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Poor Genetic Material: Possibilities (Review)
Artist: | Poor Genetic Material |
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Album: | Possibilities |
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Medium: | CD/LP/Download | |
Stil: | Progressive Rock |
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Label: | Eigenproduktion | |
Spieldauer: | 43:06 | |
Erschienen: | 22.03.2024 | |
Website: | [Link] |
„'Possibilities' enthält die typischen Elemente von POOR GENETIC MATERIAL, aber auch viele neue Ideen und Ansätze, nicht zuletzt die sorgfältig arrangierten Chor- und Backing-Vocal-Arrangements. Und auch das Gebäude auf dem LP-Cover spielt eine wichtige Rolle, denn jetzt stellt quasi jedes der Fenster eine der Possibilities (Möglichkeiten) dar, die in den Texten des Albums angerissen werden.“ (Philipp Jaehne – Keyboarder von POOR GENETIC MATERIAL)
Sie sind nach dem 'Irgendwo' ihres reinen Instrumental-Albums „Anywhere“ und dem 'Anderswo' ihres letzten, in reduzierter Besetzung eingespielten 2023er-Albums „Elsewhere“ schon wieder zurück!
Welch gute Nachricht...
...und welch gutes Album, das POOR GENETIC MATERIAL da nach ihrer ungewohnt kurzen Abwesenheit tatsächlich auf Vinyl und CD mitgebracht haben.
Dieses Mal stoßen PGM definitiv alle Türen – oder besser noch – Fenster auf, um unseren progressiven Verstand für wahrhaft gute und progressive Musik zu wecken, indem sie uns in das geheimnisvolle Haus einladen, welches beim Betrachten des wunderschönen und etwas gespenstisch anmutenden Haus-Covers Neugierde auf das weckt, was sich musikalisch und textlich dahinter verbirgt.
Außerdem wirft es bei solch gestalterischer Schönheit die Frage auf – welche Absicht sich wohl hinter diesem Motiv und der Thematik von „Possibilities“ vereint. In dieser Review wird man – neben der begeisterten Wahrnehmung des Albums in seiner Gesamtheit durch den Kritiker – eine Antwort darauf finden. Und da dieses Album wirklich beachtlich ist, reichte es dem Kritiker nicht, sich nur auf seine eigenen Eindrücke zu verlassen, sondern er nutzte die Möglichkeit, im Laufe dieser Review mehrmals den PGM-Keyboarder Philipp Jaehne um die eine oder andere Auskunft rund um dieses Album – wobei ganz speziell auch die limitierte LP-Version einbezogen wurde – zu bitten und erhielt sehr aufschlussreiche, wohl nur in dieser Review – die so auch deutliche Interview-Anteile mit sich bringt – zu findende und völlig neue, unvermauerte Fenster öffnende Antworten. Vielen dank dafür, Philipp!
Darum lasst uns ganz im KANTschen philosophischen Sinne die Fenster zu „Possibilities“ aufstoßen, das durchaus auch etwas 'aufklärerisch' Prog-Philosophisches in sich trägt, und die Sonne hinter dem aktuellen PGM-Album herein.
Hält man das glänzende LP-Cover in der Hand und betrachtet dieses ungewöhnliche Gebäude, stellt sich natürlich sofort die Frage, in welcher Verbindung wohl dieses Cover-Motiv mit der Musik und den Texten steht – klare Jaehne-Antwort dazu: „Das Gebäude steht in Curragchase Forest Park in Irland. Ich bin zufällig darauf gestoßen und umgehend in einen Fotografier-Rausch verfallen, weil mir sofort klar war, dass ich dieses Gebäude auf dem Cover des 'Possibilities'-Album (der Titel stand zu dem Zeitpunkt schon fest) haben wollte. Im Booklet der CD sind dann noch weitere Varianten. Allerdings war die ursprüngliche Idee eine andere. Im Original sind bei dem Gebäude nämlich alle Fenster zugemauert. Der Ansatz ging also entlang des paradoxen Kontrasts zwischen der Offenheit, die der Titel 'Possibilities' ausdrückt, und dem Geblockt-Sein aller Wege, dem 'Hier geht’s nicht weiter', welches das Gebäude ausstrahlt. Das erschien mir dann aber irgendwann nicht mehr so ergiebig (und war auch optisch einfach zu grau) und ich 'öffnete' die Fenster (Photoshop sei Dank), nahm die vermauerten Flächen quasi als Leinwand für Motive aus den Texten des Albums:
- das 'one object', das 'a thousand shades' hat, aus dem Titelsong;
- der 'bird with a twig' oder die 'arid plains and flood' aus 'Rain';
- die kreativen 'sparks' aus 'Spark of Ideas';
- die Uhren (die übrigens alle anders gehen) und die Insel aus 'Island in Time' usw., usw, ….
Jetzt stellt also quasi jedes der Fenster eine der Possibilities dar, die in den Texten des Albums angerissen werden.“
Und damit sind wir mitten drin im Album und dem es umgebenden Haus, hinter dessen Fenster sich das Geheimnis der großen Möglichkeiten oder der verpassten Gelegenheiten verbirgt. Unterschiedliche Möglichkeiten erfordern natürlich auch ganz unterschiedliche Kompositionen – und die gibt’s zur Genüge. Ganz großes Kino also...
Schon das dem Album seinen Titel verleihende Eröffnungsstück packt einen sofort mit seinen fetten Bässen, den wild gespielten Percussion und einer E-Gitarre, die ihresgleichen sucht, bis einen dann der wahrhaft extrem charismatische Gesang von Philip Griffiths in übersinnliche Dimensionen entführt.
Will man den Hintergrund wirklich begreifen, dann sind die Worte des PGM-Keyboarders erleuchtend: „'One Object - many shades' aus dem Titelsong bleibt im zentralen Fenster eher abstrakt. Im Song geht es um die Möglichkeiten im Leben, welche man NICHT realisiert oder verwirklichen kann. Die Träume und Ziele, die unerreichbar erscheinen, sollte man unbedingt beibehalten, auch wenn man älter wird. Gerade dann treiben sie uns an, inspirieren uns. Gibt man sie auf, wird das Leben ziemlich öde und zäh.“
Ist das etwa eine prog-musikalische Traum-Hypnose, die uns da hinter dem auf dem beeindruckenden LP-Cover abgebildeten Gemäuer erwartet?
Wer sich ausführlich auf dieses Album einlässt – bitte unbedingt auch unter Kopfhörern – darf sich gerne auch hypnotisiert dabei fühlen und wird bei so einigen wechselhaften Musiksprüngen gar vor Schreck erstarren, womit wir schon bei „Rain“ wären und: „A blessing or a curse / It's hard to tell these days...“
Nach dem anfänglichen Bombast des Titelstücks begrüßt uns eine zart gespielte akustische Gitarre auf „Rain“, um uns auf eine völlig falsche Fährte zu führen, denn urplötzlich wird die akustische Zerbrechlichkeit durch fette Keyboardsounds und knackige Schlagzeug-Rhythmen davongeblasen, dass der Hörer vor Schreck fast in eine Schockstarre verfällt, bis dann der Sänger wieder mit zarter Stimme übernimmt, so als wollte er uns mitteilen: Ach, das war doch jetzt nicht so schlimm, dieser Schock, dafür bekommst du jetzt eine Melodie samt Hookline von mir präsentiert, die dir viel Freude bereiten wird. Oh ja – und dann taucht doch tatsächlich auch der zweite Sänger – eine Legende aus dem Bereich des Progressive Rocks auf: Martin Griffith von BEGGARS OPERA, der Vater des PGM-Sängers Philip, dessen Stimmband-Gene sich ganz offensichtlich auf seinen Sohn übertragen haben.
Darum war es für uns wichtig, wie es denn aus Sicht von PGM ist, mit diesem Ausnahmemusiker aus den Siebzigerjahren zusammenzuarbeiten, der auf „Rain“ und „Old Buffon“ gemeinsam mit seinem Sohn hinterm Mikro steht: „Ich erinnere mich gut an die Zeit, als ich als 14/15-Jähriger anfing, in die Welt des Progressive Rock einzusteigen. Zu meinen ersten Platten gehörten YES 'Close To The Edge', GENESIS 'Nursery Cryme', VAN DER GRAAF GENERATOR 'The Least We Can Do …' und BEGGARS OPERA 'Waters Of Change', also alles Platten mit außergewöhnlichen und sehr markanten Sängern. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich mal mit einem von den vieren selbst Musik machen und Alben veröffentlichen würde, hätte ich ihn für verrückt erklärt. Jetzt sind es mittlerweile schon mehr als 10 Jahre, dass Martin auf jedem unserer Alben ein oder mehrere Stücke singt. Die Aufnahmen mit Martin liefen wie die mit Phil auch. Die Stücke standen so weit, alle Instrumente waren eingespielt. Die beiden haben die Gesangslinien entworfen (Martin auch den Text von "Old Buffoon" geschrieben, Phil hat unsere übernommen). Eingesungen wurde das alles dann im Studio unseres Ton-Ingenieurs Christian Dolenga.“
„Old Buffon“, diesem ungewöhnlich optimistisch und mit begeisterndem Gesang versehene Song, folgt dann mit „An Island In Time“ der gut 12 Minuten lange, extrem komplexe, aber auch herrlich melodiöse Schlüssel-Song des Albums, der die engste Verbindung zum LP-Cover aufweist: „Im Cover als Ganzem erkennt man Motive aus 'An Island In Time', wohl dem zentralen Song des Albums. Der spielt mit der Idee, was wäre, wenn die Zeit nicht linear von A nach B verlaufen, sondern ein Kontinuum um uns herum wäre. (Oder um in Bildern zu bleiben: nicht Fluss, sondern See.) Dann wäre die Zeit letztlich nicht existent, oder es gäbe eben alle Zeitpunkte gleichzeitig. Daher die Uhren mit unterschiedlichen Zeiten. Außerdem erkennt man den 'Bird with a twig' aus 'Rain'. Der Song stellt die Folgen des Klimawandels, wie wir sie erleben, dem biblischen Sintflut-Mythos gegenüber (man erinnert sich: das Ende der Flut war zu erkennen, als man einen Vogel mit einem Zweig sichtete).“
Wer sich ähnlich tief und emotional auf dieses Album einlässt – in es selbstvergessen eintaucht –, der wird so unglaublich viel hinter den Fenstern und der Musik von „Possibilties“ entdecken, dass die Musik zum Hochgenuss wird. Wer glaubt, dieses Auf und Ab und all das Laut und Leise, aber auch das Progressive bis hin zu sparsam Jazzige sowie intensiv Melodiöse einfach nur an sich vorbeiziehen zu lassen, der wird wahrscheinlich mit diesem Haus-Album nicht glücklich und beginnt die Fenster, die Philipp Jaehne mühsam darauf 'geöffnet' hat, wieder zuzumauern. Es wäre schade bei solch einem von einer Vielzahl von Wechseln geprägten Album, auf dem auch Flöten und eine Didgeridoo auftauchen.
Solche und ganz ähnliche Elemente wie Instrumente werden uns im Laufe der knappen LP-Dreiviertelstunde immer wieder begegnen, verblüffen, begeistern. Dieses Laut-Leise-Spiel ist eine absolute Stärke dieses (nennen wir es wirklich mal besten) POOR GENETC MATERIAL-Albums, das einen ähnlich verblüfft, wie es damals ein MIKE OLDFIELD mit seinem extrem von Laut-Leise-Wechseln dominierten „Amarok“ (Für den Kritiker definitiv eins der allerbesten und viel zu unterbewertetsten Oldfield-Alben!) tat.
Eine ganz heiße Geschichte ist zudem, dass „Possibilities“ auch als LP erscheint. Denn genau diese Art des Progressive Rocks gehört eigentlich auf die schwarzen Rillen. Nicht nur aus nostalgischen, sondern auch Gründen des Sounds. Und der ist bei PGM schlicht hervorragend.
Leider wird wohl die Vinyl-Frage für weitere PGM-Veröffentlichungen vakant werden, wie Philipp Jaehne uns mitteilte, da die Kosten immer höher werden und das Risiko, wenn man in Vorkasse geht, sehr hoch ist. Ja, diese Zeiten der digitalen Stromerei bergen eben für nostalgische Musiker wie Musikfreunde riesige Gefahren, die einen manchmal leider wie ein wilder Strom mitreißen.
Es könnte also vielleicht das letzte Album von POOR GENETIC MATERIAL auf Vinyl sein – und das sollte man sich in dieser Form auf keinen Fall entgehen lassen, denn hier stimmt wirklich alles.
FAZIT: Mit „Possibilities“ eröffnen uns die deutschen Progressive-Rocker von POOR GENETIC MATERIAL getreu dem Albumtitel jede Menge Möglichkeiten, ganz verschiedene progressive Spielarten in Verbindung mit emotionalen wie zeitkritischen Texten und einem eng darauf abgestimmten Album-Cover, das ein wahrhafter Hingucker geworden ist, zu genießen. So also pflanzen sie anno 2024 ihr bestes Album als Meisterwerk mitten in die progressive Landschaft und sollten sich in der sich beständig haltenden, aber leider noch immer viel zu kleinen Prog-Szene echte Meriten (ein altes Wort, das eben bestens auch zu dem 'alten' Cover-Motiv pass) verdienen. Außerdem muss man an dieser Stelle unbedingt noch eine zusätzliche Lanze für die LP-Version dieses unglaublich fett produzierten und von Vinyl gigantisch voluminös klingenden „Possibilities“ brechen, da nicht nur die Musik und der Sound, sondern auch die Gestaltung (samt einem Single-großen aufklappbaren LP-Einleger voller Fotos und mit allen Texten) und überhaupt die Liebe zu jedem noch so winzigen Detail drumherum überzeugen. Und darum erhält in diesem Fazit auch der PGM-Keyboarder das letzte Wort: „Wir machen also einfach munter weiter mit dem, was wir gerne machen und freuen uns über jeden, den das interessiert.“ Hochinteressant!
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (20:53):
- Possibilities (6:06)
- Rain (8:17)
- A Spark Of Ideas (6:30)
- Seite B (22:13):
- Old Buffoon (4:28)
- An Island In Time (12:49)
- Contingency (4:56)
- Bass - Dennis Sturm
- Gesang - Philip Griffiths, Martin Griffiths
- Gitarre - Stefan Glomb
- Keys - Philipp Jaehne
- Schlagzeug - Dominik Steinbacher
- Sonstige - Pia Darmstaedter (Flöte), Philip Griffiths (Digeridoo)
- Possibilities (2024) - 14/15 Punkten
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