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Gavial: VOR - Vinyl-Edition (Review)
Artist: | Gavial |
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Album: | VOR - Vinyl-Edition |
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Medium: | LP/Download | |
Stil: | Stoner-, Kraut- und Psychedelic-Rock, Power Blues |
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Label: | Exile On Mainstream Records | |
Spieldauer: | 46:45 | |
Erschienen: | 19.05.2023 | |
Website: | [Link] |
GAVIAL?
Schon mal gehört?
Nö! Ach, das ist ja deren Debüt – und dann schreiben die unter fb auch noch, dass uns hier 'Power Blues aus Dresden und Berlin' erwartet. So richtig spannend klingt das eigentlich nicht. Doch dann legt man deren LP „VOR“ auf und kommt aus dem Staunen und dem Begeistertsein kaum noch raus.
So großartig kann doch kein Debüt klingen!
Und nein, eigentlich ist es gar kein Debüt, denn was heute GAVIAL ist, waren zuvor noch die TOURETTE BOYS, die Kollegen Schiffmann zu der begeisterten Feststellung hinrissen: „Psychedelic Rock vom Urigsten und Verschrobensten, der sich jedoch weniger in nebelhaften als sehr klar konturierten, wenn auch mäandernden Songs niederschlägt.“
Das war 2019, als die TOURETTE BOYS aka GAVIAL bereits mit „Zorn“ ihr viertes Album vorlegten. Und um bei dem Schiffi-Fazit zu bleiben: Auch „VOR“ klingt so ähnlich, aber hier mäandert nichts mehr, sondern begeistert. Brauchten die Jungs wirklich einen neuen Band-Namen, um endgültig ein dermaßen schwer beeindruckendes Album abzuliefern, das auf deren Schaffenszenit steht und beileibe nicht als ein Debüt durchgehen kann?
Das war allerdings nicht der wahre Grund für die Umbenennung, sondern eher ein wirklich verständlicher, weil auch die Befindlichkeiten von Behinderten beachtender. Die TOURETTE BOYS gibt’s nicht mehr, weil der Name, ganz im Gegensatz zur Musik, im Grunde echt geschmacklos war (Originalton der Band: „Betroffene Menschen verdienen Respekt und wir denken, dass dieser Name einen Mangel daran zeigt.“).
Nun also GAVIAL – und mit neuem Namen aber alter Besetzung scheint es sich doch tatsächlich noch befreiter aufzuspielen, wobei alles, was sich zwischen Psyche-, Stoner-, Blues- und Kraut-Rock tummelt, seine eigene kunterbunte Spielweise bekommt, auch wenn der Grundtenor des Albums sich deutlich an der Tiefe und Düsternis der DOORS (gleich im Album-Opener „Circles“) orientiert oder mitunter weit zurück in die 80er-U2-Zeiten geht, als die noch voller Leidenschaft den Joshua Tree bestiegen.
„VOR“ ist tatsächlich ein Gesamtkunstwerk, welches bei dem ungewöhnlich kunstvollen Cover („Flowers Of Terrible“ von Hamid Yaraghchi), das sich alte Malerei-Liebhaber vielleicht sofort an die Wand hängen würden, beginnt, sich in dem der LP beiliegenden Textblatt in seiner 70er-Jahre-Gestaltung sowie den darauf verewigten Texten fortsetzt und dann auch noch als LP – und zwar nur auf Vinyl und nicht etwa CD (einen DL gibt’s natürlich) – erscheint, deren Sound sich tatsächlich mit großer Fingerfertigkeiten beispielsweise an den GIANT SAND- oder WILCO-Aufnahmen zu orientieren scheint. Richtig gute Stereo-Effekte treffen hier oft auf fette Bässe (Schon „Modern Times“ lebt von diesen genauso wie von dem wummernden Staub des Desert Rocks!) und psychedelische Spielereien, die einem beim Hören und den ständigen Wanderbewegungen zwischen den Boxen regelrecht berauschen.
Der Gesang erinnert verdächtig an den alle musikalischen Türen-Öffner JIM MORRISON und besitzt sogar dessen intonative Ausdruckskraft. Was Sänger Benjamin Butter hier leistet, packt einen sofort und man wartet darauf, dass vielleicht auch die „Riders On The Storm“ Richtung „The End“ unterwegs sind. Diese Butter-Stimme macht in keiner Weise dem Sänger-Nachnamen Ehre. Sie ist nicht etwa butterweich oder schmalzig, sondern trägt das Rocker-Gen zwischen EDDIE VEDDER und BONO sowie dem bereits erwähnten Morrison in sich. Genauso wie die Themen, die besungen werden und in „Circles“ schon in bedrückender Einfachheit damit beginnen, dass eine üble Kreatur uns um- und einkreist.
Im folgenden Song „Modern Times“ erahnt man schon, woraus sich diese Kreatur generiert – aus den modernen Zeiten, in denen wir uns unser eigenes Grab schaufeln: „Give them a name / They will forget the cause / Digging their own graves / Worst things with these modern times...“
Das Textkonzept hinter „VOR“ scheint fast ein wenig wie die Entschuldigung für die Namenwahl zuvor, denn es geht um die Unergründlichkeit der Seele, deren Tiefen und Unberechenbarkeiten zwischen purer Wut und vorsichtiger Hoffnung – der 'Rabe' von E.A. Poe lässt hier genauso grüßen wie der Rilke-Wahnsinn, der sich zwar am Ende nicht mit einem „Nevermore!“ verabschiedet, sondern mit: „And I forget / What should / Never be / Forgotten“.
Dazwischen lauschen wir einer Achterbahnfahrt durch die Abgründe der Seele, die sich sogar im Falle des fast 11 Minuten langen „Passing“ in einer rein instrumentalen post-rock-traumatischen und zugleich schwebenden Noise-Klangreise entladen kann, die so extrem psychedelisch klingt wie die frühen Psyche-Exkursionen eines schwer bekifften Barrett als der noch bei PINK FLOYD das Sagen und Singen hatte.
„VOR“ ist kein Debüt!
„VOR“ ist ein Meisterwerk von einer Band aus dem Dresdner und Berliner Umfeld, die durch ihre Umbenennung von TOURETTE BOYS in GAVIAL gleich noch einen musikalischen Quantensprung hinlegt.
FAZIT: Mit „VOR“ legt eine seit 15 Jahren bestehende deutsche Band unter neuem Namen (zuvor TOURETTE BOYS) ihr bereits viertes Album – diesmal als GAVIAL – vor. Ein neuer Name verpflichtet. So müssen es sich GAVIAL wohl gedacht haben, denn mit „VOR“ präsentieren sie der Hörerschaft ausschließlich auf Vinyl (Bei Konzerten soll es wohl auch eine limitierte CD-Version geben!) ein psychedelisch angehauchtes Stoner- und Blues-Rock-Album, aus dem auch jede Menge Kraut der Siebziger zu wachsen scheint. Am Ende ist es ein meisterhaftes, berauschendes und extrem (auch textlich) in die Tiefe gehendes Album geworden, das mal wieder beweist, welch wunderbare Rock-Pflänzchen auch in Deutschland sprießen können. Da darf man dem Begleitscheiben des 'Exile On Mainstream'-Labels von ganzem Herzen zustimmen, wenn die feststellen: „Flirrende Soundlandschaften, teilweise dunkel und melancholisch, dann wieder hoffnungsvoll von gleißendem Licht und der wohligen, aber trotzdem Unheil verheißenden Hitze der Wüste erfüllt – darin sind GAVIAL wahre Meister!“ Das hätte man für's FAZIT auch als Kritiker nicht besser formulieren können.
- 1-3 Punkte: Grottenschlecht - Finger weg
- 4-6 Punkte: Streckenweise anhörbar, Kaufempfehlung nur für eingefleischte Fans
- 7-9 Punkte: Einige Lichtblicke, eher überdurchschnittlich, das gewisse Etwas fehlt
- 10-12 Punkte: Wirklich gutes Album, es gibt keine großen Kritikpunkte
- 13-14 Punkte: Einmalig gutes Album mit Zeug zum Klassiker, ragt deutlich aus der Masse
- 15 Punkte: Absolutes Meisterwerk - so was gibt´s höchstens einmal im Jahr
- Seite A (21:39):
- Circles, Part 1 (2:53)
- Modern Times (8:33)
- Collector (4:40)
- Bridges (5:33)
- Seite B (25:06):
- Circles, Part 2 (4:32)
- Wheels (3:37)
- Passing (10:42)
- Famethrower (6:15)
- Bass - Paul Kollascheck
- Gesang - Benjamin Butter
- Gitarre - Paul Willy Stoyan, Benjamin Butter
- Schlagzeug - Conrad Brod
- VOR - Vinyl-Edition (2023) - 13/15 Punkten
- VOR - CD Editon (2023) - 11/15 Punkten
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