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Opeth / Pain Of Salvation - Longhorn LKA in Stuttgart - 30.11.2011

Opeth und Pain of Salvation verbinden vor allem drei Dinge.

Punkt eins: Beide Bands kommen aus Schweden.

Punkt 2: Jedes neue Album der beiden Bands bietet Grund zur Spannung, da man nie weiß, was einen erwartet.

Und Punkt 3: Ihre Live-Auftritte sind gleichsam unvorhersehbar sowie gespickt mit feinfühligem, trockenem und herzerwärmenden Entertaintment der Marke Åkerfeldt oder Gildenlöw.

Da beide Bands ganz grob einen ähnlichen Musikstil pflegten, schien es eigentlich naheliegend diese beiden Aushängeschilder des schwedischen Rock einmal zusammen auf Tour zu schicken. Darauf durfte man aber doch weit mehr als zehn Jahre warten bis Opeth und Pain of Salvation sich im Longhorn LKA, einem brutalistischen Gebäude im Gewerbegebiet mit ausladenden schweren Eisentüren, in Stuttgart die Ehre gaben. Im Inneren der Halle ziehen nicht nur vergangene Rauchschwaden umher, sondern auch der Geist der Geschichte des ehemaligen Western und Country-Saloons, der in den Achtzigern und Neunzigern weit über die Grenzen des Schwabenländles bekannt war und einen Mix amerikanischer Soldaten und deutscher Musikfans anzog. Die ehemaligen Konzertplakate, die im Backstageraum zur zweiten und dritten Tapetenschicht verschmolzen sind, künden von den Größen der Musikgeschichte, die sich hier schon tummelten. Nun also auch noch Pain of Salvation und Opeth, eine ehemalige Death-Metal-Band, deren neuestes Werk "Heritage" den Charme einer erst jüngst entdeckten 70er-Jahre-Progressive-Perle verströmt und ohne die einstmals stilbildenden Growls auskommt. Daneben stehen Pain of Salvations opulente "Road Salt One" und "Road Salt Two", die von Blues und Southern Rock so triefen, dass man sich fragt, ob das die gleiche Band ist, die Progressive Metal-Meisterwerke wie "Remedy Lane" zu verantworten hat. Die Frage, die durch die Reihen des gut gefüllten Longhorn geistert ist also, ob Opeth und Pain of Salvation auch live diese gnadenlosen Weiterentwicklungen transportieren oder dem altbewährten Platz einräumen. Diese Frage wird vor allem von Opeth mit einem für viele überraschenden Set beantwortet werden. Aber der Reihe nach.

Zunächst einmal dürfen Daniel Gildenlöw, Johan Hallgren, Leo Margarit und Fredrik Hermannson eine knappe Dreiviertelstunde einen druckvollen, relativ harten und dennoch songorientieren Rock-Mix garniert mit einigen früheren Meisterstücken präsentieren. Vom neuen Album gibt es direkt nach dem Einzug der Band zu schwedischer Volksmusik ein knochenhartes "Softly she cries" mit einem Gruß an die Fans des Sounds von Stoner-Gitarren. Ansonsten betonen Pain of Salvation die melancholische, nostalgische und balladeske Seite von "Road Salt Two" mit "1979" und "To the shoreline" etwas zu sehr über. Erstaunte und etwas ratlose Blicke hinterlässt auch Gildenlöws Aufforderung zu "Conditioned" harmonisch zu schreien. Dass der Zauber der früheren Alben aber weiterhin nur ganz knapp unter der Haut schlummert, beweisen schon die ersten zart gehauchten Gesangsparts von "Ashes" bevor Gildenlöw und seine Mannen mal wieder in aller Breite beweisen, dass man mit einfachsten Mitteln und wenigen Akkorden, aber dafür mit unglaublichem Harmoniegefühl und den passenden Gesangsnuancen jeden Zuhörer in Sekundenschnelle hypnotisieren kann. Vor den beiden bluesigen Rauswerfern "Linoleum" und "No way" von "Road Salt One" unternimmt Gildenlöw aber mit "Diffidentia (Breaching the core)" noch einmal einen dramatischen Höhenflug in die Sphären vom Konzeptalbum "Be". Dabei mutiert der sonst so nachdenkliche und eloquente Gildenlöw auf der Bühne zum abrockenden und headbangenden, charismatischen Leader mit Augenzwinkern. Johan Hallgrens muskulöser Oberkörper, der mit seinen Rasta-Locken schon immer an den freundlichen nordeuropäischen Troll erinnerte, wird in Zukunft aber leider nicht mehr zum Bühnenbild gehören. Ebenso wird Keyboarder Fredrik Hermannson nach der Tour die Band verlassen. Das ist nicht nur für die Gildenlöw und Margarit tragisch, sondern auch für die Fans, die in diesem relativ kurzen Set an vielen Stellen mal wieder die ungewöhnliche Vielfalt und die Alleinstellungsmerkmale von Pain of Salvation bestaunen konnten.

Nach der Umbaupause ist vom Bewegungsradius, den man bei Pain of Salvation noch hatte nicht mehr viel übrig geblieben. Mikael Åkerfeldt wirft schon einmal einen lachenden Blick durch die Glasfront der Empore. Was viele in dem Moment noch nicht ahnen ist, dass der Mix aus Death-Metal-Growls und der hypnotischen Seventies-Prog-Atmosphäre in den kommenden zwei Stunden dem neuen Stil Opeths weichen wird. Und damit geht es gleich bei "The Devil's Orchard" los, dessen Orgeltöne und dessen glasklar abgemischte Gitarrensolo durch die komplette Dunkelheit der Halle spuken bis die Festbeleuchtung zu Åkerfeldts diabolisch-gehauchtem "God is dead" den Weg aus der Blindheit weist. Das darauffolgende "I feel the dark" kontrastiert den von "Heritage" bekannten Wechsel aus sanften Akustikgitarren, wolkigen Keyboard und Percussionparts sowie cleanem Gesang mit der eruptiven Macht von elektrischen Gitarren. Danach ist erst einmal Zeit für eine von Åkerfeldts charismatischen, feinfühligen und kabarettreifen Einlagen, in der er den Wesensgehalt seiner Band mit den fünf Worten "Music, Entertainment, Records, Shows and Jokes" zusammenfasst. Åkerfeldt ist dabei bei allem Abwechslungsreichtum wie gewohnt der Ruhepol auf der Bühne, während Martin Mendez und Fredrik Åkesson aufblühen und gemeinsam mit Martin Axenrot ein Feuerwerk abbrennen. Alles natürlich unter dem surrealistisch glühenden Cover von "Heritage", das im Bühnenhintergrund mit seinen mattorangen und feuerroten Tönen durchscheint. Im weiteren Laufe des Abends wird Åkerfeldt noch über unmoralische Angebote weiblicher Fans auf Plakaten, die Schauspielkünste Burt Reynolds und die Vorteile von Kassetten mit einer Spielzeit von 90 Minuten - manchmal auch etwas zu ausgedehnt, aber immer mit einem Augenzwinkern - parlieren. Zunächst aber greifen Opeth mit "Face of melinda" zu einem Klassiker der Bandgeschichte und würdigen so das sumpfblumige Konzeptalbum "Still life" gebührend. "Porcelain heart" wird garniert durch ein gut zehnminütiges Drumsolo vom groß, weil differenziert und fein, aufspielenden Axenrot. Die begeisterte Stimmung wird mit der 70er-Jazzrock-Ballade "Nepenthe" wieder abgekühlt, bevor Opeth ihren Track vom "God of War"-Soundtrack "A throat of winter" anstimmen und Åkerfeldts Clean Vocals mit Åkessons Akustikgitarren unterlegt werden, die gegen Ende das südländische Flair versprühen. Auch die zweite Hälfte das Auftritts der Schweden kommt nur mit cleanem Gesang aus. Da wäre zum Beispiel der Ausflug in die Vergangenheit mit "Credence" oder, bevor  Åkerfeldt lang und breit über die musikalischen Vorzüge von "Rainbow" und Ronnie James Dio berichtet, das krachende "Slither". Die abschließenden zwanzig Minuten des Sets beweisen dann noch einmal wie facettenreich und monumental Opeth zu Werke gehen wenn sie nach dem düsteren "A fair judgement" das Konzert mit Soundwällen von "Hex omega" abschließen. Das allein reicht schon für einige Gänsehaut-Momente aber Åkerfeldt weiß dem ganzen mit "Folklore" als Zugabe noch die Krone aufzusetzen und dem Besucher in den letzten zwei Minuten einen eiskalten Schauer nach dem anderen über den Rücken zu jagen.

Opeth haben sich live ebenso wie auf "Heritage" gewandelt und spielen ein Set mit ausschließlich Clean Vocals. Das macht sie aber nicht minder interessant oder schlechter als früher, auch wenn viele den einzigartigen Mix aus Death-Metal Growls und jazzigem Prog vermissen werden. Ihre Death-Metal-Wurzeln sind weiterhin unverkennbar und diese werden die Schweden genauso wenig abschütteln wie Mikael  Åkerfeldt seine sympathische und humoristische Art, wenn er eine gute halbe Minute lang jede Aktion seines Bassisten Mendez auf der Bühne kommentiert.

Diese Live-Rezension stammt von unserem Gast-Rezensenten Raoul Schneider.

Gast-Rezensent (Info)