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Interview mit BREIDABLIK (27.02.2022)

BREIDABLIK

Ursprünglich im kühlen nordischen Ambient beheimatet, ist BREIDABLIK aus Bergen längst ein über enge Stilgrenzen hinweg bekannter Name für die "Bergen School of Electronic Music" geworden, einer ebenso ehrlichen wie leicht humorvollen Verneigung vor der inspirierenden Berliner Schule elektronischer Musik. Doch auch dieses "Genre" kann derweil kaum auf Tasteninstrumente, Synthesizer oder andere elektronische Instrumente eingegrenzt werden, denn auf dem nunmehr fünften Langspielalbum gewährt Komponist Morten Birkeland Nielsen seinen Gastmusikern viel Raum zur freien Entfaltung, und zwar auch auf der Flöte oder am Schlagzeug. Nicht umsonst bezeichnet der Norweger seine Stilrichtung mittlerweile auch mal als "Bergen School of Prog", und genau diese Offenheit mag dazu führen, dass der Name BREIDABLIK sowohl in Best-of-Prog-Jahreslisten auftaucht als auch in immer mehr Metal-Publikationen wohlwollende Erwähnung findet. Für Morten, der sich erneut Zeit für ein Gespräch genommen hat, liegt die Erklärung dafür auf der Hand…

Hallo Morten, schön, wieder mit Dir zu reden! Als wir das letzte Mal miteinander sprachen, hast du betont, dass wir, wenn wir nach draußen gehen, lieber den Geräuschen der Natur lauschen sollten, anstatt BREIDABLIK über Kopfhörer zu hören. Ich möchte dir also versichern, dass ich in letzter Zeit dem Geplätscher eines kleinen Baches und dem Grunzen von Wildschweinen im Wald gelauscht habe, bevor ich zuhause Musik genieße, darunter u.a. Dein neues Album "Alduorka", das in meinen Ohren sowohl vertraut klingt, als auch einige schöne Neuerungen bietet. Es scheint, dass Du auf Deinen Wanderungen jedes Jahr genug Inspiration für ein neues Album findest?

Hallo Thor, es ist immer schön, mit dir zu sprechen. Ich weiß, es ist kein sehr originelles Thema, doch die Natur wird immer die Hauptinspiration für BREIDABLIK bleiben. Viel elektronische Musik scheint sich mit abstrakteren und angesagteren Themen zu beschäftigen, z.B. mit dem Weltraum, Aliens, Introspektionen und so weiter. Ich habe mich jedoch nie für solcherlei Themen interessiert. Ich bin ein recht langweiliger Typ, der nie irgendwelche Drogen genommen hat oder auf Partys geht. Ich trinke noch nicht einmal Alkohol. Die oben genannten Themen liegen insofern für mich nicht auf der Hand. Außerdem bin ich kein Philosoph oder tiefsinniger Denker. Ich mag das, was ich um mich herum fühlen und beobachten kann, und ich habe einfach eine besondere Vorliebe für die Natur. Deshalb versuche ich, verschiedene Aspekte der Natur in der Musik zu vertonen. Da ich in Westnorwegen lebe, ist es natürlich nicht sehr schwierig, Inspiration zu finden. Die Natur hier ist einfach unglaublich, mit Fjorden und dem Meer, majestätischen Bergen, großen Wäldern, Gletschern und so weiter. Doch obwohl sie wunderschön sind, schätze ich nicht unbedingt diese großen Wahrzeichen am meisten. In den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr für die kleinen Dinge in meiner Umgebung zu interessieren begonnen, wie grünes Moos, Steine, Gartenvögel, Insekten, Bäume, der Wechsel der Jahreszeiten und nicht zuletzt all die schönen Dinge, die wir in und an Seen und dem Meer finden. Wasser ist einfach zauberhaft. Wenn ich mich für zwei Lieblingsdüfte entscheiden müsste, würde ich das Meer und Petrichor nennen, also den wunderbaren Duft von Regen nach einer langen Trockenperiode. Ich denke, ich sollte eines Tages ein Album dazu komponieren! Und meine Lieblingsgeräusche in der Natur? Meereswellen, fließendes Wasser und... Black Sabbath.

"Alduorka" spiegelt die Energie der Wellen in ganz unterschiedlichen Kompositionen wider, die dennoch im Gesamtkonzept gut harmonieren. Gab es eine Art "magischen Moment", als Du das Konzept für dieses Album "gefunden" hast, oder war das eher etwas, das langsam Gestalt annahm?

Ich habe mit dem Schreiben und den Aufnahmen für "Alduorka" begonnen, bevor "Omicron" (im Jahr 2020) veröffentlicht wurde, also liegt die Geburtsstunde des Konzepts für mich bereits ein wenig zurück. Doch ich glaube, die ersten Fragmente, die ich entworfen hatte, waren der Anfang von "Alda" und "Orka II". Die spielerischen Sequenzen in "Alda" verströmen ein sehr wellenartiges Gefühl, und das brachte mich auf die Idee, ein Album über Wellen zu komponieren. Immerhin können wir Wellen vielerorts beobachten, nicht nur im Wasser, sondern auch im Licht und im Klang, und das spiegelt sich auch im Gesamtkonzept. Nachdem ich selbiges entworfen hatte, galt es im nächsten Schritt, einen Titel zu finden. Dieser sollte meine Herkunft widerspiegeln, und wie sich unschwer an den Album- und Songtiteln erkennen lässt, haben alle einen Bezug zur altnordischen Sprache und Mythologie. "Alduorka" kommt aus dem Färöischen und bedeutet "Wellenenergie". Auf Isländisch wäre es "Olduorka", doch ich finde, dass die färöische Version ein bisschen besser klingt. Wie man sich denken kann, bedeutet "Alda" Welle, und "Orka" bezieht sich auf Energie. "Hrazn?" ist ein rekonstruiertes Wort aus dem Proto-Germanischen, das "Quelle" bzw. "Welle" bedeutet. Im heutigen Isländischen würde dies wohl "Hrönn" bedeuten. Die Titel "Rán" und "Himinglæva ok Kolga" sind der nordischen Mythologie entnommen. Rán ist die Frau des Jötunn Ægir, und beide personifizieren das Meer. Zusammen hatten sie neun Töchter, welche Wellen personifizieren. "Himinglæva" bedeutet die durchsichtige Welle, während "Kólga" die kalte und dunklere Welle ist.

Ein Album mit einem 20-minütigen Stück zu beginnen, muss für einen zeitgenössischen Musikpromoter einer Hirnamputation gleichkommen. Ich vermute also, dass die Leute von Apollon Prog, mit denen Du heutzutage zusammenarbeitest, weitaus mehr Musikliebhaber sind als Geschäftsleute, die Streaming-Daten überprüfen, um Künstlern die perfekte Songformel zu erklären?

BREIDABLIKs vorheriges Album "Omicron" bestand aus einem Song in zwei Teilen mit einer Gesamtspielzeit von 43 Minuten, also denke ich, dass wir einen 20 Minuten langen Song als eine Verbesserung betrachten können, zumindest kommerziell. Nein, ehrlich gesagt kümmere ich mich nicht um Erwartungen oder "den richtigen Weg", ein Album zu eröffnen. Glücklicherweise haben die Jungs von Apollon die gleiche Einstellung zur Musik wie ich. Die Künstler haben alle Freiheiten und Apollon machen keine Vorgaben oder stellen Anforderungen. Sie lieben einfach Musik, vor allem progressive Musik. Ich kenne Robin, den Label-Direktor, schon seit unserer Jugend, und er hat ein außergewöhnliches Interesse und Wissen über Musik. Und dabei handelt es sich nicht nur um progressive Musik: Er kann dir über alle Genres etwas erzählen. Alles in allem hatte ich bisher sehr viel Glück mit meinen Plattenverträgen, da ich mit Tormod Opedal und Pancromatic Records, die "Penumbra", "Nhoohr" und "Omicron" herausgebracht haben, eine ebenso positive Erfahrung gemacht habe.

Auf "Alduorka" ziehst Du Dich manchmal quasi fast von der Bühne zurück, um Deine Band spielen zu lassen, wie sie es auf "Orka I" so fabelhaft macht, und ich kann mir gut vorstellen, dass Du diese Bereicherung von BREIDABLIK durch die Beiträge Deiner Gastmusiker genießt?!

Ich bin wirklich kein Musiker, zumindest nicht, was die formale Ausbildung angeht. Ich hasse es, zu üben, und ich kann kaum eines meiner Instrumente spielen, zudem habe ich nur ein sehr begrenztes Verständnis von Musiktheorie und Komposition. Mein "Wissen" über Kompositionen basiert auf jahrelangem Hören verschiedener Arten von Musik, von klassischen Stücken bis hin zu extremem Metal. Diese Art von Erfahrung hat zu einer Art instinktivem Zugang zu Klangfarben und Harmonien geführt. Wie bereits erwähnt, mag ich bestimmte Klänge, und das Drehen und Hantieren an den Knöpfen und Schiebereglern eines Synthesizers ist eine großartige Möglichkeit, die Klänge herbeizuzaubern, nach denen ich suche. Wenn ich mit erfahrenen Musikern wie Trond (Panzerpappa, Suburban Savages, Electrond), Håkon (Jordsjø, Elds Mark, Tusmørke) und V'gandr (Helheim, Aeternus, Taake) spiele, kann ich die Musik auf ein höheres Niveau bringen. Sie können Schichten und Texturen hinzufügen, die ich mir nie hätte ausdenken können. "Alduorka" wäre also ohne die Beiträge dieser Jungs nicht dasselbe geworden. Ich bin sehr dankbar dafür, sie an Bord zu haben.

"Aludorka" wird bisher wohwollend bewertet, vor allem von Metal-Fans, von denen einige ihre Überraschung und Begeisterung über die unvermutet ansprechende Musik in den Medien teilen. Wir haben bereits über Deine Verbindungen zum Black-Metal-Underground gesprochen, die bis in die Neunziger Jahre zurückreichen. Du kennst also einige von uns Metal Heads besser als wir uns selbst, und kannst uns daher ziemlich leicht hypnotisieren. Gib es zu - das ist Dein Masterplan!

Ich muss betonen, dass ich nie Teil einer Black Metal-Szene oder -Bewegung war. Ich habe sie eher mit gewissem Abstand verfolgt, wenn auch nicht aus allzu großer Entfernung, und habe die Musik mehr genossen als die rebellischen Aspekte der Szene. Metal gehört zu meinem Leben fast seit ich ein Kleinkind war. Auch heute noch höre ich mehr Metal als andere Musikrichtungen, zumindest laut Spotify, und Metal macht den Großteil meiner LP- und CD-Sammlung aus. Es macht also Sinn, dass sich meine musikalische Entwicklung und meine Interessen in meiner eigenen Musik spiegeln. Was die Resonanz der Metal-Fans auf BREIDABLIK angeht, so bin ich nicht sonderlich überrascht. Metal-Fans sind in der Regel sehr begeisterungsfähig und zeigen eine große Leidenschaft für Musik. Folglich wissen sie wahrscheinlich mehrere Genres und Ausdrucksformen zu schätzen. Elektronische Musik und Metal haben einige gemeinsame Merkmale: So verwenden beide Genres beispielsweise dieselben Tonleitern und Akkordfolgen, die Künstler sind nicht so experimentierfreudig und setzen häufig auf Wiederholungen als kreatives Mittel. Ich kann nicht sagen, ob die Hörer von BREIDABLIK hypnotisiert werden können, aber es wäre sehr cool, wenn wir mit unserer Musik einen tranceartigen Zustand herbeiführen könnten.

Du hast BREIDABLIK vor rund zehn Jahren gegründet, ohne zu ahnen, dass Deine Aufnahmen eines Tages unter Ambient-/Electronica- und sogar Prog-Nerds zu den besten des Jahres zählen würden - und trotzdem ist genau das der Fall. Fragst du manchmal Familienmitglieder oder Freunde, ob sie Dich mal kneifen, um sicher zu gehen, dass Du nicht träumst?

In Anbetracht der Tatsache, dass ich anfangs absolut keine Ambitionen in Bezug auf Musik hatte, habe ich mich tatsächlich gefragt, ob das alles real ist oder ob ich nur Teil von etwas Ähnlichem wie der Truman Show bin – was ich nicht hoffe. Es war natürlich ein Traum, Musik zu komponieren und aufzunehmen, allerdings hätte ich nie gedacht, dass ich die Fähigkeiten dazu hätte, und schon gar nicht in Bezug auf progressive Musik. Bisher gibt es nur wenige Beschwerden, also habe ich vielleicht eine Nische gefunden, die ich tatsächlich beherrsche. Und natürlich gibt mir das positive Feedback ein Erfolgsgefühl, und ich habe auf diesem Weg viel gelernt.

Hast Du eigentlich ein steigendes Interesse an Deinem "Omicron"-Album bemerkt, als eine neue Variante des Virus so benannt wurde?

Hier ist eine kostenlose Lektion für Marketingberater: Geben Sie Ihrem Produkt keinen Namen, der mit einer bevorstehenden Virus-Variante in einer Pandemie in Verbindung gebracht wird! Obwohl es ein wenig mehr Zugriffe auf BREIDABLIKs Bandcamp-Seite gab, als die Virus-Variante in der Öffentlichkeit bekannt wurde, war dieser Anstieg nicht signifikant, wie wir in akademischen Kreisen zu sagen pflegen. Mir fiel vor allem auf, dass es plötzlich viel schwieriger war, die relevanten Seiten zu finden, wenn man bei Google nach "Breidablik" in Verbindung mit "Omicron" suchte. Die meisten Treffer beziehen sich seitdem auf Fußballspieler (des gleichnamigen Vereins - TJ) in Island, die sich mit dem Virus infiziert hatten.

Beim Hören des neuen Albums ist mir aufgefallen, dass mich Deine Art, die Musik mit Gastmusikern an immer mehr zusätzlichen Instrumenten aufzupeppen, an den Weg von Trentemøller erinnert, der mit Ambient/Techno begann und ein paar Jahre später das Roskilde Festival mit einem hypnotisierenden Crossover-Stil rockte. Obwohl BREIDABLIK (bis jetzt) nicht ähnlich extrovertiert klingt, frage ich mich dennoch, ob Deine Musik zu einer solchen Open-Air-Festival-Nacht, sagen wir mal zum Chill-Out, passen würde...?

Es ist mir peinlich, das zu sagen, doch ich kannte Trentemøller bislang nicht. Ich habe ihn mir jetzt mal angehört und verstehe, was du meinst. Sein neuester Output ist eine schöne Mischung aus elektronischer Musik, Achtziger-Jahre-Dream-Pop und Shoegaze à la Slowdive. Auch ein bisschen ähnlich wie M83, einer meiner Faves. Trentemøller ist nun also in meine Playlist aufgenommen worden! Was BREIDABLIK auf der Bühne angeht, kann ich mir nicht vorstellen, dass das passieren wird. Ich bin einfach zu sehr mit Arbeit und Familie beschäftigt, und die wenige Freizeit, die mir bleibt, ist für Aufnahmen, Sport und die Natur vorgesehen. Außerdem wohnen Trond und Håkon im 500 km entfernten Oslo, so dass es etwas schwierig ist, zu üben. Ergo muss ich meine Standardantwort auf diese Frage geben: BREIDABLIKs Bedingung für Konzerte ist, dass Darkthrone als Vorband spielen. Jetzt müsst ihr nur noch herausfinden, was Darkthrones Anforderungen sind – mein Tipp: Wendet Euch dafür an Newman aus Seinfeld.

Vielen Dank, Morten, dass Du Dir wieder die Zeit genommen hast, und viel Erfolg mit BREIDABLIK!

Vielen Dank auch an dich, Thor! Ich bin dir sehr dankbar für deine Unterstützung. Mach weiter so mit Mørkeskye, Trollmusic und all deinen anderen Projekten. Übrigens: Wenn alles wie geplant läuft, wird BREIDABLIK im Herbst 2022 ein Split-Album mit Jordsjø veröffentlichen. Der Titel lautet "Kontraster". Wie der Name schon sagt, ist das Ziel des Albums, musikalische Kontraste zu vertonen, sowohl zwischen den beiden Bands als auch innerhalb der dafür vorgesehenen Kompositionen. Ich bin sehr gespannt auf diese Veröffentlichung!

Thor Joakimsson (Info)
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