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Interview mit In Flames (29.07.2011)
Ein neues Album von IN FLAMES bietet stets Anlass zu hitziger Diskussion. Noch immer fühlen sich viele Leute, die von Anfang an Fans der Göteborger waren, beinahe schon persönlich beleidigt angesichts der Veränderungen, die der Sound der Band in den letzten Jahren durchlebt hat. Auf der anderen Seite werden IN FLAMES immer erfolgreicher - "Sounds Of A Playground Fading" toppte sogar die deutschen Albumcharts. Im Gespräch zeigt sich Sänger Anders Fríden zunächst etwas wortkarg, taut dann aber immer mehr auf und liefert alle wichtigen Infos zu seiner Band und der neuen Platte.
Bist du aufgeregter oder nervöser angesichts der Veröffentlichung des neuen Albums im Vergleich zu den vorherigen Alben?
Nein, ich bin nicht nervös. Ich habe mein Bestes gegeben und hoffe natürlich, dass die Leute mögen, was wir machen, aber nervös bin ich nicht. Es ist eher so, dass ich das Album endlich draußen haben möchte.
Ich habe heute euer neues Video zum Song "Deliver Us" gesehen und war recht beeindruckt. Wo habt ihr es geschossen?
Hier in Göteborg.
Und wie lange hat es gedauert?
Ein paar Stunden. Wir haben am Abend angefangen und waren gegen 2 Uhr morgens fertig, es hat also so fünf, sechs Stunden gedauert.
Was es denn schwierig, das Video aufzunehmen mit dem Riesenrad und dem Feuerwerk?
Für uns nicht, wir hatten ja nicht wirklich viel Arbeit. Wir sind einfach in diese Gondeln gestiegen und haben da unsere Parts gespielt. Die schwierigste Arbeit hatten das Videoteam und die Feuerwerker. Von dem Feuerwerk hab ich in dem Riesenrad kaum was mitbekommen, weil ich mehrere Runden fahren musste.
Höhenangst hatte aber keiner, oder?
Peter war anfangs ein bisschen nervös. Ich bin dann als erstes gefahren und habe ihm dann gesagt, dass man über die Höhe gar nicht nachdenkt, wenn man Runde um Runde fährt und seine Parts spielt. Ich bin auch kein Fan großer Höhen, aber an dem Punkt habe ich darüber wirklich nicht nachdenken können.
Und warum habt ihr euch gerade für "Deliver Us" als erste Single entschieden?
Es ist einfach ein guter Song, einer von 13 guten Songs. Wir lassen aber immer viele Leute aus dem Umfeld entscheiden, welche Songs wir als Single nehmen. In der Band selber waren wir mit allen Songs so zufrieden, dass wir da keinen hätten auswählen können, also haben wir es der Plattenfirma und ein paar anderen Leuten überlassen, darüber abzustimmen. Ich denke aber, dass der Song zeigt, wo wir waren, wo wir stehen und wo wir hingehen wollen, von allem ein bisschen.
Ihr habt die Plattenfirma gewechselt, wie kam es dazu? Gerüchteweise wurdet ihr von Nuclear Blast gedroppt…
Nein, wir wurden nicht gedroppt. Man hat immer Verträge über eine bestimmte Dauer, man unterschreibt für ein, zwei oder drei Alben. Unser Vertrag lief einfach aus und wir haben uns dafür entschieden, mit jemand anders weiter zu arbeiten. Wir waren ja sehr lange bei Nuclear Blast und wollten einfach etwas anderes machen. An den Gerüchten ist also nichts dran.
Und warum habt ihr euch dann für Century Media entschieden?
Ich habe ja mit meiner anderen Band Passenger mit ihnen zusammengearbeitet und kenne ein paar Leute von ihnen. Sie haben eine gute Vision, gute Leute und sind einfach ein gutes Label. Ob wir noch mehr bei ihnen veröffentlichen, wird sich in der Zukunft zeigen, aber im Moment fühlt es es sich einfach gut an.
Sowohl Nuclear Blast als auch Century Media sind deutsche Plattenfirmen. Machen deutsche Plattenfirmen bessere Arbeit, als andere?
Ich habe da nicht genug Erfahrungen, um das sagen zu können. Wir arbeiten ja auch mit Firmen aus Amerika und Japan und haben auch schon mit einem schwedischen Label gearbeitet und ich würde nicht unbedingt sagen, dass deutsche Labels besser sind. Als wir bei Nuclear Blast angefangen haben, war es das mit Abstand größte Label, auf dem wir je waren und das war für uns die Chance, einfach mehr Leute zu erreichen. Aber am wichtigsten ist, dass man mit guten Leuten arbeitet, da ist es egal, woher sie kommen.
Kommen wir zum Album. Bedeutet der Titel "Sound Of A Playground Fading", dass IN FLAMES erwachsen geworden sind und dass die Kindheit der Band so etwas wie eine schwindende Erinnerung ist?
Nein, der Titel bezieht sich nicht auf die Band an sich, es geht mehr um die Welt und wo wir als Menschen stehen, inklusive mir und dir und jedem anderen. Ich habe ein paar Ideen durch einen Film bekommen, den ich im Fernsehen gesehen habe, da ging es um Plätze und Orte auf diesem Planeten, die noch völlig unberührt von der westlichen Welt sind und wie wenige es davon noch gibt. Menschen, die dort leben, leben von und mit der Erde und so leben sie seit Generationen und denken, dass es für immer so sein wird. Aber sie und wir, wir alle, werden an den Punkt kommen, wo es zuende geht, in einem Jahr, in fünf Jahren oder in zehn Jahren, wer weiß. Wenn wir ein Datum wüssten, an dem alles vorbei sein wird, würde das unser Verhalten ändern? Würden wir uns Gedanken darüber machen, was man hätte anders machen sollen oder würden wir einfach nur bis zum Schluss aus dem Vollen leben? Wie würden wir reagieren? Aus dieser Sichtweise heraus habe ich angefangen zu schreiben. Dadurch finden sich auf dem Album auch mehr Fragen, als Antworten.
War es seltsam oder schwierig für euch, das Album ohne Jesper Strömblad, der ja inzwischen ganz aus der Band ausgestiegen ist, aufzunehmen?
Nein, nicht wirklich. Ich habe neun von zehn IN FLAMES-Alben gemacht und Jesper war seit gut zwei Jahren kein Teil von IN FLAMES mehr und er war ja auch auf der letzten Tour schon nicht mehr dabei. Ich sage nichts gegen ihn als Person, er ist ein guter Typ und immer noch ein guter Freund und er ist auch gut in dem, was er macht, aber wir hätten wegen seiner Alkoholprobleme einfach nicht mehr zusammen arbeiten können.
Du bist also noch in freundschaftlichem Kontakt mit ihm?
Nicht täglich, aber wenn wir uns treffen, unterhalten wir uns natürlich.
Weißt du denn, ob er Fortschritte im Kampf gegen den Alkoholismus macht?
Ich weiß es nicht. Aber so wie es sehe, macht er keine großen Fortschritte. Ich hoffe, dass er mit dem, was er macht, glücklich ist. Er hat eine neue Band gegründet und ich wünsche ihm dafür alles Gute.
Die Arbeit am Album war durch die neue Konstellation aber eine andere, oder?
Björn und ich haben das ganze Album geschrieben und die Aufnahmen liefen auch etwas anders ab. Wir sind in unser eigenes Studio in Göteborg gegangen und hatten auch schon ein paar Songs dabei und haben ein Demo gemacht. Wir wollten aber von vorneherein ein Album schreiben und nicht ein paar Singles und Extrasongs. Es war uns wichtig, ein Album in Gänze zu schreiben, um die Dynamik zu behalten. Danach haben wir dann eine Präproduktion gemacht, bevor wir das Album dann endlich richtig aufgenommen haben. Wir haben das Album quasi dreimal gemacht, was ein langer Prozess, aber auch ein sehr guter Prozess war.
War euer neuer Gitarrist Niclas Engelin schon eingebunden?
Nein, er hat noch nichts auf dem Album geschrieben oder mit aufgenommen. Björn hat alle Gitarren aufgenommen. Er ist zwar vollwertiges Bandmitglied, aber wir wollten das Album ganz alleine machen, weil wir wissen, wie ein IN FLAMES-Album zu klingen hat und wollten keine äußeren Einflüsse. Vielleicht ist er auf dem nächsten Album mehr beteiligt.
Das Artwork des Albums ist recht düster und auch einige Texte und Melodien sind recht melancholisch geworden. Ist das neue Album vielleicht das düsterste IN FLAMES-Album bisher?
Das ist schwer zu sagen, ich habe es noch nicht aus diesem Punkt betrachtet. Aber es kann schon sein, es geht ja darum, dass die Welt zu Ende geht…
Was ja schon ein dunkles Thema ist…
Was das Cover angeht: ich habe dem Künstler alle meine Texte gegeben und wir haben uns mehrfach am Telefon und in Emails unterhalten und dann hat er seine Arbeit gemacht. Ich denke, dass es wirklich großartig geworden ist und es harmoniert gut mit der Musik und den Texten.
Hatte Jespers Ausstieg denn auch Einfluss auf deine Texte oder hast du das komplett ausblenden können?
Nein, natürlich nicht, so etwas beeinflusst mich schon, das war ja auch eine lange Beziehung, die wir hatten. Das findet sich jetzt nicht im Speziellen auf dem Album wieder, das gilt aber für viele Dinge, die man in den Texten wiederfindet. Das sind Sachen, die mir etwas bedeuten, die für andere Leute aber vielleicht etwas ganz anderes bedeuten. Das mit Jesper betrifft natürlich jeden von uns, andererseits ist es aber auch so, dass das, was ich morgens esse, schon Einfluss haben kann, das Leben an sich beeinflusst einen ständig.
Die Atmosphäre auf dem Album wird zum Ende hin mit Songs wie "A New Dawn" und "Liberation" deutlich positiver. War das auch so beabsichtigt?
Ja, auf jeden Fall. Wie ich bereits sagte, ging es uns ja darum, ein ganzes Album zu schreiben, weshalb auch die Songreihenfolge sehr wichtig ist.
Dein Gesang ist noch abwechslungsreicher auf dem Album, war das eine besondere Herausforderung für dich?
Wir hatten auf jeden Fall viel Zeit dafür und haben viel daran gearbeitet, dass der Gesang gut mit der Musik harmoniert. Ich habe zum Beispiel Texte mit ins Studio gebracht, aber als wir dann mit der Musik angefangen haben, passten die Texte nicht mehr so richtig zur Musik, also habe ich dann neue Texte geschrieben, die einfach einen besseren Flow hatten. Ich denke, dass die Musik an sich schon sehr abwechslungsreich ist und der Gesang muss die Musik dann auch reflektieren.
Hast du dich denn besonders vorbereitet?
Nein, nicht wirklich. Es ist eher so, dass ich mich selbst gefunden habe. Mein Gesang zeigt, wo ich im Moment stehe und das hat wirklich gut geklappt. Es ist wichtiger, dass alles gut zusammenpasst und dass es kein Soloding ist. Ich gehe nicht hin und sage "hier, das ist mein Gesang und das ist der beste, den ich je gemacht habe", wenn er nicht zur Musik passt. Gleiches gilt für die Gitarren oder die Drums. Man muss die Sache als Ganzes sehen, die vier Elemente Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang, aber auch die Keyboards, also sogar fünf Elemente, müssen perfekt zusammen arbeiten, dann hat man auch einen perfekten Song.
Im Vorfeld hast du gesagt, dass das Album eine Herausforderung für die Fans sein würde. So stark sind die Veränderungen aber doch gar nicht…
Oh man, ich hasse das. Das kommt aus einem früheren Interview, in dem der Journalist mir die Worte im Mund verdreht hat. Ich denke nicht, dass das Album eine Herausforderung ist. Ich denke, dass wir uns als Band immer wieder pushen müssen und es gibt ein paar neue Elemente auf dem Album, die die Fans von uns noch nicht gehört haben, aber das ist nicht wirklich eine Herausforderung. Wir haben das Rad nicht neu erfunden und machen auch nichts völlig anderes. Ich bekomme die Frage irgendwie auch ständig gestellt…
Was daran liegt, dass Century Media das in einer Pressemittelung geschrieben haben.
Dann muss ich mich mal bei denen beschweren. Nein, ernsthaft, das ist ja nicht weiter schlimm und ich werde die Frage auch weiterhin beantworten.
In Deutschland gibt es viele Leute in der Metalszene, die Schwierigkeiten damit haben, eurer Entwicklung zu folgen. Sind Metalfans deiner Meinung nach zu engstirnig und zu regressiv?
Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Ich mache die Musik, die ich mag und hoffentlich mögen andere Leute sie auch. Wenn nicht, sollen sie sich halt etwas anderes anhören. Die Leute in Deutschland sind da auch nicht die einzigen, es gibt auch viele Leute in Amerika, die nicht mögen, was wir machen. Das ist aber in Ordnung. Wir haben jetzt zehn Alben gemacht und ich finde es großartig, dass wir einen Sound haben, den die Leute erkennen und dass wir uns kontinuierlich pushen können, etwas zu erschaffen. Wir sind nicht mehr die gleichen Typen, die wir zu Zeiten von "Lunar Strain", "The Jester Race", "Whoracle" und "Colony" waren. Aber würde man die Songs vom neuen Album nehmen und all das wegnehmen, was durch die heutige Produktions- und Arbeitsweise und das Equipment zustande kommt und die Songs in die Zeit von "The Jester Race" mitnehmen und sie mit diesem Equipment und der damaligen Technik aufnehmen, man würde keinen Unterschied hören, da bin ich mehr sicher. Es ist immer eine Frage der Umstände. Ich fand es sehr lustig, als ich vor zwei Wochen gesehen habe, dass Leute Youtube-Links gepostet haben, die zu "Deliver Us" führen sollten, dann aber zu "Episode 666" von "Whoracle" führten und die Leute haben es teilweise gar nicht bemerkt und sich beschwert, wie scheiße IN FLAMES geworden sind. So ist es nun mal.
Habt ihr schon Pläne für die anstehende Tour?
Wir werden natürlich viel neues Zeug spielen, aber versuchen auch, ein paar ältere Sachen zu bringen. Es ist übrigens spannend, dass jedes Mal, wenn wir das machen, kaum jemand wirklich darauf reagiert, von ein paar einzelnen Leuten weiter hinten mal abgesehen. Aber angeblich mögen die Leute ja unsere alten Sachen, trotzdem wachsen wir die ganze Zeit. Jeder will, dass wir zurück zu unserem alten Sound gehen und trotzdem wachsen wir...
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