Musikreviews.de bei Facebook Musikreviews.de bei Twitter

Partner

Statistiken

Interview mit HARVST (02.02.2025)

HARVST

In eine facettenreiche Welt abzutauchen mittels Musik, die zwar stilistisch vertraut klingt, doch in ihrer Komposition in einem guten Sinne eigenartig angelegt ist: Das ermöglicht die deutsche Band HARVST mit ihrem zweiten Album "Mahlstrom", das sich über einige Jahre hinweg entwickelt hat und in das prägnante Erfahrungen der Musiker eingeflossen sind. Verstärkt um Schlagzeuger Rauch, geht das Gründungsduo von HARVST, Dornh (Gesang, Bass, Texte und Design) und Wynthar (Gitarren, Backing Vocals, Komposition und Produktion) dynamischer zur Sache als auf seinem Einstand "Narbenhain". Zum Interview tritt das komplette Trio an, um über ein Album zu sprechen, das ganz sicher nicht so klingt wie Aufnahmen, die sich bereits nach einigen Sekunden zielsicher und widerstandslos einordnen lassen, dafür jedoch länger zu fordern und zu fesseln vermag.

Hallo HARVST und herzlichen Glückwunsch zu Eurem zweiten Album namens "Mahlstrom"! Es erinnert mich an eine rund drei Jahrzehnte zurückliegende Zeit, als ich begann, in Fanzines wie dem "Underground Empire" oder "That’s it!" Bands zu entdecken, die ein bisschen anders klangen als die Mehrzahl der Bands im Rock Hard, weil sie ihre Aufnahmen eher in Eigenregie realisierten. Auch "Mahlstrom" klingt für mich so, als hättet Ihr lange daran im sprichwörtlichen "stillen Kämmerlein" gefeilt bzw. gesponnen…?

Wynthar: Danke sehr! Es ist schon so, dass wir da in unserer eigenen Bubble unterwegs sind. Wir wollen nicht stumpf kopieren, sondern uns einfach selbst verwirklichen. Ich denke, wir sind da mittlerweile auf einem sehr guten Weg, uns und unseren Stil zu definieren. Darüber hinaus ist für uns Qualität und Hingabe ein besonders wichtiger Faktor, weshalb wir uns nicht mit dem Erstbesten zufriedengeben, sondern so lange daran arbeiten und feilen, bis es uns vollends zufrieden stellt. Jeder bringt das ein, was er am besten kann, und daraus entsteht ein Werk aus nahezu hundertprozentiger Eigenleistung, womit es sozusagen die Essenz von uns als Band ist.

Wenn ich mit einem Wort beschreiben sollte, was Eure Musik aus der Masse der Veröffentlichungen ein Stück herausragen lässt, dann würde ich sie als "selbstversunken" bezeichnen: Das Album klingt so, als ob Ihr niemanden etwas beweisen oder zwanghaft gefallen müsst, sondern Eure eigenen Wege durchs Unterholz einschlagt. Es ist nicht durchweg leicht, Euch zu folgen, doch dafür spannend – könnt Ihr dem zustimmen und passt das zu Eurer Herangehensweise?

Dornh: "Selbstversunken" trifft es sehr gut. Uns war stets bewusst, dass "Mahlstrom" mit seiner vielschichtigen Wandlungskurve mitunter das Potenzial bietet, fordernd zu sein oder bei manchen Leuten anzuecken. Aber genau diesen Aspekt des Prozesses aus unserer Perspektive für den Hörer als Erfahrung fassbar zu machen, fand ich persönlich sehr reizvoll. Denn der Entstehungsprozess von "Mahlstrom" war alles andere als ein Spaziergang. Er war schmerzvoll. Er zerstörte und erschuf. Versinken, nahezu ertrinken, woanders auftauchen, stranden und zusammen Sandburgen bauen. Jenseits der nautischen Metapher verstehst du sicherlich, worauf ich hinaus will: Negativität ist ein wichtiger Indikator, aber sollte weiter gedacht - und konstruktiv bearbeitet werden. Genau das haben wir mit unserer Negativität im Rahmen von "Mahlstrom" getan. Ich kann von mir behaupten, dass "Mahlstrom" das für mich persönlich wichtigste Album ist, das ich bisher gemacht habe. Es freut mich, dass es sich auch für dich spannend anfühlt, denn dass es eben kein vordergründig gefälliges Werk ist und man ein wenig in sich und dem, was das Album mit einem macht, graben muss, um damit eine gewisse Resonanz zu erlangen, zeichnet "Mahlstrom" für mich aus.

HARVST bedeutet "Herbst", und auf Euren Promo-Fotos zeigt Ihr Euch im Wald – wären damit zwei der wichtigsten Einflussquellen bereits genannt? Welche Einflüsse haben "Mahlstrom" darüber hinaus geprägt?

Dornh: Das ist korrekt, damit bist du tatsächlich einer der wenigen, die den Namen direkt verstehen. (Nicht so schwer, denn Adam / Schattenpfade hatte mir das erklärt. – Thor) Wir wollten damals etwas auswählen, was auf eine gewisse Vergänglichkeit anspielt und dabei ebenso Tristesse vermittelt, ohne zu nihilistisch zu klingen. Als unsere wichtigsten Einflussquellen würde ich tatsächlich eher unsere individuellen Prägungen, Ängste und Präferenzen als Menschen nennen. Wir verbringen zwar gerne ab und an Zeit in der Natur und empfinden das auch als äußerst wohltuend, sie findet aber meistens auf metaphorischer Ebene ihren Weg in unsere Musik. Einfach, weil sie thematisch leicht greifbar ist und ein wirklich vielfältiges Spektrum bietet. Lass mich dir ein kleines Beispiel geben: Obwohl "Laubwacht" textlich oberflächlich als eine Art Lobeshymne an den Wald verstanden werden kann, schreibe ich, im eigentlich Kern, für mich über die Sehnsucht nach der Geborgenheit durch jemanden, mit dem ich in meiner Jugend sehr viele schöne und auch inspirierende Spaziergänge in der Natur unternahm. Für dich offenbart sich aber eventuell eine ganz andere Assoziation beim Lesen oder Vernehmen der Worte. Das ist mir ehrlicherweise sehr wichtig, wenn ich Songtexte schreibe: Dass sie offen genug gehalten werden, damit jeder für sich etwas daraus ziehen kann, sofern er bereit ist, zuzuhören.

Zu den Fotografien: In erster Linie wollte ich mit einem im Black Metal üblichen Klischee spielen und dabei einen Kontrast zu den doch sehr "idealistisch geprägten" Bildern aus der "Narbenhain"-Zeit schaffen. Diese Art "nachdenklicher" Naturaufnahmen ist einfach ein gern gesehenes Motiv, zumindest geht es mir so. Ich wollte diesem Klischee aber gerne einen gewissen Twist verleihen: Auch wenn wir gedanklich an etwas "Altem" und Liebgewonnenen festhalten: Die Welt entwickelt sich weiter. Die Bäume auf den Bildern sind tot und das Sterben breitet sich aus. So sehr wir auch nach den florierenden, norwegisch anmutenden, ja nahezu verwunschenen "Wald- und Fels-Szenerien" der frühen 90er Jahre streben, die Wälder sehen heute anders aus. Natürlich, die Idylle kämpft und ist immer noch präsent, doch die Frage ist, wie lange. Wir suchten uns mit Absicht eine Stelle im Wald aus, wo die Bäume vor fünf Jahren vermutlich noch bei bester Gesundheit waren und sich die Anzahl von "Baumgerippen" in fünf Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit potenziert hat. Ich glaube, ich wollte ein schönes, aber auch brüchiges Klischee zeigen. Vielleicht, dass gerade das, was wir "sehen wollen" von flüchtiger Natur ist. Wahrscheinlich trägt gerade diese Vergänglichkeit gewisser Dinge ihr Wesentliches dazu bei, dass wir sie als so "schön" empfinden.

Ihr seid zunächst als Duo an den Start gegangen, und dieser Kern macht einen sehr kreativen Eindruck. Mit Rauch als Schlagzeuger habt Ihr hörbar an Dynamik gewonnen, und sicher noch an mehr. Wie zufrieden seid Ihr mit dem aktuellen Werdegang von HARVST und wo darf es mit diesem Line-Up gerne noch hingehen?

Wynthar: Es fühlt sich sehr gut an, so wie es derzeit ist. Wir ergänzen uns sehr gut und jeder bringt sich auf seine Weise ein. Zugegebenermaßen war die Entstehung von "Mahlstrom" durch eine sehr lange Findungs -oder Neufindungsphase geprägt, in deren Prozess wir uns selbstverständlich auch immer noch befinden, aber die Art und Weise, wie alles zusammengefunden hat und funktioniert, lässt mich da sehr optimistisch in die Zukunft blicken. In erster Linie sehe ich uns noch weiter zusammenwachsen und unseren Stil noch einzigartiger definieren als es ohnehin schon der Fall sein dürfte.

Ehrlich gesagt hadere ich an einigen Stellen mit der Abmischung: So finde ich zum Beispiel den einsetzenden Klargesang in "Mahlstrom II: Der Abschied des Dechiffrierten" prinzipiell gelungen, doch frage ich mich, warum er quasi hinter den übrigen Instrumenten ziemlich "versteckt" bleibt – oder ist das Eure Form des Okkultismus, sodass die Hörerschaft nur beim ganz genauen Hinhören voll und ganz belohnt wird? Habt Ihr bereits Details auf dem Schirm, die Ihr bei der nächsten Aufnahme-Session anders machen wollt?

Rauch: Dadurch, dass "Mahlstrom" über mehrere Jahre hinweg quasi organisch gewachsen ist und auch immer mehr Ideen und Experimentieren mit dem gegebenen Material stattgefunden hat, mag das Album auf den ersten Blick etwas überladen klingen. Aus dieser Flut an Spuren, die sich auch oftmals gerade im Bereich der Vocals überlagern, wenn Schreie und Klargesang sich überlappen, ein klares Klangbild herauszuarbeiten, ist definitiv keine einfache Aufgabe. Ich bin der Meinung Wynthar hat diese allerdings gut bewältigt und ein ausgewogenes und sehr klar klingendes Endprodukt entworfen. Dass dabei vielleicht manche Aspekte etwas mehr in den Hintergrund treten müssen, um Raum für das Gesamtbild zu schaffen, liegt in der Natur der Sache. Ich persönlich finde gerade diese "Hintergrundebene" auf denen sich der Gesang auf "Mahlstrom" manchmal bewegt, sehr faszinierend, weil er dem Gesamtklang etwas Ungestümes und auch etwas Unbändiges verleiht. Eben ganz wie ein Strom, von dem man mitgerissen und fortgetrieben wird. Ich kann natürlich aber auch jeden verstehen, der sich etwas mehr Klarheit in diesen Momenten gewünscht hätte. Ich denke, dass wir in Zukunft noch besser mit dem Gesang umzugehen lernen werden und sich dies sicherlich auch noch als weiterer Reifeprozess im Sound widerspiegeln wird. Konkrete Pläne dazu, wie wir das ganze angehen wollen, gibt es allerdings noch nicht.

Die Digipak-CD mit dem 20 Seiten starken Booklet hinterlässt auch beim näheren Durchsehen einen bis ins Detail durchdachten Eindruck, und ist für mich ein Paradebeispiel dafür, dass dieses Tonträger-Format immer noch "funktionieren" kann. Euch greifen für diese Veröffentlichung gleich drei Label unter die Arme – ist das ein Eingeständnis, dass auch ein gelungen ungewöhnliches Album einer Underground-Band absolut kein Selbstläufer mehr ist?

Rauch: Definitiv! Wir leben in einer Zeit des absoluten Überflusses. Selbst in der musikalischen Nische, in welcher wir uns bewegen, wird tagtäglich unglaublich viel – wie es ja heutzutage so schön heißt – Content ins Netz gestellt. Aus diesem permanenten Überreiz herauszustechen, ist selbst mit einem gelungenen Produkt schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Man muss also auf sich aufmerksam machen und neben dem Musizieren zusätzlich noch viel Zeit und Arbeit investieren, um überhaupt gesehen zu werden. Dabei war neben unseren eigenen Bemühungen die Plattform, die uns die Labels bieten konnten, natürlich eine große Hilfe. Deshalb an dieser Stelle auch nochmal ein herzliches Dankeschön an Schattenpfade, Crawling Chaos Records und Onism Productions.

Welche persönlich erlebten Mahlströme konntet Ihr mit Eurem Album verarbeiten und hoffentlich hinter Euch lassen?

Dornh: Als wir 2018 "Narbenhain" aufnahmen, und noch viel stärker, als ich für mein Nebenprojekt ein paar Jahre später an dem Debut "Grau" arbeitete, war ich ein verzweifelter Mensch. Von Wut auf mich, andere und die Welt zerfressen. So ein Mahlstrom dreht sich erst ganz sachte, über lange Zeit, sodass man gar nicht merkt, wie tief man versinkt. Was folgte, war eine höchst unangenehme Zeit, die in der totalen Selbstreflexion mündete. Wie die Figur auf dem "Mahlstrom"-Cover-Artwork fiel jedes Fragment meiner Rüstung, ich wurde buchstäblich "roh", gezwungen zu fühlen. Eskapismus funktionierte einfach nicht mehr und ich trat, gezwungenermaßen, die wichtigste Reise meines Lebens an: Durch die Akzeptanz der Wut in den Schmerz und vom Schmerz in die Trauer. Nur indem man diesen Weg beschreitet, lernt man loszulassen. Das Fühlen und das Sammeln von Einsichten, die über ein schieres Zertreten von "Sandburgen" als Übersprungshandlung hinausgehen, brachten mich an einen besseren Ort. An einen Ort, wo man sie baut, das Hier und Jetzt wertschätzt, und gemeinsam dabei zusieht, wie die Fluten sie irgendwann wieder nehmen. Denn die Fluten können wir nicht beeinflussen, nur, wie wir damit umgehen.

Das Jahr 2024 liegt gerade erst hinter uns. Welche Alben haben Eure Herzen erobert, welche Konzerte haben Euch nachhaltig begeistert und auf welche Metal-Momente in 2025 freut Ihr Euch? Danke für Eure Zeit und frohes Schaffen!

Dornh: Im Black-Metal-Bereich beeindruckte mich vor allem "III" von Uprising sehr. Dieses Werk rockt einfach, ist thematisch absolut zeitgemäß und klingt trotzdem unverkennbar nach durchdachtem, hoch emotionalem Black Metal. Winterherz hat meines Erachtens einfach ein hervorragendes Gespür für mitreißendes, punktgenaues Songwriting. Und gesanglich macht er auch einiges einfach sympathisch anders, auf so was stehe ich. Jenseits des extremen Metals wäre mein Jahreshighlight allerdings, dass einer meiner persönlichen Lieblingskünstler, Dax Riggs, nach fast 15 Jahren ohne ein Lebenszeichen, endlich sein neues Werk angekündigt hat. Darauf bin ich wirklich gespannt. Zudem gab es auch letzten Oktober das neue Album von Jerry Cantrell. Ein herrlich pulsierendes Monster, berstend vor grandiosen Riffs und natürlich voll von tollen Gesangslinien. Da schmelze ich dahin - einfach großartig. Bei Konzerten kann ich leider nicht wirklich etwas beisteuern, da das bei mir mittlerweile wirklich stark in den Hintergrund gerückt ist. Ich freue mich auf jeden Fall auf alles, was die Zukunft für uns und "Mahlstrom" bereithält, und danke dir ganz herzlich für dieses Interview, Thor!

 

Bei obigem Text handelt es sich um einen Auszug des Interviews mit HARVST, das in voller Länge in Ausgabe 21 des MØRKESKYE-Fanzines erscheinen wird.

Thor Joakimsson (Info)
Alle Reviews dieser Band: