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Das war 2010 - Der Musikreviews-Jahresrückblick

09.01.2011

Der Jahresrückblick 2010 - Einige Musikreviews-Redakteure stellen ihre persönlichen Highlights vor, lassen tragische Ereignisse Revue passieren. Musik, Bücher, Filme - alles ist erlaubt!


Andreas Schulz
(Profil):

Album Top 5 2010

1. Blind Guardian: At The Edge Of Time
2. Watain: Lawless Darkness
3. Enslaved: Axioma Ethica Odini
4. Woe: Quietly, Undramatically
5. Kvelertak: Kvelertak

Newcomer 2010

1. Kvelertak
2. Atlantean Kodex
3. Ghost

Erlebnisse 2010:

1. Listening-Session: Blind Guardian
Im Rahmen meiner Schreibertätigkeit für das Legacy hatte ich die Ehre, an der Listening Session für das aktuelle BLIND GUARDIAN-Album „At The Edge Of Time“ teilzunehmen. Die Krefelder sind seit Jahren eine meiner Lieblingsbands und so war es ein wirklich tolles Erlebnis, die Jungs zu treffen und sich teilweise sehr lang mit ihnen unterhalten zu können. Zu den Ersten zu gehören, die das neue Album dann hören durften, war ebenso erfreulich, wie das anschließende Barbecue, bei dem auch so manches Bier vernichtet wurde. Dieser Tag wird mir noch lang in Erinnerung bleiben und ist das bisher schönste Erlebnis, das ich durch die Schreiberei hatte.

2. Online-Team Summer Breeeze 2010
Für unser Magazin hier interviewte ich Tom Jentsch von UNDERTOW und verstand mich auf Anhieb sehr gut mit dem Bassisten. Das hatte zur Folge, dass Tom, der auch das Online-Team des Summer Breeze Festivals leitet, mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, in diesem Team mitzuarbeiten. Natürlich hatte ich Lust und so wurde ich Crew-Mitglied des Summer Breeze 2010. So ein Festival von „der anderen Seite“ zu erleben, ist eine ganz besondere Erfahrung und es war schlicht und ergreifend großartig, den Auftritt von HYPOCRISY auf der Bühne verfolgen zu können. Die Arbeit auf dem Festival (die nicht wirklich Arbeit war) hat riesengroßen Spaß gemacht und gehört somit zu meinen schönsten Erlebnissen 2010.



Chris P. (Profil): 2010 war für mich ein interessantes Jahr. Neben politischer Impotenz, angeblichen Katastrophen, echten Katastrophen, vorgeblichen „Problemen“ (um fragwürdige Gesetzverabschiedungen durchzuschieben) und einigen Überraschungen sowie Enttäuschungen hat dieses Jahr auch multimedial einiges hergegeben. Fangen wir mit der Musik an, die mich 2010 am meisten beeindruckt hat:

Mein Top-Album 2010 ist ganz klar „Songs From A Solitary Home“ von MAJOR PARKINSON, die ihr Debüt, welches mein Album des Jahres 2009 war, noch einmal toppen können und somit aus meiner Sicht klare Sieger sind. In meinem Review, das ihr auf unserer Seite lesen könnt, steht alles geschrieben, was ich dazu zu sagen habe.

Ansonsten haben mich, stilistisch querbeet, beeindruckt: FRED - „Go God Go“, MASERATI - „Pyramid Of The Sun“, ERIKA ROSÉN - „Reload All Your Emotions And Let Them Collide“, LAOKOONGRUPPE - „Staatsoper“, VULTURE INDUSTRIES - „The Malefactor's Bloody Register“, GNAW THEIR TONGUES- „L'Arrivée de la Terne Mort Triomphante“, FLESHWROUGHT – „Dementia/Dyslexia“,  CEREMONY – „Rohnert Park“, SEMEN DATURA – „Einsamkeit“, PADDY AND THE RATS – „Rats On Board“, DIORAMA – „Cubed“, ESC – „Eight Thousand Square Feet“, AMIA VENERA LANDSCAPE – „The Long Procession“, DIORAMIC – „Technicolor“, PTYL - „V/Loki“, PURE REASON REVOLUTION - „Hammer & Anvil“ und die jeweils selbstbetitelten Scheiben von BLACKWALL, AUDREY HORNE,  KVELERTAK. Und wahrscheinlich noch zig andere, die mir garantiert einfallen, wenn dieser Text bereits online ist.

Enttäuscht haben mich NEVERMORE mit „The Obsidian Conspiracy“. Ja, ich weiß, ich selbst war euphorisiert und habe der Scheibe seinerzeit satte elf Zähler gegeben, doch mit etwas Abstand muss ich diese Scheibe leider als kalkulierteste, bequemste NEVERMORE-Scheibe aller Zeiten abstempeln, die sich wahnsinnig schnell abgenutzt hat - Trademarks wurden in leicht bekömmliche Häppchen portioniert, und irgendwann schmeckten die einfach nur noch fad. Sicher ist nicht immer sicher.

Meine Neuentdeckung 2010 ist die russische Band MESSER CHUPS, die seit rund einer Dekade Electronica, Surfrock, Filmsamples und -Musik sowie einige Klassiker aus verschiedenen Bereichen der Musik vertont, und zwar auf solch lässige Art und Weise, dass da wohl bald der gesamte Backkatalog im Schrank zu stehen hat.

Von den 2010 erschienenen Büchern hat mich „Ernste Männer“ von Manu Joseph am meisten beeindruckt, ein Buch, das von einem Sekretär eines Professors in einem Astrologieinstitut in Mumbai handelt, der geschickt seine manipulativen Fäden zieht, beispielsweise, indem er die Wissenschaftler mit seinem schwerhörigen Sohn Adi, einem „gefälschten“ Wunderkind, das dank eines umfunktionierten Hörgeräts die ersten tausend Primzahlen aufsagen „kann“, vorführt. Der 357-Seiter ist intelligent und klischeefrei geschrieben und macht einfach Spaß. Punkt.

Von den aktuellen Filmen hat mich 2010 gar nichts vom Hocker gehauen, allerdings wurden mit „Lie To Me“ und „Leverage“ zwei US-Serien im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, die endlich mal etwas frischen Wind in die eingestaubte TV-Landschaft brachten.



Dr. O (Profil): Seit Tagen grüble ich darüber nach, welche Platte es wirklich verdient hat, „Best Of 2010“ genannt zu werden. In einem Meer aus mittelmäßigen, wenn auch nicht wirklich schlechten Veröffentlichungen, ragen nur ein paar wenige rettende Inseln heraus. Zu erwähnen sind auf jeden Fall IMMOLATION mit „Majesty And Decay“, die mit vertrackten Rhythmen, irren Riffs und immenser Spielfreude, die ich 2010 gleich zweimal „live“ genießen konnte, punkten können. In ähnliche Richtung geht das aktuelle MISERY INDEX-Werk „Heirs To Thievery“, das sich mit, nennen wir es halbwegs neutral, „Fehltritten“ der amerikanischen Geschichte auseinandersetzt und ein herrlich crustiges Death-Metal-Album einer sehr sympathischen Band geworden ist.

In Black-Metal-Gefilden haben 1349 mit „Demonoir“ knapp die Nase vor TAUTHRs „Life-losing“, absolut kompromissloses Geknüppel in Schallgeschwindigkeit mit dem richtigen Maß an abgefahrenen Ideen, ich nenne hier nur kurz den Mariachi-Part im Opener. Großartig.

Für depressive Tage mit Tendenz zum Massenmord empfehle ich ausdrücklich ACACIA STRAINs „Wormwood“. „Was meinen ACAIA STRAIN, wer sie sind?“, fragte ein Blogger, dem der übermächtige unkonventionelle Dauer-Break-Down aus Depressionen, Gewalt und megatonnenschweren Gitarrenwänden offensichtlich zu heftig war.

Immer nur schlecht drauf sein will niemand und für Tage mit besserer Laune seien hier die beiden metalfreien Alben „Out Of Our Minds“ von Melissa Auf der Maur und „Imperfect Harmonies“ von Serj Tankian genannt. Erstes auch nach zig Durchläufen hypnotisch und fesselnd wie beim ersten Durchlauf, zweites die an Perfektion grenzende Symbiose aus epischem Rock, Electronica und Klassik, garniert mit der zumindest unverwechselbaren Stimme des Ex-SYSTEM OF A DOWNers.

Platte des Jahres, here we go:

BLOOD REVOLT „Indoctrine“

Es ist kein Geheimnis, dass ich bei jeder Veröffentlichung einer neuen PRIMORDIAL-Scheibe ehrfürchtig vor dem Plattenspieler knie, der Ankündigung einer Kooperation von deren Sänger A.A. Nemtheanga mit den beiden Ex-AXIS OF ADVANCE-Membern C. Ross und J. Read aber zunächst skeptisch gegenüberstand. Zumindest solange, bis „Indoctrine“ seinen ersten Durchlauf auf der heimischen Anlage nahm. Von erster bis letzter Sekunde ist das Album eine entfesselte Gewaltorgie aus rasenden Gitarren zwischen Death, Thrash und Black Metal, vollkommen losgelöst von Vorbildern oder heißer gehypter Scheiße, gepaart mit hämmernden Drums, die gerne an der Grenze zum gerade noch gebändigtem Chaos vorbeischrammen und eine derbe Grind-Kante in das Massaker einfließen lassen. Snare-Teppich? Vergiss es. Staubig-trocken wie die Wüste Gobi ballern die Drums, während die Gitarren eine Wand aus Hornissenschwärmen bilden. Über diesem Inferno lebt, leidet, brüllt, flüstert und explodiert ein A.A. Nemtheanga mit seinem unverwechselbaren Organ, das weit mehr kann als den leidenden Tonfall, der bei PRIMORDIAL überwiegt. „Indoctrine“ ist ein Konzeptalbum, ein dämonisches Tagebuch, das  von einem ersten Mord im Opener bis zur Explosion als lebendige Bombe im letzten Song den Weg eines religiös fanatisierten Terroristen aus der Ich-Perspektive nachzeichnet. Nein, hier wird nicht billig gegen den Islam polemisiert, die religiöse Ausrichtung wird in keinster Weise konkretisiert, im Vordergrund steht der zunehmende Wahnsinn, der auch im Booklet mit wirren Zahlen- und Worträtseln optisch perfekt umgesetzt wurde. „Indoctrine“, ein Meisterwerk aus unendlicher Wut und Energie. BLOOD REVOLT, endlich eine Band mit Seele und Gefühl.



Jochen König (Profil): 2010 war in erster Linie ein Jahr der Bücher. Die aber mitunter verdammt viel mit Musik zu tun hatten. Highlight 1: „God’s Pocket“ von Pete Dexter. Hat 27 Jahre auf dem Buckel, erscheint 2010 erstmalig auf Deutsch. Ein faszinierender, spannender, irrwitziger Großstatdt-Noir. Die Musik dazu könnten „Dark Night Of The Soul“ von DANGER MOUSE & SPARKLEHORSE stellen, oder das atmosphärisch verwegene BLACKFILM-Album.

Highlight 2: Ken Bruen „London Boulevard“. Eine waghalsige Mischung aus hartem Gangsterkrimi und Billy Wilders „Sunset Boulevard“. Ken Bruen ist wie Ian Rankin ein Musikkenner und empfiehlt neben VAN MORRISONs „Astral Weeks“ den wunderbaren irischen Musiker JOHNNY DUHAN, dessen „The Voyage“ eines meiner persönlichen Überflieger 2010 war. Ganz dicht dabei das Album von Ex-LATIN QUARTER-Sänger STEVE SKAITH. „Latin Quarter Revisted“ zeigt textlich ambitionierte, filigran und höchst ökonomisch eingespielte Musik mit Herz und Kopf.  

Highlight 3: Louise Welsh „Das Alphabet der Knochen“ Literatur und Leben, Selbstwahrnehmung, -bestimmung und das endlose Puzzle aus dem sich Biographien zusammensetzen. Mittendrin eine überraschende Hommage an KING CRIMSONs „Starless & Bible Black“. Leider noch nicht von STEVEN WILSON vorsichtig überarbeitet. Im Gegensatz zu den ersten Alben von „In The Court oft he Crimson King“ bis „Lizard“. Dicke Empfehlung für Ursprung und Bearbeitung.

Es gab natürlich noch weitere hervorragende Romane, doch jetzt geht es um Musik:  Nostalgie ist angesagt. GROBSCHNITTs Eroc reanimiert die Live-Legende bis zu ihren Anfängen in bemerkenswertem Klang. Alle Veröffentlichungen brauchen vermutlich nur Hardcore-Fans, aber die ein oder andere Live-Version von „Solar Music“ kann nie schaden. Ähnliches gilt für KLAUS SCHULZE, dessen „La Vie Electronique“ eine fast durchgängig hochspannende Werk- (und Lebens-) schau ist. Endlich erhältlich: JOHN CALEs legendärer Rockpalast-Auftritt. Auf CD und DVD. Auf Doppel- CD gibt es den „kleinen“ Auftritt in der Zeche Bochum 1983 und das große Konzert in der Grugahalle 1984. Nach HUEY LEWIS, CHALICE und LEVEL 42(!) spielt sich CALE die Seele aus dem Leib, und das vorher eingelullte Publikum versteht es kaum. Die Magie des Augenblicks. Treffender war Fernsehen (und Musik) selten.

Exzellent auch das neu veröffentlichte „Sol26“ von NOSOUND, eine der sträflich unterbewerteten Bands des New Artrocks. Downtempo, breite Keyboardflächen und leicht verhallter Gesang erzeugen eine soghafte Stimmung zwischen Magie und Realität. Dafür, dass es dann wieder etwas bodenständiger zugehen darf sorgt eines der herausragenden Debüts des Jahres – DEAD CONFEDERATE mit „Wrecking Ball“. Auch wenn die Band das Album kurz vor Veröffentlichung des Zweitlings als „Sammlung von Demo-Songs“ etwas stiefmütterlich behandelt, birst es geradezu von Wucht und Power. Die Nachlassverwalter von DREAM SYNDICATE und SIXTEEN HORSEPOWER. Nicht ganz so manisch wie letztgenannte Band, aber oft genauso intensiv. Und mit „The Rat“ einen Übersong im Gepäck. Weitere herausragende Debüts gab es bereits zu Jahresbeginn:  „Focal Points“ von PAUL CUSICK, der seine Lektionen u.a. bei PORCUPINE TREE und PINK FLOYD trefflich gelernt hat, die BARSTOOL PHILOSOPHERS mit ihrem Neo-Noir-Artrock, der es gelegentlich auch krachen lässt sowie die BROKEN BELLS mit ihren ergreifenden Songs jenseits von Kitsch und hohlem Pathos. Die Kunst der Reduktion auf das Wesentliche, äußerst homogen und offen für Einflüsse von VELVET UNDERGROUND bis Mariachi.

Vieles vergessen, natürlich, aber als grober Überblick mag’s reichen. Zwei Kleinigkeiten noch: zum Ende des Jahres einen der schönsten Filme 2010 gesehen:  „Ein Mann von Welt“. Und wer‘s bis dahin noch nicht glaubte, kann sich überzeugen, dass Stellan Skarsgård einer der größten lebenden Schauspieler ist. Und deshalb bekommt er auch das vielleicht nicht beste Album des Jahres gewidmet, aber das eines Künstlers, der seit Jahrzehnten (wie Skarsgård selbst) für nahezu gleichbleibend hohes Niveau sorgt. Und der ein guter Freund von Ian Rankin ist. Womit wir wieder bei der Literatur wären: JACKIE LEVEN unterwegs auf seiner ganz speziellen „Gothic Road“.

Mein Album des Jahres kommt von meiner Band des Jahres: „I, Vigilante“ von CRIPPLED BLACK PHOENIX. Manchmal ist groß tatsächlich einfach groß.



Lars Schuckar (Profil): Das gerade abgelaufene Jahr hat große Verluste für unsere Musikszene gebracht. Die Lücken, die Persönlichkeiten wie Peter Steele, Steve Lee und natürlich Ronnie James Dio hinterlassen haben, sind groß. Aber auch wenn die dunklen Schatten noch länger sind als sonst und wohl auch noch weit in die neue Dekade hineinreichen, gab es dennoch reichlich Grund zur Freude für den Metal-Fan im Jahre 2010 - sowohl was die Dichte der guten Veröffentlichungen, als auch was die sehenswerten Ereignisse an der Livefront angeht.

Neben Großveranstaltungen wie dem W:O:A, bei dem die positiven Gesichtspunkte - in erster Linie natürlich die Bands - erfreulicherweise weiterhin ausreichen, um die Nervfaktoren erträglich zu halten, waren es gerade die kleineren Shows und Festivals, die für die magischsten Bühnenmomente in den vergangenen zwölf Monaten gesorgt haben. Wer etwa bei den Auftritten von Bands wie WATCHTOWER, ANACRUSIS, RAM, OMEN, DEMON, TYGERS OF PAN TANG, SOLITUDE AETURNUS, ANVIL CHORUS und diversen anderen Bands, die man nicht gerade oft in unseren Breitengraden zu sehen bekommt, beim KEEP IT TRUE und beim HEADBANGERS OPEN AIR anwesend war, wird diese wohl nicht so schnell vergessen. Der Jahressieger in dieser Disziplin kann für den traditionell veranlagten Heavy-Metal-Musikfreund aber eigentlich nur eine Band sein: FIFTH ANGEL. Man durfte bei aller Vorfreude ja berechtigte Zweifel haben, ob die Band aus Seattle nach der extrem langen Pause und nach den Problemen im Vorfeld, den Sängerposten adäquat zu besetzen, den Qualitäten ihrer beiden legendären Alben aus den Achtzigern live gerecht werden kann. Was die Herrschaften bei ihrer ersten Europashow beim KIT dann abgeliefert haben, übertraf dann aber wohl sämtliche Erwartungen. Musikalisch absolut top, phänomenal, jetzt schon legendär. Keiner der Fans, die so lange auf diesen Auftritt haben warten müssen, dürfte die Halle an diesem Abend nicht glücklich verlassen haben.

Sich bei den Alben des Jahres auf eine begrenzte Anzahl an Höhepunkten festzulegen und diese in eine eindeutige Reihenfolge zu bringen, fällt da schon wesentlich schwerer. Gerade mit der Vorliebe für traditionellen und nicht gerade dem Mainstream zuzurechnenden Metal wurde einem wieder einiges geboten. Dies trifft besonders auch einmal mehr auf den wahren 'Underground' zu, also da, wo die Bands noch komplett auf sich allein gestellt sind (wenn manchmal auch durchaus freiwillig). Die Iren STEEL TORMENTOR etwa oder die Doom-Neulinge BRITON RITES und PROCESSION und besonders auch die zurückgekehrten Prog-Metaller ANTITHESIS konnten dabei dann besonders mit hervorragenden Scheiben auf sich aufmerksam machen. Nicht zu vergessen die NWOBHM-Recken ELIXIR, die auch ohne Plattenfirma mit ihrem neuem Longplayer "All Hallows Eve" ihrer Diskografie ein weiteres Edelstück hinzugefügt haben. Klares Highlight - und meine persönliche Nummer 3 des Jahres insgesamt - nennen sich jedoch FALLEN ANGEL. Nicht nur, dass die New Yorker musikalisch mit "Crawling Out Of Hell" ein kleines Meisterwerk für Fans von CAGE bis JUDAS PRIEST abgeliefert haben, insgesamt bekommt man eine Eigenproduktion solchen Aufwands und Umfangs nur äußerst selten zu Gesicht. Das verdient Respekt und lässt für die Zukunft noch einiges erwarten.

Apropos Judas Priest: Zwischen den ganzen Neulingen sollten man nicht vergessen, dass auch alte Recken und Legenden noch in der Lage sind, Spitzenprodukte unters übersättigte Volk zu bringen. Das neue Album von Rob HALFORD, das mal kurz alles schlägt, was dessen Stammband in den letzten Jahren so vorzuweisen hatte, ist dafür das beste Beispiel. Oder OVERKILL, schließlich haben Blitz & Co. trotz ungewöhnlich starker Konkurrenz mit "Ironbound" die Thrashscheibe des Jahres abgeliefert. Und den Hammer von ACCEPT namens "Blood Of The Nations" hatte wohl erst recht niemand auf der Rechnung. Dann noch DANZIG: "Dethred Sabaoth" ist ein verdammt gelungener Schritt zurück zu den genialen Frühwerken.

Weitere aufsehenerregende Newcomer des Jahres - neben ATLANTEAN KODEX versteht sich, die zurecht (wenn auch an mancher Stelle zu übertrieben) als neue heimische Metalhoffnung gepriesen werden - sind zweifellos die umstrittenen GHOST, aber auch die niederländischen VANDERBUYST, die ebenfalls überzeugend dazu beigetragen haben, alte Sounds frisch aufzulegen. Und die Schweden (mit dem griechischen Sänger) SPIRITUAL BEGGARS sind zwar weniger neu, haben aber auch alten Spirit wunderbar mit ihrer neuen Platte rübergebracht.

Ebenfalls schon länger im Geschäft, aber der breiten Masse bisher ferngeblieben, sind SLOUGH FEG. Die Kalifornier um Chefdenker Mike Scalzi bleiben einfach was besonderes. Ihr Sound ist nicht ohne erkennbare Wurzeln, aber dennoch äußerst eigen, und sowieso immer faszinierend. Und wenn man auf einen saustarken Vorgänger wie "Ape Uprising!" noch einen draufsetzen kann, dann bedeutet das bei mir Platz 2 für "The Animal Spirits".

Um bei meinem Lieblingsthema zu bleiben, dem traditionellen Metal: Es gab einfach zu viel Gutes auf diesem Gebiet, was nicht unerwähnt bleiben darf. Die neuen Alben von GRAND MAGUS, METAL INQUISITOR, A TORTURED SOUL und ENFORCER sind ebenfalls rundum empfehlenswert und stehen in der Rangliste eines äußerst starken Jahrgangs ganz dicht vorm Siegerpodest. Ganz oben und damit das Album des Jahres ist dann aber wieder ein Debüt. Die Hoffnung war da, nach der grandiosen EP "Road Warrior", und sie haben die Erwartungen tatsächlich mehr als erfüllt: STRIKER, die jungen Wilden aus Kanada, kann man als Freund kraftstrotzender Gitarrenmusik doch einfach nur gut finden, oder was? Alles auf "Eyes In The Night" hat dermaßen Feuer und ist in einem so frühen Stadium der Karriere technisch schon so ausgereift (diese Gitarren! der Gesang!), dass er als Pseudonym für zeitlosen Heavy Metal stehen sollte. 'Verdammt gut gebrüllt, Löwe!' kann man da nur sagen. Dieses Jahr gibt es dann auch die Chance, die Band bei uns live zu sehen (beim Metal Assault Festival und beim Headbangers Open Air) - hoffentlich kommt nicht wieder was dazwischen, ein beschissener Vulkan oder so...



Lothar Hausfeld (Profil): 2010 war irgendwie ein komisches Jahr. Als ich – ohne genaueres Überlegen – mal das Jahr musikalisch habe Revue passieren lassen, war mein erster Gedanke: „Ein überragendes Jahr.“ Als ich dann aber angefangen habe, meine persönlichen Top 15 aufzustellen, musste ich – anders als in früheren Jahren – gar nicht so viel aussortieren. Im Gegenteil: ich musste sogar Scheiben auf den hinteren Plätzen verweilen lassen, die ich dort in früheren Jahren niemals hätte stehen lassen müssen. Ein gutes, aber nicht überragendes Metaljahr – so würde ich 2010 mal zusammenfassen.

Zwei Dinge waren es dennoch, die mich musikalisch ganz besonders berührt haben. Zum einen: Die Rückkehr von MICHAEL KISKE, meinem absoluten Lieblingssänger, auf die Bühne. Seitdem ich 1993 in den Hamburger Docks eine furchtbare Darbietung von HELLOWEEN miterleben musste – eine komplett in sich zerstrittene Band agierte eher gegen- als miteinander – durfte ich darauf warten, dass der in meinen Augen beste Metal-Sänger wieder die Bretter berührt, die die Welt bedeuten.

Seit 1993 sonderte KISKE in Interviews eine ganze Menge Kontroverses ab. Viele Dinge, die ich – anders als zahlreiche andere Metal-Fans – problemlos unterschreiben kann. Aber auch einiges, was nicht meine Zustimmung fand. Mittlerweile gibt sich das Goldkehlchen in Interviews deutlich entspannter als früher, hat tatsächlich Selbstkritikfähigkeit entwickelt – und tendiert musikalisch glücklicherweise wieder in etwas härtere Gefilde, nachdem seine Solo-CDs (teilweise) oder das unsägliche SUPARED-Projekt alles andere als Sternstunden harter Musik waren.

Schwamm drüber: Kiskes Konzert in Mörlenbach – irgendwo in the middle of nowhere – vor ein paar Handvoll Enthusiasten war mein persönliches Live-Highlight des Jahres. Wer den Ex-Kürbiskopf da im Spätsommer auf der Bühne herumalbern sah, wer miterlebte, wie viel Spaß Kiske wieder am Musizieren mit einer echten Band hat – und eine solche sind UNISONIC, die 2011 ihr Debütalbum veröffentlichen werden – der kann sich nur wundern über das, was der Glatzkopf in den letzten knapp 20 Jahren alles so an misanthropischen Äußerungen vom Stapel gelassen hat. Aber, wie gesagt: Schwamm drüber, und willkommen zurück, Michael! Ich habe Dich verdammt lange vermisst.

Und wer weiß, vielleicht wird die Debüt-CD von UNISONIC, die soliden Hardrock spielen, ja 2011 an dieser Stelle stehen, wo jetzt die Rede auf ATLANTEAN KODEX zu sprechen kommt.

Die nämlich sind mein persönliches Highlight Numero zwo. Eine Band, die sich um keinerlei Konventionen schert, die zwar „Metal to the bone“ sind, aber kein aufgesetztes Pseudo-Image brauchen wie manch andere Männer des Krieges oder Teufelsblutanhänger vielleicht. Vielleicht sind die Aussagen der Bayern, die sie in Interviews tätigen, nicht für Jedermann sympathisch. Aber sie wollen gar nicht everybody‘s darling sein. Muss man als Metalband ja auch nun wirklich nicht. Oder soll nächstes Jahr Verteidigungsminister zu Guttenberg im Atlantean-Kodex-Shirt auf Truppenbesuch in Kundus auflaufen? Na also. Let the metal do the talking – und das taten ATLANTEAN KODEX besser als jede andere Band in diesem Jahr. Bow your head -  the Atlantean Kodex!



Lutz "Oger" Koroleski
(Profil):

10. SLOUGH FEG – The Animal Spirits
Eine der originellsten Bands im traditionellen Metal-Bereich legt erneut ein weit überdurchschnittliches Album hin, auch wenn mir die Doom-Einflüsse von „Ape Uprising“ etwas fehlen.

09. OVERKILL - Ironbound
Eine der vielen positiven Überraschungen im Thrash-Bereich in diesem Jahr. Wie die Jungs nach langer Durststrecke die Energie und den Ideenreichtum der alten Tage wiedergefunden haben, weiß ich nicht, aber das mindert den Spaß an „Ironbound“ nicht im Mindesten.

08. CRIPPLED BLACK PHOENIX – I, Vigilante
Eine meiner persönlichen Neuentdeckungen 2010. Post-Rock mit ergreifender Atmosphäre und schlicht großartigen Songs.

07. KYLESA – Spiral Shadow
Sludge-Highlight des Jahres, kann sogar mit der letzten BARONESS locker mithalten. Vor allem die beiden Drummer lassen es richtig krachen.

06. ATLANTEAN KODEX – The Golden Bough
Mit Recht abgefeiertes Debüt der bayrischen Epic-Metal-Newcomer. Bei allem Bemühen um Authentizität stimmt hier vor allem auch das songwriterische Talent.

05. FLOTSAM AND JETSAM – The Cold
Viele hatten die Band schon lange abgeschrieben und dann kommen sie mit dem stärksten Album ihrer Karriere um die Ecke. Eigentlich zu schön, um wahr zu sein.

04. NEVERMORE – The Obsidian Conspiracy
Mir gefällt die Reduktion auf das Wesentliche nach wie vor, schwach oder kalkuliert klingt da für mich nichts.

03. DAWNBRINGER - Nucleus
Neuentdeckung Nummer zwei. Äußerst intensives und stilistisch breit gefächertes Metal-Album, das – wenn es gerecht zuginge - eigentlich eine sehr breite Zielgruppe ansprechen müsste.

02. MAJOR PARKINSON – Songs From A Solitary Home
Eine musikalische Wundertüte, auf die ich nur durch das begeisternde Review des Kollegen Chris P. gestoßen bin. Fantastische Songs und frische Ideen, die einfach nur Spaß machen.

01. AUDREY HORNE – Audrey Horne
An der Spitzenposition für das dritte AUDREY HORNE-Werk hat sich im Laufe des Jahres nichts mehr geändert. Etwas weniger Alternative-, dafür mehr Classic-Rock-Einflüsse und dazu die packendste Song-Collection 2010.

 

Sascha Dummann (Profil): Ach ja, 2010. In erster Linie ein Jahr voller Erwartungen. Die neue VOLBEAT, die neue STONE SOUR und so viele weitere Ankündigungen, auf die ich mich gefreut habe. Aber wurden sie erfüllt? Hier ein kleiner Jahresrückblick. In den jeweiligen Monaten ist sicherlich noch mehr passiert, aber ich habe das für mich wichtigste/bedeutsamste herausgestellt:

Januar: Das Jahr beginnt mit einer Schreckensmeldung: Ex-BÖHSE ONKELZ- Sänger Kevin Russell begeht Fahrerflucht, nachdem er unter massivem Drogeneinfluss mit einem Sportwagen einen Kleinwagen gerammt und die beiden Insassen schwer verletzt hat. Er bestreitet die Tat bis heute, wurde jedoch im Spätsommer schuldig gesprochen und zu 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt.

Februar: Das neue Album von HIM erscheint, bildet aber keinen Meilenstein.

März: Ende März/Anfang April liefern CALLEJON mit „Videodrom“ ein verdammt starkes Album ab, welches durchaus seinen Weg in meine Album-Top-10 2010 geschafft hat.

April: Peter Steele ist tot. Der Sänger von TYPE O NEGATIVE verstarb an einer Herzattacke, weitere Details sind immer noch nicht bekannt.

Mai: Mit Ronnie James Dio stirbt eine Legende des Rock und Metal an seinem Krebsleiden und hinterlässt damit eine Lücke, die nicht zu füllen ist. Kurz danach ein weiterer Verlust für die Szene: SLIPKNOTs Bassist Paul Grey wurde tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden.

Juni: Mein persönlich letztes Mal auf „Rock“ am Ring. Die Anführungszeichen hier sind bewusst so gesetzt, da das Line-Up zu viel aufwies, was nicht szene-verwandt war. Dafür Release eines grandiosen PARKWAY DRIVE- Albums.

Juli: Release der neuen BLIND GUARDIAN-Scheibe „At The Edge Of Time“. Lang ersehnt, oft kritisiert. Ich selbst finde sie im Allgemeinen recht gut, es gab aber definitive bessere. Jedenfalls ist es wieder ein Schritt in die richtige Richtung.

August: SummerBreeze Open Air mit einem grandiosen LineUp. DIE APOKALYPTISCHEN REITER haben meiner Meinung nach das beste Konzert des Festivals abgeliefert, SUBWAY TO SALLY hingegen fand ich eher enttäuschend. Außerdem wird das neue IRON MAIDEN-Album veröffentlicht, welches sie auf dem Wacken Open Air präsentieren, sowie die neue Platte von ACCEPT. Beides sehr starke Silberlinge.

September: Releases von STONE SOUR und VOLBEAT. Darauf habe ich mich quasi das ganze Jahr gefreut. STONE SOUR hat zwar etwas an Härte abgelegt, „Audio Secrecy“ zählt dennoch zu einem der besten Alben 2010 für mich. VOLBEAT: Ja, das ist so eine Sache. Das was sie machen, machen sie verdammt gut. Viel Neues ist auf „Beyond Hell/ Above Heaven“ aber nicht.

Oktober: ARRANGED CHAOS veröffentlichen eine wunderbare Scheibe, jedoch in einem recht übersättigten Markt.

November: Release des lang erwarteten A DAY TO REMEMBER-Albums. Es hat definitiv an Härte verloren. Kein schlechtes Album, aber es kommt nicht an seine Vorgänger heran.

Dezember: Releases von DER W und MOTÖRHEAD. Leider habe ich noch keine Gelegenheit gehabt, reinzuhören.

Was ist nun mein Album des Jahres? Wirklich schwer zu sagen. Es gab einige gute, einige miese, einige ganz miese… Aber wirklich umgehauen hat mich dieses Jahr nichts. Wenn ich doch eines bestimmen müsste, wäre es eines von den genannten.

 

Sascha Ganser (Profil): 2010? Kein gutes Jahr für Musik. Oder habe ich an den falschen Stellen gesucht? Ironisch, dass ausgerechnet "Excess" von COMA in meiner Jahresabrechnung ganz oben steht – die PEARL JAM und TOOL verquirlende Crossoverkeule aus Polen ist schließlich kaum mehr als ein Zusammenschnitt eines Albums, das schon 2009 erschien. Immerhin, die polnische Rockfabrik baut ihre Schornsteine weiter aus. RIVERSIDE pusten längst nicht mehr einsam und verlassen ihre Wölkchen in den Himmel. Verstärkung folgt nicht nur unmittelbar im Genre, etwa mit QUIDAM oder meinen persönlichen Vorjahresfavoriten INDUKTI, sondern auf breiter Front: auch die Experimentalisten SEARCHING FOR CALM und die Modernmetalisten CHAIN REACTION hinterließen in diesem Jahr positive Eindrücke.

Nebenher folgten sehr gute Alben wie ANATHEMAs "We're Here Because We're Here" oder PAIN OF SALVATIONs "Road Salt One", denen böse Zungen aber auch schon Routine bzw. zu gewollte Abtrennung von den Wurzeln vorgeworfen haben. Macht man's also falsch, wie man's macht? Nur bedingt, denn Musik ist im Grunde simpel: wenn es hundertprozentig passt, dann weiß man es einfach. Doch wo mein Herz sich 2009 noch zu mindestens drei Favoriten hingezogen fühlte – diesmal möchte es sich von niemandem so recht erobern lassen.

Interessanteres spielte sich ohnehin am Bodensatz ab: tatsächlich hat nämlich LINKIN PARKs "A Thousand Suns" den vielleicht größten Eindruck hinterlassen: mit einem Konzept, das an den eigenen Ansprüchen erstickt, mit einer Selbstüberschätzung, die beispiellos ist und mit einem Sound, den sich selbst Fans schönsaufen mussten. Hier liegt das verkappte Album des Jahres vor, denn es ist doch so: wer irrt, der weist den Weg zum Fortschritt.

Viel Durchwachsenes, kaum Überragendes, viel Kurioses also. Und warum sollte es anderen Medien besser gehen? Auch der Film glänzte durch die Abwesenheit eines echten Abräumers. Solche, die im Vorfeld dafür gehalten wurden, wie etwa "Inception", mussten im Nachhinein teils harsche Kritik einstecken. Das Fanevent "The Expendables" war kaum halb so originell wie seine Besetzung, bei "The Social Network" musste man fragen, ob sich das Thema überhaupt als Filmstoff eignet. Einzig "Shutter Island" überraschte als nicht nur bestfotografiertester, sondern auch tiefstgehender Film des Jahres – sofern man dazu in der Lage war, über den Tellerrand der offensichtlichen Plottwist-Konstruktion hinauszusehen. Denn das "Ich hab den Film schon längst durchschaut"-Klugscheißen hatte auch 2010 wieder Hochkonjunktur.

Nebenher konnte höchstens Steven Wilsons und Lasse Hoiles Musikfilm "Insurgentes" Akzente setzen (sofern man die latent prätentiöse Art des Regiestils Hoiles und des Anliegens Wilsons ausblenden konnte), was nicht der Ironie entbehrt, dass einer der besten musikalischen Ergüsse eigentlich ein Film war und einer der besten Filme eigentlich etwas aus dem Bereich Musik. Aber wen sollte das noch wundern, schließlich war "Heavy Rain", rein spielerisch gesehen allenfalls Mittelmaß, mit majestätischem Abstand das Videospiel des Jahres – nur dass viel mehr Film als Spiel in "Heavy Rain" steckte.

Gibt es sie also noch, die großen Knaller, in einer Welt, in der die Medien zu einem großen Supermedium zu verschmelzen scheinen? Ich glaube daran. Zeig uns, was du drauf hast, 2011!

Nils Herzog (Info)