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Interview mit Arch Enemy (07.09.2017)

Arch Enemy

Das Licht am Ende des Tunnels …

Ein heißer Nachmittag im Juli, und Michael Amott gibt seine ersten Interviews zu ARCH ENEMYs neuem Album, dessen Veröffentlichung noch ein Stück in der Zukunft liegt. Trotz Sonne ist dem Schweden eher nach Essen zumute, doch er lässt sich ausführlich auf die Fragen ein, mit denen wir ihm auf den Zahn fühlen.

 

Michael, der Titel „Will To Power“ ist kraftvoll wie geschichtsträchtig; was hat es damit auf sich?

Ich habe mich mal an Nietzsches Schriften herangewagt und fand den Ausdruck „Wille zur Macht“ bestechend. Bis dahin war er mir nur vom Hörensagen ein Begriff gewesen, doch als ich genau las, was der Mann damit meinte, wurde mir bewusst, dass es sich gut auf uns als Band münzen und als Titel verwenden ließ. Was treibt uns als Musiker und darüber hinaus: Was motiviert den Menschen zu dem, was er tut?

Die Scheibe klingt jetzt nicht großartig anders, als man es von euch gewohnt ist; warum sprichst du im Vorfeld von neuen Einflüssen?

Wir tarieren unsere traditionellen Einflüsse gegen neue Impulse aus. Zum ersten Mal gibt es eine Ballade, das ist wohl das „Extremste“ für unsere Verhältnisse. Das Stück wird zwar zum Ende hin härter, ist aber dennoch ein Novum. Außerdem gibt es Orchesterparts wie im Intro oder während ‚A Fight I Must Win‘, die man in dieser Form auch noch nicht von uns gehört hat. Der Opener ‚The Race‘ hingegen beruht auf meinen Steinzeit-Death-Metal- und Punk-Wurzeln. Die habe ich bei ARCH ENEMY bisher selten anklingen lassen, doch jetzt enthält die Bonus-Single der Scheibe sogar Coverversionen solcher Bands, wohingegen ‚Blood In The Water‘ praktisch reinrassigen Heavy Metal an der Schnittstelle zum Hardrock darstellt.

Dennoch hört man nach fünf Sekunden stets, dass es sich um euch handelt.

Das halte ich auch für wichtig, denn wir das sind eben nur wie und sonst niemand. Ich weiß andererseits nicht, ob es gut ist, dass man meinen Gitarrenstil sofort wiedererkennt; das könnte man mir auch auf Einseitigkeit vorwerfen.

Würdest du sagen, dass eure Sängerin Alissa die Band bei ihrem Einstieg verjüngt hat?

Auf jeden Fall, obwohl sie ja nur zwei Jahre jünger ist als ich (lacht). Nein, im Ernst, sieh kam mit einer völlig anderen Energie zu uns und macht uns live besser denn je, weil sie eine tolle Performerin ist. Drittens bringt sie eine unterschiedliche Perspektive ein, weil sie aus einer anderen Generation stammt und obendrein Kanadierin ist.

Wie genau schlägt sich das auf die aktuellen Stücke nieder?

Sie schrieb die Texte für gut die Hälfte der Tracks, wie es auch schon auf „War Eternal“ der Fall war. Dazu schickte ich ihr fünf instrumentale Ideen, von denen ich glaubte, sie könne am meisten damit anfangen, und ließ sie gewähren. Der Rest stammt von mir, aber ich mag es noch lieber, wenn sie sich Gesangsarrangements ausdenkt, weil sie dabei eben nicht so denkt wie ich als Gitarrist. Sie kommt auf Sachen, die mir nie eingefallen wären, und krempelt manches komplett um.

Ich hatte den Eindruck Selbsthass und Kampf gegen Widrigkeiten ziehen sich wie rote Fäden durch „Will To Power“.

Dann hast du besonders auf meine Texte geachtet. Ich behandle mit mehreren Songs Depressionen, etwa dem angesprochenen ‚A Fight I Must Win‘, das sich um krasse Stimmungsumschwünge dreht. Ich denke, damit können sich so einige Leute identifizieren, während sich ‚A Reason To Believe‘ an jüngere Menschen richtet, was ich mir anmaße, weil ich schon ein älteres Semester mit einiger Lebenserfahrung bin. Viele Fans wenden sich mit ihren Problemen an uns, weshalb ich mich ein bisschen in die Pflicht genommen fühle.

Der Wille zur Macht ist im übertragenden Sinn ja eigentlich ein Hauptmotiv des Heavy Metal.

Absolut. Selbstverwirklichung und Trotz waren schon immer Prinzipien, die in ARCH-ENEMY-Songs anklingen. Von uns hast du nie Sachen wie „Das Leben ist scheiße“ oder „Ich will mich umbringen gehört“, sondern stets etwas Konstruktives. Hinter so etwas könnte ich nicht stehen. Sicherlich wird bei uns über düstere Zeiten gesungen, aber die gehen eben vorbei. Es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, auch wenn das in vielen Subgenres des Metal ausgeblendet wird. Für dessen Vertreter mag diese Einstellung funktionieren, für mich jedoch nicht.

Humor spielt auch eine Rolle, oder?

Ja – sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Mir geht es ausschließlich um Musik, so war es schon immer. Als ich mit dem Spielen anfing, war ich sehr ehrgeizig, um mich richtig mit der Gitarre vertraut zu machen, und wollte nicht zuallererst der coole Klampfer sein. Judas Priest und Iron Maiden sind dahingehend meine Vorbilder. Sie gehen ihre Musik mit Bedacht an und sind verhältnismäßig bodenständig geblieben. Meine Kraft zehre ich nicht aus Religion, sondern von Musik. Wenn Außenstehende zu einem unserer Konzerte kommen, schüchtern sie das Treiben und die scheinbare Brutalität vielleicht ein, doch dahinter steckt etwas Positives, Läuterndes.

Solche Missverständnisse sind ja nichts Neues.

Genau, und darum kann ich Fans, die Metal im Radio und Mainstream hören wollen, nicht verstehen. Sich abzugrenzen ist doch gut, und das bewahrt einem den Eigensinn. Einheitsbrei gibt es schließlich schon genug. Wir mögen mit ARCH ENEMY recht großen Erfolg haben, sind aber im Vergleich zu irgendwelchen Pop-Sternchen ein kleines Licht. Am Ende kommt es darauf an, sich selbst treu zu bleiben. Wir sind mit Abstand betrachtet immer noch eine Underground-Band. Was wir erreicht haben, geschah auf organische Weise Stück für Stück durch harte Arbeit, ganz ohne Kompromisse. Womit wir wieder bei Iron Maiden wären.

Gutes Stichwort: Als ich anfing, Metal zu hören, waren die Briten in meinen Augen schon Altmeister, und heute sind ARCH ENEMY schon länger am Start als Maiden damals, obwohl ich euch weiterhin als „neue“ Band begreife. Wie ist das bei dir?

Ich schätze, so geht es einem, wenn man älter wird. Wir machen uns viel Gedanken über das, was wir veröffentlichen, denn ich fühle mich in Hinblick auf das Erbe von Hardrock und Heavy Metal in die Verantwortung gezogen, keinen Mist zu bauen. Für mich ist vieles, was heute als Metal eingestuft wird, nichts dergleichen; was das betrifft, bin ich ein kleiner Snob, wiewohl ich auch neue Acts zu schätzen weiß, wenn sie etwas Frisches bieten. Momentan muss auch alles in Schubladen gesteckt werden, was mich ebenfalls nervt.

War das je anders?

Eigentlich nicht, aber mir ist egal, ob geschrien oder gesungen wird – Hauptsache, das Zeug tritt Arsch.

Ein Kollege meinte, viel King Diamond respektive Mercyful Fate auf „Will To Power“ zu hören; kamen diesmal wirklich mehr Impulse aus Dänemark?

Der Kollege hat Recht. Das trifft auf die klassischen Elemente in meinen Licks zu, aber auch auf die orchestralen Passagen, deren Partituren ein Landsmann von mir anfertigte. Er bekam die Demos zugeschickt und arrangierte die Sachen, woraufhin sie von Musikern aus Fleisch und Blut eingespielt wurden. Obwohl sich das digital heutzutage schon hervorragend emulieren lässt, hört sich ein echtes Orchester meiner Meinung nach trotzdem beeindruckender an.

Kannst du dir ein ganzes Album damit vorstellen?

Auf jeden Fall würde es gut zu ARCH ENEMY passen. Mal sehen?

Was ist da zwischen euch und Century Media? Ihr habt nie Anstalten gemacht, das Label zu verlassen.

Weil wir ein klasse Team sind, auch nach all den Jahren noch. Nebenher betreibe ich meinen eigenen Verlag Savage Messiah, unter dem auch die Band läuft. Das sind jetzt echt schon 20 Jahre mit Century Media, kaum zu fassen. Es hört sich abgedroschen an, aber wir fühlen uns mit ihnen wie in einer großen Familie und haben außerdem einen sehr guten Vertrag unterschrieben, weshalb ich nicht glaube, dass wir irgendwo anders besser aufgehoben wären. Konstanz ist gerade gut, weil das Musikgeschäft momentan so unsicher ist. Das Label glaubte an uns, als kein Hahn nach dieser Musik krähte, und heute sind wir die größte Band in ihrem Programm. Ich halte sehr viel davon, einen langen Atem zu beweisen und denjenigen treu zu bleiben, die es verdienen.

Wohin wollt ihr noch in diesem Spannungsfeld aus klassisch melodischem und typisch skandinavischem Metal?

Mein Hauptaugenmerk lag und liegt auf Konzerten. Das ist gerade eine sehr spannende Zeit, weil wir vor immer mehr Leuten auftreten und noch bekannter werden können. Meine Güte, wenn ich daran zurückdenke, wie ich in Interviews gefragt wurde, weshalb es bei uns denn Gitarrensolos gebe … Ich wollte nie in einer Band sein, um groß herauszukommen, sondern einfach eine starke Truppe um mich haben und zeitlose Musik spielen. Dass ich je Geld damit verdienen würde, hätte ich nie gedacht.

Andreas Schiffmann (Info)
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