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Interview mit Steorrah (26.04.2015)

Steorrah

Es wird sie wahrscheinlich immer geben: Bands, die im Underground weitgehend unbemerkt an sehr persönlicher, eigenwillig betörender Musik feilen, ohne dass davon im weiten Rund viel Notiz genommen würde. STEORRAH gehören zweifelsohne zu den bemerkenswertesten deutschen Vertretern des atmosphärischen Death / Doom Metal, allerdings abseits der zeitgenössischen Okkult-Variationen. So kommt es, dass nun mit „Thin White Paint“ ein ungeheuer vielschichtiges zweites Album vorliegt, welches mit toller Melodieführung, hörbarem Enthusiasmus und liebevollen Details zu faszinieren vermag – und für Fans von Opeth, October Tide, Sadist, A Forest Of Stars, Dark Suns ganz sicher eine Entdeckung wert ist. Andreas (Gesang & Gitarre), Christian (Schlagzeug & Piano) sowie Nicolao (Gitarre, Gesang & Mellotron) erklären im Folgenden, warum das neue Album so lange auf sich warten ließ...

Bereits andernorts war zu vernehmen, dass sich STEORRAH selbst im Weg stehen, weil Ihr Euch viel zu viel Zeit seit „An Eroticism In Murder“ genommen habt, anstatt kurz danach den nächsten Kracher rauszuhauen. Ich nehme an, dass Ihr Euch diesen Vorwurf zu Herzen und bereits Eure Jobs an den Nagel gehangen, die Familienkassen geplündert, Frauen und etwaige Kinder auf die Straße gesetzt und das dritte Album bald fertig aufgenommen habt...

Andreas: Ja, die Kleinen haben ganz schön geweint, als ich sie an die Wissenschaft verkauft habe, aber was tut man nicht alles für die Kunst... Ne, mal im Ernst, nach dem Release von „An Eroticism In Murder“ waren fast alle vom uns am Ende des Studiums, wo Examen und Magisterarbeiten erst mal wichtiger sind. Als es dann ans Songwriting für neue Stücke ging, haben wir uns entschieden, parallel die Crowdfunding-Kampagne zu machen, die auch sehr langfristig angelegt war. Davor hätten wir mangels Budget gar nicht aufnehmen können und als wir dann mit den Aufnahmen halbfertig waren, musste ich ein knappes halbes Jahr aussetzen, weil ich aufgrund eines schweren Krankheitsfalles in der Familie erst mal zuhause gebraucht wurde. Das ließ auch keine Zeit, nebenher ein wenig weiterzuarbeiten, was glaube ich niemanden so sehr frustriert hat wie mich selbst. Wenn dann manche Schreiber ernsthaft meinen. so was wäre egal und, wie bei anderen Reviews, aus den gut vier Jahren zwischen den Alben mal eben fünf oder sechs machen, dann denk ich mir eigentlich nur dass die vielleicht mal ihren Job tun sollten und ein klein wenig recherchieren oder mal mit der Band reden sollten. Umso angenehmer ist es, wenn man merkt dass es auch welche gibt die das tun, anwesende ausdrücklich eingeschlossen.

Nicolao: Haha, ja, wie Andreas schon gesagt hat, die Kinder mussten wir im Namen der Kunst dann doch versetzen und zum Teil einschmelzen lassen. Ich denke, dass wir mit dem Schwung des Albums nun wieder etwas mehr „Drive“ in die Kiste bekommen haben. Wir haben mittlerweile einen Arbeitsprozess entwickelt, der es uns erlaubt, trotz der recht großen Entfernung unserer jeweiligen Standorte, ein schnelleres und effektiveres Songwriting zu gestalten. Der Nachfolger zu ‚Thin White Paint‘ wird vermutlich nicht so lange auf sich warten lassen. Und wie schon erwähnt, der rein kreative Prozess an sich hat ja auch nicht so viel Zeit geschluckt, viele externe Dinge haben uns aufgehalten.

Wie bereits in der Rezension vermerkt, gefällt mir Euer Mittelweg zwischen verspielt-vertrackten und gleichzeitig den Hörer einladenden Kompositionen sehr: „Thin White Paint“ lädt zum Genießen ein, ohne dass Ihr angeberisch mit Euren seit 2010 deutlich gewachsenen Fähigkeiten protzt. Steht für Euch immer noch der Spaß an der Freude im Vordergrund?

Andreas: Also, mir persönlich ist es am wichtigsten dass ich die Dinge ausdrücken kann die ich ausdrücken will. Wenn das klappt, kommt der Spaß daran auch von selbst. Aber natürlich ist auch ein anderer Anspruch dahinter als beim Debutalbum, wo wir einfach mal sehen wollten, was mit der Band per se geht. Da will man natürlich mit dem Folgealbum noch einen drauf setzen.

Wieviel Zeit hattet Ihr im Studio zur Verfügung und wie sehr hat Euch dieser Rahmen bei den Aufnahmen motiviert oder unter Druck gesetzt?

Andreas: Angenehmerweise hatten wir recht viel Zeit, da wir mit Michael Haas, dem Studiobesitzer, sehr gut zusammen arbeiten und einen Teil der Arbeit im Postediting auch selbst von zuhause aus übernehmen konnten. Der kreative Freiraum, den man dadurch hat, war einfach nötig. Einfach nur ins Studio gehen und bereits Beherrschtes einzunageln, empfände ich als sehr langweilig.

Christian: Ich hatte mir für das Einspielen der Drums ein ganzes Wochenende als Zielzeitraum gesetzt. Einige Arrangements der Songs standen bis zum Studiotermin nicht fest. Ich wollte mir genug Freiraum lassen, um gegebenenfalls Sachen noch umschreiben zu können. Überraschenderweise waren Andreas und ich recht schnell durch, so dass wir noch mehr als ausreichend Zeit für die Nachbearbeitung hatten, was sich sehr positiv im Endergebnis ausgewirkt hat.

Nicolao: Die Zeit, die ich tatsächlich im Big Easy Studio verbracht habe, hielt sich bei dieser Produktion noch relativ in Grenzen. Die Bass- und Gitarren-Aufnahmen haben wir ja in meinem Homestudio eingespielt, und erst nach den Aufnahmen durch meinen ENGL gejagt und traditionell mit Mikrofonen aufgezeichnet. Unter Druck stand ich so eigentlich nie.
Allerdings habe ich Andreas bei den meisten Gesangsaufnahmen unterstützt, die wir teilweise zu zweit in nächtlichen Sessions abgerockt haben. Dabei haben wir noch ein paar coole Ideen entwickelt, die vorher glaube ich gar nicht angedacht waren. Mit einem größeren Budget könnte man sich natürlich länger in der professionellen Umgebung eines Tonstudios einnisten, aber das ist im Moment (noch) nicht möglich.

Seid Ihr sauer, wenn ich in meiner Rezension schreibe, dass es dem Album in letzter Konsequenz ein bisschen an Wumms mangelt; und falls ja, lasst Ihr diese schlechte Laune dann bitte bei den nächsten Aufnahmen raus?

Andreas: Ach Quatsch, durch differenziertes Feedback wird's doch erst interessant. Wobei ich nicht finde, dass der Gesamtsound nicht wummst, im Gegenteil. Oder meinst du mehr höhere Tempi? Keine Ahnung, wie das recht komplexe harmonische Material wirken würde, wenn man es im Hasenficktempo runterbrettert.

Christian: Mit Wumms kannst du ja eigentlich nur das Songarrangement meinen, oder? Die Produktion, gerade was die Drums angeht, schiebt meiner Meinung nach wirklich ganz ordentlich. Ich habe an den ein oder anderen Stellen im Studio versucht, Parts anders zu arrangieren, sie mit höreren Tempi oder viel mehr Double-Bass einzuspielen, aber es hatte den Songs einfach mehr geschadet als genutzt. Das Album wächst einfach mit der Zeit sehr. Im Endeffekt merkt man, durchblickt man die Songs in ihrer Gänze, das sie eigentlich immer genau das haben, was sie brauchen. Zwangsläufig „härter“ oder „fetter“ zu werden, auf Kosten der Songs, ist denke ich nicht unser Ziel.

Nicolao: Wie ich das Review verstanden habe, ging es dir, Thor, um ein paar schnellere Tracks oder Passagen. Wir haben da intern am Rande schon ab und zu drüber gesprochen, ob wir mal das Tempo anziehen, aber die Songs, die wir für dieses Album bereits parat hatten, hätten in der Form tatsächlich darunter gelitten. Vielleicht variieren wir bei den kommenden Kompositionen etwas mehr, das wäre mal interessant, wie und ob wir unseren Sound in höherer Geschwindigkeit transferieren können.

Mit „I Think I Saw The Black Dog“ habt Ihr ein feines Akustik-Stück in der Mitte des Albums platziert, um es am Ende noch mal metallisch aufzugreifen und eine letzte Breitseite abzufeuern – das ist nicht gestaltpsychologisch geschickt, um den Hörer mit einem Wiedererkennungseffekt zu ködern, sondern es zeigt die zahlreichen Möglichkeiten auf, aus einer Melodie bzw. Idee viel Verschiedenes erwachsen zu lassen. Seid Ihr manchmal auch erstaunt, wohin Euch die Musik trägt?

Andreas: „An Eroticism In Murder“ bestand ja hauptsächlich aus meinen Songs, die Christian und ich arrangiert hatten. Mittlerweile ist der Einfluss von Christian und Nicco auf das Songwriting deutlich gestiegen, was der ganzen Sache halt gut tut.

Christian: Ich bin über das Endergebnis per se ein wenig erstaunt. Die begrenzte Art der Mittel, auch der finanziellen, die Art und Weise der Aufnahmen, die an unterschiedlichsten Orten stattgefunden haben und die eigentlich wenigen gemeinsamen Proben zu Vorbereitung lassen über das Endergebnis ein wenig staunen. Ich hatte damit gerechnet, dass es ein gutes Album werden wird, aber das Ergebnis übertrifft meine kühnsten Erwartungen. An dieser Stelle auch nochmal großen Dank an Freio Haas. Ein wahrer Meister seines Handwerks.

Nicolao: Die Art, wie Andreas und ich an Ideen gearbeitet haben, ließ zwar nicht so viel Platz für Überraschungen zu, da er mich mit den Songstrukturen immer auf dem Laufenden gehalten hat. Aber die fertigen Lieder dann mit Christians Schlagzeugideen und in der Qualität zu hören, die wir Freio zu verdanken haben: da nimmt alles natürlich noch eine andere Dimension an!

Wenn man „Thin White Paint“ etwas anhört, dann vor allem, wie viel Herzblut von Euch darin steckt, egal ob beim feinfühlig arrangierten Gesang, bei der oft genug doppelbödigen Melodieführung auf den Gitarren oder beim sehr dichten Drumming: Das alles wirkt bewusst auf den Punkt gebracht. Welche Last ist Euch da nach den Aufnahmen von den Schultern gefallen?

Andreas: Ich merke so was immer erst später. Nach der letzten Mixingsession war ich mit den Ergebnissen happy und froh, mich um andere Dinge kümmern zu können. Nach ein paar Wochen setzt dann dieser Erkenntnisprozess ein, dass man dieses Stück Arbeit jetzt sozusagen loslassen kann.

Christian: Mir ist nach den Aufnahmen eine Riesenlast von den Schultern gefallen, da ich wie gesagt bei den ein oder anderen Songs noch gar nicht wirklich wusste, wie ich sie im Endeffekt arrangiere. Hatte ein wenig Angst vor mangelnder Kreativität vor Ort.

Ich habe neulich gehört, dass im Metal-Sektor die Mehrheit der Schreiber von den zu rezensierenden Alben nur noch die ersten zwei, drei Songs streamt und dann eine „Kritik“ verfasst; was sich anhand von Download- und Streaming-Protokollen gut einsehen lässt. Zudem werden Promo-Texte manchmal nur noch kopiert. Findet Ihr diese angesichts der Vielzahl der Veröffentlichungen nicht überraschende Entwicklung frustrierend, oder freut Ihr Euch einfach über jeden Schreiber und Fan, der Euch quasi „trotzdem“ entdeckt?

Andreas: Ob man sich freut, hängt von der Art des Reviews ab, nicht so sehr vom Score. Wenn bestimmte Schreiber ein paar positive Dinge sagen ist das schön, verblasst aber sehr schnell, wenn ich merke, dass das Promoanschreiben offensichtlich nicht gelesen wurde, Namen und Songtitel falsch sind oder mal einfach behauptet wird, auf dem Album sei kein Bass. Dann lieber einen wirklich gut geschriebenen Verriss.

Christian: Vielleicht sollten wir oder unsere Plattenfirma ganzseitige Werbeanzeigen in einigen Magazinen oder auf Online-Portalen schalten. Habe manchmal das Gefühl, eine positive Resonanz kommt dann oftmals von ganz alleine.

Sitzt Ihr eigentlich manchmal des Nachts mit einer Kanne warmen Tees an Rhein oder Sieg und schaut zum Sternenhimmel auf oder wie kommt Ihr auf Titel wie „Tea Leaves For Eosphoros“?

Andreas: Solche Titel sind, wie auch viele Textzeilen, um mehrere Ecken gedacht. Dahinter stehen teils recht profane Dinge, die ich einfach nur etwas schöner ausdrücken wollte. In dem Fall hier könnte ich beispielsweise anmerken dass Tea Leaves im londoner Slang „Diebe“ heißt (rhymes with „thieves“...) und im Text dazu ja auch von „Pickpockets“ die Rede ist.

Wie sind Eure Konzerte zur Veröffentlichung von „Thin White Paint“ verlaufen, wo seid Ihr demnächst live zu sehen und was spricht gegen ein Sponsoring von Alpinaweiß?

Andreas: Die ersten Shows haben wahnsinnig Spaß gemacht und ich glaube wir sind mittlerweile auch live einfach spielerisch besser zusammengewachsen. Dank unserem wahnsinnig talentierten Livebasser Raoul, der Tills Platz eingenommen hat, konnten wir jetzt auch die teils dreistimmigen Gesangsparts umsetzen. Und besonders schön war für mich natürlich der Auftritt in einem tiefen Kellergewölbe in der Bonner Innenstadt. Näher als in dem Keller kommen sich Band und Fans wohl selten. Was das Sponsoring angeht, stalkst du mich? Ich habe tatsächlich gestern eine Dose Alpinaweiß gekauft und den gleichen Gedanken gehabt!

Nicolao: Die drei Konzerte waren in der Tat wesentlich runder, als alles, was wir davor gemacht haben. Übertrieben viel haben wir dieses Mal gar nicht geprobt, aber die Vorfreude, das neue Material live zu präsentieren, hat zumindest mich zu einer besseren Vorbereitung getrieben. Die Proben liefen dann eigentlich von selber. Und auch in dieser Hinsicht war es sehr einfach, mit Raoul zu arbeiten. Und auch gesanglich ist er definitiv eine Bereicherung!

Danke für Eure Zeit! Glück auf und grüßt mir die Sterne!

Thor Joakimsson (Info)
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