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Lord's Family: The Complete Schlössl Recordings (Review)
Artist: | Lord's Family |
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Album: | The Complete Schlössl Recordings |
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Medium: | CD/Download | |
Stil: | Psychedelic, Kraut-, Folk-, Jazz-Rock |
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Label: | Sireena | |
Spieldauer: | 76:11 | |
Erschienen: | 29.07.2021 | |
Website: | [Link] |
Die Sireena-News bezeichnen „The Complete Schlössl Recordings“ als Zeitdokument. Nicht nur wegen des Klanges, der rau, unbehauen und keineswegs highendig aus den Lautsprechern dringt. Aber das passt zum Charakter der Schlössle-Aufnahmen aus den Jahren 1971-74. Dabei handelt es sich um sämtliche erhaltene (und sacht restaurierte) Tondokumente der ehemals in einem Jagdschlösschen in Beilngreis ansässigen Kommune. Besser als mumpfige Bootlegs hört es sich, trotz gelegentlicher Aussetzer, Störgeräuschen und Übersteuerungen, allemal an.
„The Complete Schlössl Recordings“ sind eine Art Chronik aus jener Zeit, in der man mit 17 relativ gleichgesinnten „Männern und Frauen zwischen 18 und 28 Jahren“ aufs Land ziehen konnte, um gemeinsam zu musizieren – und damit tatsächlich einen Teil der Lebenshaltungskosten zu decken. Der Rest wurde durch „Studiengelder“ (BAföG?) und Gelegenheitsjobs erwirtschaftet. Dazu gesellte sich eine ökologische Orientierung, die Gemüseanbau und (Klein)tierzucht beinhaltete. Beliebte Stichworte in diesem Zusammenhang: Makrobiotische Küche, gemeinsame Kasse, problemlösungsorientierte Gruppengespräche und mehr oder minder kontroverse Diskurse, die irgendwann zum Zerfall solcher Zusammenschlüsse führten.
„Was wir wollten:
Leben. Lieben. Spielen.
Woran wir glaubten:
An die Liebe.
Warum ausgerechnet „Lord’s Family“?:
Wir haben diesen Namen gewählt aus der Quintessenz unserer damaligen Erfahrungen heraus, aus der Grundstimmung all unserer Gefühle, Träume und Wünsche, nämlich aus der Sehnsucht und Hoffnung, Kinder Gottes zu sein. Wir befassten uns mit theologischen Fragen. In unseren selbst gezimmerten Regalen standen Bücher der christlichen und der fernöstlichen Religionen, aber wir hatten kein, an irgendeiner Kirche orientiertes Bekenntnis, auf das wir uns geeinigt hätten. Wir waren ohne Guru und ohne Hierarchie.“ (Zitate stammen von der Homepage der ehemaligen Kommune)
Musikalisch bewegen sich die Stücke zwischen flippiger Psychedelic, Jam-Rock, Folk, garniert mit ein bisschen Jazz und pastoraler Klangkunst. An Instrumenten wurde verwendet, was zur Verfügung stand. Neben dem obligatorischen Rock-Instrumentarium plus Sitar finden sich Flöte, Geige, Cello, Mandoline, Akkordeon, Trompete, Saxophon, „viele Percussion Instrumente (Bongos, indische Trommeln, Rasseln, Glocken, Hölzchen...)“ und eine Mundharmonika, die schon mal bluesig dazwischen bläst, egal ob es passt oder nicht. Funktioniert ganz gut. Klingt dezent nach AMON DÜÜL (schaumgebremst), und geerdeteren POPOL VUH. Von ferne grüßt die INCREDIBLE STRING BAND, allzu abseitige Schrägheiten lässt die LORD’S FAMILY aber außen vor. Da sind dann zeitgenössische Liedermacherinnen näher.
Es sirrt und flirrt in den teils ausufernden Kompositionen, oder besser Improvisationen, wechselt zwischen meditativen Mantras und lind voranpreschenden Vorstößen. Solange niemand singt oder spricht, entfaltet die Musik eine durchaus soghafte Wirkung. Auch ohne Plasma-Lightshow.
Sind Stimmen im Spiel entsteht gerne ein freudiges Herumtändeln mit unfreiwilliger Komik. Die durch versuchte Erhabenheit und hoffnungsfrohe Verklärung entsteht. Keine urchristlichen Beschwörungen, eher ein blubberndes Gemenge aus der „Begegnung mit östlicher Spiritualität und christlicher Mystik“.
„Was ist dein Vermögen, was ist deine Not, was ist dein Teufel, was ist dein Gott? Wer bist du? […]
Das Leben ist kurz und deine Tage sind gezählt wie die Haare deines Kopfes.
Es wird Morgen, und es wird Abend, und die Schöpfung geht dahin. Wohin gehst du?“ („Abendlied“)
Dem gegenüber stehen politische, gesellschaftskritische Texte, die Themen aufgreifen, die auch heute noch von Interesse sind: „Gebt uns ein neues Land! Wir können nicht noch mehr zerstören, als ihr schon zerstört habt“ (Landlied“). Letzteres hat sich im Rückblick als ziemlicher Trugschluss erwiesen. Daneben finden sich Erinnerungen an eine Zeit, in der man gemeinschaftlich über Karl Marx, Che Guevara, Schopenhauer, Jesus und die Wehrpflicht diskutierte. Gerne alles an einem Abend aufs Tapet gebracht.
FAZIT: „The Complete Schlössl Recordings“ sind ein liebevolles und aufschlussreiches Statement aus den Tiefen der bundesdeutschen (Rock-)Musikarchäologie. Das kooperative Zusammenspiel der LORD’S FAMILY ist erstaunlich gut gealtert, die Texte sind ein vergnüglicher Zeitgeistspiegel. Insgesamt ist das sehr anrührend, komisch und erhellend.
Esoterik, ökologisches Selbstverständnis und politisches Aufbegehren gehen mit den ausschweifenden Klängen, die sich nach Grenzerweiterungen sehnen, eine eigenwillige, charmante Verbindung ein. Dieses Konglomerat aus Sinnsuche, Engagement, Experimentieren mit anderen Lebensentwürfen und einer von Aufbruchsstimmung geprägten Unbedarftheit wird man so wohl kaum noch einmal derart hinbekommen (können).
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Inventions (4:30)
- Abendlied (4:02)
- Begegnungen (11:05)
- Das Weltall (8:35)
- Landlied (16:58)
- Nocturnal Explorations 1 (6:44)
- Nocturnal Explorations 2 (2:58)
- Nocturnal Explorations 4 (1:46)
- Nocturnal Explorations 6 (3:08)
- Nocturnal Explorations 7 (3:33)
- Gebt uns ein neues Land [Bonus] (8:53)
- Mädchenlied [Bonus] (4:09)
- Bass - Georg Frisch
- Gesang - Michael Ostarek
- Gitarre - Ali Schmidt, Alfons Schmid
- Keys - Sepp Kuffer
- Schlagzeug - Ebo Petsche, Barbara Rimmele, Ruth Marschall, Gitti Fleck, Peter Sturm
- Sonstige - Gottfried Rimmele (violine), Martin Seliger (ts, flute), Barbara Rimmele (flute)
- The Complete Schlössl Recordings (2021) - 11/15 Punkten
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