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Unexpect / Bigelf / Opeth / Dream Theater - Progressive Nation Philipshalle Düsseldorf - 03.10.2009

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ProgressiveNation09Ein Kind, das in der Grundschule das Einmaleins lernt und beim  “2 mal 2 macht 4" angekommen ist, würde sich nie träumen lassen, wie progressiv und verspielt diese Formel sein kann. Man nehme zum Beispiel zweimal unbekannteres Frischfleisch à la UNEXPECT (Extreme Death Prog mit Black-Einsprengseln) und BIGELF (Mellotron-Retroprog) und schichte ihn zwischen zwei Modern-Classics: OPETH (from Sweden!) und DREAM THEATER. Daraus könnte sich etwas wahrlich Magisches multiplizieren!

DREAM THEATER würden sich als alleinige Headliner der “Progressive Nation”-Tour zwar gegen die 2 mal 2-Formel wehren und eher “first 3, then No.1" rechnen, doch zum einen boten OPETH den Ikonen des Progmetals in der Düsseldorfer Philipshalle Paroli, und nicht nur das, sie erschufen einen herausragend funktionierenden Kontrast und stellten sich beinahe gleichauf mit den spielzeittechnisch klar führenden Amerikanern.

Überbordende Begeisterung hat die Kombination in der NRW-Hauptstadt zumindest der Zahl nach nicht hinterlassen: angeblich sollen gerade mal 3.000 Karten verkauft worden sein, was einer Kapazitätsauslastung von nicht einmal 50 Prozent entspricht. Das mag dem Kartenpreis geschuldet sein, vielleicht ja sogar der Intuition, dass DREAM THEATER auch in Sachen T-Shirt-Preise nicht von ihrem prinzipiell hohen Kurs abgewichen sind. Als störend erwies sich der Mangel an Besuchern aber nur bedingt. In den vorderen Reihen war ohnehin nichts von Lücken zu spüren, man konnte dennoch angenehm stehen (oder, wenn man wollte, problemlos auf einer der beiden Seitentribünen Platz nehmen - freie Sitze gab es jederzeit) und bei kalten Außentemperaturen hitzte sich das Halleninnere nur so weit auf, dass man außer dem Schweiß des Nebenmannes auch noch genug O2-Zufuhr bekam. Ideale Klimabedingungen.

Bei vier Bands, einem Einlass von 18:30 Uhr und dem eingeplanten Schichtende von 0:00 Uhr war ein straffer Programmdurchgang angesagt. Unter der Schirmherrschaft der schwedisch-amerikanischen Doppelfrontpartie wirkte das eröffnende Zweigespann UNEXPECT und BIGELF fast wie die aufstrebende und begabte Kinderschar einer begabten Musikerfamilie. Mama Åkerfeldt und Papa Portnoy (man möge die Geschlechterzuteilung variieren wie man möchte) schickten ihre Jungen vor eine wohlwollende Meute, die sichtlich dazu bereit war, Einsatz mit Applaus zu vergelten. Die eigentlich durchaus nicht ganz unerfahrenen Kandadier von UNEXPECT eröffneten nach dem Prinzip “Angriff ist die beste Verteidigung” und ließen im Wellenrhythmus eine Headbangattacke nach der anderen auf das Publikum niedergehen, mit peitschenden Haaren von einer Länge, die die erste Reihe glauben lassen konnte, sie säße in einer 3D-Vorstellung von “Ju-On - The Grudge”. Düsseldorf erlebte ein kraftvolles, abwechslungs- und ideenreiches Konzertopening auf der Bühne, das dem von Dissonanzen durchzogenen und brettharten Stil der Band entsprach, doch man konnte nicht ganz den Eindruck ablegen, dass man sich hinter der Show ein wenig versteckte. Beigetragen dazu hat vielleicht der Umstand, dass die Abmischung zu diesem Zeitpunkt des Abends noch etwas unglücklich ausfiel. Von Sängerin Leilindel jedenfalls hat man höchstens die Growls vernommen, weniger jedoch ihren Klargesang. Dennoch haben UNEXPECT ihrem Namen gemäß massig Erwartungen gebrochen. Vielfach wurde undefinierbarer Lärm befürchtet, den die Truppe definitiv nicht bot. Es dürften im Nachhinein einige CD-Bestellungen bei hiesigen Händlern eingegangen sein, zumal man das Bedürfnis hatte, die diffizilen Soundvermengungen mit all ihren Einzelheiten von dem Konzertlärm zu filtern.

ProgressiveNation09 2Das direkte Gegenstück bildeten im Anschluss BIGELF, deren aktuelles Album “Cheat the Gallows” nach dem Konzertbesuch gar nicht mal unbedingt so viel attraktiver geworden ist, die aber live gerockt haben wie Hulle. Eine Live-Band, wie sie im Buche steht: Frontmann Damon Fox trat mit gigantischem Zylinder zwischen Mellotron und Hammonds hervor und stimmte eine lilapinkfarbene Zeitreise zwischen DEEP PURPLE und PINK FLOYD an, die unmittelbar in die Moderne katapultierte. Straighter und doch verspielter Rock wurde im zweiten Kapitel des Abends geboten, der sämtliche Geschmäcker nach dem zerstreuten Beginn zur Einheit justierte. Besser hätten BIGELF gar nicht positioniert werden können, denn das an sich noch etwas steife Publikum fand endlich zu sich, was zweifellos dem herzlichen und engagierten Auftritt zu verdanken war.

Wäre der Auftauvorgang zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollendet gewesen, Ice Crusher Mikael Åkerfeldt hätte die Masse innerhalb von Sekunden zum Schmelzen gebracht. Mittlerweile ist der Mann auf einem komödiantischen Niveau angelangt, dass ein schelmisches Grinsen in seinem besonnenen Gesicht reichen würde, das Volk zum Johlen zu bringen. Und johlt es dann tatsächlich, so wie der fröhliche Besucher, der lauthals den Song “The Lotus Eater” forderte, so antwortet Åkerfeldt wahrheitsgemäß “Hey, we just played that song. Embarrassing, isn’t it?”
Musikalisch erwiesen sich die Schweden standesgemäß als wahre Ohrenweide, die zum ersten Mal absolute Vollkommenheit in den Abend brachte. Wiederum ein Kontrast, der für lachende Gesichter sorgte, denn wozu geht man zur “Progressive Nation”, wenn nicht, um von Kontrasten überfahren zu werden? Abgesehen vom “My Arms, Your Hearse”-Schlenker “April Ethereal” bewegten sich OPETH in den Gewässern der letzten vier Alben, wobei dem letzten Album “Watershed” mit zwei Vertretern der Löwenanteil zustand. Ein perfekt gemischtes Set vom sanften Opener “Windowpane” bis hin zur “Deliverance”-Keule, ein souveräner Auftritt insgesamt und so scharf man nun auch auf ein vollwertiges OPETH-Konzert sein mochte, als Ruhepol vor den nun folgenden Showmastern waren die Prog-Deather traumhaft besetzt.

ProgressiveNation09 3Stichwort “Traum” und Vorhang auf für die Halle, die sich ab 22:30 Uhr für 90 Minuten in ein Theater verwandeln sollte. Nach dem inhaltlich schon begeisternden, optisch aber nüchternen Auftritt DREAM THEATERs im Juni in Gelsenkirchen überfuhren die Showrunner die nun durchaus nicht mehr leer aussehende Halle mit einer Video- und Lichtshow, die sich gewaschen hatte. Zwei Seitenmonitore, eine riesige Frontleinwand und viel Spektakel. Während sich alle OPETH-Mitglieder abzüglich des Frontmanns brav im Hintergrund gehalten hatten, fiel der Unterschied zu DREAM THEATER gleich auf: hier sind alle irgendwo Stars und haben auch jeweils ihre 15 Minuten Ruhm pro Show verdient.

Gar nicht mal Mike Portnoy, lebhaft wie immer, sondern insbesondere James LaBrie und John Petrucci avancierten zu den Matchwinnern des Abends. Wo LaBrie, zu Beginn im langen Mantel und mit den üblichen Mikrofonständerspielen, zwar nicht immer hundertprozentige Perfektion lieferte, insgesamt aber dennoch eine Presslufthammerleistung von durchaus erwähnenswerten Ausmaßen, da eroberte Petrucci auf vielerlei Weise die Herzen der Fans. Zum einen suchte er Augenkontakt zum Publikum wie selten und war viel in Bewegung, zum anderen hat man das Gitarrenspiel bei DREAM THEATER nicht alle Tage dermaßen intensiv gehört. Insbesondere im sphärischen Mittelteil der Zugabe “The Count of Tuscany” sprach Petrucci durch sein Instrument zur Menge, anstatt es einfach nur zu spielen. Jordan Ruddess wurde sein kurzes Keyboard- und Continuum-Solo gewährt, blieb aber ansonsten ähnlich unauffällig wie das ewige Phantom John Myung, das mit stoischer Gelassenheit und absoluter Coolness auf der rechten Bühnenseite seinen Job erfüllte, zuverlässig wie ein Metronom.

ProgressiveNation 09 4In Sachen Tracklist wurde der “Awake”-Rahmen mit dem Doppel “The Mirror” und “Lie” weiter ausgedehnt. Vom aktuellen Album waren “A Nightmare to Remember” zu hören, im direkten Opener-Vergleich mit “A Rite of Passage” der klare Sieger, sowie das nicht ganz so zündende “Wither”, bei dem vereinzelte Feuerzeug-Schwenk-Versuche glücklicherweise im Keim erstickt wurden. Mit Zusteuerung auf das Ende wurde die Setlist immer interessanter. Als Highlights stachen schließlich das “Metropolis”-Doppel “The Dance of Eternity / One Last Time” und ausgerechnet “In the Name of God” vom geächteten “Train of Thought”-Album heraus. Bis, ja bis die Zugabe angestimmt wurde. Beileibe war es keine Überraschung, das just um viertel vor 12 die ersten Takte des “Count of Tuscany” angestimmt wurden. Ein Song wie ein epischer Film, wie gemacht dafür, live gespielt zu werden, wieder und wieder. LaBrie sang die Zeile “This could be the last time you see me alive” und ein unbehaglicher Schauer lief durch die Reihen. Man hätte sich gewünscht, dass LaBrie den Refrain wie auf dem Album eine Stimmlage tiefer singt und nicht mit seinen Lead Vocals den Job der Backing Vocals übernimmt, doch das konnte die Wirkung des Songs nicht schmälern. Nach acht bis zehn Minuten jazzte sich Petrucci durch besagten Mittelteil, allein gelassen im violetten Scheinwerferlicht und ekstatisch an den Saiten zupfend, als die Akustikgitarre einsetzte und fünf Minuten wie von einem anderen Stern folgten. In diesem Moment vergass man das Drumherum, der Begriff “Dream Theater” manifestierte sich als schillerndes Farbenspiel vor hypnotisierter Kulisse.

Am Ende blieb das Kreischen der Seemöwen in einem Saal, der zu fasziniert war, um irgendwie reagieren zu können. Außerdem schwebte die Erkenntnis über ihm, woraus die “Progressive Nation” noch bis zum 31. Oktober ihren Geist beziehen wird; aus der Kraft der Gegensätzlichkeit. Wenn es an diesem Abend einen Sieger gab, dann war es die Gesamtkomposition: UNEXPECT, BIGELF, OPETH, DREAM THEATER.

 Photo Credits: Sascha Ganser & Dustin Mertes

Sascha Ganser (Info)

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