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Interview mit Krypteria (02.05.2011)
Wenn man für ein Online-Magazin schreibt, hat es den Vorteil, dass man keine Vorgaben im Hinblick auf die maximale Zeichenanzahl hat. Wenn eine Band völlig autark agiert, so wie es bei KRYPTERIA inzwischen der Fall ist, hat das den Vorteil, dass die Band ihre Interviewpartner einfach mal zu sich ins Studio einladen und sich ohne Zeitlimit den Fragen stellen kann. Heraus kommt dann wie in unserem Fall ein sehr langes und sehr interessantes Interview, das alle Fragen rund ums neue Album "All Beauty Must Die" beantwortet, aber auch viele andere Aspekte beleuchtet.
Im ersten Teil des Interviews haben es sich Gitarrist und Produzent Chris Siemons sowie die bezaubernde Sängerin Ji-In Cho auf der weißen Couch im Studio gemütlich gemacht.
Chris, wie geht es dir und deinem Rücken?
Chris: Deutlich besser. Allerdings muss man sagen, dass das auch sehr viel mit Sport zu tun hat. Mein Rücken hat durch das Arbeiten wahnsinnig gelitten, ich stehe ja auch immer wie ein Affe, den aufrechten Gang hab ich noch nicht gelernt. Durch das nach vorn gebeugte Arbeiten habe ich mir hier oben an den Halswirbeln einen Bandscheibenvorfall zugezogen und das ist unangenehm, weil das auf die Hände geht. Zwar war das live spielen selber nie das Problem, aber das lange Sitzen in Bussen und Autos. Dadurch wurden die Finger taub und dann kann man natürlich kaum noch vernünftig spielen. Wenn man aber dann den Rücken vernünftig trainiert, geht das auch weg, worüber ich auch heilfroh bin. Die Schmerzen bei einem Bandscheibenvorfall sind echt keine schönen Schmerzen, wenn sich das wieder normalisiert, dann ist man schon sehr dankbar und hat auch wieder Spaß am Leben.
Das Album kommt ja morgen in den Handel. Seid ihr da nervös oder geht ihr da gelassen dran?
Chris: Also, ich bin total nervös.
Ji-In: Ich bin auch nervös, ich bin schon aufgeregt. Man hat solange so viel gegeben und sich aussaugen lassen, jetzt hofft man natürlich, dass das bei den Fans gut ankommt.
Chris: Es ist ein bisschen so wie vor dem Endspiel bei einer Fußballweltmeisterschaft. Natürlich sind wir nicht so bedeutend, aber es ist wirklich so, dass jetzt alles auf diesen Punkt zu geht, auch wenn das eigentlich totaler Blödsinn ist. Morgen entscheidet sich nicht, ob wir sterben oder nicht, aber ein bisschen ist es schon so...
Ji-In: Das Entscheidende passiert jetzt, ob unsere Fans das gut finden – oder auch nicht.
Chris: Ich muss sagen, dass ich die letzten Tage sehr viel mehr auf der Toilette gesessen habe.
Seid ihr denn zufrieden mit den bisherigen Presse-Resonanzen?
Chris: Sogar sehr zufrieden. Das Pendel schwingt mal nach rechts, mal nach links. Bei der "Bloodangel’s Cry" fanden uns sehr viele Leute sehr gut, bei "My Fatal Kiss" gab es dann aber auch durchaus durchwachsene Kritiken und jetzt haben wir das Gefühl, dass wir wieder auf der Gewinnerseite sind, aber man darf eines nicht vergessen: Kritikermeinungen sind immer nur ein Teil, kein unwichtiger Teil, aber das heißt noch lange nicht, dass das Publikum dem folgt, wenn man bei Kritikern gut ankommt. Das sind ja auch mündige Menschen, die sich ihre eigene Meinung bilden. Man freut sich natürlich über positive Kritik, aber das Entscheidende ist, ob die Leute draußen das gut finden, was man tut und das bekommt man über die Verkäufe mit, entscheidend ist aber, was live passiert. Kommen die Leute live...
Ji-In: ... und schmeißen mit Tomaten?
Ihr findet sowohl in der Metal- als auch sehr stark in der Gothicszene statt. Ich habe den Eindruck, dass man euch aber in der Metalszene wesentlich kritischer begegnet. Bestes Beispiel ist da ja die Tatsache, dass ihr im RockHard regelmäßig Plus-/Minuskritiken bekommt, wobei die Minuskritiken dann ja gerne mal völlig vernichtend ausfallen. Wie geht ihr damit um? Nehmt ihr das hin oder nervt euch das dann doch?
Chris: Da habe ich eine ganz spezielle Meinung zu.
Ji-In: Sagen wir mal so. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mir das so dermaßen am Arsch vorbei geht, dass ich nicht einen Gedanken oder eine Emotion daran verschwenden würde. Es ist nicht so, dass ich mich darüber freue, ich sehe es aber auch vor dem Hintergrund, dass man es auch nicht anders hätte machen können. Es gibt Hunde, die können dich nicht riechen, das ist nun mal so, damit muss man leben können. Ich kann nur sagen, dass ich voll hinter dem stehe, was wir machen, jeder hat aber auch das Recht auf seine eigene Meinung. Man ärgert sich dann sicher auch kurz drüber, aber jeder der in der Öffentlichkeit steht, muss auch mit Negativkritik umgehen können.
Chris: Ich wünschte mir, ich wäre so tolerant, wie Ji-In es ist. Du hast ja schon das RockHard angesprochen, aber auch im Metal Hammer gibt es durchaus den einen oder anderen Redakteur, der meint, wir hätten eine 1 (schlechteste Punktzahl im Metal Hammer, d. Verf.) verdient. Wenn ich zuhause sitze und das lese, dann ärgere ich mich schon. Wie Ji-In richtig sagt, hat jeder Mensch das Recht auf seine eigene musikalische Meinung, Musik ist Geschmackssache. Jeder soll uns ruhig auch schlecht bewerten, wenn es ihm nicht gefällt, bitte nicht falsch verstehen. Aber was ich unfair finde, wenn man eine Band, die – und ich bin mal so arrogant, das zu sagen – ihr Handwerk versteht, mit den schlechtesten Noten abstraft, nur weil man auf diese Art von Musik nicht steht, das finde ich vollkommen daneben. Diese Menschen, und jetzt mache ich mir noch mehr Feinde, sind für mich keine Journalisten und keine Kritiker sondern sind Leute, die über ein infantiles "ich hau denen jetzt mal eins rein" nicht hinausgekommen sind und da habe ich persönlich schon ein Problem mit. Klar, die sagen jetzt "schon wieder so ein beleidigter Musiker, der findet, dass seine Band nicht genug respektiert wird", aber in dem Moment finde ich halt auch, dass die ihren Job verfehlen. Als Kritiker sollen sie ja auch dem Publikum, das die Musik noch nie gehört hat, eine Entscheidungshilfe geben und damit geben sie keine Entscheidungshilfe, in dem sie sagen "ich finde die Musik grundsätzlich scheiße". Einen Punkt gibt es, bei dem ich wirklich fuchsteufelswild werde (Ji-In kichert im Hintergrund). Es gibt so paar Kollegen, die der machomäßigen Meinung sind, dass Frauen im Metal nichts verloren haben. Diese Menschen haben offensichtlich ein Problem mit ihrer Männlichkeit und sollten besser zum Urologen gehen.
Ji-In: Ich finde es gut, dass du das jetzt sagst.
Chris: Das ist für mich eigentlich das Hauptproblem. Wenn jemand die Art von Musik nicht mag, können wir nichts daran ändern und wir werden uns deswegen auch nicht ändern und dann ist das auch okay. Aber dieses sinnlose Abstrafen mit Minimalpunkten, als könnten wir unsere Gitarren nicht richtig herum halten, das finde ich albern.
Glaubt ihr denn, dass ihr es in der Gothicszene einfacher habt, als in der Metalszene?
Chris: Ja, aber eigentlich auch nicht verdient, weil das viel mit der Ji-In zu tun hat. Ich wüsste nicht, ob wir so stark in der Gothicszene vertreten wären, wenn wir diese Musik mit einem männlichen Sänger machen würden. Ji-In ist ja eine wunderschöne Frau und ich glaube, die Ästhetik, die sie verkörpert, wird da sehr gerne genommen. Wir passen da ja auch schön in die gleiche Schublade, wie die ganzen anderen Female-Fronted-Bands. Von der Musik her sind wir glaube ich härter, als die durchschnittliche Gothic-Metal-Band. Aber wir freuen uns natürlich auch darüber, dass wir da so gut ankommen, gar keine Frage.
Ji-In: Ich sehe das eigentlich genauso. Ich finde es interessant zu sehen, dass man das immer so geschlechterspezifisch festmacht. Wir werden ja zur Zeit auch immer wieder gefragt, warum ich denn da nicht auf dem Cover wäre. Ich finde es total wichtig, dass man aber auch hinter den Schein und den ersten Eindruck guckt. Was beim Metal das eine ist, ist beim Gothic vielleicht das andere, aber es ist nun mal so, wir Menschen müssen immer alles kategorisieren, das wird sich auch so schnell nicht ändern. Ich glaube aber fest daran, dass, wenn man immer bemüht ist und sein Bestes gibt, sich das irgendwann auszahlt und man auch mal die Substanz dahinter sieht. Darauf hoffe ich, darauf baue ich. Vielleicht bin ich deshalb auch ein bisschen gelassener als Chris.
Kommen wir dann mal zum Album. Warum muss denn alles Schöne sterben?
Ji-In: Tja, das ist so, alles ist vergänglich.
Chris: Da muss man vielleicht mal den Herrn da oben fragen, der hat sich das ja ausgedacht.
Aber das Album heißt ja nicht "Everything Must Die" sondern "All Beauty Must Die"…
Ji-In: Richtig. Da kommen zwei Dinge mit rein. Zum einen ist ja wirklich alles vergänglich, sowohl das Schöne, als auch das Unschöne, was bei uns ja ein bisschen autobiografisch ist, weil wir in der Vergangenheit, wie jeder andere Band auch, unsere negativen Erfahrungen gemacht haben, aber natürlich auch viele positive. Aber man stellt dann einfach fest, das eben alles vorbei geht, auch diese schönen Dinge, die man am liebsten einschweißen, konservieren und festhalten möchte, die gehen schneller vorbei als man möchte. Aber Gott sei Dank auch die negativen Erlebnisse. Auch die ganze Wut – es gab da gewisse Themen, wo wir alle direkt aus der Haut gefahren sind und wütend waren. Aber selbst darüber kommt man irgendwann hinweg. Das ist das Eine, das eben alles vergänglich ist, dass vielleicht noch Erinnerungen bleiben, aber selbst das ist vorbei, wenn man selbst gegangen ist. Und zum anderen, um noch mal darauf zurück zu kommen, bin ich heilfroh, mal nicht vorne drauf zu sein mit einem Foto. Da kommt man noch mal zum Thema der Substanz dahinter und darauf, dass man vielleicht aufgefordert wird, zu gucken, ob sich nicht doch etwas mehr dahinter verbirgt…
Chris: … als eine schöne Fassade.
Songs wie "As I Slowly Bleed" oder "You Killed Me" zeigen dich, Ji-In, von deiner verletzlichen Seite und lassen die Vermutung aufkommen, dass du da auch schon viele negative Beziehungserfahrungen gemacht hast. Sind solche Titel dann auch autobiografisch oder doch allgemeiner gehalten?
Ji-In: Es ist schon viel autobiografisch, aber wir versuchen schon, nicht jedem unsere eigene persönliche Geschichte aufzudrücken, so nach dem Motto "Ach guck mal, ich armer Hund, gib mir mal noch ein bisschen Trost und Mitleid", sondern wir versuchen schon, das so auszudrücken, dass da auch jeder was mit anfangen kann. Deshalb sind auch keine Namen genannt (lacht). Das ist uns sehr wichtig. Gott sei Dank machen wir aber auch Musik und sind keine Geschichtenerzähler, das ist das Tolle an der Musik, dass man alles so wunderschön verpacken kann und eben nicht ganz spezifisch benennen muss. Es geht darum, mit der Musik Stimmungen einzufangen, die der Hörer dann für sich verwerten und anwenden kann.
Chris: Die Texte und die Musik sind für uns schon eine Form von Therapie und deshalb auch autobiografisch. Wir würden die Menschen aber auch langweilen, wenn wir immer nur über unsere eigenen Probleme singen würden, deswegen versuchen wir auch immer, in unseren eigenen Erfahrungen und Emotionen das Größere zu finden, das es wert ist, in einen Song verpackt zu werden. Deswegen hat das sicherlich autobiografische Züge, aber was Ji-In auch sagte, es soll auch für die Allgemeinheit Gültigkeit haben und wer es hört, soll sich auch selbst wiederfinden können.
Der Refrain von "Fly Away With Me" steht in starkem Kontrast zu den Strophen, die relativ hart sind. Der Refrain erinnert von der Melodieführung aber eher an ein Kirchenlied.
Das ist das "Air" von Bach, das ist ein Zitat. Die genaue Werknummer kenne ich jetzt gar nicht, aber unter "Air" von Bach ist das bekannt. Das war jetzt auch nicht so zufällig. Wir haben einfach den Song gespielt und plötzlich hingen wir in diesen Harmonien, die sehr populär sind. Wir haben uns dann gefragt, ob wir da jetzt nicht schon mit der groben Keule auf die Klassik hauen. Da wird auch zurecht der eine oder andere sagen "Muss es denn schon wieder Bach sein" oder "Muss es denn schon wieder Beethoven sein" – in unserem Fall: Ja!
Der Song "Eyes Of A Stranger" erinnert mich von der Thematik her an unseren Grand Prix-Song "Taken By A Stranger" von Lena.
Ji-In: Ich weiß gar nicht, worum es da textlich geht.
Chris: Ich auch nicht, ich weiß zwar dass es die Nummer gibt…
Ji-In: Ich weiß auch, dass der Titel so heißt.
Da geht es darum, dass sie irgendwo sitzt und einen Fremden sieht und sich von dem angezogen fühlt. Geht das in die gleiche Richtung?
Ji-In: Ja, aber das verrät auch einiges über die Person selbst. Es ist ja immer wieder schön, wenn man neue Züge an sich erkennt und vielleicht auch Gefühle entwickelt, die man vorher gar nicht kannte und die man auch niemals vermutet hätte. In diesem Fall ist es tatsächlich so – ich versuche mal, das in einem Satz zu beschreiben – dass sich jemand von der scheuen Sekretärin zum Vamp entwickelt, der plötzlich Lust und Spaß daran empfindet, wilder zu sein und mit Männern zu spielen, was vorher überhaupt nicht in Frage kam, darum geht es ein bisschen.
In "Turn The World Around" singst du von deinen inneren Dämonen. Welche sind denn das?
Ji-In: Das kann alles mögliche sein. Ich werde mich hüten, hier spezifisch was zu benennen. Jeder, der sich mit sich selbst beschäftigt, weil er es muss, weil er merkt, dass er gar nicht so perfekt ist, der merkt halt ganz schnell, dass gewisse Dinge immer wieder hoch kommen und dass es äußerst schwierig ist, diese negativen Züge einzufangen und nicht raus zu lassen, sie kommen ja doch immer wieder hoch. Jeder Mensch hat gute und schlechte Seiten und diese Dämonen kann man nicht immer zügeln, die kommen doch immer wieder hervor und manchmal wünschte ich fast, man könnte dann jemanden bitten, die für einen einzufangen und zu bereinigen, aber das ist wieder ein anderes Thema.
Ein weiterer auffälliger Song ist "Victoria", der ist in meinen Augen die perfekte Einlaufhymne für eine Boxerin (beide fangen verschmitzt zu lachen an), auch weil Doro da mitsingt, die hat ja schon für Regina Halmich was gemacht. Ist da irgendwas angedacht in der Richtung?
Chris: Ganz gefährliches Thema… ich darf es nicht sagen… oh man… dünnes Eis. Es geht auch um Sport und lustigerweise war es wirklich so, dass jemand auf uns zugekommen ist aus einem sehr populären Bereich… ich will jetzt nicht zu viel sagen, aber das wird tatsächlich in Verbindung mit Sport stattfinden. Ich würde es jetzt wirklich gerne sagen, aber das darf noch nicht raus…
Wenn man ein bisschen drüber nachdenkt, kommt man doch drauf, für welches große Sportereignis, dass diese Jahr noch stattfindet, die Band ein Lied geschrieben hat, das von zwei Frauen gesungen wird...
"The Eye Collector" beruht ja auf einem Roman. Worum geht es da und was hat es insbesondere mit der Zahl 45 auf sich, die im Song ja mehrfach vorkommt?
Chris: Da muss man die Entstehungsgeschichte des Songs ein bisschen erzählen. Ji-In und ich lesen sehr viel, Frank und Kuschi auch, aber weniger Romane, sondern eher Sachbücher und so was. Wir lesen aber gerne Romane und ich habe dann irgendwann mal einen Autor zugerufen bekommen, den ich unbedingt mal lesen sollte, Sebastian Fitzek heißt der, er ist ein Berliner Autor und wird schon als neuer Dan Brown, als DER neue Thrillerautor weltweit gefeiert und ist auch schon auf den entsprechenden Bestsellerlisten. An uns oder an mir ist er aber bisher komplett vorbei gegangen. Mir hat dann halt jemand gesagt, dass ich den unbedingt lesen müsste. Ich hab dann eine gewisse Sucht entwickelt, weil ich dann jedes Buch lesen musste, unter anderem auch "Der Augensammler", was sein neuestes Buch ist. Ich hab dann gesagt "Ji-In, das musste mal lesen, ganz kranke Psyche, geht halt in die Abgründe der menschlichen Seele." Das war zufälligerweise zu dem Zeitpunkt, als wir noch mitten im kreativen Prozess für das neue Album waren, wir hatten schon das meiste aufgenommen und abgeschlossen, hatten aber Lust, noch an einer Nummer herumzubasteln. Und irgendwie hat die Nummer uns dazu inspiriert, die Geschichte eben von diesem "Eye Collector" aufzunehmen und ich hatte dann Kontakt zu dem Autor aufgenommen. Nicht in Erwartung, dass er sich mal meldet, aber da ist dann schon eine lose Freundschaft entstanden. Wir haben uns dann auch das Okay von ihm geholt, weil er wohl schon ein Problem gehabt hätte, wenn wir in den Song einfach nur sein Buch erzählt hätten.
Ji-In: Was wir aber nicht tun.
Chris: Genau. Wir versuchen, die Stimmung einzufangen, die das Buch in uns ausgelöst hat, als wir es gelesen haben. Und um auf die Zahl 45 zu kommen: das ist das bindendste Element zum Buch selber. Da geht es um einen Serienmörder, der die Frau umbringt, sich das Kind schnappt und dem Vater 45 Stunden Zeit gibt, das Kind zu finden.
Ji-In: 45 Stunden und 7 Minuten.
Chris: Nach 45 Stunden ist das Kind dann tot und der Augensammler entnimmt dem Kind dann ein Auge. Deswegen die 45, weil die über dem Buch hängt wie ein Damoklesschwert. Wir mussten das dann aufnehmen und haben damit ein bisschen rumgespielt.
Ji-In: Die Zeit ist ja schon irgendwie unfassbar, da ist ja das Problem, ob man es tut oder lässt, also nichts tut, sie verrinnt ja trotzdem, womit wir dann wieder bei der Vergänglichkeit wären.
Der Song ist der Auffälligste auf dem Album, die meisten anderen sind ja eher doch klassische KRYPTERIA-Nummern. Ist das jetzt eher ein Einzelfall oder vielleicht auch eine Option für die Zukunft, solche komplexeren Arrangements zu verwenden und ein bisschen weg von diesen Ohrwürmern, von diesen drei, vier Minuten-Songs zu gehen? Wollt ihr das noch ausbauen oder war das jetzt eher so ein Testballon?
Chris: Wir hatten das ja schon mal auf "Bloodangel’s Cry", die Nummer "Gates Of Retribution". Die war nur siebeneinhalb Minuten lang, aber ging schon ein bisschen in diese Richtung. Da gibt es ein Beispiel, das nicht aus dem Metal kommt. Mike Oldfield war ja in den 70er, 80er Jahren als Gitarrist sehr erfolgreich und der hatte mit seiner Plattenfirma einen Deal gemacht. Da gab es ja nur die Vinylplatten und er durfte eine Seite so machen, wie er wollte und die für die andere musste er Hits schreiben. Auf der einen Seite waren also die Singles und auf der anderen konnte er sich austoben. Und so sehe ich das auch ein bisschen. Natürlich leben wir in gewissen Songstrukturen, die wir auch gut finden, ist jetzt nicht so, dass wir uns gezwungen fühlen. Aber es gab halt immer auch diese Seite zu sagen "Komm, lass uns mal alle Konventionen von vier, fünf oder sechs Minuten weg schmeißen" oder auch weg zu gehen von einem bestimmten Tempo, das durchgehalten wird. Einfach ganz frei zu machen. Um ehrlich zu sein hatten wir die Nummer nur für uns gemacht und haben nicht erwartet, dass das großen Anklang findet. Umso mehr freut es einen, wenn man merkt, dass man einfach mal loslassen kann und die Leute es trotzdem gut finden. Die Nummer war wirklich nur für uns.
Für die Liveaufführung müsst ihr dann ja einen riesigen Flügel auf die Bühne stellen.
Ji-In: Absolut.
Chris: Ja ja, das ist etwas, das Ji-In jeden Tag von uns fordert: "Der Flügel muss dahin". Wir sagen dann nur "Klar, wenn du ihn schleppst, kannste ihn haben".
Die nächsten Fragen sind speziell an Sängerin Ji-In gerichtet. Gitarrist Chris hat in der Zwischenzeit noch ein paar Telefonate zu führen.
Deine Karriere hat in einer Castingshow bei RTL2 begonnen. Was sind deine Erinnerungen an die Zeit in dieser Show?
Das ist sehr durchwachsen. Ich würde ja behaupten, meine Karriere fing da nicht an, aber das ist natürlich das Offensichtliche, deswegen verstehe ich auch, dass viele Leute da ansetzen. Es war für mich eine kleine Station, insofern, als dass das nicht mein Ding war und ich das schnell gemerkt habe, da aber natürlich nicht so schnell raus kam. Letztendlich sehe ich es aber auch als sehr positiv an, weil ich das knallharte Musikbusiness kennen gelernt habe. Aber so was von hart, wie man da ganz schnell gefeiert wird und dann mal eben, wenn die Erwartungen nicht so erfüllt werden, mit Chartentry und so, ganz schnell wieder fallen gelassen wird. Von daher war das eine unglaubliche Lehre für mich, einmal, wie ich schon vorher befürchtet hatte, war das nichts für mich, aber vor allem das alles mit dem Popbusiness, das ist unbezahlbar, diese Erfahrungen, die ich da gemacht habe. Musikalisch hat mir das aber nichts gebracht.
Und was denkst du über die Casting Shows, die heute so im Fernsehen laufen?
Das Witzige ist, ich habe nicht eine Folge gesehen, nicht von einer Show, die da seit Jahren laufen. Ich weiß auch nicht, was von mir damals gezeigt wurde. Ich kann es nur sehr schwer ertragen, weil der Druck, der da auf einem lastet, schon enorm ist und ich kann mir das nicht ansehen, wie da andere durch… okay, man sucht sich das natürlich freiwillig aus, aber das muss ich mir nicht angucken. Aber ich denke, dass ich die Meinung, dass es da unterm Strich nicht um die Musik geht, gut vertreten kann. Man amüsiert sich in den ersten Runden über die Leute, die sich da blamieren, aber was dann aus den Leuten wird, die sich da wirklich bemühen und kämpfen… das ist doch echt nicht viel. Da geht es nur darum, die schnelle Mark zu machen mit irgendeiner Popularität, die man mit dem mächtigen Medium Fernsehen schafft, aber dann heißt es "du bist jetzt verbraucht, bitte der nächste". Das ist so.
Wie bist du dann an die Jungs hier gekommen?
Die hab ich tatsächlich 2004 kennen gelernt. Ich hatte hier einen Studiojob hier und dann unterhält man sich natürlich und tauscht sich aus. Da hing ich aber noch in den Verträgen von anderen Sachen, hab dann aber gemerkt "oh Mist, mit denen könntest du richtig gut arbeiten". Wir haben festgestellt, dass wir auf einer Wellenlänge liegen und auf das Gleiche stehen, nämlich auf wunderschöne Melodien, wir sind halt Melodienfreaks. Ich hatte eh schon immer während meines Klassikstudiums Probleme, ich wusste auch ziemlich schnell, dass ich keine klassische Sängerin werden würde, weil ich dafür doch ein bisschen zu wild drauf bin und immer so als der Zappelphilipp in meiner Gesangsklasse galt. Das war hier halt das Ideale für mich. Ich habe nun mal eine gewisse Gesangsästhetik, das ist mir auch wichtig und deswegen auch die Melodien, aber in einem kernigeren Gewand, als ich es im Studium erlebt habe.
Du bist nicht nur eine der talentiertesten Sängerinnen im Genre…
Danke schön.
… sondern auch eine der attraktivsten.
Hach, danke sehr.
Hast Du öfter mal mit Verehrern oder gar Stalkern zu tun oder lassen dich die Fans da in Ruhe?
Da kann ich ganz ehrlich sagen, dass wir super Fans haben. Die sind so verständnisvoll, auch wenn wir mal sagen "So, wir müssen jetzt gehen". Wir bemühen uns da ja auch und gehen nach jeder Show raus. Man bekommt natürlich nette Post, aber da ist kein Vollidiot bei, bisher kann ich das echt nicht sagen.
Und wie sieht das auf Festivals mit anderen Musikern aus? Ich könnte mir vorstellen, dass so ein paar schwedische Jungs wenn sie einen getrunken haben, schnell mal ihre guten Manieren vergessen…
Sagen wir mal so. Ich finds schön, wenn Jungs gut drauf sind. Klar gibt es natürlich auch Grenzen, aber auch da… ich hab eh das Gefühl, viele Jungs haben Angst vor mir. Ich weiß gar nicht warum. Mit den Frauen hab ich weniger Probleme, die kommen direkt offen auf einen zu und wir verstehen uns auf Anhieb und die Männer, meist auch die Männer von den Frauen, stehen dann eher so ein bisschen abseits und haben leichte Berührungsängste. Ich weiß nicht wie es wirklich ist, aber Probleme hab ich überhaupt nicht, ich komme überall zurecht und fühle mich sehr wohl.
Du bist nicht in Korea geboren.
Richtig.
Hast du denn noch Kontakte nach Korea?
Ja, klar. Meine gesamte Familie lebt da, ich habe eine sehr große Familie und wir stehen in regem Kontakt. Momentan grassiert da auch die Angst wegen Japan. Meine Verwandten sagen immer "Gut, dass du in Deutschland lebst, weil so wie du drauf bist, hättest du in Korea eh keinen Mann abbekommen". Deswegen ist das wohl genau richtig, dass ich hier bin.
Hast du Angst oder machst du dir Sorgen, wenn du von den Konflikten zwischen Nord- und Südkorea hörst? Das war vor ein paar Monaten ja schon recht kritisch.
Ich mache mir schon Sorgen, ja. Auch als wir in Korea waren und unsere Tour spielten, da hieß es dann auch – total verrückt und du denkst, das kann doch nicht wahr sein und ist ein blöder Witz – dass der liebe Herr Kim ganz gerne auch mal südkoreanische Künstler entführt. Das ist kein Witz, der lässt die dann schön für sich spielen und performen. Es hieß bei uns dann auch "Passt bloß auf, das kann euch auch blühen". Ist natürlich nicht passiert, aber ich glaube, der ist einfach höchst wahnsinnig und größenwahnsinnig und der muss weg. Auf jeden Fall mache ich mir Sorgen, weil der unberechenbar ist. In Korea im Alltag kannst du dich natürlich nicht immer damit beschäftigen, die Leute müssen auch damit umgehen lernen und ihr Leben weiterleben und natürlich machen die sich dann auch Sorgen, wenn etwas passiert, aber eben nicht jeden Tag. Wahrscheinlich mache ich mir da mehr Sorgen.
Sind Koreaner eigentlich ein musikalisch begabtes Volk? Viele Koreaner in Düsseldorf singen zum Beispiel im Chor, du bist ein Beispiel, es gibt eine amerikanische Band Clandestine, die haben eine Sängerin June Park, an der Folkwang-Hochschule in Essen sollen viele Koreaner sein und Koreaner machen ja liebend gerne Karaoke. Sind Koreaner also besonders musikalisch?
Wir Koreaner lieben die Musik, das kann ich auch für jedes einzelne Familienmitglied sagen. Man wächst, glaube ich, viel mehr als aktiver Musikant auf. Singen ist ein fester Bestandteil und in meiner Familie spielt auch jeder ein Instrument, das gehört schon fast zur Allgemeinbildung. Viele Koreaner haben auch einen Hang zu Melodien, vielleicht bin ich da auch pure Koreanerin. Klassik sei da noch erwähnt, sie lieben die europäische klassische Musik. Ich glaube, je früher man sich mit etwas beschäftigt, desto höher ist ja auch die Wahrscheinlichkeit, dass man gewisse Talente entwickelt und ich denke, für das koreanische Volk gilt das schon. Wenn du das so sehen möchtest, sind wir schon ein musikalisches Völkchen.
Wollt ihr auch noch mal ein Lied mit einem koreanischen Text machen? Es gab da ja den Song zur Fußball-WM 2006, der auch gut ankam, wäre das noch mal eine Option?
Ich würde sagen, auf jeden Fall. Klar, man muss immer gucken, ob das Gefühl dafür da ist, ob die Thematik da ist, wir sind ja schon ein bisschen gefühlsgesteuert, aber das ist keinesfalls ausgeschlossen.
Hast du hier in Deutschland denn noch Kontakt zu anderen Koreanern?
Sporadisch, muss ich gestehen. Ich war ja in der Kölner Musikhochschule und da sind auch sehr viele Koreaner, was sehr zu meinem Nachteil war, weil die megafleißig und diszipliniert sind und ich – hier geboren – kenne das ein bisschen anders und bin da ein bisschen lockerer. Von daher ergibt sich da manchmal noch was. Ich muss aber sagen, das hat wenig mit der Mentalität zu tun, ich muss nicht mit Koreanern zusammen sein, man versteht sich auf gewissen Ebenen vielleicht leichter, aber davon bin ich dann doch zu lange schon weg.
Letzte Frage zu dem Thema: wo kann man denn hier in der Gegend am besten koreanisch essen gehen?
Bei meiner Mama natürlich. Das ist wirklich so, wenn du die beste Köchin hast, warum soll man dann in ein Restaurant gehen? Wo ich letztens hin eingeladen wurde, ist das "Bulgogi-Haus" in Köln-Weidenpesch in der Nähe der Rennbahn. Da wird das Fleisch direkt auf dem Tisch auf einem Grill gebraten, das ist etwas, was man in Korea sehr gerne macht und laut meiner lieben Mitmenschen, die das gegessen haben – ich bin ja Vegetarierin – war es sehr, sehr gut.
Im zweiten Teil des Interviews nehmen Bassist Frank Stumvoll und Schlagzeuger S.C. "Kusch" Kuschnerus auf der weißen Couch Platz.
Kommen wir direkt mal zum Album. War die Aufgabenverteilung beim Songwriting dieses Mal anders als vorher? Wie seid ihr da dran gegangen?
Frank: Die Verfahrensweise war schon ein bisschen anders, was das Recording anging. Die kreative Arbeit leisten wir aber immer in einem relativ gleichen Anteil, da bringt jeder seine Sachen rein. Es wird da natürlich nicht vorher für jeden ein Viertel festgelegt, man schmeißt einfach alles zusammen, das wird dann von den anderen gefeedbackt und man diskutiert über Ideen und entwickelt die guten Sachen weiter. Die Verfahrensweise war dieses Mal deshalb anders, weil wir klassisch aufgenommen haben, das heißt, wir haben uns im Proberaum auf das Songwriting konzentriert und haben uns da die Sachen erarbeitet und haben dann aufgenommen und dann gemischt, da ist nichts in einem Rutsch entstanden. Das war jetzt anders, als bei den anderen Alben und hat uns am Ende ein bisschen schneller gemacht, deutlich schneller als vorher.
Habt ihr denn so was wie eine inoffizielle Aufgabenverteilung so nach dem Motto "der eine bringt die coolen Keyboardsounds, der nächste die geilen Melodien, der dritte ein starkes Riff" oder wird da einfach ganz viel Kreativität in einem Topf geworden, umgerührt und dann geguckt, wie es schmeckt?
Kusch: So ist es eigentlich. Erstaunlicherweise ist es bei uns nicht so, dass der Gitarrist die Gitarrenriffs macht und der Drummer die Drums und die Sängerin ist nur für den Gesang zuständig, da wäre Frank ja auch als Bassist ein bisschen außen vor. Es ist so, dass in der Tat Gitarrenriffs von jedem kommen, von jedem kommen Melodien, von jedem kommen Textideen, auch Grooves. Wenn jemand sagt, ich habe eine Idee, lass uns das mal so machen, dann wird das umgesetzt und unterm Strich ist nur entscheidend, dass es passt und dass sich alle einigermaßen darin wiederfinden. Das ist bei uns tatsächlich eher ungewöhnlich. Bei anderen Kollegen ist es ja oft so, dass ein, zwei Leute den kreativen Teil liefern oder dass einer die Riffs liefert und der Rest dann anfängt, darauf aufzubauen. Das ist bei uns nicht so und so war es bei uns eigentlich schon immer. Der größte Unterschied jetzt war hat wirklich, dass wir schneller waren, mehr auf die Tube gedrückt haben und wie Frank sagte, dass wir anders aufgenommen haben. Sonst war es immer so: Idee – aufnehmen – vormischen – hier ein bisschen rumfummeln, da was weg – da sind wir dieses Mal oldschooliger zu Werke gegangen.
Ihr habt das Album wieder selbst produziert. Gab es jemals die Überlegung, da jemand externes dran zu lassen oder ist das für euch gar kein Thema?
Kusch: So ist es, wir sagen da "Never mess with a runnig system". Wir kennen uns ja schon ja alle schon recht lange, die Jungs untereinander seit 20 Jahren und Ji-In auch schon acht oder neun Jahre und da hat sich auch so ein Vertrauensverhältnis gebildet, da wäre es schwer für einen externen, so reinzukommen ohne weiteres. Nicht, dass wir eine so verschlossene Truppe wären, aber wir haben da ein Prozedere für uns gefunden, das passt einfach. Deswegen sehe ich das erst mal nicht.
Frank: Wäre auf jeden Fall schwer. Da stimme ich dir vollkommen zu. Für jemanden von außen wäre es natürlich ganz, ganz schwer, das so umzusetzen, dass das halt so reibungslos abläuft, wie bei uns. Das ist schon KRYPTERIA, was da letztlich bei rauskommt und das ist das, was wir wollen, wir wollen wir selber sein und uns verwirklichen. Das wäre sicherlich mal ein interessanter Aspekt, wenn jetzt jemand ankäme und sagen würde, der und der Top-Produzent aus Amerika würde euch gerne produzieren und stellt sich das so und so vor, das würde man schon diskutieren. Das wäre eine interessante Idee, die sich uns aber bis nicht gestellt hat bis hierhin.
Kusch: Ich glaube das einzig interessante wäre daran der Witz für uns zu sehen, wie würde das anders klingen. Die Frage stellt sich aber wirklich nicht, weil dir keiner sagt, dass es besser wird, nur weil da ein großer Name drauf steht. Wir gehen jetzt mit diesem Album ran und sagen, so klingt es, wie wir uns das vorgestellt haben, warum was ändern?
Meine Frage zielt auf den einzigen Kritikpunkt, den ich am Album habe. Zuhause auf der Anlage klingt es geil und fett, im Auto klingt es geil und fett und auf dem iPod kratzt es ein bisschen in der etwas basslastigeren Rock-Einstellung, die ich immer an habe…
Frank: Es ist schon technisch an der Leistungsgrenze produziert, es gibt ja nur Digitalnull, was technisch machbar ist, es gibt keinen Headroom mehr bei digitalen Produktionen, deshalb versucht man natürlich maximal auszunutzen. Laut ist ja erst mal gut, das sieht man ja auch im Fernsehen, wenn man einen Werbespot sieht, der plötzlich drei, vier db leiser ist, findet man das nicht mehr so gut, wie den lauteren. Man reizt das natürlich aus und da kann es natürlich sein, dass manche Abhöranlagen überfordert sind. Ich habe das immer wieder mitbekommen, das perfekte Mittel gibt es nicht, entweder klingt es geil auf vielen Anlagen, aber dann gibt es auch Ausnahmen, wo man Abstriche machen muss, aber man muss schon gucken, dass es auf dem Gros der Anlagen gut klingt.
Kusch: Ich glaube der Punkt ist der, dass es ja auch eine bewusste Entscheidung war, das auszureizen. Wir haben gesagt, dass wir jetzt mal bis an die Grenze gehen müssen. Und eigentlich ist es so, dass der Chris da auch extrem gewissenhaft ist und das auf allen möglichen Geschichten testet. Ich vermute mal, dass er die Rock-Einstellung nicht drin hatte…
Das ist ja schon auch eine Diskussion in der Metal- und Musikszene, dass die Leute diese digitalen, lauten Sounds nerven und sie wieder mehr natürliche Produktionen bevorzugen. Macht ihr euch über so was Gedanken?
Kusch: Das beschäftigt uns schon, weil wir auch aus der alten Schule kommen. Deep Purple, Led Zeppelin, das ist ja alles auch nicht bis zum Anschlag rausgeballert. Das sind ja letztlich auch die Dinge, die bleibenden Wert haben. Oder Queen. Das ist ja eine enorm dynamische Angelegenheit. Speziell bei einem Song wie "The Eye Collector" ist es schon gefährlich, man muss da ein bisschen Spiel lassen. Aber ich glaube auch, dass von vielen Leute, die erst sagen "macht's doch mal nicht so eng", dann die Beschwerde kommt "irgendwie ballert's nicht so richtig". Rein philosophisch ist man sich einig, dass man sagt, dass dieses luftige, dieses dynamische schon toll wäre, aber es haben sich wohl auch die Hörgewohnheiten stark verändert.
Frank: In dem Musikbereich boxen wir ja auch mit einer gewissen Konkurrenz, was Loudness angeht, deshalb ja auch dieses Thema der Loudness Wars. Aber irgendwann ist das ausgeschöpft, da geht nichts mehr drüber. Wenn man jetzt eine Norah Jones-Produktion macht, wenn die so zusammen komprimiert wäre, dann würde man weglaufen, aber in unserem Fall ist es so, dass wir einfach laut sein müssen.
Ihr könnt es euch als Band wohl auch nicht erlauben, sechs Monate lang in einem rein analogen Studio aufzunehmen, weil es den Kostenrahmen komplett sprengen würde, oder?
Kusch: Es gibt da auf jeden Fall gewisse Gesetze, denen du unterworfen bist und das gehört einfach mit dazu. Aber ich weiß nicht, ob, wenn man denn die Ressourcen hätte, ob es wirklich so anders klänge.
Frank: Die Diskussion "analog oder digital" ist in den letzten Jahren natürlich sehr ausgereizt worden und natürlich gibt es für beides Vor- und Nachteile. Letztendlich ist aber auch das Medium, mit dem die Musik verbreitet wird, digital, sei es jetzt im Internet oder auf einer CD, da kann man zwar mit analoger Technik vorher schon ein bisschen was machen, aber unterm Strich ist diese Reinheit der einzige Unterschied, den das Digitale mit sich bringt. Für eine Produktion von Led Zeppelin war das egal, da wurde gespielt und weg und danke…
Da gibt es ja inzwischen wieder so einen Vinyl-Hype, aber da wird ja letztlich auch nur etwas digitales auf Vinyl gepresst, wo ist da der Unterschied zur CD?
Frank: Es gibt ja auch Leute, die kaufen sich einen Plattenspieler für 26.000 €, nur weil der diamantgewichtet ist oder so…
Kusch: Ich meine, wenn jemand das für sich anders empfindet und anders wahr nimmt, dann ist es ja gut, soll er so machen. Aber ich stimme dir da zu, wahrscheinlich kriegste nur noch das Knacken dazu, aber das ist es dann vermutlich auch schon. Aber auf der anderen Seite – die Verpackung ist natürlich schon geil, muss ich sagen.
Noch etwas technisches: wie entstehen denn eigentlich eure charakteristischen Chorarrangements? Ihr stellt ja wohl nicht 100 Leute dafür hier rein…
Kusch: Eigentlich nach dem Queen-Prinzip, also so, wie die es auch gemacht haben. Wir sitzen da, Frank, Ji-In und ich singen, Christoph nimmt es auf und dann gehen wir es durch. Welchen Chor brauchen wir, einen der es unterstützt oder einen, der gegenläufig ist? Dann bauen wir das so aufeinander auf. Das ist in der Tat ein relativ unorganischer Vorgang. Da wird eine Linie strukturiert oder komponiert, wie auch immer man es nennen will, dann geht es in die Gesangsbox, dann wird die ein vielfaches gesungen, dann kommt die nächste, eine Oktave höher. Das sind bei uns dann schon ein paar hundert Stimmen am Start.
Frank: Wir schränken uns da nicht ein.
Macht eine solche Arbeit denn überhaupt noch Spaß?
Frank: Das ist total irre, wenn du dann hörst was daraus entsteht.
Kusch: Das ist es eigentlich, dieses Singen ist kein Vergnügen in dem Sinne, vor allem nicht, wenn du dann Intervalle drin hast, wo du dich echt konzentrieren musst. Du bist dann mit den anderen beiden da drinnen und wenn einer einen Fehler macht, das ist schon kein Spaß. Und dann kommst du da raus und denkst "das, was wir da gesungen haben, das kann ja überhaupt nicht klingen" und dann hörst du dir das nackig an, also die Band wird gemutet, das ist dann schon geil, insofern ist es diese Vorfreude, die einen da antreibt.
Ich habe jetzt noch ein paar Fragen zu den Songs übrig gelassen. Wer ist denn der Lügner, der sich als Messias ausgibt?
Kusch: Jetzt wird es gefährlich… das können wir nicht aufklären. Ich versuche es mal anders herum. Wir versuchen, unsere Texte so zu machen, dass sie tief aus unserem Inneren kommen, dass sie genau wiederspiegeln, was wir erlebt haben. Wir versuchen es aber so zu formulieren, dass sich da jeder wiederfindet und das adaptieren kann. In dem Fall wäre es wirklich extrem speziell zu sagen, an welche Person wir da gedacht haben, aber es ist schon sehr bewusst – man hört ja auch die Wut in Ji-Ins Stimme – da hat uns schon jemand auf die Füße getreten und an den ist das gerichtet. Ob das jetzt – wink, wink – jemand aus der Musikbranche ist oder ob wir da von einem Politiker sprechen… jeder, der sich anmaßt zu sagen, ich weiß wie es geht, aber es dann doch nicht weiß, an diese Leute ist das gerichtet.
"Thanks For Nothing" geht in die gleiche Richtung, oder?
Kusch: Scheiße, ja. (Gelächter)
Im Promozettel steht ja auch was von euren negativen Erlebnissen im Musikgeschäft. Was war das denn konkret, ohne jetzt Namen zu nennen. Seid ihr finanziell über den Tisch gezogen worden, wollte man euch zuviel reinreden?
Frank: Das ist uns alles schon passiert…
Kusch: Wo sollen wir da anfangen?
Was waren denn die einschneidenden Erlebnisse, die dazu geführt haben, dass ihr gesagt habt, wir machen es jetzt auf unsere Tour?
Frank: Das ist die Konsequenz, dass wir jetzt in dieser Situation gelandet sind, mit eigenem Label. Wir haben uns die Möglichkeit geschaffen, zu agieren, um genau diese Sachen nicht mehr zu erleben. Wenn du von anderen Leuten abhängig bist, egal was du tust, dann hast du immer eine Schwachstelle, die du selber nicht kontrollieren kannst. Das gehört zum Leben, zum Erfahrungen sammeln und dem, was das Leben aus dir macht, dazu. Dadurch, dass wir uns aber so blind verstehen, haben wir da letzten Endes jetzt keine Schwachstelle mehr.
Kusch: Da gab es keinen speziellen Punkte, wegen denen wir gesagt haben, dass es jetzt passieren muss. Es war eher die Summe der Erfahrungen und der Schienenbeintritte, die wir über die letzten sechs Jahre erfahren haben, das gipfelte dann darin. Und zu deiner Frage, was dann speziell in den letzten zwei Jahren passiert ist: Vertrauensbruch, Lügen, Beschiss, unprofessionelles Verhalten, wieder Versprechen nicht gehalten. Möglicherweise ist es auch so, dass diese Dinge gar nicht so dramatisch sind und jemand von außen, der das alles aufdröselt, würde vielleicht sagen "ihr seid aber ganz schöne Weicheier, was regt ihr euch denn so auf". Aber dadurch, dass wir so viel erlebt haben, war es letztlich doch zu viel, wurde der Schneeball einfach zu groß.
Ihr hab aber jetzt schon einiges mehr an Arbeit, oder?
Kusch: Das kannste aber sagen.
Frank: So eine Bürokraft wäre nicht schlecht.
Kusch: Das schönste daran ist aber, dass wir jetzt hier mit dir sitzen und quatschen. Wir sitzen jetzt hier entspannt und reden mal über Musik. Ansonsten ist es auch extrem viel technische Scheiße, womit man normalerweise nicht konfrontiert war.
Frank: Es ist Fluch und Segen. Es gibt viele Sache, die sehr dröge sind, die aber abgearbeitet werden müssen, aber ich stelle auch fest, und ich glaube, da spreche ich auch für die anderen, dass wir uns im Moment total wohl fühlen, weil wir uns nur auf die guten Sachen konzentrieren und viele Sachen, die vorher schief gelaufen sind, über die man sich geärgert hat, passieren jetzt erst gar nicht mehr, weil man sie selber in der Hand hat. Wir haben da so viel erlebt, wo wir in Interviews saßen und der Gegenüber hatte eine andere Band erwartet, nicht uns, eine andere bekannte Band. Das waren so viele Kleinigkeiten, in denen man auch Energie verliert und in denen du dich aufreibst. Der Fokus liegt jetzt richtig und deshalb sind wir auch entspannter, auch wenn wir viel mit Bürokratie zu tun haben. Aber wir können uns viel mehr auf das Wesentliche konzentrieren, auf das, was wir gerne machen.
Kusch: Es ist schon viel Drecksarbeit, die man wegschaufelt, aber es ist in der Tat so, der
Unterschied… da haben wir noch letzte Woche drüber gesprochen: beim letzten Mal waren wir vor dem Release super angespannt und super scheiße drauf, weil so viel schief gelaufen ist und dieses Mal ist es so eklatant anders, obwohl wir mehr Arbeit haben ist es aber so, dass man das Gefühlt hat, dass man mehr bewegen kann. Allein schon deshalb fühlt sich dieses Album so viel positiver an.
Noch etwas zu einem anderen Song, "Live To Fight Another Day". Ist das Leben wirklich ein täglicher Kampf und was sind die Hauptschlachtfelder?
Frank: Jede Metapher, die da im Kopf entsteht, ist ja eine andere. Nimm nur das Beispiel "Vogel". Da denkst du vielleicht an einen Papagei, ich an einen Spatz und Kuschi an einen Wellensittich. Da hat jeder seinen eigenen Kampf.
Kusch: Der Song wird ja eigentlich als Liebeslied interpretiert, aber das, was man da sucht, muss ja nicht unbedingt eine Person sein. Die Metapher bezieht sich dann mehr auf uns als Band, wo wir eigentlich hinwollen, dass wir unser Ziel noch nicht erreicht haben. Das "Live To Fight Another Day" bedeutet ja eigentlich, dass ich diesen Kampf nicht gewonnen habe, aber ich komme morgen wieder und dann gewinne ich die Schlacht, das ist so die Story dahinter. Klappt nicht alles so, wie man will, aber wir geben nicht auf, bis wir da sind. Das ist ein bisschen so das Credo, das darin versteckt ist.
Der Refrain von "(How Can Something So Good) Hurt So Bad" ist beim ersten Hören doch sehr cheesy und später merkt man dann, dass der gut zu einem Musical passen würde. War das auch die Intention bei diesem Refrain?
Kusch: Intention eigentlich nicht, aber möglicherweise eine natürliche Entwicklung, weil wir ja alle so einen Musical-Hintergrund haben, man muss ja auch seine Brötchen irgendwie verdienen. Das ist Bestandteil unserer Vergangenheit, unserer Einschlüsse und das bricht ab und zu mal durch. Genauso bei "The Eye Collector", wo wir zweieinhalb Minuten lang Ji-In allein mit einem Flügel haben oder auch bei langen Chorpassagen.
Frank: Stell Dir diese Nummer mal live allein mit Ji-In am Flügel vor, ohne Band. Da biste schon da. Da stehen die Leute dann mit offenem Mund da.
Kusch: Wir haben jetzt schon ein bisschen viel Sahne drauf gemacht...
Zu eurem Musical-Hintergrund: bei welchen Musicals wart ihr dabei?
Kusch: Wir drei Jungs haben bei Gaudí hinter den Kulissen mitgewirkt. Ji-Ins Musicals kann ich dir jetzt gar nicht sagen, die hat glaub ich eine Tonne gemacht. Ich habe das Tabaluga-Musical von Peter Maffay in Oberhausen gesungen und die Anschlussproduktion "Falco Meets Amadeus" auch. Aber bei den Musicals ist ja nicht so das Kreative entscheidend, sondern eher das Umsetzen, aber wenn man jeden Tag damit konfrontiert wird, färbt das auch ab und da kommen dann möglicherweise auch solche Melodien raus.
Was sind eure persönlichen Lieblingssongs auf dem neuen Album?
Frank: Ich finde "You Killed Me" sehr geil, zu der Nummer wird es auch eine weitere Geschichte geben, aber das kommt erst später. Das ist eine Nummer, die viel Energie hat und bei der ich mir auch vorstellen kann, dass das auch live richtig geil wird, auch wenn es schwer umzusetzen ist mit den Chören, weil die alle so aufgesetzt sind.
Kusch: Schwer zu sagen. Das ist schon blöd, weil man ja auch immer sagt, dass man alle Kinder gleich lieb hat. Live spielen möchte ich sie eigentlich alle. Natürlich gefallen mir aber auch nicht alle zwölf Songs gleich gut, man hat da immer so eine Favoriten. Was mir persönlich super gut gefällt, ist "The Eye Collector", da sind wir auch alle sehr stolz drauf. Und ich finde super, wie Ji-In bei "As I Slowly Bleed" singt, das ist sehr leidenschaftlich.
Letzte Frage: Welche Musik hört ihr privat?
Frank: Ich stehe auf sehr breit gefächerte Geschichten, was ich total geil finde, ist Kiss, weil ich die seit Urzeiten höre und auch Metallica, bis zur "... And Justice For All" war ich vollkommen geflasht und hab mir damals auch das "Ride The Lightning"-Album gekauft. Als ich das dann aufgelegt habe, dachte ich nur "Wow! Was ist denn hier los?" Accept fand ich damals geil, höre ich aber heute nicht mehr.
Kusch: Das ist dir ja auch zu hart...
Frank: Als ich die "Metal Heart" damals aufgelegt habe, war ich völlig begeistert. Dio ist auch ein Alltime-Fave, wobei ich ihn als Sänger nicht so gut fand, aber die Mucke war halt richtig mega. Obwohl er natürlich ein geiler Sänger ist, aber das ist ja auch wieder Geschmackssache.
Kusch: Da muss ich ganz klar Queen nennen, nicht nur musikalisch, sondern ich fand auch die Position des Drummers immer sehr interessant, wie er es verkauft hat, aber auch, dass er selber geschrieben und gesungen hat. Led Zeppelin, Deep Purple, so die alten Schinken, wobei ich sagen muss, dass ich mit Led Zeppelin gar nicht groß geworden bin. Das hat sich mir erst später eröffnet. An aktuellen Sachen finde ich System Of A Down super, da bin ich gespannt, was da so geht, wenn die jetzt wieder kommen. Wolfmother, wobei wir da fast schon wieder bei Led Zeppelin sind. Auch die ersten Metallica, nach der "Master Of Puppets" haben sich mich aber ein bisschen verloren.
Frank: Mit der "Justice" haben sie bei mir stark verloren, danach fand ich sie wieder okay.
Kusch: Und Queensrÿche. Die "Operation: Mindcrime" ist natürlich unstrittig, aber ich fand auch die "Rage For Order" davor tierisch, weil die ein bisschen anders war. Und bei härteren Sachen Arch Enemy...
Da habe ich nächste Woche ein Interview.
Frank: Mit wem?
Mit dem Drummer Daniel.
Frank: Ah, okay, bestell ihm mal viele Grüße.
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