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Interview mit Kummerbuben (15.06.2010)
Anneli lebt hier nicht mehr...
Mit „Schattehang“ ist gerade das zweite Album der Schweizer KUMMERBUBEN erschienen. Volksiedgut. Auf Schwyzerdytsch. Wer jetzt denkt, dass sei etwas für „Gute Laune TV“, der irrt. Nicht, dass die KUMMERBUBEN keine gute Laune verbreiten. Verdammt viel sogar. Aber was sie den Liedern zwischen Liebe und Krieg entlocken, hat es in sich. Beklemmend, befreiend, sowohl von archaischer Wucht, wie mit verschiedenen musikalischen Stilen spielend, als wäre es das leichteste der Welt. Wo genau sie sich wohlfühlen, warum Volksmusik faszinierend ist und warum man sich ein Konzert der KUMMERBUBEN nicht entgehen lassen sollte, verrät die Band im Interview.
Welche Rolle spielt für euch der Film „Die 6 Kummerbuben“ aus dem Jahr 1968?
Keine. Wir kannten den Film nicht, bevor wir uns Kummerbuben genannt haben. Das Wort kommt aus der Umgangssprache und wird in der Schweiz immer dann bemüht, wenn zum Beispiel die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft mal wieder gegen Luxemburg unentschieden spielt. Der Film ist ein ziemlich langfädiger Streifen, der das Bauernleben verklärt. Aber es kommen die armen Teufel von den schattigen Hängen vor, das Personal also, dass auch immer wieder in unseren Liedern auftaucht.
Ich mag euren Dialekt sehr, finde, dass er ausgezeichnet zu eurer Musik passt. Trotzdem habe ich leichte Schwierigkeiten beim Textverständnis. Habt ihr keine Angst, dass Sprachbarrieren einem größeren Erfolg im Weg stehen?
Diese Angst haben wir gehabt. Und dann haben wir ein paar Konzerte in Deutschland gespielt und gemerkt: Hey, das ist gar nicht so wichtig. Die Leute fangen hier und dort paar Fetzen auf, vor den Liedern erzähl ich manchmal um was es geht und der Rest erledigt die Musik. Irgendeine Balkan-Band kann ja auch unterhaltsam sein, obwohl man kein Wort versteht.
Glücklicherweise stehen die Texte im Booklet – wenn auch ohne hochdeutsche Übersetzung, so doch mit ausführlichen Liner Notes abgedruckt. Ein feiner Zug! Wie die Ausstattung eures Albums insgesamt klasse ist. Bringt euch das nicht an den Rand des finanziellen Ruins?
Natürlich könnten wir es uns einfacher und billiger machen. Aber wenn die Leute noch CDs kaufen sollen, dann muss man doch auch was bieten, was man im Netz nicht mitbekäme. Zudem haben die Lieder oft auch interessante Geschichten. Oft versteht man sie besser, wenn man die Hintergründe kennt.
Zu eurer Musik. Ich habe in meiner Rezension Verweise auf Sixteen Horsepower, Tom Waits und Stephan Eicher (lässt sich wohl kaum vermeiden, schätze ich) gebracht. Wo würdet ihr euch positionieren?
Zwischen diesen Drei fühlen wir uns ziemlich wohl.
Wie kommt man von Rap, Funk, klassischer Musik und einer Ausbildung am „Drummers Collective, New York“ zum Schweizer Volksliedgut?
Viele Leute unserer Generation haben ein Vakuum in sich, was unser kulturelles Erbe angeht. Das hat natürlich damit zu tun, dass Traditionelles politisch belastet war, nach Patriotismus und Samstigs-Jass (eine Jass-Sendung im Schweizer Fernsehen) müffelte. Irgendeinmal haben wir uns gefragt, warum gibt es griechischen Blues aus den 20er-Jahren, der von Drogen und Sex handelt, warum gibt es Lieder der italienischen Mafia, warum gibt es dieses riesige Reservoir an amerikanischen Folk-Songs, die uns gefallen haben – aber warum gibt es das alles in der Schweiz nicht. Und da haben wir zu suchen begonnen, in Archiven, Bibliotheken. Und plötzlich haben wir entdeckt, dass es da ein Musikerbe gibt, dass uns alle anzieht. Ein viel dunkleres, archaisches, frecheres, als wir gedacht haben. Zumindest, was die Text angeht. Weil’s bei der Musik oft sehr volkstümlich zu und her geht, haben wir die Texte meist gleich neu vertont.
Ihr interpretiert volkstümliche Dichtungen ziemlich düster; lasst das sprechen, was nicht explizit gesagt wird. Woher stammt bspw. die Intention einen Satz wie „Hinderem Huus im Gärtli“ bedrohlich wirken zu lassen? Und das mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es nie anders gemeint gewesen? Ich habe in letzter Zeit kaum faszinierenderes gehört als „Anneli...“. Nicht nur von seiner Herkunft her ein kommender Klassiker.
Da muss man eigentlich gar nicht viel machen. Man setzt unter einen oberflächlich harmlosen Text eine düstere Melodie und plötzlich zeigt der Text seinen wahren Charakter. Das ist ja oft das Problem an volkstümlichen Liedern. Oft haben sie zwar eindrückliche Texte, aber diese ergreifen einen nicht, weil die Musik zu duddelig daherkommt, um einzufahren. Das versuchen wir mit unserer Methode zu ändern: Wir machen die Lieder zeitgenössisch – um sie letztlich vor dem Vergessen zu retten.
Was ist ein „Stomperli“?
Es ist das selbe wie ein «Gsätzli», ein Liedchen, mit dem sich junge Menschen im geschlechtsreifen Alter zu necken versuchten.
Zwischen Andermatt, Anneli, Krieg und Liebeslügen ein toter Hahn. Wie passt der ins Konzept?
Ein ziemlich abgedrehtes Lied, nahe am Wahnsinn, das in ganz Europa verbreitet ist. Damit wollten wir auch unterstreichen, dass es eigentlich kein nationales Liedgut gibt. Lieder, die heute als Schweizer Volkslieder gelten, stammen eigentlich aus Deutschland oder Frankreich. Das lässt sich gar nicht mehr zurückverfolgen. Die Volksmusik ist viel multikultureller, als gewisse Kreise es gerne hätten.
Wie hat sich „Schattehang“ im Vergleich zum Debüt weiter entwickelt oder gar verändert?
Wir sind besser geworden. In Bezug aus alles. Aber etwas weniger unschuldig.
„Trunkene Schweizer Folkrockmusik“ stand im Einleitungstext zu einem Artikel über euch zu lesen. Würdet ihr das unterschreiben?
Wir unterschreiben so ziemlich alles, was nett gemeint ist. Ich scheitere selber immer wieder am Versuch, uns einzuordnen.
„Live ein Ereignis!“ behauptete dieser Bericht ebenfalls. Wann und wo nachzuvollziehen?
Na, am besten live. Diesen Herbst auch in Deutschland! Es wurde übrigens schon walghalsigeres behauptet: Die beste Live-Band der Schweiz...
Ein kleiner, kurzer Katalog der Fragen, die ein Arte-Redakteur morgens um drei stellen würde, mit der Bitte um assoziative Antworten:
Schwyzerdütsch oder Esperanto?
Schwyzerdütsch.
Das Akkordeon und seine Bedeutung für euch?
Ein logistisches Problem und ein verrufenes Instrument, das einen besseren Ruf verdient hätte.
Annelis Adresse?
Leider tot.
Die liebliche Schweiz und das böse Thema Krieg?
Gemessen an den Meinungen gewisser Schweizer Parteien könnte man meinen, wir steckten noch immer darin.
Wenn „Schattehang“ ein Buch wäre, welches würde es sein?
Quatemberkinder, Tim Krohn.
Um zur Anfangsfrage zurück zu kehren, und die vorangegangene weiterzuführen – welcher Film?
Pretty Woman eher nicht. Assoziativ kommt mir da grad nichts in den Sinn.
Vielen Dank für das freundliche Interview!
Jochen König
(Info)
Mit „Schattehang“ ist gerade das zweite Album der Schweizer KUMMERBUBEN erschienen. Volksiedgut. Auf Schwyzerdytsch. Wer jetzt denkt, dass sei etwas für „Gute Laune TV“, der irrt. Nicht, dass die KUMMERBUBEN keine gute Laune verbreiten. Verdammt viel sogar. Aber was sie den Liedern zwischen Liebe und Krieg entlocken, hat es in sich. Beklemmend, befreiend, sowohl von archaischer Wucht, wie mit verschiedenen musikalischen Stilen spielend, als wäre es das leichteste der Welt. Wo genau sie sich wohlfühlen, warum Volksmusik faszinierend ist und warum man sich ein Konzert der KUMMERBUBEN nicht entgehen lassen sollte, verrät die Band im Interview.
Welche Rolle spielt für euch der Film „Die 6 Kummerbuben“ aus dem Jahr 1968?
Keine. Wir kannten den Film nicht, bevor wir uns Kummerbuben genannt haben. Das Wort kommt aus der Umgangssprache und wird in der Schweiz immer dann bemüht, wenn zum Beispiel die Schweizer Fußball-Nationalmannschaft mal wieder gegen Luxemburg unentschieden spielt. Der Film ist ein ziemlich langfädiger Streifen, der das Bauernleben verklärt. Aber es kommen die armen Teufel von den schattigen Hängen vor, das Personal also, dass auch immer wieder in unseren Liedern auftaucht.
Ich mag euren Dialekt sehr, finde, dass er ausgezeichnet zu eurer Musik passt. Trotzdem habe ich leichte Schwierigkeiten beim Textverständnis. Habt ihr keine Angst, dass Sprachbarrieren einem größeren Erfolg im Weg stehen?
Diese Angst haben wir gehabt. Und dann haben wir ein paar Konzerte in Deutschland gespielt und gemerkt: Hey, das ist gar nicht so wichtig. Die Leute fangen hier und dort paar Fetzen auf, vor den Liedern erzähl ich manchmal um was es geht und der Rest erledigt die Musik. Irgendeine Balkan-Band kann ja auch unterhaltsam sein, obwohl man kein Wort versteht.
Glücklicherweise stehen die Texte im Booklet – wenn auch ohne hochdeutsche Übersetzung, so doch mit ausführlichen Liner Notes abgedruckt. Ein feiner Zug! Wie die Ausstattung eures Albums insgesamt klasse ist. Bringt euch das nicht an den Rand des finanziellen Ruins?
Natürlich könnten wir es uns einfacher und billiger machen. Aber wenn die Leute noch CDs kaufen sollen, dann muss man doch auch was bieten, was man im Netz nicht mitbekäme. Zudem haben die Lieder oft auch interessante Geschichten. Oft versteht man sie besser, wenn man die Hintergründe kennt.
Zu eurer Musik. Ich habe in meiner Rezension Verweise auf Sixteen Horsepower, Tom Waits und Stephan Eicher (lässt sich wohl kaum vermeiden, schätze ich) gebracht. Wo würdet ihr euch positionieren?
Zwischen diesen Drei fühlen wir uns ziemlich wohl.
Wie kommt man von Rap, Funk, klassischer Musik und einer Ausbildung am „Drummers Collective, New York“ zum Schweizer Volksliedgut?
Viele Leute unserer Generation haben ein Vakuum in sich, was unser kulturelles Erbe angeht. Das hat natürlich damit zu tun, dass Traditionelles politisch belastet war, nach Patriotismus und Samstigs-Jass (eine Jass-Sendung im Schweizer Fernsehen) müffelte. Irgendeinmal haben wir uns gefragt, warum gibt es griechischen Blues aus den 20er-Jahren, der von Drogen und Sex handelt, warum gibt es Lieder der italienischen Mafia, warum gibt es dieses riesige Reservoir an amerikanischen Folk-Songs, die uns gefallen haben – aber warum gibt es das alles in der Schweiz nicht. Und da haben wir zu suchen begonnen, in Archiven, Bibliotheken. Und plötzlich haben wir entdeckt, dass es da ein Musikerbe gibt, dass uns alle anzieht. Ein viel dunkleres, archaisches, frecheres, als wir gedacht haben. Zumindest, was die Text angeht. Weil’s bei der Musik oft sehr volkstümlich zu und her geht, haben wir die Texte meist gleich neu vertont.
Ihr interpretiert volkstümliche Dichtungen ziemlich düster; lasst das sprechen, was nicht explizit gesagt wird. Woher stammt bspw. die Intention einen Satz wie „Hinderem Huus im Gärtli“ bedrohlich wirken zu lassen? Und das mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es nie anders gemeint gewesen? Ich habe in letzter Zeit kaum faszinierenderes gehört als „Anneli...“. Nicht nur von seiner Herkunft her ein kommender Klassiker.
Da muss man eigentlich gar nicht viel machen. Man setzt unter einen oberflächlich harmlosen Text eine düstere Melodie und plötzlich zeigt der Text seinen wahren Charakter. Das ist ja oft das Problem an volkstümlichen Liedern. Oft haben sie zwar eindrückliche Texte, aber diese ergreifen einen nicht, weil die Musik zu duddelig daherkommt, um einzufahren. Das versuchen wir mit unserer Methode zu ändern: Wir machen die Lieder zeitgenössisch – um sie letztlich vor dem Vergessen zu retten.
Was ist ein „Stomperli“?
Es ist das selbe wie ein «Gsätzli», ein Liedchen, mit dem sich junge Menschen im geschlechtsreifen Alter zu necken versuchten.
Zwischen Andermatt, Anneli, Krieg und Liebeslügen ein toter Hahn. Wie passt der ins Konzept?
Ein ziemlich abgedrehtes Lied, nahe am Wahnsinn, das in ganz Europa verbreitet ist. Damit wollten wir auch unterstreichen, dass es eigentlich kein nationales Liedgut gibt. Lieder, die heute als Schweizer Volkslieder gelten, stammen eigentlich aus Deutschland oder Frankreich. Das lässt sich gar nicht mehr zurückverfolgen. Die Volksmusik ist viel multikultureller, als gewisse Kreise es gerne hätten.
Wie hat sich „Schattehang“ im Vergleich zum Debüt weiter entwickelt oder gar verändert?
Wir sind besser geworden. In Bezug aus alles. Aber etwas weniger unschuldig.
„Trunkene Schweizer Folkrockmusik“ stand im Einleitungstext zu einem Artikel über euch zu lesen. Würdet ihr das unterschreiben?
Wir unterschreiben so ziemlich alles, was nett gemeint ist. Ich scheitere selber immer wieder am Versuch, uns einzuordnen.
„Live ein Ereignis!“ behauptete dieser Bericht ebenfalls. Wann und wo nachzuvollziehen?
Na, am besten live. Diesen Herbst auch in Deutschland! Es wurde übrigens schon walghalsigeres behauptet: Die beste Live-Band der Schweiz...
Ein kleiner, kurzer Katalog der Fragen, die ein Arte-Redakteur morgens um drei stellen würde, mit der Bitte um assoziative Antworten:
Schwyzerdütsch oder Esperanto?
Schwyzerdütsch.
Das Akkordeon und seine Bedeutung für euch?
Ein logistisches Problem und ein verrufenes Instrument, das einen besseren Ruf verdient hätte.
Annelis Adresse?
Leider tot.
Die liebliche Schweiz und das böse Thema Krieg?
Gemessen an den Meinungen gewisser Schweizer Parteien könnte man meinen, wir steckten noch immer darin.
Wenn „Schattehang“ ein Buch wäre, welches würde es sein?
Quatemberkinder, Tim Krohn.
Um zur Anfangsfrage zurück zu kehren, und die vorangegangene weiterzuführen – welcher Film?
Pretty Woman eher nicht. Assoziativ kommt mir da grad nichts in den Sinn.
Vielen Dank für das freundliche Interview!