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Interview mit Johnny Lokke (29.08.2012)

Johnny Lokke

Schnörkelloser Power Metal ist eine Sache, ihn mit Klasse zu spielen eine andere, und wenn mann dabei obendrein mit intelligenten Texten aufwartet, die nicht der kraftmeiernden Allgemeinheit in diesem Bereich entsprechen, hat man sich ein Interview auf unseren Seiten verdient - dachte auch der engagierte Amerikaner JOHNNY LOKKE.

John, erläutere uns bitte das Konzept von „Promises And Lies“.

Die Stücke auf diesem Album stehen im Zusammenhang miteinander. Es ist mein erster bescheidener Versuch an einer Rockoper im Stil von „Operation Mindcrime“, ohne dass ich es groß aufziehen würde. Die Geschichten drehen sich um Missbrauch, Vernachlässigung, Rebellion und Sieg, zuletzt Vergebung und emotionale Erleichterung.
„Accident Of One“ handelt von einem Menschen, der sich in einen Kult oder eine Terrorgruppe locken lässt, wo man ihn einer Gehirnwäsche unterzieht, sodass er undenkbare Verbrechen begeht. Hinterher leugnen die Anstifter, ihn zu kennen, sodass er die Schuld allein tragen muss. Erst dann geht ihm ein Licht auf; er ist das erste Opfer von mehreren, die im weiteren Verlauf der Scheibe folgen. Mit „Promises And Lies“ kehre ich zu ihm zurück, denn dies ist der Song, indem er sich zu rechtfertigen sucht.
„Scarred For Life“ wurde vom Fall Josef Fritzl inspiriert, der seine eigene Tochter 24 Jahre lang gefangen hielt und missbrauchte. Als er aufflog, beteuerte er, sich keines Unrechts bewusst zu sein. Das Stück befasst sich mit einem Opfer, das nach Anerkennung dessen sucht, was ihm angetan wurde, bloß scheint die Gesellschaft wegzuschauen. Die Person tut sich aber nicht selbst leid, sondern bedauert alle anderen Menschen, die sich darum bemühen, das Verbrechen zu ignorieren und eine heile Welt vortäuschen.
In „Heal Me“ zieht die Hauptfigur einen Schlussstrich, weil sie der Ansicht ist, genug sei genug. Sie begreift, dass sie Verantwortung übernehmen muss und es selbst in der Hand hat, etwas an ihrer Situation zu ändern. Schließlich hadert er mit sich selbst, ob er Rache an seinen Peinigern üben soll oder nicht. Ersteres würde ihn ja auf eine Stufe mit ihnen stellen.
„Black Sunday“ beschreibt die Zusammenkunft verschiedener Opfer. Eine Person schwingt sich zum Wortführer auf und ruft den anderen ins Bewusstsein, dass sie die Macht haben, etwas an ihrer Situation zu ändern, wenn sie nur den Mut dazu aufbringen.
In dem Teil der Geschichte, der in „Burning The Wheel“ abgehandelt wird, werden Pläne geschmiedet und in die Tat umgesetzt. Der Hautcharakter findet sich in der Rolle des Anführers wieder, weil die anderen in der Gruppe zu ihm aufschauen. In „Starchaser“ begegnen wir ihm wieder, nachdem die Schlacht geschlagen ist. Er predigt seinen Anhängern, irgendwo dort draußen gebe es etwas Besseres, durch das sie aus ihrer Misere fänden, und man glaubt ihm. So beginnt er, die Hirne der übrigen umzukrempeln, wie es ihm selbst einmal passiert ist. Ohne es zu bemerken verwandelt er sich in einen Menschen der Art, die er jüngst noch bekämpfte.

Wie sähe dann „The Next Revolution“ aus?

Das will ich in der Realität gar nicht herausfinden! In der Geschichte geht die Entwicklung jedenfalls so weit, dass man dem neuen Anführer alles abkauft. Seine Getreuen würden für ihn durchs Feuer gehen, und wie wir wissen, korrumpiert absolute Macht absolut.

Welche Rolle spielst du in der Band The New Breed?

Die Gruppe entstand vor Jahren, als sich Scot Goacher, der auf meinen ersten beiden Alben Schlagzeug spielte, bei einen Unfall das Becken brach. Er musste daraufhin monatelang liegen und durfte auch hinterher gut ein Jahr lang nicht trommeln. Da er Berufsmusiker war und nichts weiter tat, hatte er von einem Tag auf den anderen kein Einkommen mehr. In der Woche, als das Unglück geschah, wollten wir eigentlich mit dem Schreiben der Stücke fürs dritte Album anfangen, und als er mich aus dem Krankenhaus anrief, wusste ich gleich, dass ich irgendwie helfen musste. Im Studio war alles bereit, also beschloss ich, Freunde zusammenzutrommeln, und mit ihnen bastelte ich innerhalb weniger Wochen eine Scheibe zusammen, deren Einnahmen an Scot und seine Familie gingen, damit sie die Behandlung finanzieren konnten. Auf jener Platte spielten ein paar fabelhafte Musiker: Stefan Leibing, der früher bei Primal Fear war und ein guter Freund von mir ist – ihn hört man auch auf meiner anderen Soloscheibe „Wrecking Ball“ – sowie Mike Campese, ein wahnsinniger Musiker, der auch für die Zeitschrift Guitar World schreibt und Chris Watson von der Achtziger-Band Black Rose, dazu weitere Bekannte, die sich Zeit nahmen, um Scot zu helfen. Diese Erfahrung war absolut genial, aber wie dem auch sei: Die Resonanzen auf das Album fielen sehr positiv aus, und das Interesse an The New Breed stieg, weshalb wir im Folgejahr mit „Evolution“ ein zweites Album nachschoben. Scot befand sich auf dem Weg der Besserung, während Freunde gemeinsam mit mir noch einmal für ihn sammelten, ein klasse Gefühl.

Wie hast du Robban Ollson kennengelernt, der bei The New Breed zockt, und was treibt er gegenwärtig?

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht mehr, wie wir uns begegneten. Ich wollte stets andere Gitarristen in meinen Songs hören, weil mein Stil doch recht eigen ist. Ein außenstehender Leadgitarrist bringt eine zusätzliche Klangfarbe mit ein. Der Hörer soll zwei unterschiedliche Persönlichkeiten erkennen, ungefähr so wie bei Dave Murray und Adrian Smith von Iron Maiden. Ich fand's immer schon geil, wie man die beiden anhand ihres Spiels voneinander abgrenzen konnte. Für einige meiner Stückte schwebten mir Licks à la Michael Schenker vor, und irgendjemand muss mir wohl Robbans Adresse zugesteckt haben, also kontaktierte ich ihn, und er leistete Spitzenarbeit. Zu jener Zeit ging es seiner Mutter sehr schlecht, weshalb er besonders emotional spielte. Wir stellten die CD fertig, kurz bevor sie starb. Sie konnte es noch mit ihm feiern, seine erste veröffentlichte Aufnahme. Solche Erfahrungen machen Musikproduktionen umso wertvoller. Leider habe ich seit Jahren nichts mehr von Rob gehört, doch jetzt, wo ich das so sage, halte ich es für an der Zeit, daran etwas zu ändern!

Wie bist du an den Katalanen Carlos Arcay gelangt?

Aus den besagten Beweggründen schaute ich mich wieder nach einem zweiten Klampfer um, wozu ich hier und dort inserierte, von wegen ich suchte jemanden, der Solos für mich spielt. Carlos war einer der Interessenten, der mit eine Kostprobe seines Könnens schickte, und die gefiel mir so gut, dass ich in bat, auf allen Songs zu spielen. Er ist ein großartiger Musiker, und sein Stil passt perfekt zu diesen Stücken. Da er mich stark an Stefan erinnerte, gab es wohl keinen besseren Mann für den Job.

Auf welcher Erfahrung beruht „State Of Pain“?

Hier stellt die Hauptfigur der Story fest, dass sie zu dem geworden ist, was sie eigentlich hasst. Während sie damit beschäftigt war, Macht zu erlangen, fiel ihr nicht auf, dass sie denjenigen wehtat, denen sie eigentlich helfen wollte. Fortan muss er lernen, mit dieser Schuld zu leben.

Es heißt, du könntest in naher Zukunft ein Projekt mit Mitgliedern von Fifth Angel in die Wege leiten …

I traf mich Anfang des Jahres mit ihrem Gitarristen Ed Archer. Wir spielten gemeinsam Demos von brandneuem Material seiner Band ein, die ziemlich vielversprechend klingen. Hoffentlich ziehen sie das Ding durch, denn sie waren damals in den Achtzigern ein so genialer Haufen. Ich weiß noch, wie ich ihre beiden Alben kaufte und ganz aus dem Häuschen war, aber egal: Ed und ich wurden gute Freunde und liebäugeln mit einem gemeinsamen Projekt, sobald Fifth Angel ihre neue Scheibe vollendet haben. Hundertprozentig steht noch nichts fest, aber es wäre super, wenn es klappte. Ich arbeite sehr gerne mit verschiedenen Leuten zusammen und habe mich auch schon als Ghostwriter für andere Künstler versucht. Es macht Spaß, sich in jemanden hineinzuversetzen und etwas zu komponieren, von dem man annimmt, es passe. Eigentlich wollte ich etwas für Doros neue Scheibe schreiben, erreichte sie aber nicht, und jetzt ist es zu spät. Ich hatte ein paar Stücke, die ihr wie auf den Leib geschneidert waren. Während der Achtziger und auch später noch war ich schwer begeistert von ihr, auch wenn ich glaube, dass sie auf ihren jüngeren Veröffentlichungen ein wenig zu wünschen übriglässt.

Wie äußert sich deine „Obsession“ abgesehen von der Musik?

Beim Golfen und als Hundefreund. Ich versuche, mehrmals pro Woche ein Eisen in der Hand zu halten, und schaue mir liebend gern Profiturniere an. Zudem halten meine Frau und ich eine richtige Hundebande. Die meisten dieser Tiere haben wir vor schlechten Herrchen gerettet oder aus dem Tierheim genommen.

Um welches „Virus“ geht es im gleichnamigen Song?

Das Stück schrieb ich, als man bei einem Freund von mir Krebs diagnostizierte. Dabei schien er kerngesund zu sein … und eines Tages schmierte ihm sein Arzt aufs Brot, in ihm wuchere ein bereits recht großer Tumor. Es traf ihn furchtbar schwer, aber zum Glück ist er mittlerweile vollständige genesen und hat den Krebs besiegt. Der Schicksalsschlag passte gut zu meiner Erzählung, deren Protagonist sich vom Hass zerfressen lässt, statt ihm zu entsagen, weshalb er das Blatt kaum zu wenden vermag.

An wen richtest du dich mit „Fly For Me“?

Den Song schrieb ich, als ich von Ronnie James Dios Tod hörte. Er gehörte zu meinen Lieblingssängern, und der Verlust traf mich persönlich, also ging ich ins Studio, und heraus kam dieses Lied. Ich brauchte noch eines zur Vollendung der Story von „Promises And Lies“. Hier wird der Hauptfigur klar, dass es höchste Zeit ist, das Blatt zu wenden und das Gute über das Negative siegen zu lassen. Dieser Song fügt sich perfekt ein; vielleicht hat Ronnie ja von oben dafür gesorgt.

Du engagierst dich stark in Wohltätigkeitsorganisationen.

Ich glaube fest daran, dass man geben muss, bevor man etwas verlangen darf, und nach diesem Prinzip handle ich auch als Musiker.. Ich kann wirklich von Glück reden: Obwohl ich nie großartig die Werbetrommel rührte, kann ich mich quasi seit Beginn meiner Laufbahn auf ergebene Fans verlassen. Zu wissen, dass es Leute gibt, die sich dafür interessieren, was ich als nächstes aufnehme, ist ein tolles Gefühl. Ich meine, das läuft jetzt immerhin schon seit 2001. Aus diesem Grund versuche ich, umso mehr zurückzugeben, eben weil ich eine Menge bekommen habe.

Wie kam es dazu, dass du mit Al Atkins zusammengearbeitet hast?

Ich war schon immer ein großer Fan von Als Schaffen. Ein Kumpel, der Kritiken schreibt, hat mich in den Neunzigern auf ihn gestoßen, als er seine Scheibe „Heavy Thoughts“ besprach. Während wir die erste CD von The New Breed produzierten, suchte ich nach einem Duettpartner für das Stück „Drown“. Weil ich bis dato mit niemandem gemeinsam gesungen hatten, wollte ich das unbedingt ausprobieren, wobei mein Gegenpart eine gänzlich andere Stimme als ich haben sollte. Dabei fiel mir Al ein. Obwohl ich keine Zusage erwartete, fragte ich nach und schickte ihm das Stück. Er mochte es und veredelte es mit seiner unverkennbaren Stimme. Es klang so geil, dass er es 2007 für sein Album „Demon Deceiver“ verwendete, eine sehr nette Geste. Er ist nicht nur ein klasse Sänger, sondern auch ein guter Mensch. Wir stehen immer noch miteinander in Verbindung, und ich muss mir seine neuste Scheibe mit Paul May noch besorgen. Sie soll angeblich ziemlich gut sein.

Europa ist wohl der Hauptmarkt für deine Musik. Hast du je versucht, hier Konzerte zu geben?

Stimmt, ich würde sagen, 85 Prozent meiner Fans leben bei euch, und die meisten davon in Deutschland. Dieser Zuspruch rührt wohl daher, dass ich mit Bands wie Maiden, Priest, Sabbath, UFO, Thin Lizzy und Accept aufgewachsen bin, was sich in meinem Sound niederschlägt. Ehrlich gesagt habe ich mich nie um Auftritte bemüht, auch nicht in Europa, Nach „Wrecking Ball“ 2003 bot man mir eine zweiwöchige Festivaltour an, die ich sehr gerne bestritten hätte, aber vom Timing her passte es nicht. Wir hatten Besetzungswechsel, und die Gelegenheit tat sich ziemlich unerwartet auf. Das wäre so cool gewesen, zumal Konzertreisen mittlerweile vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet noch schwieriger sind. Clubs zahlen ungern, und wer dich nicht kennt, lädt deine Musik einfach nur aus dem Netz, also macht man unterwegs wenig Geld und braucht ein Label im Rücken. Ich verwende meine Zeit lieber dazu, neue Musik im Studio zu machen, und zwar für die Leute, die mich unterstützen. Täglich trudeln Emails ein, die ich alle beantworte. Da besteht eine innige Verbindung wie du siehst. Irgendwann will ich aber eine Show hier in den Staaten filmen, sodass mich die Fans anderswo zumindest auf diese Weise sehen können. Wo ich gerade dabei bin: Danke an alle, die meine Musik hören und weiterempfehlen. Schön, dass ihr euch davon angesprochen fühlt, und es ist mir eine Ehre, wenn ihr ein Teil davon sein möchtet. Ihr seid alle herzlich eingeladen, euch meine Website anzusehen und eine Nachricht zu hinterlassen. Wir arbeiten schon an einer neuen CD, die 2013 herauskommen soll, also halten Augen und Ohren offen – und denkt daran: Keep it loud!

Andreas Schiffmann (Info)
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