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David E. Gehlke: Systemstörung – Die Geschichte von Noise Records (Review)

Artist:

David E. Gehlke

David E. Gehlke: Systemstörung – Die Geschichte von Noise Records
Album:

Systemstörung – Die Geschichte von Noise Records

Medium: Buch
Stil:

Was zum Lesen über Heavy Metal und Rock

Label: Iron Pages
Spieldauer: 501 Seiten
Erschienen: 24.03.2017
Website: [Link]

Es ist ein ungemein interessantes Projekt, das sich DAVID E. GEHLKE vorgenommen hat: Ein Blick auf die Geschichte des Metal aus einer eher ungewöhnlichen Perspektive, nämlich der eines Labels. Dass es sich bei diesem Label um die Berliner Marke NOISE handelt, deren Gründer Karl-Ulrich Walterbach bis heute polarisiert, macht die Angelegenheit nur noch spannender.

Der Metal-Journalist Gehlke stammt, anders als der Name glauben macht, aus Amerika, daher besteht ein Großteil des Buches aus Übersetzungen von englisch geführten Interviews mit deutschen Musikern, Labelmitarbeitern, etc. - ein wohl notwendiger Umweg.

Auch, was den Aufbau angeht, unterscheidet sich das Buch von standardisiert chronologisch gegliederten Genre-Guides oder Künstler-Biographien: Zunächst widmet sich der Autor den Jahren in Walterbachs Leben, die der Gründung von NOISE im Jahre 1983 vorangingen: Als anarchistischer Hausbesetzer mit Diplom-Abschluss in Architektur kommt Walterbach über den Punk ins Musikgeschäft, gründet sein erstes Label AGGRESSIVE ROCKPRODUKTIONEN, das er von einer von Telefonzelle aus managt, und springt von der abflauenden Punk-Bewegung auf den in Fahrt gekommenen Metal-Zug auf.
Ab hier fächert Gehlke die Darstellung auf und greift exemplarisch die wichtigsten Noise-Bands heraus, denen er sich eingehend in einzelnen Kapiteln widmet. So finden HELLHAMMER/CELTIC FROST, GRAVE DIGGER, RUNNING WILD, HELLOWEEN, KREATOR und TANKARD in Teil II Erwähnung und Gelegenheit, neben dem fortlaufend zitierten Walterbach ihre Erinnerungen und Meinungen zu Protokoll zu geben.
Wohl, um den komplexen Verstrickungen, die NOISE im Laufe der Jahre auf dem internationalen Musikmarkt begegneten, Rechnung zu tragen, verlegt sich Gehlke ab Teil III (also etwa der Hälfte des Schmökers) auf einen Mittelweg, der, eingebettet in eine chronologische Raffung und allgemeine Darstellung der Label-Historie, immer wieder thematische Fenster für einzelne oder mehrere Bands (wie die Prog-Thrash-Quadriga CORONER-VOIVOD-WATCHOVER-SABBAT) oder andere besondere Themen (wie den Rechtsstreit mit dem NOISE-Aushängeschild HELLOWEEN) öffnet.
Das Buch endet beinahe in der Jetzt-Zeit, in der Walterbach, nachdem NOISE 2001 vom Indie-Riesen SANCTUARY gekauft und dieser wiederum von WARNER geschluckt worden ist, auf die „Gegenseite“ gewechselt ist und nun als Manager nach jungen Talenten fischt und in der NOISE als BMG-Marionette wiederauferstanden ist.

Abgesehen vom Beschriebenen wartet das Buch noch mit Folgendem auf:
Einem leicht ratlosen Vorwort von Hansi Kürsch, der mit BLIND GUARDIAN nie in den (zweifelhaften?) Genuss eines NOISE-Vertrags gekommen ist.
Kurzen Features, die interessante Ecken ausleuchten, wie über den Cover-Zeichner Andreas Marschall oder die verborgenen Schätze im Programm des Labels.
Ein Nachwort von Karl-Ulrich Walterbach höchstpersönlich.
Elf Top5-Rankings von NOISE-Alben, ausgewählt von Musikern, Journalisten und anderen, die im Buch zur Sprache kommen.
Eine 25-seitige Diskographie von Noise Records, die streng nach Veröffentlichungsnummer (und nicht nach Künstlernamen) sortiert ist und somit für den Gelegenheitsstöberer nicht unbedingt nützlich sein dürfte.

Das Buch kommt als relativ großformatiges und extrem stabil gebundenes Taschenbuch daher, das Cover stammt, wie unschwer zu erkennen ist, von VOIVOD-Schlagzeuger Michael „Away“ Langevin. Mindestens alle zwei Seiten finden sich in den Text eingebundene Schwarzweiß-Fotos (Personen, Cover, Plakate), in zwei Blöcken auch Farbfotos. Zu ersteren muss erwähnt werden, dass ihr Erscheinen oft nicht wirklich mit der Erwähnung der gezeigten Personen im Text einhergeht und dass – vor allem bei Bandfotos – eine genauere Beschreibung der Dargestellten wünschenswert gewesen wäre.
Die Übersetzung wirkt solide, lässt aber stellenweise Formulierungen missen, die klare Sinnzusammenhänge herstellen.

An mehreren Stellen betont Gehlke, dass dies NICHT die Biographie von Walterbach sei, dass dieser auch keinerlei Gewinnbeteiligung an diesem Buch habe. Vor allem während des ersten Teils, der sichtlich Walterbach als Hauptquelle zitiert und oftmals scheinbar ungefiltert seine Aussagen als Tatsachenbericht formuliert, scheint dieser Hinweis wirklich angebracht. Zudem liest sich diese bisweilen zu detaillierte Vorarbeit etwas langatmig.
Doch spätestens ab Teil II, wenn Labelmitarbeiter, Journalisten und allen voran die Musiker ihre Erinnerungen an die 80er und 90er zu Besten geben, entzerrt sich dieser Eindruck. Auch Tom Warrior von HELLHAMMER/CELTIC FROST/TRIPTYKON kommt zu Wort, der bis heute gegen Walterbach wettert, wegen dessen Elends-Verträgen und seiner nicht gerade zimperlichen Veröffentlichungspolitik, die sich wenig um die Wünsche der Musiker, was Aufmachung und Format ihrer Alben betraf, scherte.
Im allgemeinen Mittel pendelt sich das Fazit jedoch meist auf ein „Es war nicht alles perfekt, aber wo wären wir heute, wenn Noise uns nicht genommen hätten“ ein.

So richtig der Gedanke, den biederen, rein chronologischen Ablauf aufzulockern, gewesen sein mag: Abgesehen von manchen, gemeinsamen Erlebnissen von getrennt beschriebenen Band geschuldeten Doppelerzählungen, verliert sich der dem Aufstieg und der Expansion des Labels folgende Leser schnell im Dschungel der internationalen Musikbusiness-Verflechtungen. Hier wäre ein ähnlich ausführlicher Überblick, wie über Walterbachs Jugendjahre angebracht gewesen, sowie ein Personenverzeichnis, um sich im Dickicht aus Managern, Journalisten, A&R-Männern und anderen Label-Mitarbeitern zurechtzufinden.

Und nicht zuletzt bleibt die Hauptperson des Buches, Karl-Ulrich Walterbach, bis zuletzt unscharf: Gerühmt wird er für sein Engagement für den Untergrund, für das Vertrauen, das er jungen Musikern entgegenbrachte und -bringt, für seine Hingabe an die Musik. Auf der anderen Seite erscheint er als knallharter Geschäftsmann, der sich nicht viel um die Befindlichkeiten oder finanziellen Ansprüche seiner Künstler kümmerte, dafür aber eine Schwäche für teure Kunst entwickeln konnte. Nicht einmal der Musikgeschmack des facettenreichen Protagonisten lässt sich klar fassen: Ein ehemaliger Punk, der ein Faible für Power Metal entwickelt? Faszinierend -

FAZIT: Faszinierend ist dieses Buch am Ende des Tages doch, obwohl, oder gerade weil der ungewohnte Blickwinkel und die Verlagerung des tendenziellen Schwerpunkts von der Kunst aufs Geschäft mitunter auch die Schattenseiten und die nicht immer rund laufende Maschinerie hinter den Kulissen der Musik zeigen. Walterbach selbst erstrahlt schlussendlich in neutralem Dämmerlicht, seine im Nachwort formulierte, sehr negative Prognose, was die Entwicklung von Musik und insbesondere Metal in der Zukunft angeht, ist traurig, aber leider nachvollziehbar.

Tobias Jehle (Info) (Review 3552x gelesen, veröffentlicht am )

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Wertung: 10 von 15 Punkten [?]
10 Punkte
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Tracklist:
  • Vorwort von Hansi Kürsch
  • Teil I, II, III, IV, V
  • Nachwort von Karl-Ulrich Walterbach
  • Top5-Rankings
  • Diskographie von Noise Records

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Interviews:
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