunder. Das Album zeigt, dass es eine Zeit gab, in der es möglich war, Musik für Nischen zu produzieren, die so klein waren, dass kaum drei Leute Platz drin fanden. Danke MIG, dass das auch heute noch möglich ist. Denn einer von den Dreien ist garantiert mittlerweile gestorben.

FAZIT: Nicht, dass ihr denkt, ich habe das Album vergessen: LUTZ RAHN spielt feine Unterhaltungsmusik, mit einer Chuzpe, die keine Gnade kennt. Er braucht kein Orchester für seinen klingenden, schwingenden Melodienreigen. Ihm reicht die gelegentliche Unterstützung Helge Tillmanns an den Trommeln, und Heidis Stöhnen in „Draculas Kuss“; RAHNs Hommage an die großen, orgasmotronischen Liebeslieder der Siebziger: „Je t'aime... moi non plus“ von JANE BIRKIN & SERGE GAINSBOURG sowie APHRODITE’S CHILDs „Infinity ...“ mit der unglaublichen IRENE PAPAS am Mikrophon. Bei RAHN natürlich wohnzimmertauglich, ohne jeden Hang zum (musikalischen) Exzess.

Und was sonst noch geschah: „Yeti“ ist wie „Sauerstoff Vier“, etwa drei Jahre später; „Solo-Trip“ und „Jubel-Trubel“ sind Schunkellieder wie sie in der „Keyboarder-Szene“ vermutlich gerne, einander untergehakt hin- und herwiegend, genossen werden. „Galaxy-Taxi“ hat tatsächlich Anklänge an die Stammband, wird leider unsanft ausgeblendet, ähnliches gilt für „Minuetta“ und „Ausklang“, während „September“ zeigt, dass der findige LUTZ damals aktuellen Klängen gegenüber durchaus aufgeschlossen war: „Ich bin ein Roboter“. Nöö, nicht KRAFTWERK; SO modern nun auch wieder nicht. Dem ALAN PARSONS sein PROJECT ist gemeint.

Ergibt eine Platte, die in Katzengold nicht aufzuwiegen ist, und weil ich 100 von 15 Punkten vergeben müsste, schenke ich mir die zählbare Wertung. Aber liebe Leute: Kauft das Album. Bewundernswert, dass so etwas Spezielles im Jahr 2012 veröffentlicht wird. Da wird das Ende eines physikalischen Mediums lautstark eingeläutet und LUTZ RAHNs „Solo-Trip“ erscheint in all seiner kurzen Pracht auf CD. Wenn einem so etwas Schönes wird verehrt, das ist schon einen Asbach-Uralt wert. Oder zwei.

* Novalis-Originaltexte fanden sich nur partiell auf NOVALIS-Stücken („Wunderschätze, „Wenn nicht Zahlen und Figuren“).

Jochen König (Info) (Review 5509x gelesen, veröffentlicht am )

Unser Wertungssystem:
  • 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
  • 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
  • 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
  • 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
  • 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
  • 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
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Tracklist:
  • Solo-Trip
  • Yeti
  • Galaxy Taxi
  • September
  • Dracula's Kuss
  • Jubel-Trubel
  • Minuetta
  • Ausklang

Besetzung:

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  • keine Interviews
Kommentare
bludgeon
gepostet am: 25.07.2012

Knöcheltief in Lachtränen-Pfützen und mit mörderlichem Zwerchfellmuskelkater raff ich mich auf, um mitzuteilen, dass dies hier ganz sicher die beste Rezension ist, die 2012 geschrieben wurde. Meine Verehrung, Verbeugung und Hofknix dem Schreiberling.
Thoralf Koß [musikreviews.de]
gepostet am: 02.08.2012

Ich kann mich meinem Vorredner, bzw. -Schreiber, nur anschließen.

Das ist eine KÖNIGliche Meisterleistung, die der kleinbürgerliche JOCHEN da erbracht hat.

Im Grunde muss man nunmehr dieses Scheiß-Album kaufen, um diese Kritik dann ausgedruckt in's Booklet zu schieben und sich bei jedem Hördurchgang zu amüsieren, auch wenn dieses musikalische Ärgernis einem die Lautsprecherboxen verquast ;-)

Vielen Dank, Jochen!
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