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Interview mit Albatross (27.04.2012)
Skandinavische Musiker sind entweder satt und verwöhnt oder seit je wortkarg, doch in Indien spricht man gern und viel. Eigentlich sollte dies ein Mini-Feature zu ALBATROSS für ein Printmedium werden, aber die Band aus Maharashtra beantwortete eine Handvoll Fragen derart ausgiebig, dass man sie unmöglich auf 1.000 Zeichen kürzen kann. Der gruselige Metal, den die Gruppe auf „Dinner Is You“ sowie der jüngsten Split-CD mit Vestal Claret kultiviert hat, strotzt vor Ideenreichtum, ist sehr originell und verschont garantiert keine heiligen Kühe.
Der Sänger der Split-Partner darf sich einleitend über die Inder auslassen.
Philip Swanson: Nach den bisherigen Resonanzen sieht es so aus, als seien Vestal Claret die unbekannte Band, denn die Euphorie, mit der die Einheimischen ihre Helden aufnimmt, ist durch nichts zu übertreffen. Ich kenn Riju schon etwas länger, und als er das Thema zur Sprache brachte, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, schlugen wir sofort ein. Es ist cool und ziemlich exotisch, sich mit einer Metal-Band aus Indien kurzzuschließen, und wenn sie so gut ist wie ALBATROSS, sollte man sich sowieso nicht zweimal bitten lassen. Für die Fans in diesem Land ist das ganze Drumherum noch relativ neu, ungefähr so wie im Westen zu Beginn der Achtziger. Diese Menschen sind, was das betrifft, echt zu beneiden, denn ich wünschte, ich könnte alle klassischen Bands wieder so hören wie damals, als ich ein junger Hüpfer und ganz aus dem Häuschen war, als ich zum ersten Mal mit Metal in Kontakt kam. Mit dem Alter glaubt man, alles gehört zu haben, und nichts haut mehr so richtig vom Hocker.Die Jungs haben mich auf einen nostalgischen Trip gebracht; ich höre wieder eine Menge deutschen Metal, Accept und Brainfever, die ersten vier Sinner-Scheiben, Album eins und zwei von Steeler sowie „Legacy“ von Xxaron. Das lasse ich allerdings nur zu, weil ich gerade selbst nichts schreibe, denn ansonsten wäre ich erstens zu sehr von meiner Sache abgelenkt und würde mich zweitens beeinflussen lassen. In solch freien Zeiten kenne ich aber nichts anderes als den Kram aus den Achtzigern, denn besser als damals wird es subjektiv gesehen nicht mehr.
Wie ist es um die indische Metal-Szene bestellt? Abgesehen von Stereotypen über das Land generell wissen europäische Musikhörer wahrscheinlich relativ wenig.
Biprorshee Das: Tja, wie sieht es aus bei uns? Die Szene ist gesund und wächst weiter, allerdings nicht erst seit gestern. Das indische Rock- und Metal-Geschehen lag immer schon am Puls dessen, was andernorts auf der Welt passiert. Reißt man die Geschichte der Gitarrenmusik also an einem Zeitstrahl ab, so gehe ich jede Wette ein, wird man zu jedem Stil und jeder Bewegung ein entsprechendes Gegenstück in Indien finden.
Die Vielfalt, die auch bei uns im Metal herrscht, ist beachtlich angesichts der Tatsache, dass das Genre weithin marginalisiert wird und angeblich nur ein Nischenpublikum begeistert. Natürlich gibt es Rangeleien zwischen unterschiedlichen Fan-Lagern, die jeweils „ihre“ Musik durchdrücken wollen, aber am Ende ziehen sie alle an einem Strang, egal ob sie aus dem traditionellen Bereich stammen, virtuos und progressiv aufspielen oder eine neue Messlatte für Brutalität im Death Metal anlegen wollen. Hier findet man alles, und jede Band legt eine kompromisslose Haltung an den Tag: Wir nehmen keine Gefangenen und lassen keinen Stein auf dem anderen liegen. Ich bin unheimlich stolz darauf, daran teilhaben zu dürfen.
Dass wir weltweit erst seit jüngerer Zeit wahrgenommen, werden ist mit Hinblick darauf schade. Ausschlag gaben die Tourneen internationaler Gruppen, die endlich auch regelmäßig in Indien haltmachten, sowie Sam Dunns offengestanden schreckliche und klischeehafte Darstellung unserer Kultur in seiner Dokumentation „Global Metal“. Einer meiner Bekannten sprach 2007 nach Iron Maidens erstem Konzert in Indien mit Bruce Dickinson, der die Stimmung hier mit jener in Polen 1984 verglichen hat. „Die Leute sind so begeistert wie hinter dem Eisernen Vorhang damals“, soll er gesagt haben, und das dürfte genügen, um einen Eindruck von der Größe unserer Szene zu erhalten.
Andererseits: Ein junger Kerl besucht einen Gig, schüttelt die Rübe, trinkt Bier und quatscht die Band an, doch wenn sich die Musiker bei ihm bedanken und fragen, ob er eine CD oder ein Shirt kaufen wolle, erhält er meistens eine Absage unter dem verlegenen Vorwand, er werde dies demnächst nachholen. Daheim wird er natürlich einen Download-Link im Internet suchen. Was also tun? Ich gehöre bestimmt nicht zu der Sorte Musiker, die sich strikt gegen Filesharing äußern, sondern möchte nur sagen, dass selbst die Hälfte der Fans, die sich so bezeichnen, als Käufer genügen würden, um Bands auf den Trichter zu bringen, durchgängig Qualität abzuliefern. Das betrifft nicht nur Indien, sondern die Musikszene weltweit. Denken wir also um – zu unserem eigenen Besten!
Ein Problem in Indien stellt die überschaubare Zahl von Konzertsälen dar, von organisatorischen Schwierigkeiten ganz zu schweigen. In der Regel müssen Bands mit dreckigen, zwielichtigen Clubs vorliebnehmen oder in einer zugemüllten Gasse auftreten, wo sich das Publikum gegenseitig auf die Füße tritt und die Akustik grauenvoll ist. Die Orte, an denen man regelmäßig Bands aus dem Metal-Bereich ein Forum bietet, sind wirklich dünn gesiedelt.
Weiterhin gibt es die erwartbaren Behauptungen, von wegen Heavy Metal sei Lärm; warum tragen die Kids ihre Haare lang, schreien sich die Seele aus dem Leib und schlagen mit ihren Instrumenten im Keller Krach? Wir hätten doch brave Zöglinge sein und uns anpassen können … Das Klima ändert sich aber gegenwärtig, denn immer mehr Eltern ermutigen ihren Nachwuchs dazu, Instrumente in die Hand zu nehmen und ernsthaft Musik zu machen. Was ALBATROSS betrifft, kann ich nur sagen, dass die Eltern der Mitglieder von Anfang an äußerst hilfreich gewesen sind. Ich bin mir sicher, dass es nicht mehr lange dauert, bis man Musik als Beruf endlich nicht mehr geringschätzig betrachtet.
Der Gedanke, Metal sei nur eine Randerscheinung, hält sich aber unter Labels beharrlich, denn du wirst in Indien kein einziges finden, das sich hinter eine solche Band stellen würde, es sei denn, sie verspräche einen kommerziellen Erfolg. Folglich entdeckt man in kaum einem indischen Plattenladen Alben einheimischer Metal-Bands, und falls doch, dann in der hintersten Ecke. Umso eifriger pushen Online-Händler die Szene, was sich aber immer nur auf relativ beschränkter Ebene abspielen kann, denn sind wir ehrlich: Solange keine Mainstream-Firma den Schneid besitzt, eine Metal-Band unter Vertrag zu nehmen, erfährt auch niemand, ob die Musik wirtschaftlich ertragreich ist. Ein Label wie Roadrunner existiert hier eben nicht.
Ach, und glaube niemand, die Regierung schere sich um Metal, denn Indien hat genug andere Probleme, und wir sind froh darüber, dass uns niemand in irgendeiner Weise Knüppel zwischen die Beine wirft.
Gegenwärtig spricht man viel über vermeintlich ethnischen Metal, was man durchaus als Hirngespinst und Medienblase betrachten kann. ALBATROSS hören sich erstaunlich wenig exotisch an, obwohl ihr auf einen reichhaltigen kulturellen und musikalischen Hintergrund zurückgreifen könntet. Woran liegt es?
Riju Dasgupta: Ich kann nur für mich sprechen, aber zu den Bands, die mich nachhaltig beeinflussen, also Maiden, Priest und Metallica, bin ich erst dadurch gekommen, dass ich die Nase voll hatte von einheimischer und insbesondere Filmmusik. Das Zeug besitzt abgesehen von einigen Sachen aus dem Rock-Bereich oder anderen Metal-Bands keinen Reiz für mich. Unser Stil verliert an Durchschlagskraft, wenn wir ihn nicht von Herzen spielen. Vermeintliche Wurzeln zu zeigen, die im eigenen Land liegen, würde bei uns bedeuten, die Musik zu verwässern und Schwäche zu zeigen. Nachdem ich eine Menge Bands gehört habe, die ihre Herkunft über die Musik vermitteln wollten, darf ich sagen, dass ich damit nichts zu tun haben möchte. Ich mag es laut und heavy – direkt ins Gesicht wie die frühen Gruppen der NWoBHM oder der alte Schweden-Stoff. Genau dies bringen wir auch mit unseren Songs zu Gehör.
Wird man in Indien anders zum Metalhead als in Europa oder den Staaten? Wie sieht eure Sozialisation aus, und auf welche musikalische Erziehung könnt ihr zurückgreifen?
Biprorshee: Es gestaltet sich bei uns mehr oder weniger gleich, denke ich. Keine Ahnung, ob man ein besonders hartes Brot kauen muss, um auf Metal anzusprechen; es geschieht einfach oder eben nicht. Irgendwann legt man sich als Heranwachsender auf einen Stil fest – und wehe, es ist Metal wie bei mir: Für mich beschränkt sich Musik nicht bloß auf etwas, das sich konsumieren lässt, sondern greift in alle Lebensbereiche ein, ist also weit mehr. Metal gibt mir eine Stimme, und dabei ist egal, ob mir jemand zuhört, denn die Musik schenkt mir im übertragenden Sinn ein Megafon, in das ich brüllen kann, was ich mit Freude tue. Dieses Gefühl ist unvergleichlich.
Auch in meinem Keller liegen musikalische Leichen aus der Zeit, bevor ich das Richtige für mich entdeckte. Heute betrachte ich Metal als wundervolles Virus, das wild wuchert, sobald man damit in Berührung kommt. Man entdeckt etwas und trägt es fortan mit sich; trifft man einen anderen Fan, tauscht man sich gegenseitig aus, und die „Krankheit“ verbreitet sich. So erging und ergeht es mir, womit ich nicht allein bin. Nur so entwickelt sich dein Geschmack weiter, und zu entdecken gibt es noch viel.
Dieser Vorgang lässt sich auf ALBATROSS übertragen, denn Riju und ich teilen von jeher einen ähnlichen Geschmack, und er hat mir eine Menge Bands nahegelegt, die ich heute liebe. Leider kann ich nicht behaupten, dies beruhe auf Gegenseitigkeit, denn er ist ein engstirniger Sack oder hat schlichtweg schon alle Metal-Bands auf der Welt gehört, die er braucht. Die übrigen Mitglieder haben nicht unbedingt die gleichen Vorlieben wie wir zwei, aber es ist wunderbar, alles in einen Topf zu werfen und im Team zu arbeiten.
Auf meine Ausbildung bin ich nicht stolz, denn es gibt praktisch keine: Ich hatte nie Unterricht an einem Instrument und weiß, dass ich heute besser dastünde, wäre ich zu Schulzeiten zu einem Musiklehrer gegangen. Riju geht es genauso; er hat sich das Bassspielen selbst beigebracht, indem er John Entwistle auf die Finger schaute. Unser Gitarristen nahmen wohl die eine oder andere Stunde, sind aber ansonsten ebenfalls Autodidakten, womit nur noch unser Drummer Jay bleibt, der tatsächlich immer noch artig zu seinem Schlagzeuglehrer dackelt. Meinen Segen hat er, obwohl er vermutlich nur zu reich ist, während der Rest der Band nichts auf dem Konto hat; warum sonst würde ich Werbung dafür machen, unsere CDs zu kaufen?
Worin besteht der Reiz, Horrorthemen abzukappern, statt beispielsweise über Tod und Teufel zu schwadronieren?
Riju: Religion genießt in den Medien bereits mehr Aufmerksamkeit, als sie verdient, aber für einen Atheisten wie mich stellt ihr Kanon nichts weiter als ein beeindruckendes Märchenbuch dar. Zudem gibt es in Indien wohl keinen echteren Horror als die Diskrepanz zwischen religiöser Lehre und Alltagsleben, woran man niemanden andauernd erinnern muss, erst recht nicht bei einem Konzert oder vor der Stereoanlage. Meiner Meinung nach ist es sehr schäbig, religiöse Themen in Musik zu verarbeiten, um an die Gefühle der Menschen zu appellieren. Wir alle sind Horrorfans, lesen viel und schauen uns einschlägige Filme an, also ist es doch deutlich aufrichtiger, dieser Inspiration Ausdruck zu verleihen, nicht wahr? Mit Religion wäre das schlicht und ergreifend nicht der Fall.
Welche Zukunftspläne hegt ihr mit der Band? Stehen Auslandsauftritte in Aussicht?
Riju: Wir spielen gerade eine Tournee in Indien, um die Split mit Vestal Claret zu bewerben. Momentan wäre es zu teuer, einen Abstecher in die USA zu wagen, aber es könnte sein, dass wir 2013 in Europa aufschlagen. Ferner sehen wir vor, uns eine weitere Veröffentlichung mit einer anderen Band zu teilen, oder es wird eine EP von uns allein geben. In jedem Fall verheißt die Zukunft viel Gutes – und eine Menge Spuk für euch!
http://www.myspace.com/albatrosshorror
http://www.myspace.com/vestalclaret