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Night Of The Prog Festival 2013 - Sonntag - Freilichtbühne Loreley - 14.07.2013

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Tag zwei des Night Of The Prog bringt mehr Sonne, mehr Prog und eine höhere Dichte an unbedingt sehenswerten Auftritten ...

 Im direkten Vergleich ist das Publikum beim Opener des zweiten Tages gleich viel lebendiger, vielleicht auch wegen seiner Vorfreude auf die voraussichtlichen Hochkaräter im Laufe des heute schon zur Mittagszeit beginnenden Programms. ANIMA MUNDI machen aber auch vorneweg mehr Stimmung als ihre ungleich zarteren nordeuropäischen Kollegen vom Vortag, wobei man ihnen keinen sonderlich hohen Exotenbonus zusprechen muss: Erstens sind die Kubaner spätestens nach einem in hiesigen Breitengraden aufgenommenen Live-Album mit der sogenannten Alten Welt vertraut, zweitens entspricht ihr Sound im Kern einer Mischung aus Progressive Rock und Metal jeweils herkömmlicher Machart, das Ganze verbrämt mit lateinamerikanischen Elementen, die man nicht zwangsweise als solche begreifen muss; mit Sackpfeifen wie während “La Montaña del Vigía” (immerhin auch schon eine Dekade alt), Virginia Perazas schwebenden Keyboard-Sounds und den Light-Jazz-Gitarrenparts von Roberto Díaz fühlt man sich schließlich auch in New-Age-Gefilden wohl, wobei die erwähnten beiden Gründungsmitglieder gut daran taten, Carlos Sosa als Leadstimme zu engagieren. Er verleiht den auch nach relativ langer Zeit des Bestehens immer noch ab und an holprig konstruierten Stücken der Band ein Gesicht und knüpft Kontakt zu den Zuschauern, unter die sich mancher mit- und nachgereiste Intimus der Musiker befindet. Trotz des nur gehobenen musikalischen Durchschnitts: sympathische Combo mit einer Handvoll netter Stücke, die besonders durch die Gegenüberstellung von harschen Riffs, Percussion-Parts und symphonischem Flickwerk reizvoll klingen.

Reizvoll und spannend – diese Adjektive trafen auch einmal auf jene Form instrumentaler Musik zu, die landläufig als Postrock – nunmehr fast ein Unwort – katalogisiert wird, und MAYBESHEWILL, die in Anbetracht ihrer Gründung nach der Jahrtausendwende schon zur zweiten Welle der Bewegung gehörten, stehen in diese Bereich für Konstanz beziehungsweise Stagnation, wenn man es böswillig meint. Die vier Freunde sind von jeher in gleicher Besetzung unterwegs und dementsprechend gut aufeinander eingestimmt, was sich in einer impulsiven Performance gerade der Gitarristen Helps und Southby niederschlägt. Während der hagere Bassist Andy Jackson in der Mitte praktisch als Frontmann fungiert. Andererseits soll der Song bei der Truppe aus Leicester, dem ersten Fremdkörper im bislang relativ Szene-affinen Programm des Night Of The Prog, der eigentliche Star sein, nutzt sich aber in zehnfacher Ausführung (ausgehend von “Take This To The Heart” bis zu “Not For Want Of Trying”) spätestens nach einem Drittel der Spielzeit ab: Samples aus mehr oder weniger nerdigen Filmen, flirrende bis verhallte Gitarren und Riff-Breitseiten sowie ein stets Pendeln zwischen Laut und Leise zeichnen die Kompositionen dieser wie zahlloser anderer Bands aus, die sich das Post-Präfix anheften beziehungsweise beim Ausschreiben ihres Namens vergessen haben, die Leertaste zu betätigen. Somit sind das britisch trockene Auftreten der Gruppe sowie ihre Liedtitel (“The Paris Hilton Sex Tape”, musikalisch überwiegend fast zorniges Stakkato-Einerlei) interessanter als der wesentliche Sound, der immer dann überzeugt, wenn die Macher ihn in poppige Strukturen gießen wie bei “Critical Distance”. Der Gig ist jedenfalls gerade so lang, dass MAYBESHEWILL nicht auf die Nerven fallen, was wohl auch daran liegt, dass sie dem Festival-Aufgebot eine weitere Klangfarbe hinzufügen.

Nach den weithin obskuren Siebzigern und den Achtzigern im Fahrwasser des britischen Artrock (Kaipa) legte zu Beginn der Neunziger ein Dreigestirn den Grundstein für den heute bunten Prog-Betrieb in Schweden: Anekdoten, Landberk und ÄNGLAGÅRD. Letztere kehrten 2012 fast zwei Jahrzehnte nach ihrem zweiten Album mit dem tollen “Viljans Öga” zurück und haben nicht erst seit ihrem Auftritt im Frühjahr auf der Prog Resiste Convention in Belgien wieder Blut geleckt. Die Band hadert zunächst mit technischen Problemen, doch dann steht einem Parforceritt vom Mellotron-Gebirge durch den Jazz-Wald in folkloristische Niederungen nichts mehr im Weg. Obwohl der etatmäßige Drummer Erik Vater geowrden ist und von Jaime Salazar (unter anderem Jonas Hellborg, Flower Kings) vortrefflich ersetzt wird, lassen es sich die Stockholmer nicht nehmen, gleich eine knappe neue Komposition als Intro zur folgenden Werkschau zu verwenden. Dabei weicht die angespannte Steifheit der Band, deren neuer Tastendrücker Linus (Brighteye Brison) sich als bewegungsfreudigster Posten auf der Bühne erweist, zusehends der Spielfreude und Begeisterung ob der überschwänglichen Publikumsresonanzen. Wenn Anna Holmgren nicht gerade zwischen Saxofon und Flöte, Keyboard und Luftballon (!) wechselt, macht sie schüchterne Ansagen, die den kompositorischen Kopf Tord Lindman auf die Palme zu bringen scheinen, doch eigentlich ist alles eitel Sonnenschein bei ÄNGLAGÅRD, die einen der atmosphärischsten Gigs bei Tageslicht hinlegen. Neben dem Klassiker “Höstseijd” sowie den Neulingen “Sorgmantel” und “Längtans Klocka” (leicht gekappt) berührt vor allem das vom Gitarristen gesungene “Kung Bore” zum Schluss, als man zu wünschen geneigt ist, dass die Gruppe immerzu weiterspielt … aber da kommt eben noch mehr im Anschluss.

Konkret zunächst AMPLIFIER, respektive eine weitere Triple-Axe-Attack aus England, die sich anschickt, das Klangpotenzial der Location für ihre phonstarke Musik auszunutzen … wären da nicht die Verzögerung im Vorfeld und Pannen mit dem eigenen Equipment, was bei mehreren Quadratmetern an Bodeneffekten auch kein Wunder darstellt. Im Zuge dessen müssen Sel Balamir und Co., wie immer verstärkt um Multi-Instrumentalist Charlie Barnes, der die großen Posen noch besser beherrscht als seine Arbeitgeber, ihr Set um einige Nummern kürzen, was ebenso verärgert wie der inflationär eingesetzte Nebel auf der Bühne. Dafür entschädigt das Gebotene jedoch in jeglicher Hinsicht, sowohl ob seiner verdichteten Form als auch in Sachen Sound, der dem facettenreichen Material der Gruppe verglichen mit den im Klangwust untergegangenen Shows der jüngst absolvierten Tournee gerecht wird. Dabei machen es AMPLIFIER mit der Songauswahl, die sich abgesehen von einigen Grundkonstanten von jener der Clubkonzerte unterscheidet, weder sich selbst noch ihren Fans leicht: “Spaceman” und “The Wheel” sind nicht unbedingt die ersten Adressen, um sich potenziell neuen Hörerkreisen zu offenbaren, zumal man mit der aktuellen Auskopplung “Matmos” einen logischen, ungleich luftigeren Auftakt zur Hand hätte, aber nein: Als gelte es, den nicht erst seit gestern etablierten neuen Manchester-Sound (lies: Lärmwändebau zu Babel) würdig im Ausland zu vertreten, zückt das Quintett ausschließlich die lange mäandernden Kompositionen aus seinem bisherigen Schaffen und pfeffert sie durch die an diesem Wochenende nirgendwo sonst lauter aufgerissene P.A. ins Rund. Der Frustration geschuldet wird das unvermeidliche Finale „Airborne“ besonders intensiv aus, wobei Balamir dem Chronisten eine Nacht bei schlechtem Schlaf beschert, weil dieser die kurzerhand umgedichtete „Hey, Mr. Dog“-Zeile nicht versteht. Aufklärende Hinweise bitte an die Redaktion schicken. Die Pechvögel des Festivals verramschen ihre neuste Scheibe im Mediabook geradezu am Merchandise-Stand und finden sich später noch zum Plausch mit ihren Fans dort ein. Gewinner der Herzen sind sie auf jeden Fall, wenn man nicht gerade zu den Verfechtern des Prog-Reinheitsgebots gehört.

Deren Freude auf die folgenden CARAVAN dürfte dafür umso größer sein, doch auch die ergrauten Herren müssen ihr Set leicht straffen, wiewohl ihnen dies ihre unverschämt gute Laune nicht verhagelt. Nüchtern betrachtet hätte man die Canterbury-Legende ruhig schon früher auftreten lassen, so geschäftsmäßig fällt ihre Darbietung aus; andererseits bieten sie nach dem schwer verdaulichen Brocken zuvor passend leichte Kost und versprühen schlicht gute Laune, ohne bieder oder altbacken zu wirken. Der Titeltrack des 1971er Konsens-Albums „In The Land Of Grey And Pink“ setzt den Grundtenor für ein wie im Flug vergehendes Konzert, das mit kurz knackigen Perlen zwischen Psych Pop und Folk Prog mit Geige und Querflöte gespickt ist. Dabei feiern Pye Hastings und Co. vor allem den 40. Geburtstag ihrer Scheibe „For Girls Who Grow Plump In The Night“, womit sie eigentlich die einzigen Gäste auf dem Festival sind, die nichts Aktuelles zu bieten haben, und man mag sich nicht ausmalen, wie schlecht CARAVAN bei strömendem Regen statt untergehender Sonne funktioniert hätten.

Dies sei vor allem deshalb gesagt, weil im Zuge des Night Of The Prog Stimmen lautgeworden sind, den Rest nach den Briten hätte man vergessen können. Dabei dürfte allenthalben für unverbesserliche Scheuklappenträger nicht feststehen, dass gerade die letzten beiden Bands am Samstag ebenso federführend wie der Headliner des Vortags sind, wenn es um die Zukunft visionärer Rockmusik geht. DEVIN TOWNSEND stellt von Beginn an klar, dass er mit stocknüchternem Malen nach Zahlen und den Stereotypen welcher Szene auch immer gar nichts am Hut hat. Seine übliche Ansage, sich unbeliebt machen zu wollen, ist natürlich nicht sonderlich ernstgemeint, wird aber anscheinend von einigen Zuschauern so aufgefasst. Dies hindert den Kanadier aber genauso wenig an einem fulminanten Gig wie das fehlen von Gitarrist Dave Young, den zwei Fans kurzerhand als Pappkameraden mitgebracht haben. Spätestens als dieser dann auf die Bühne gehievt wird, ist abgesehen von ein paar Unentwegten auch das letzte Eis gebrochen, und die hinsichtlich der letzten absolvierten Europatournee mit Fear Factory kaum veränderte Setlist wird mit noch mehr Verve an den Fan beziehungsweise Neuling gebracht als sowieso üblich. TOWNSEND ist einer der wenigen Künstler, denen man mit jedem gespielten Ton anmerkt, dass sie gar nicht anders können, ja sogar müssen – sonst gehen sie kaputt. Zerstörung findet heute allerdings höchstens mit Bezug auf spießige Erwartungen statt; darüber hinaus steht auch dieser Gig – wie immer von Albernheiten auf einer Leinwand begleitet, die sich im noch schwindenden Tageslicht leider nicht richtig erkennen lassen – im Zeichen eines allumfassenden Bekenntnisses zur Liebe („Grace“, „More“, „Supercrush“), wobei die Gruppe zum Glück auf das nervige „Animals“ verzichtet, Ziltoid mit „By Your Command“ hallo sagt und am Ende sogar „Bad Devil“ auftischt. Die Mischung ist von „Truth“ an über das himmlische „Deadhead“ bis zu „Juular“ relativ ausgewogen, nicht zu vergessen das manische „War“ und „Planet Of The Apes“ von „Deconstruction“, auch wenn man sich auch etwas von „Terria“ und „Synchestra“ gewünscht hätte, aber danach ist dem Erzeuger all dieser Fabelstücke momentan eben nicht. Egal: Am Ende geht TOWNSEND auf ausgiebige Tuchfühlung mit den ersten Reihen und tritt als Sympathieträger Nummer eins dieser beiden Tage ab.

Bei OPETH dann geht es – obschon man es vermuten könnte – zwar disziplinierter und atmosphärischer zu, aber nicht minder heiter, wozu sich Mikael Åkerfeldt mit seinem komödiantischen Talent ja geradezu verpflichtet. Die Band befindet sich trotz ihres streitbaren aktuellen Albums auf dem Zenit ihrer Möglichkeiten, nicht zuletzt wegen des frischen Blutes in ihren Reihen, namentlich Martin Axenrot, der den Spagat zwischen dem viehischem Walzen im Standard „Deliverance“ und zarten Anwandlungen wie während der psychedelischen Überraschung „Atonement“ spielend vollzieht, und der mit allen stilistischen Wassern gewaschene Zweitgitarrist Fredrik Åkesson, der das schon von den letztjährigen Akustikkonzerten bekannte Neuarrangement von „Demon Of The Fall“ wohl überhaupt erst möglich gemacht hat – von Organist Joakim Svalberg ganz zu schweigen. Dieser singt nicht nur mit, sondern trotzt Bandklassikern, die man eigentlich in- und auswendig zu kennen glaubt, ungeahnte neue Aspekte ab. „White Cluster“ vom Durchbruch „Still Life“ und „Hope Leaves“ vom verzärtelten Geniestreich „Damnation“ stellen die Ausreißer dar, während „Watershed“ und „Ghost Reveries“ (vertreten in Form von „Ghost Of Perdition“) eine neuerliche Aufwertung erfahren. Auch wenn mit „The Devil's Orchard“, „The Lines In My Hand“ und „Häx Process“ erstaunlich viel von „Heritage“ geboten wird, bleibt die Scheibe im Rückblick wahrscheinlich ein Übergangswerk im Kanon der Schweden. Diese Band mag in Zukunft überall hingehen, denn ihr stehen in dieser Besetzung alle Möglichkeiten offen. Das monströse „Blackwater Park“ macht den Sack zu über einem Festival, dessen musikalischer Gehalt nicht nur in diesem Land seinesgleichen sucht. Wir sagen herzlich danke und freuen uns aufs nächste Jahr – dann hoffentlich mit besserer Verpflegung, klarerer Organisation und dem gleichen tollen Wetter!

Andreas Schiffmann (Info)

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