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Orphaned Land - All Is One - Massen-Review
Das nächste Massen-Review widmen wir einer außergewöhnlichen Band. Es ist selten genug, dass eine Metal-Band für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wird (zugegeben, es war nur eine von Fans ins Leben gerufene Online-Petition), zeigt aber, welchen Stellenwert ORPHANED LAND haben. Eine Band aus Israel, der etwas gelingt, was kaum einem Politiker zu gelingen scheint, nämlich Christen, Juden und Muslime gemeinsam für ihre Sache zu gewinnen. Und dafür wurde die Band zurecht mit dem türkischen Friedenspreis ausgezeichnet. Ihrer Sache entsprechend trägt das fünfte Album den Titel "All Is One" und mit Sicherheit bei den Fans genauso gut ankommen, wie bei den Kritikern - die in diesem Falle wir sind.
Review von: Andreas Schiffmann (Profil)
Die Israelis sind spätestens mit ihrem in drei Ländern verwirklichten sechsten Album das Kosmopolitikum des weiteren Metal-Umfeldes und eine Band der Superlative: Über 40 Musiker beteiligten sich an den Aufnahmen, sei es im Chor singend, als Streicher oder mit spezifischem Instrumentarium aus verschiedenen Kulturkreisen ausgestattet. Die eigenen geografischen Wurzeln bleiben ORPHANED LAND dabei jedoch hörbar erhalten, gleichzeitig da sie Grenzen aufweichen und nachdrücklich zeigen, was der Albumtitel lapidar behauptet. Bei so viel vertonter Euphorie ist es gut, dass die Gruppe in absehbarer Zeit nicht zum Hype mutieren wird - eben weil sie verletzlich und in ihrer Untrüglichkeit streitbar bleibt.
Von schwachsinnigen Termini wie Oriental oder Ethno Metal muss man allmählich Abstand nehmen, denn diese bevormunden und verniedlichen Minderheiten, die längst keine mehr sind, was innerhalb der Musikszene genauso gilt wie gesellschaftlich. Ihr Plädoyer - zynisch gesprochen: "Wir haben uns alle lieb" - für Einigkeit unter Religionen und Nationen spricht die Combo nicht ohne Pathos aus ("Children" reitet am Ende etwas zu lange darauf herum), das sie aber geschickt verpackt. Die dynamische Aufwärtskurve "Through Fire And Water" und das verschlungene "The Simple Man" sind unbeirrbar Zuversicht spendende Hymnen, ohne plump wie solche zu wirken, wohingegen das getragene "Brother" sowie das bombastische Titelstück jeweils eine Seite des Klangcharakters von "All Is One" hervorkehren.
Das folkloristische "Shama'im" dürfte live um einen Mitsing-Teil erweitert werden, und manchmal schrammen ORPHANED LAND hart am Rande der Wirkungserzielung durch bloße Effekthascherei, etwa wenn "Ya Benaye" abseits volkstümlich gezupfter Saiteninstrumente und Muezzin-artiger Gesänge vor hartmetallischem Hintergrund als eigentlicher Song wenig zu bieten hat. Die besten Momente des Album gemahnen indes an ihren amerikanischen Wurzeln entrissene SAVATAGE beziehungsweise frühe SAVIOUR MACHINE ohne Bruno Kramms Mülltonnen-Sound und christliche Gebeugtheit.
Dass Gitarrist Matti Svatizky und nicht Yossi Sa'aron im Vorfeld den Hut nahm, lässt sich als glimpflich bezeichnen, da Neuling Chen Balbus den Abtrünnigen unauffällig ersetzt, während Sassi weiterhin stilprägend komponiert hat und spielerisch ebenso brilliert wie der Rest der gewaltig gewachsenen Truppe. Nachdem sich Kobi Farhi zum ausdrucksstarken Sänger entwickelt hat (das Friedens-Bekenntnis "Let The Truce Be Known" geht gerade seinetwegen unter die Haut), vermisst man den Death Metal im Sound der Gruppe eigentlich nicht mehr, wiewohl der harsche Vortrag in "Fail" dann doch überrascht, allerdings ohne eindeutigen Rückgriff auf die Frühphase der Band, die trotz der bislang druckvollsten Produktion gerne häufiger so deftig zulangen dürfte wie im dramatischen Highlight "Our Own Messiah" ... was sicherlich irgendwann wieder forciert wird, denn mittlerweile sind ORPHANED LAND zu einem Punkt vorgestoßen, an dem sie entweder auf hohem Niveau stagnieren oder stilistische Schwerpunkte setzen müssen.
FAZIT: ORPHANED LAND leisten mit "All Is One" wie zu erwarten Konsolidierungsarbeit, indem sie ihren eigenen Stil weiter perfektionieren. Den vielschichtigen Songs der Band fehlen nicht erst seit gestern Kanten, die Altfans vermissen werden, aber dessen ungeachtet kann man in sie eintauchen - ganz davon abgesehen, dass die enthaltenen Botschaften in ihrer Grundaussage gehört werden sollten ... unter der Hasskappe des Metal so oft wie im unmusikalischen, ungleich herberen Alltag auf diesem Planeten generell.
11 von 15 Punkten
Review von: Andreas Schulz (Profil)
Mit einem umgedrehten Kreuz auf dem Cover schockt man heutzutage niemanden mehr. Da dürften ORPHANED LAND mit dem Artwork ihres neuen Albums für vermeintlich mehr Aufregung sorgen. Denn die Vereinigung der Hauptsymbole des Christentums, des Islams und des Judentums in einem Symbol dürfte für manch einen Fundamentalisten der Gipfel der Blasphemie sein. Mit diesem Artwork macht die Band um den charismatischen Frontmann Kobi Farhi überdeutlich, wofür sie steht: nämlich für Toleranz und Respekt gegenüber Andersgläubigen und letztlich auch grundsätzlich gegenüber Andersdenkenden. Eine Form der Toleranz also, die man nicht nur dort vermisst, wo Religiosität zu gewaltsamen Konflikten führt, sondern auch in unseren Breitengraden. Wo man als spiritueller oder religiöser Mensch eher belächelt als ernst genommen wird. Wo Xenophobie längst nicht nur unter Springerstiefel tragenden Glatzköpfen verbreitet ist. Wo Hunderttausende gegen die Gleichstellung Homosexueller auf die Straße gehen und wo Gesetze gegen Homosexualität verabschiedet werden. Wo eine Umfrage in einem EU-Land ergibt, dass ein Drittel der Studenten eine offen rechtsextreme und antisemitistische Partei wählen würden. Leben und leben lassen? Das bleibt allzu oft bestenfalls ein Lippenbekenntnis.
Das prangern ORPHANED LAND an, ohne jedoch nur den mahnenden Finger zu heben. Sie machen es mit ihrer Musik, mit ihren Texten. Zwar haben sie dabei den Vorteil auf ihrer Seite, dass für viele Metal mehr Religion ist, als die echten Weltreligionen und insoweit eh schon ein anderes Zusammengehörigkeitsgefühl herrscht, das über das, was von anderer Stelle indoktriniert wird, hinausgeht. Doch auch über die Metalszene hinaus bekommen sie Aufmerksamkeit für das, was sie da tun und das ist durchaus positiv zu werten. Trotzdem ist klar: die Welt verändern sie dadurch nur wenig, aber ebenso ist klar, dass die Welt ein besserer Platz zu leben wäre, wenn das Gedankengut einer Band wie ORPHANED LAND Allgemeingut wäre.
Ja, das hat nur indirekt etwas mit "All Is One" zu tun, muss aber auch mal gesagt werden. Musikalisch setzen ORPHANED LAND ihre Gedanken mit progressiv-bombastischem Oriental Metal um, der keinerlei Wünsche offen lässt. Dabei rücken zwar die früheren Death-Metal-Einflüsse so weit in den Hintergrund, dass sie nur noch rudimentär auszumachen sind, das lässt sich angesichts des tollen Songwritings und der herausragenden Arrangements locker verschmerzen. Nahezu perfekt verbinden die Israelis hier synkopische Rhythmen, nahöstliche Harmonien, die auf entsprechenden Instrumenten dargeboten werden und den Streicherbombast sowie die Chöre mit klassischen Metal-Elementen – hier sitzt alles am richtigen Platz und ergibt ein beeindruckendes Gesamtbild. Dass die Songs verhältnismäßig simpel strukturiert und eingängig sind und somit zügig auf den Punkt kommen, ist hingegen ein klarer Fortschritt, der es auch denen ermöglicht, Zugang zu finden, die ORPHANED LAND bislang zu sperrig fanden.
Besonders der Einstieg in das Album mit dem markanten Titeltrack, dem demütigen "The Simple Man" (mit der augenzwinkernden Zeile "But I swear I'm not Jesus Christ"), dem sanfteren "Brother" und dem opulenten "Let The Truce Be Known" zeigt ORPHANED LAND von ihrer eingängigsten Seite. Dabei mag dem einen oder anderen der Bombast-Faktor möglicherweise schon fast zu hoch sein, viel weniger davon als eine Band wie NIGHTWISH fahren die Israelis nämlich auch nicht auf. Das wunderschön melancholische "Through Fire And Water" setzt auf mehr Folklore und zudem auf Frauengesang, der Kobis (auf fast dem ganzen Album) betont unaggressiven Gesang gut ergänzt. Mit "Fail" folgt der härteste Track des Albums, der auf die musikalische Vergangenheit verweist, im Albumkontext eher unauffällig ist das Instrumental "Freedom". "Shama’im" ist der obligatorische Song zum andächtigen Schunkeln, das ebenfalls hebräisch gesungene "Ya Benaye" setzt dagegen mehr auf Metal – und leiernde Gesangslinien. Zum Abschluss zeigt man dann noch, wie man Dramatik gut und weniger gut umsetzt, denn auf das starke "Our Own Messiah" folgt mit "Children" ein Song, bei dem man es mit dem Pathos dann doch leicht übertreibt.
FAZIT: Die Welt zu verbessern mag ein (frommer) Wunsch von ORPHANED LAND bleiben, diesen Wunsch musikalisch umzusetzen gelingt der Band aber auf ganzer Linie.
12 von 15 Punkten
Review von: Lutz Koroleski (Oger) (Profil)
Es ist ein seltenes Erlebnis, dass eine Band Dinge, die man persönlich an den bisherigen Alben weniger gut fand, auf dem nachfolgenden Release nahezu komplett abstellt.
Im Prinzip mag ich natürlich auch die bisherigen Werke der Israelis, nur waren mir einige Songs schon mal etwas zu langatmig, die Death Metal-Anteile unpassend sowie nicht besonders originell umgesetzt und es fehlte über die Albumdistanz bisweilen der rote Faden. Demgegenüber hätte ich insbesondere die tanzbaren folkloristischen Elemente gern weiter im Vordergrund gesehen. Wer die Band schon einmal live gesehen hat, weiß warum.
Auf Album Nummer fünf kommt man nun erheblich schneller auf den Punkt und konzentriert sich auf die eigenen Stärken. Verschachtelte Endlos-Epen sind kaum noch zu finden. Geröchel gibt es nur noch beim eher schwedisch klingenden "Fail", stattdessen Folklore satt. Insbesondere die auch rhythmisch auf nahöstliche Elemente ausgelegten Parts z.B. in "The Simple Man" machen richtig Spaß. Das Ganze bekommt zudem durch einen verstärkten Keyboard-Einsatz und entsprechend mächtige Chöre eine wesentlich bombastischere Note. Böse Zungen könnten von einer "Nightwishisierung" sprechen, doch dafür fehlt der Musik einfach der Kitsch.
"All Is One" feuert gleich zu Anfang eine ganze Breitseite an Ohrwürmern ab. Neben dem Titelsong und dem schon erwähnten "The Simple Man" beeindrucken auch die eher getragenen "Brother" und "Let The Truce Be Known" mit schicken Melodien und ausgetüftelten Arrangements. Während es zur Mitte des Albums deutlich metallischer, aber nicht wesentlich unspektakulärer zur Sache geht, dürfte "Shama’im" der Höhepunkt kommender ORPHANED LAND-Konzerte sein. Ein echter Folk-Hit in hebräischer Sprache. Ebenfalls über feine melodische Widerhaken verfügt das wiederum sehr ruhige und das Album abschließende "Children".
Soundmäßig wurde ebenfalls ein Schritt nach vorne gemacht. Es klingt alles professioneller und größer, schneller, weiter. Man könnte sicher argumentieren, dass man der Band damit ihre Ecken und Kanten abgeschliffen hat, muss man aber nicht, da letztlich das Gesamtergebnis zählt.
FAZIT: ORPHANED LAND gelingt es sich mit "All Is One" auf das Wesentliche zu fokussieren und überflüssigen Ballst über Bord zu werfen. Manchen Fan der ersten Stunde wird das sicher vergraulen, die Band dafür aber jede Menge neue hinzugewinnen. Künstler mit einer derart wichtigen inhaltlichen Botschaft haben ohnehin jedweden Erfolg verdient.
12 von 15 Punkten
Review von: Lothar Hausfeld (Profil)
Es gibt nicht viele Bands, die von sich behaupten können, ihre Platten im steten Wandel zu gestalten. ORPHANED LAND sind eine dieser rühmlichen Ausnahmen: Keine Scheibe klingt wie die andere, und auch wenn die Israelis mit ihm weltumspannenden Sound mittlerweile eine relativ gesicherte Klangbasis gefunden haben, dürfen die Verehrer von Kobi Farhi erleichtet aufatmen: Auch "All Is One" klingt in weiten Teilen anders als der Vorgänger "The Never Ending Way Of Orwarrior".
Es gibt natürlich einige Stücke, die auch auf dem 2010er-Album hätten stehen können, doch insgesamt haben sich ORPHANED LAND wieder ein Stückchen weiter entwickelt, haben ihren Sound nochmals breiter aufgestellt. Neben den üblichen orientalisch angehauchten Klanggeräten leisten nunmehr auch Chorsänger, Violinen- oder Cello-Spieler ihren Beitrag dazu, dass "All Is One" bombastischer klingt, unglaublich vielschichtig und abwechslungsreich.
Die Kehrseite der Medaille ist, das muss natürlich zugegeben werden, dass viele Ecken und Kanten im Sound der Israelis nicht mehr vorhanden sind. Da, wo einst glasklare Death-Metal-Wurzeln nicht nur durchschimmerten, sondern sogar tonangebend waren, stehen heute filigrane, vielspurige Klangkosmen, die weit über den metallischen Tellerrand hinausgehen. Mit "Fail" gibt es nur einen Song, der überhaupt mit Growls ausgestattet wurde – und auch das nicht durchgehend, sondern nur punktuell.
Dafür liefern ORPHANED LAND insbesondere im ersten Teil ihres sechsten Albums einen Hit nach dem nächsten ab. "All Is One", "The Simple Man", "Brother", "Let The Truce Be Known" und "Through Fire And Water" ist im Spannungsfeld zwischen Oriental Metal, Soundtrack und nahöstlicher Folklore nicht weniger als ein ohne jeden Abstrich perfekter Albumeinstieg. Hier passt jedes Riff, hier sitzt jeder Ton Kobi Farhis, hier ist nicht ein Streicher oder Chorgesang zu viel – und das, obwohl bei der Instrumentierung alles andere als zurückhaltend verfahren wurde.
Im Mittelteil von "All Is One" wird es ein wenig experimenteller, aber auch gitarrenlastiger. Das bereits erwähnte "Fail", eines von nur zwei Liedern, das länger als fünfeinhalb Minuten ist, klingt streckenweise wie eine größere Jamsession, "Freedom" verzichtet gänzlich auf Vocals, das hebräisch intonierte "Shama’im" dürfte die Band in ihrer Heimat nochmals ein ganzes Stückchen voranbringen und ist so etwas wie die kaum besser machbare Melange aus Rock und orientalischem Folk. Was letztlich auch für "Ya Benaye" gilt, wobei hier die Vokalakrobatik Kobi Farhis eine nochmals größere Rolle spielt.
Mit "Our Own Messiah" folgt ein episch angelegtes Meisterwerk, das mit opulenter Dramatik und schwermetallischen Kontrastpunkte ebenso wie das Auftaktquintett an der Höchstpunktzahl kratzt, ehe "Children" für einen eher besinnlichen Albumausklang sorgt – wobei es anzunehmen gilt, das anschließend der erste Griff wieder zum "Play"-Knopf am CD-Spieler gehen wird.
FAZIT: ORPHANED LAND sprengen Grenzen, und das ist nicht nur auf ihre manchmal etwas naiv wirkende "lasst uns alle Freunde sein"-Einstellung gemünzt. Was fraglos eine vorbehaltlos unterstützenswerte Einstellung ist, nicht, dass wir uns da falsch verstehen. Aber auch musikalisch reißen die Israelis Mauern nieder – sowohl sämtlicher Genrekategorien, als auch ihre eigenen, mit jedem neuen Album neu errichteten Mauern. Wenn das dann zudem noch auf einem musikalisch so erhabenen Level wie auf "All Is One" geschieht, dann untermauert das die Ausnahmestellung der Band nur noch. Das bisher beste Album des Jahres!
14 von 15 Punkten
Durchschnittspunktzahl: 12,25 von 15 Punkten.
Damit Einstieg auf Platz 4 in den Massen-Review-Charts.