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Freak Valley Festival - Awo-Gelände, Netphen-Deuz - 29.05.2014

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Das Freak Valley Festival ruft zum dritten Mal die selbst ernannten Freaks des Stoner-, Blues-, Psychedelic- und Heavy-Rock aus aller Welt zusammen und nach zwei erfolgreichen Jahren ist die sympathisch kleine Veranstaltung (rund 1.800 Leute tummeln sich auf dem AWO-Gelände in Netphen) bereits Monate im Vorfeld ausverkauft. Das Konzept, nicht ins Unkontrollierbare und weniger Persönliche wachsen zu wollen, so viel sei schon zu Beginn verraten, geht voll auf. Wo andernorts Massen abgefertigt werden, regiert auf dem Freak Valley Festival – und auch in der Nachbarschaft, die sich derweil auf die schwarzen und bunten Gäste einstellt und z.B. morgens auf dem Zeltplatz Frühstück anbietet – in der Regel ein freundlicher Ton. Und selbst wer sich (vergleichsweise) abwechslungsreich und gesund ernähren möchte, der hat dazu Gelegenheit zu recht angenehmen Preisen.

Wenn im folgenden nicht über alle Bands berichtet werden kann, so liegt dem weder Ignoranz, noch Ablehnung zugrunde, sondern Menschliches, Allzumenschliches.

Donnerstag

Die Bloody Hammers aus Amerika setzen optisch auf Neunziger-Jahre-Gothic-“Chic“ im Theatre-of-Tragedy-Look und scheinen die erste Hälfte ihres Gigs noch im Flugzeug zu sitzen, anstatt zu realisieren, dass sie schon bei ihrer eigenen Record Release Show auf der Bühne stehen. Keyboarderin Devallia schaut mitunter so gelangweilt, als werde sie gezwungen, Werbetexte über Fledermaus-Anhänger zu schreiben, anstatt in die Tasten zu hauen. Bassist und Sänger Anders Manga kriegt die Kurve zu gehaltvollen Ansagen nicht wirklich gut genommen und so plätschert der Gig ziemlich unspektakulär vor sich hin – sorry, Leute, mit solch einem Auftritt werdet Ihr dem Namen Bloody Hammers nicht gerecht.
Ganz anders dagegen mutet das Trio Papir aus der dänischen Landeshauptstadt an, welches vom dortigen kreativen Durcheinander offenbar wahnsinnig viel in sich aufsaugt und in den eigenen „Liedern“ nachklingen lässt. Ja, es sind Lieder – aber was für welche! Es sind Ausflüge ins Grüne, ins Blaue, ins Morgen und ins Übermorgen, behutsam sich entwickelnd, doch nie unentschlossen, sondern immer mit einem Weg vor Augen. Selten hat die Stilbezeichnung „Psychedelic Rock“ den Nagel so treffsicher im Holz der Genre-Schubladen versenkt! Gitarrist Nicklas Sørensen droht beim völligen Sich-Hineinsteigern in sein Spiel bald die Halsschlagader zu platzen, während Christoffer Brøchmann Christensen am Schlagzeug und Christian Becher Clausen am Bass an einem Rhythmus-Teppich knüpfen, auf dem sich nach Lust und Laune herumtollen lässt – der hält (fast) alles aus! Den meisten so genannten „Post Rock“ Bands hat Papir eine fröhliche Abenteuerlaune voraus, die in Kombination mit energischer Spielfreude einfach ansteckt und viel Freiheit atmet. Die Band ist kurz nach ihrem Auftritt so außer Atem, dass sie kaum etwas herausbekommt, als sie einiges Lob erntet – selbiges ist auf dem Festival-Gelände auch noch zwei Tage später zu vernehmen. Allen vorschlauen Weissagungen über die kreative Sackgasse des oben genannten Genres zum Trotz beweisen die Kopenhagener, dass Instrumental Rock mitreißend, spannend und voll positiver Energie sein kann. Bravo!
Radio Moscow wirken daneben stilistisch bieder, gehen allerdings mit gehörigem Selbstbewusstsein und ordentlich Arschtritt-Faktor auf die Bühne, wo sie es ohne Umschweife krachen lassen. Der räudige Gesang von Parker Griggs passt wie der sprichwörtliche Arsch auf  Eimer, und der kraftvolle Blues beschließt den ersten Tag im Tal der Freaks satt und kompromisslos.

Freitag

Am Freitag erreiche ich das Gelände zu den Klängen von Ivy Garden Of The Desert aus Italien, die mir noch auf der Suche nach einer eigenen Identität scheinen: die Jungs geben sich Mühe, klingen jedoch einfach zu generisch. Die Band allerdings fühlt sie wie auf Klassenfahrt, wie sie dem sehr wohlwollend berichtenden WDR-Team für die „Lokalzeit“ erzählt, und freut sich über den Zuspruch der mitunter weit angereisten Fans.
Wie von der Tarantel gestochen geht anschließend das amerikanische Trio The Midnight Ghost Train so was von steil, dass die Frage im Raum steht, woran sich die Jungs laben und welchen Ausgleichsport sie betreiben, um dermaßen beweglich abzurocken. Sänger und Gitarrist Steve Moss scheint alle paar Sekunden vor Adrenalin und Mitteilungsfreude zu bersten, und zieht seine beiden Kompagnons an Bass und Schlagzeug mit einer Leidenschaft mit, die das Publikum im weiten Rund beeindruckt bis ansteckt. Im brackigen Fahrwasser des Southern Rock fühlt sich das Trio so pudelwohl, dass Steve mit seiner rauen Stimme am Ende sogar einen Gospel raus haut, als ob es das Selbstverständlichste sei. Binnen einer Dreiviertelstunde hat die Band mit ihrem beherzten Auftritt etliche Sympathien gewonnen.
Bei Jens Heide von den Rock Freaks  stellt sich nach dem verregneten Donnerstag allmählich vorsichtiger Optimismus ein, zumal die Sonne verschämt aufs Freak Valley zu scheinen beginnt und die Stimmung wie in den Vorjahren bei den Allermeisten ziemlich tiefenentspannt ist. Nun lässt sich das Wetter nicht planen und beeinflussen – an alles andere ist auf dem Freak Valley gedacht, denn die Organisation des Festivals ist mal wieder vorbildhaft, gerade in punkto Verpflegung und Hilfsbereitschaft. Einigen Ordnern wird bei dem friedlichen Publikum offenbar so langweilig, dass sie Handtaschen umso genauer durchsuchen. Äh, muss das wirklich sein, wenn man zum x-ten Mal das Gelände betritt?
Das britische Trio Stubb hat es nach Midnight Ghost Train nicht gerade leicht, mit seinem bluesig angehauchten Classic Rock zu punkten, legt sich mit solider Rhythmus-Fraktion und rauchigem, zuweilen mehrstimmigen Gesang doch ordentlich ins Zeug. Dennoch wird hier allmählich der einzige musikalische Schwachpunkt deutlich, der auch die Leser des Programmhefts anspringt, denn zahlreiche Bands werden darin beschrieben wie die Nachfahren von Sabbath, LdeZep, Kyuss und wahlweise Hawkwind, Pentagram, Blue Cheer und so weiter... in der Tat ähneln sich viele Bands im Sound und vor allem im limitierten Gesang so sehr, dass man schon wahrlich Freak sein muss, um sich für individuelle Nuancen begeistern zu können.
Um es klar zu machen: das ist Kritik auf hohem Niveau, denn im Gegensatz zu gängigen Metal-Festivals nerven auf dem Freak Valley kein peinlichen Rohrkrepierer, sondern die Beschallung ist manchmal halt solide, jedoch nicht durchgängig abwechslungsreich.
Mother Of God aus Schweden lassen beim Soundcheck Schlimmes befürchten, so unentschlossen wirken die jungen Musiker – doch was das Quartett dann in der Folge darbietet, gehört definitiv zu den Überraschungen des Festivals, auch wenn es alles andere als einfach ist, die Band zwischen 70er Rock, Neunziger-Alternative und experimenteller Härte zu verorten. Alles halb so wild, die Jungs vermitteln Freude an ihrer Musik, mit der sie im Handumdrehen in träumerische Gefilde entführen, nur um anschließend in bewährt schwedischer Retro-Manier durch das Unterholz zu pflügen. Rote Fäden entwirren sich in alledem zwar nicht von alleine, doch der zunächst unscheinbare Frontmann Daniel Nygren erweist sich als Sänger mit erstaunlicher Ausdrucksbreite und -tiefe. Und selbst wenn z.B. ein Riff mal etwas mehr an Cream erinnert, lassen die Schweden keine Zweifel daran aufkommen, dass sie ihren eigenen Weg einschlagen und dabei den Hörern mehr abverlangen wollen, als Standards abzunicken. Sympathie-Punkte sammeln sie bei mir nicht nur für den starken Auftritt, sondern auch für den coolsten Namen des Festivals. Mother Of God – das mag ich mir als Ketzer gerne auf der Zunge zergehen lassen... ;-)
Angeblich spalten die Isländer Solstafir das Publikum in zwei Fraktionen, und die Leute neben mir haben tatsächlich ganz eigene Ideen, warum das Quartett zu melancholisch-kraftvoll-rockenden Klängen neigt: „Stell dir mal vor, du würdest auf Island leben, und dann guckst du zum Fenster raus und denkst – oh scheiße, nur Gletscher!“ Nun ja, die Mannen um Frontmann Aðalbjörn greifen mittlerweile auf mannigfaltige Einflüsse jenseits isländischer Klischees zurück und verbinden diese zu weit ausladenden Kompositionen, die auch heute Abend nicht ihre Wirkung verfehlen, gleichwohl „Addi“ anfangs gar nicht gut bei Stimme ist. Im Laufe des knapp einstündigen Sets ändert sich das jedoch und Solstafir können mit ihrer eigenen Dynamik punkten und wie gewohnt ihre Hit-Single „Fjara“ platzieren, die auch Stoner-Rocker-Herzen zum Schmelzen bringen kann.
Nach kurzer Stippvisite auf dem reichlich kühlen Zeltplatz – uns erwarten in der kommenden Nacht Temperaturen knapp über null Grad – rauschen die Truckfighters mit vollem Engagement an mir vorbei und ich frage mich, ob die Blues Pills wohl wirklich so gut sind, wie mir gefühlt hundert Leute erzählen. Die Antwort fällt nicht ganz eindeutig aus: Sängerin Elin Larssons Darbietung ist umwerfend und ohne sie würde die Headliner-Band des Abends schlichtweg nicht funktionieren, hingegen verliert sich der hoch gelobte Dorian Sorriaux etwas in zu gesichtslosen Soli – weniger wäre in diesem Fall mehr, vor allem wenn der junge Gitarrist dramaturgische Spitzen setzen würde. Klar, auch das ist Kritik auf hohem Niveau, und angesichts des Alters der Musiker dürfen wir wohl noch einige mitreißende Musik erwarten. Elin verdeutlicht zudem mit einer herzerwärmenden Ansage einmal mehr den familiären Charakter des Festivals, indem sie preisgibt, dass niemand anderes als Jens für den Bandnamen verantwortlich ist. Eine Anekdote, die viel aussagt.

Samstag

Von Zodiac kann nach einigen Touren im Vorprogramm vergleichsweise „großer“ Bands kaum noch als Geheimtipp gesprochen werden, und dementsprechend selbstbewusst, spielfreudig und geradlinig zeigt sich das Quartett in der Mittagssonne. An Eingängigkeit hat es den Songs noch nie gemangelt, hier und da allerdings an Power bei der Präsentation. Doch die Zeiten scheinen vorbei und die Band kann nach zwei Alben bemerkenswerter Weise bereits aus dem Vollen schöpfen, zumindest wenn es um gute, alte Rock-Musik im herkömmlichen Sinne geht. Nach einem Auftritt mit ordentlich Kniegas im Mittagssonnenschein ist Bassist Ruben Peixoto Claro guter Dinge und kündigt am Merchandise-Stand das neue Album „Sonic Child“ an, das tags zuvor fertig aufgenommen wurde. Nun stehen Mix und Mastering an, die endgültigen Gesangsaufnahmen hat Ruben zwar noch nicht gehört, ist sich jedoch sicher, dass Nick van Delft einen großen Schritt nach vorne gemacht hat. Dass Album Numero drei so schnell auf „A Hiding Place“ folgt, hätte sich das Quartett auch nicht träumen lassen. Weil durch die leider abgesagte Amerika-Tour mit einem Mal viel Zeit zur Verfügung stand, wollte die Band diese nicht ungenutzt verstreichen lassen. „Also haben wir uns zusammengerauft und angefangen, zu jammen“, so der Bassist. „Wir haben weiter einfach viel Spaß an der Musik und vielleicht haben unsere gemeinsame Touren und Konzerte mit Bands wie den Spiritual Beggars, Orchid oder Blues Pills bewirkt, dass wir mittlerweile einfach so gut eingespielt sind.“ Dem kann der Berichterstatter in Erinnerung an  einen Auftritt vor rund zwei Jahren nur zustimmen. „Sonic Child“ ordnet der Deep-Purple-Fan zwischen dem Debut „A Bit Of Devil“ und „A Hiding Place“ ein, wobei es doch bei allem Hang zum Soul „ein bisschen mehr nach vorne geht“. Mit dem Titel des dritten Albums spielt die Band auf die Idee an, nicht erwachsen werden und das innere Kind erhalten zu wollen. Sich einen Vorwurf daraus stricken lassen, dass die Band quasi den Helden ihrer Eltern-Generation huldigt, möchte Ruben nicht, sondern verweist auf zeitlose Qualitäten von handgemachter Musik. Dann geht es für Zodiac auch schon weiter zum nächsten Festival und das Freak Valley wird von einem skandinavischen Kollektiv heimgesucht, welches bereits optisch dem Namen der Veranstaltung alle Ehre erweist.

Das dänisch-schwedische Øresund Space Collective hat in acht Jahren ganze 14 Alben veröffentlicht und ist mit großem Spaß bei der Sache, auch wenn die Verkabelung auf der Bühne anfangs nicht so klappt. Einem Musiker-Kollektiv, welches die Improvisation zur Pflicht erhebt, kann das kaum den Boden unter den Füßen wegziehen, und so weben sich die – wie viele sind das eigentlich? - Skandinavier einen großen Klangteppich zurecht, mit dem sie von der Bühne losfliegen und über die Köpfe des erstaunten, irritierten bis begeisterten Publikum schweben und mit in- und übereinander fließenden Melodien nicht geizen. Freiflug ins Weltall gefällig? Die Temperaturen lassen es derweil zu, sich vor der Bühne ins Gras zu legen und in den blauen Sommerhimmel durchzustarten...

Gerne hätte ich noch einige der folgenden Bands näher unter die Lupe genommen, doch gänzlich irdische Probleme in Form einer Autopanne brachten den Space-Trip im Siegener Hinterland zu einem etwas unglücklichen Ende. Trotzdem möchte ich allen Aktiven ein herzliches „Dankeschön!“ aussprechen – vor allem dafür, in der eigenen Begeisterung nicht nachzulassen, und immer noch ein Schüppe drauf zu packen, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren! Weiter so! Und da Dreistigkeit mein zweiter Vorname ist, male ich mir bereits aus, wie herrlich das FVF 2015 wohl mit Kamchatka, The Wounded Kings, Ocean Chief, Nocturnal, The Good Hand, Krakow und Whalerider wäre... um mal ein paar Namen in die Runde zu werfen.

Thor Joakimsson (Info)

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