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Disfear, Victims, Seein Red, Nuclear Death Terror - Hamburg, Hafenklang - 31.10.2008

Diese Seite hier hat ja eine gewisse Prog- und Metalschlagseite, ein Grund mehr von dem grandiosen Abend mit gleich vier der besten Crust- und Hardcorebands Europas zu berichten.

Die Schweden DISFEAR haben ja vor einiger Zeit bei Relapse unterschrieben und sind deshalb wahrscheinlich dem einen oder anderen aus der Metalszene ein Begriff, wohl auch weil Obersympath Tompa Lindberg bei ihnen sein markantes Organ erschallen lässt und seit neuestem Uffe Cederlund von ENTOMBED in die Saiten greift. DISFEARs letzter Longplayer „Live The Storm“ befindet sich seit Wochen in Heavy Rotation in meinem Player, vereint er doch perfekt Wut, Power und Melodien mit den besten politisch-analytischen Texten der letzten Jahre.

Aber zum Abend: Das Hafenklang im Exil ist mittlerweile vom Hamburger Hafen in eine Altonaer Fußgängerzone umgezogen, wo es in einem ehemaligen Karstadt eine schöne hoffentlich vorübergehende neue Heimat gefunden hat. Der Laden ist schon gut mit sympathischen Punkvolk gefüllt, bitte an dieser Stelle erstmal die Vorurteile ablegen. Vor dem eigentlichem Veranstaltungsraum im Keller bauen die Bands ihre Merchstände auf, ist der Eintritt schon mit 10 € für die vier Bands unschlagbar günstig, so setzt sich die Punk und D.I.Y.-Haltung der Bands auch hier fort. T-Shirts für 5 bis 12 €, LPs 8 €, die limitierte Tour-Edition der letzten DISFEAR-CD erstmals als LP für 12€, ja richtig gelesen, offensichtlich sind solche Merch-Preise machbar, wenn nicht irgendwelche Geldschneider für den Zwischenhandel und blödsinnige Verträge abgeschlossen werden. Die Stände werden übrigens von den Bands selbst betreut, so dass ein netter Plausch mit Topma über sein Interview im OX-Fanzine, welches ich vor einigen Wochen via Mail führte, und mit Christina von NUCLEAR DEATH TERROR für eine ausgesprochen gute Stimmung meinerseits sorgte.

Als um 22:00 NUCLEAR DEATH TERROR die Bühne enterten, beschlich mich der Gedanke, dass ein Freitagabend mit vier Bands in einem Punkschuppen wohl eine lange Nacht bedeutet. Die Kopenhagener Band aus dem Umfeld des Umdongshuset erfreut sich mit ihrem an uralte Recken angelehnten Crust und Punk grobe Richtung AXEGRINDER ja zunehmender Beliebtheit und schon die ersten Akkorde machten klar, dass Punk heute nichts mehr mit Dilettantismus zu tun hat. Satt und fett ballerten die finsteren Gitarrenriffs aus den Boxen, dazu passend der heisere Gesang und die straighten Drums, wobei der Schlagwerker angeblich bei der letzten Tour der Australier PISSCHRIST in Europa hängen geblieben ist. Sehr gerade hämmert sich die Band durch ihre erste LP und einige Songs der 7“, lediglich etwas mehr Stage-Acting der nietenstrotzenden Gestalten wäre wünschenswert.

Nach glücklicherweise kurzer Umbaupause legen die Holländer SEEIN RED los, die vor zig Jahren zumindest zum Teil aus der Kult-Stop-and-Go-Thrash-Kapelle LÄRM hervorgegangen sind. So schätze ich die drei Herren auf Mitte bis Ende Vierzig, was aber nichts über die Qualität und Energie der Band aussagen soll. Selten habe ich ein Trio gesehen, dass so schnell, brutal und kompromisslos seine Songs raushaut um dann relaxt zwischen den Songs über den politischen Hintergrund derselben zu erzählen. SEEIN RED habe ich vor langer Zeit mal in Wermelskirchen gesehen, wo die langatmigen Erläuterungen ziemlich viel Fahrt aus dem Gig nahmen, heute fasst sich die Band kürzer und überzeugt so durch ein rasendes Konzert, bei dem es eine Freude ist jedem der Musiker zuzusehen, hier wird so gut wie nie stillgestanden und der Drummer bearbeitet höchst eindrucksvoll sein Set, wobei ich sicher bin, dass er den meisten seiner Kollegen gerade in Puncto Snare-Arbeit sehr viel beibringen könnte. Faszinierend und sympathisch, aber für die meisten der Punks etwas zu heftig.

An dritter Stelle dann ein weiteres Trio, VICTIMS aus Schweden, die ich vor einigen Jahren mit SKITSYSTEM live gesehen hatte und deren Gitarrist zwischenzeitlich bei Grindlegende NASUM tätig war. Hatte ich die Band als eher durchschnittlich in Erinnerung, so haben sie mittlerweile doch deutlich zugelegt und ziehen mit ausgesprochener Spielfreude sofort das Publikum auf ihre Seite, der Mob geht ab und erste Stagediver werden sichtbar. Der MOTÖRHEAD-infizierte Sound der Band hat ordentlich Druck, ist solide nach vorne gespielt und rockt ganz ordentlich. Zu früheren Zeiten viel der Gitarrist dadurch auf, dass er sich spaßeshalber von oben bis unten selbst vollsabberte, was zwar recht originell war, aber bei Vollbartträgern nicht unbedingt vorteilhaft wirkt. Nun, an diesem Abend hat er seine Lippen unter Kontrolle und gibt lieber dezent den Gitarrenposer, was entscheidend unterhaltsamer ist. Insgesamt ein solider Auftritt.

Disfear - Live im Hafenklang (Hamburg)Weit nach Mitternacht dann endlich DISFEAR, auf die ich mich schon seit Wochen gefreut habe, auch wenn das DIS im Namen noch aus Anfangstagen der Band stammt, haben sie mit anderen DIS-Bands nicht mehr viel zu tun, besonders seit Ex-ENTOMBED-Mann Uffe Cederlund als zweiter Gitarrist mit an Bord ist, strotzen die Songs nur so vor treibendem Deathrock irgendwo zwischen eben ENTOMBED zu „To Ride...“ Zeiten und rockigen MOTÖRHEAD auf Speed. Die überaus eingängigen Melodien täuschen aber nicht darüber hinweg, dass DISFEAR immer noch mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch unterwegs sind, Wut auf soziale Ungerechtigkeit, Frauenunterdrückung und allen anderen Scheiß, der unsere Gesellschaft leider zu oft prägt. Ich wähle hier bewusst das Wort Wut und nicht Hass, weil Sänger Tompa und seine Mannen durchaus in der Lage sind, Dinge differenziert zu betrachten und zu beschreiben. Der Mann ist sowieso ein Phänomen, keine Ahnung in wie vielen verschiedenen Bands der Mann schon tätig war, im Metalbereich sind sicher AT THE GATES und LOCK UP am bekanntesten, nicht zu unterschätzen ist aber auch sein Beitrag zu SKITSYSTEM, THE GREAT DECIEVER oder THE CROWN, wo er überall zumindest phasenweise sein markantes Organ erschallen lies. Vom ersten Ton an entsteht vor der Bühne ein beträchtlicher Pit, während die Band locker und souverän sich durch die komplette aktuelle Scheibe und einige ältere Songs, meist vom Vorgänger „Misanthropic Generation“, spielt. Hier sitzt trotz erheblicher Geschwindigkeit jeder Einsatz und jedes Break, im Mittelpunkt der nie stillstehende Sänger, der sichtbar Spaß hat und sich das eine oder andere fette Grinsen nicht verkneifen kann. Ich warte darauf, dass beim lässig agierenden Drummer der Schweiß rinnt, aber entweder hat der Mann das perfekte Deo oder er spielt einfach vollkommen entspannt. Zumindest bleibt er im Gegensatz zu mir von größeren Schweißmengen verschont, macht mich aber trotzdem ausgesprochen glücklich. Auch wenn es spät wurde: Ein selten großartiges Konzert mit durchgehend netten und sympathischen Musikern. Mehr davon!

Dr. O. (Info)